Titel: Ruhiger Gang von Automobilmotoren.
Autor: Lud. v. Löw.
Fundstelle: Band 319, Jahrgang 1904, S. 298
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Ruhiger Gang von Automobilmotoren. Von Dipl.-Ing. Lud. v. Löw. Ruhiger Gang von Automobilmotoren. Bei der Betrachtung des ruhigen Gangs von Automobilmotoren müssen wir drei verschiedene Eigenschaften unterscheiden: 1) was man bei ortsfesten Maschinen hierunter zu verstehen pflegt, nämlich die gleichförmige Umfangsgeschwindigkeit des Schwungrades, das gleichmassige Drehmoment, 2) die gute Ausgleichung der hin- und herschwingenden Triebwerksteile, die besonders bei Schiffsmaschinen in den Vordergrund tritt, und 3) das geräuschlose Arbeiten der Maschine, was für Fahrzeuge, die in belebten Strassen verkehren, sehr anstrebenswert ist. Der erste dieser drei Punkte ist für Automobilmotoren von der untergeordnetsten Bedeutung, denn bei fast sämtlichen, heute gebräuchlichen Kraftübertragungsmechanismen zwischen Motor und Treibräder findet eine starre Kupplung statt, so dass die ganze Masse des Wagens dem ungleichförmigen Drehmoment des Motors entgegenwirkt; wir finden daher auch den nach dieser Richtung hin ungünstigsten Motor (siehe Fig. 1) bei Textabbildung Bd. 319, S. 298 Fig. 1. Textabbildung Bd. 319, S. 298 Fig. 2. Automobilen am meisten angewandt. Wie die Zusammenstellung 1 zeigt, folgen nämlich die Explosionen bei Zusammenstellung 1. Gleichzeitig stattfindende Hube im ersten Zylinder zweiten Zylinder Saugehub Kompressionshub Kompressionshub Explosionshub Explosionshub Auspuffhub Auspuffhub Saugehub Saugehub Kompressionshub Kompressionshub Explosionshub einer Kurbelversetzung um 180°, die den durch Fig. 1 dargestellten Motor kennzeichnet, einmal im Zeitintervall eines Hubes und dann im Zeitintervall dreier Hube. – In Ueberschätzung dieses geringfügigen Nachteils wurden anfangs im Automobilbau auch schon Motore verwandt mit einer Kurbelversetzung um 360° (siehe Fig. 2), wie sie bei ortsfesten Zwillingsgaskraftmaschinen zur Verminderung des Schwungradgewichts ganz allgemein üblich ist. Man erhält hierdurch, wie Zusammenstellung 2 lehrt. Zusammenstellung 2. Gleichzeitig stattfindende Hube im ersten Zylinder zweiten Zylinder Saugehub Verbrennungshub Verdichtungshub Ausschubhub Vtrbrennungshub Saugehub Ausschubhub Verdichtungshub Saugehub Verbrennungshub Verdichtungshub Ausschubhub gleiche Zeitabstände zwischen den Krafthuben, muss aber eine sehr ungünstige Massenwirkung, die wir im nächsten Abschnitt betrachten werden, in den Kauf nehmen. – Dasselbe Zusammenfallen der Perioden beider Zylinder, wie in Zusammenstellung 2 besitzt auch der durch Fig. 3 gekennzeichnete Motor, der gleichzeitig auch eine sehr gute Massenausgleichung hat. Textabbildung Bd. 319, S. 299 Fig. 3. Schon wichtiger als ein gleichförmiges Drehmoment ist für den Automobilmotor, der auf den Tragfedern desWagengestells ruht, der gute Ausgleich der freien Massenkräfte, besonders da man mit den Umdrehungszahlen dieser Maschinen, um ein möglichst geringes Gewicht zu erzielen, schon auf 2000 in der Minute gegangen ist und mittlere Kolbengeschwindigkeiten von 6,67 m in der Sekunde angewandt hat (siehe „Fahrzeugmotore für flüssige Brennstoffe“ von Güldner, Seite 47). Diesem Wert der mittleren Kolbengeschwindigkeit entspricht eine höchste Kolbengeschwindigkeit oder Kurbelzapfengeschwindigkeit von 10,56 m/sek. – Mit Recht macht sich in neuerer Zeit im Maschinenbau das Bestreben geltend, den Begriff der mittleren Kolbengeschwindigkeit zu verbannen und durch den \frac{\pi}{2}mal grösseren der Kurbelzapfengeschwindigkeit zu ersetzen, da erster er weder zur Bestimmung der Beschleunigungs- und Verzögerungskräfte, noch zur zuverlässigen Ermittlung des Spannungsverlustes in den Ein- und Ausströmorganen von Zylindern benutzt werden kann. – Unter den freien Massenkräften einer Kurbelmaschine versteht man diejenigen Kräfte, die von der Rotation und dem Hin- und Herschwingen der Triebwerksteile herrühren und deren Wirkung nicht durch Reaktionskräfte aufgehoben wird. Die Kurbelarme, der Kurbelzapfen, der Flügelstangenkopf und ein Teil des Flügelstangenschafts erzeugen Zentrifugalkräfte und der übrige Teil der Flügelstange sowie (der Kreuzkopf, die Kolbenstange und) der Kolbenkörper Beschleunigungs- und Verzögerungskräfte. Die eingeklammerten Teile sind bei Gaskraftmaschinen meist nicht vorhanden. Damit diese Kräfte das Fahrzeug nicht in Zuckungen und Schwingungen versetzen, müssen Ausgleichskräfte geschaffen werden. Bei Einzylindermotoren (siehe Fig. 4) werden die Kurbeln über die Wellenmitte verlängert und Gegengewichte angebracht, deren Grösse man aus folgenden Formeln berechnet. Textabbildung Bd. 319, S. 299 Fig. 4. C1 = C2 m1 . r1 . ω = m2 . r2 . ω Hierin bedeutet: C1 Zentrifugalkraft der rotierenden Triebwerksteile C2 Zentrifugalkraft der erforderlichen Gegengewichte m1 Masse der rotierenden Triebwerksteile r1 Schwerpunktsabstand der rotierenden Triebwerksteile von der Wellenmitte ω Winkelgeschwindigkeit der Welle m2 Masse der erforderlichen Gegengewichte r2 Schwerpunktsabstand der erforderlichen Gegengewichte von der Wellenmitte. Die Gleichung: m1 . r1 . ω = m2 . r2 . ω ist für den vorliegenden Zweck viel geeigneter als folgende: m_1\,\frac{{v_1}^2}{r_1}=m_2\,\frac{{v_2}^2}{r_2}, in der v1 und v2 die Geschwindigkeiten der Schwerpunkte bedeuten; denn aus der ersteren geht ohne weiteres hervor, dass es für den Ausgleich der Zentrifugalkräfte nur auf die Gleichheit der Produkte m1 . r1 und m2 . r2 ankommt und dass, wenn diese Bedingung einmal erfüllt ist, der vollständige Massenausgleich bei jeder Umlaufzahl besteht; bei oberflächlicher Betrachtung der zweiten Gleichung kommt man dagegen leicht zu irrtümlichen Ansichten. Die rotierenden Massen und die Zentrifugalkräfte lassen sich also vollständig ausgleichen; ungünstiger liegen die Verhältnisse für die schwingenden Massen mit den von ihnen erzeugten Beschleunigungs- und Verzögerungskräften. Für den Fall, dass den Quotient: \frac{\mbox{Kurbelradius}}{\mbox{Flügelstangenlänge}}=\frac{1}{\infty} wäre, würden bekanntlich die Beschleunigungs- und Verzögerungskräfte B in den toten Punkten den Wert B_{\mbox{max}}=m\,\frac{v^2}{r} haben und sich mit dem Kosinus des von der Totlage an gerechneten Drehwinkels φ ändern. B=m\,\frac{v^2}{r}\,\cdot\,\mbox{cos}\,\varphi Hierin bedeutet: m die Masse der hin- und herschwingenden Triebwerksteile v die Kurbelzapfengeschwindigkeit r den Kurbelradius Ist aber, wie bei Automobilmotoren meist üblich, das Verhältnis \frac{\mbox{Kurbelradius}}{\mbox{Flügelstangenlänge}}=\frac{1}{4,5}, so wird im oberen Totpunkt: B_0=\frac{m\,v^2}{r}+\frac{1}{4,5}\,\cdot\,\frac{m\,v^2}{r} und im unteren Totpunkt: B_0=\frac{m\,v^2}{r}-\frac{1}{4,5}\,\cdot\,\frac{m\,v^2}{r}. Um diese Kräfte einigermaassen unschädlich zu machen, müssen wir zu den berechneten Gegengewichten noch Zusatzgewichte hinzufügen, die eine Zentrifugalkraft C3 erzeugen, welche halb so gross ist als der Mittelwert von Bo und Bu; „halb so gross“ deshalb, weil die Kräfte, die von der Beschleunigung und Verzögerung der Triebwerksteile herrühren, langsam entstehen und ebenso wieder verschwinden, sowie nur aufwärts oder abwärts gerichtet sind, die Zentrifugalkraft dagegen eine stets gleichbleibende Kraft ist, die während einer Umdrehung einmal in jeder, innerhalb einer Ebene möglichen Richtung wirkt. Würden wir also die grössten Beschleunigungs- und Verzögerungskräfte durch die Zentrifugalkraft des Zusatzgewichtes ganz ausgleichen, so würden wir in horizontaler Richtung (stehende Maschine ist für alle Betrachtungen vorausgesetzt) genau ebenso grosse freie Kräfte bekommen, wie wir ohne Zusatzgewichte in vertikaler Richtung haben. Ein vollständiger Ausgleich hin- und herschwingender Massen kann nur durch andere her- und hinschwingende Massen erzielt werden; Mehrzylindermotore sind daher im allgemeinen bedeutend vorteilhafter in diesem Sinne als Einzylindermotore, die durch Fig. 2 veranschaulichte Bauart ist allerdings ebenso übel daran. Ein Blick auf Fig. 1 lehrt ohne weiteres, dass auch ohne Berücksichtigung der punktiert eingezeichneten Gegengewichte, auf die wir später zurückkommen, die Zentrifugalkraft der Triebwerksteile desrechten Zylinders ebenso so gross ist und in radial entgegengesetzter Richtung liegt wie diejenige der Triebwerksteile des linken Zylinders, und sehen wir von dem Einfluss der endlichen Länge der Flügelstange ab, so sind auch in jedem Augenblick die Beschleunigungs- bezw. Verzögerungskräfte des rechten Kolbenkörpers nebst zugehörigem Stangenteil gleich und entgegengesetzt gerichtet den Beschleunigungs- bezw. Verzögerungskräften der hin- und herschwingenden Triebwerksteile des linken Zylinders. Aber alle diese Kräfte liegen nicht in einer Geraden und wirken daher als Moment, das die Zylindermittenentfernung zum Hebelarm hat. Um dieses Moment tunlichst zu verkleinern, ist die Zylinderentfernung so gering als zulässig zu wählen und in diesem Bestreben ist man früher, als die liegenden Maschinen beim Automobil noch vorherrschten, sehr gern zu der in Fig. 3 dargestellten Motorenbauart übergegangen; ferner ist es sehr zu empfehlen, die in Fig. 1 punktiert angedeuteten Gegengewichte anzuwenden, deren Grösse so zu bemessen ist, dass das Moment (nicht wie beim Einzylindermotor die Kräfte selbst) der Zentrifugalkräfte ganz und das der Beschleunigungs- und Verzögerungskräfte halb ausgeglichen wird. Eine in dieser Weise ausgebildete Massenausgleichung eines Motors nach Fig. 1 dürfte selbst den grössten Ansprüchen, die man in dieser Richtung an Automobilmotore stellen kann, genügen. Trotzdem hat man das Moment der freien Kräfte in noch vollkommener Weise aufgehoben, dadurch, dass man sich der Vierzylinderbauart (siehe Fig. 5) zuwandte; bei ihr wird das Moment der freien Kräfte des rechten Zylinderpaares durch dasjenige des linken Zylinderpaares aufgehoben. Textabbildung Bd. 319, S. 300 Fig. 5. Wir hatten bis jetzt, um die Betrachtung nicht zu verwickelt zu gestalten, darauf verzichtet, die endliche Länge der Flügelstange zu berücksichtigen; erinnern wir uns nun aber, dass B_0=m\,\frac{v^2}{r}+\frac{1}{4,5}\,m\,\frac{v^2}{r} und B_0=m\,\frac{v^2}{r}-\frac{1}{4,5}\,m\,\frac{v^2}{r} war, d.h., dass die Beschleunigungs- bezw. Verzögerungskraft im oberen Totpunkt fast doppelt so gross als im untern ist, so erkennen wir, dass selbst der Vierzylindermotor weit davon entfernt ist, einen vollständigen Massenausgleich zu gewährleisten; in diesem Sinne liegen die Verhältnisse bei ihm nicht günstiger als bei der Bauart Fig. 1 und die Anordnung Fig. 3 ist sogar wesentlich überlegen, denn bei ihr treten immer gleichzeitig in beiden Zylindern einmal die grossen Beschleunigungskräfte und dann beim nächsten. Hubwechsel die kleinen auf, während bei allen anderen Konstruktionen stets Bo im einen Zylinder zeitlich mit Bu im andern Zylinder zusammenfällt. Am Schlüsse dieses Abschnitts wollen wir nicht vergessen, dass die Erschütterungen der Automobile im allgemeinen viel mehr durch die Unebenheiten der Strassenoberfläche als durch die freien Kräfte der Maschine erzeugt werden. Textabbildung Bd. 319, S. 301 Fig. 6. Wir kommen nun zu dem geräuschlosen Arbeiten der Automobilmotoren; nur wenige Fahrzeuge genügen heute dieser sehr berechtigten Anforderung und zwar dadurch, dass die Auspuffgase durch einen sehr wirksamen Schalldämpfer hindurchströmen müssen. Ein solcher besitzt verschiedene Räume, die durch Drosselungswände von einander getrennt sind, derartig, dass weder beim Eintritt der Gase in den Schalltopf noch beim Austritt aus demselben ein plötzlicher Druckabfall stattfindet. Durch eine solche Vorrichtung wird natürlich die Arbeitsleistung der Maschine wesentlich vermindert infolge des Rückdrucks auf den Kolbenkörper während des Ausschubhubes; die Automobile sind daher mitunter so eingerichtet, dass ein Teil des Schalldämpfers abgeschaltet werden kann. Ein sehr schönes Mittel, um ein geräuschloses Arbeiten der Automobile ohne Arbeitsverlust zu erzielen, bildet der durch Fig. 6 veranschaulichte Motor, dessen Arbeitsweise aus der Zusammenstellung 3 hervorgeht. Der mittlere grosse Zylinder hat mit dem Niederdruckzylinder regulärer Verbundmaschinen nur wenig gemeinsam, denn er soll in erster Linie als Schalldämpfer und zweitens als Massenausgleicher dienen, nicht aber zu erheblicher Arbeitsleistung herangezogen werden. Denn mit Verbundverbrennungsmotoren, bei denen der Niederdruckzylindereinen beträchtlichen Betrag der gesamten Arbeitsleistung übernehmen soll, hat man sehr ungünstige Erfahrungen gemacht. Beim Ueberströmen der Gase von einem Zylinder zum andern entsteht nämlich ein solcher Wärmeverlust, dass der Niederdruckzylinder nicht mehr so viel Gewinn bringt, wie es zur Deckung seiner eigenen Betriebs- und Amortisationskosten nötig wäre. (Näheres siehe „Das Entwerfen und Berechnen der Verbrennungsmotoren“ von Güldner, Berlin 1903, Seite 48, 111 und 206). Beim Automobil aber liegt die Sache ganz anders; wir haben oben gesehen, dass man sogar Vierzylindermaschinen für Kraftwagen verwendet, und es würde daher der Uebergang zu der Bauart Fig. 6 eine Vereinfachung sein, ohne die gute Massenausgleichung der Vierzylindermaschine zu verschlechtern und wenn wir den mittleren Zylinder so konstruieren, dass die Gase in ihm bis zur Atmosphärenspannung expandieren und der Motor daher geräuschlos arbeitet, so müssen wir in dieser Bauart ein grossen Fortschritt in der Entwicklung des Automobils erblicken. Leider wird dieser Fahrzeugmotor meines Wissens nach bis jetzt nur in Frankreich und Amerika verwandt. Zusammenstellung 3. Gleichzeitig stattfindende Hube im rechten Zylinder mittleren Zylinder linken Zylinder Saugehub Ausschubhub Verbrennungshub Verdichtungshub Ueberströmhub Verbrennungshub Ausschubhub Saugehub Ueberströmhub Verdichtungshub Saugehub Ausschubhub Verbrennungshub Verdichtungshub Ueberströmhub