Titel: Die Kettenschaltgetriebe am mechanischen Webstuhle.
Autor: Siegm. Edelstein
Fundstelle: Band 319, Jahrgang 1904, S. 361
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Die Kettenschaltgetriebe am mechanischen Webstuhle. Von Prof. Siegm. Edelstein. (Fortsetzung von S. 349 d. Bd.) Die Kettenschaltgetriebe am mechanischen Webstuhle. b) Praktische Ausführung von Kettenbaumbremsen und Neuerungen in der Anordnung derselben. Nachdem in den vorstehenden Ausführungen der geometrische Zusammenhang der wichtigsten Bremstypen dargelegt wurde, mögen nunmehr einige der wesentlichsten derselben in ihrer wirklichen Ausführung durch Skizzen veranschaulicht werden. Es ist selbstverständlich, dass die einzelnen Konstruktionswerkstätten, wenn sie auch die grundlegende Form beibehalten, doch der einzelnen Anordnung ein gewisses originelles Gepräge verleihen, wodurch eine ziemliche Mannigfaltigkeit in den Konstruktionen resultiert. Die am häufigsten vorkommende Seilbremse, wie sie für schmale englische Webstühle und alle nach diesem System gebauten Abarten verwendet wird, ist durch die Fig. 25 veranschaulicht. KB ist der Kettenbaum, S eine auf demselben aufgesetzte Muffe, die Bremsscheibe, h der Bremshebel, der als Kerbenhebel ausgeführt wird und mit dem verschiebbarem Gewichte Q belastet erscheint. Das Bremsseil wird mit dem einen Ende an die Längstraverse des Stuhles befestigt, das andere Ende wird durch den Hebel h belastet. Es ist im früheren darauf hingewiesen worden, dass die Dehnung des Seiles, die ein Schräglegen des Belastungshebels zur Folge hat, einen Uebelstandvorstellt, dem mitunter durch eigene Anordnungen abgeholfen wird. Die Figur zeigt eine derartige Ausführung. An dem Bremshebel ist eine kleine Trommel zur Aufnahme des Seiles angebracht, und auf der Achse dieser Trommel sitzt ein kleines Sperrädchen g, das durch eine Sperrklinke in seiner Lage erhalten wird. Man erkennt leicht, dass es nach eingetretener Dehnung des Seiles nur notwendig wird, die kleine Trommel etwas vorzudrehen, um den Gewichtshebel immer wieder in die wagerechte Lage zu bringen. Eine häufig angewendete Form der Muldenbremse ist in den Fig. 26 und 27 zur Darstellung gebracht. Das kräftige mit einem Filztuch ausgefütterte Stahlband wird an dem Haken, der an der Mulde angebracht ist, befestigt, während das andere Ende durch Hebelanordnung (Kerbenhebel mit verschiebbarem Gewichte) belastet erscheint. Die wagerechte Stellung des Belastungshebels erreicht man durch Betätigen der gezeichneten Flügelmutter. Fig. 28 stellt eine Hartmannsche Differentialbremse vor und ist deren Einrichtung aus den früheren Darlegungen ohne weiteres verständlich. Fig. 29 zeigt die Ausführung einer Schönherrschen Differentialbremse, einer Stahlbandbremse, bei welcher das eine Ende des Bandes an einen Festpunkt a angelegt ist, während Textabbildung Bd. 319, S. 362 Fig. 25. Textabbildung Bd. 319, S. 362 Fig. 26. Textabbildung Bd. 319, S. 362 Fig. 27. Textabbildung Bd. 319, S. 362 Fig. 28. Textabbildung Bd. 319, S. 362 Fig. 31. Textabbildung Bd. 319, S. 362 Fig. 34. Textabbildung Bd. 319, S. 363 Fig. 29. Textabbildung Bd. 319, S. 363 Fig. 30. Textabbildung Bd. 319, S. 363 Fig. 32. Textabbildung Bd. 319, S. 363 Fig. 33. Textabbildung Bd. 319, S. 363 Fig. 35. Textabbildung Bd. 319, S. 363 Fig. 36. das andere durch das Gewicht Q mittels Winkelhebel h, Stange t, zweiarmigen Hebel b, Stange t' und Differentialhebel D belastet wird. Die Fühlwalze w verstellt vermittels des Hebels c und Stange t'' die Rolle r längs des Differentialhebels, wodurch die gewünschte Veränderung der Bremsbelastung entsprechend der Abnahme des Kettenbaumdurchmessers zu Wege kommt. Eine ganz eigentümliche Art von Kettenbaumbremsung zeigte die in den Fig. 30 und 31 zur Anschauung gebrachte Vorrichtung. Sie hat die Aufgabe, den durch eine leichtspielende Gewichtsbremse belasteten Kettenbaum im Augenblicke des Ladenanschlages festzuhalten, um auf diese Weise eine dichte Schussanlage zu bewirken. Es wird dies dadurch erreicht, dass auf der Achse des Kettenbaumes eine Scheibe S aufgekeilt wird, gegen deren äussere und innere Kranzfläche sich ein Paar Klemmbacken B1 B2 fest anpressen lassen. Diese sitzen auf den um die Achse O drehbaren Hebel H, welcher durch die Feder F in solcher Lage erhalten wird, dass die Klemmflächen die Scheibe nicht berühren, dagegen durch ein auf der Schützenschlagwelle W aufgekeiltes Excenter E vermittels Hebel h und Stange t in die entgegengesetzte Stellung gedrängt werden können. Die Stellung des genannten Excenters, welches zwei um 180° versetzte Erhebungen zeigt, ist derartig, dass dies im Momente des Ladenanschlages geschieht, wodurch dann, wie angedeutet, eine Anpressung der Klemmbacken an die Klemmscheibe S erfolgt und der Kettenbaum mithin in diesem Augenblicke festgehalten wird. Die Einrichtung rührt von der Webstuhlfabrik Rüti vormals Caspar Honegger her. In Fig. 32 ist eine von der sächsischen Webstuhlfabrik gebaute besondere Anordnung einer Kettenbaumbremse dargestellt, die sich dadurch kennzeichnet, dass bei derselben die Kettenspannung, bezw. die Länge der freiliegenden Kette auf die Bremsbelastung regulierend einwirkt. Q ist das Belastungsgewicht, das vermittels des Winkelhebels H und Stelze t, die Schwinge L nach auswärts drückt, während der in derselben gelagerte Streichbaum Sb dieselbe infolge der Kettenspannung einwärts zu ziehen sucht. An dieser Schwinge ist das Ende der die Bremsscheibe B umgreifenden Bremskette angelegt, so zwar, dass die Einwärtsbewegung der Schwinge eine Lockerung, die Auswärtsbewegung eine Anspannung der Bremskette hervorbringt. Die Wirkungsweise ist einleuchtend, der Kettenbaum liefert nur dann Kette, wenn die Spannung derselben eine geringe Einwärtsbewegung der Schwinge verursacht hat. Die anderen Typen der passiven Kettenablassvorrichtungen sind in den vorstehenden Ausführungen derart beschrieben, dass ihre konstruktive Durchführung schon aus der dort gegebenen Darstellung hervorgeht, und von einer weitläufigeren Betrachtung abgesehen werden kann; es dürfte vielmehr geboten sein, an dieser Stelle jene Bestrebungen ins Auge zu fassen, welche auf einen Fortschritt auf diesem Gebiete hinzielen. Wenn man die Fachliteratur der letzten Jahre nach dieser Richtung hin durchsucht, so findet man nur eine ziemlich spärliche Auslese. Ebenso begegnet man in der praktischen Verwendung nur wenig prinzipielle Abweichungen der typischen Formen, und die verschiedenen Vorschläge, die sich in Patenten und Gebrauchsmustern aussprechen, dürften kaum zu mehr als zu blossen Versuchsobjekten geführt haben, mitunter kann man hier eher eine Verkennung des eigentlichen Zweckes als eine Verbesserung kontatieren. Wenn beispielsweise im D. R. P. 97513 die Bremsbacken einer Backenbremse mit Rollen ausgestattet werden, (Fig. 33) die, in den Backen gelagert, an die Bremsscheibe angepresst werden, um dadurch angeblichdie Möglichkeit zu gewinnen, die Bremsbacken aus einer Anzahl scharnierartig zusammengesetzter, also nach Art einer Kette verbundener Teile zu bilden, und sie iür verschieden grosse Scheibendurchmesser brauchbar zu machen so kann wohl in dieser Anordnung kaum eine Verbesserung der Bremse erblickt werden. Die an sich ja nicht bedeutende Klemmbackenreibung, wird durch die Einführung der Rollen ganz bedeutend verringert – statt der gleitenden Reibung zwischen Backe und Scheibenumfang tritt die rollende Reibung der Rollen auf der Scheibe und die Zapfenreibung der Rollenzapfen in Funktion – bekanntlich ein Konstruktionsdetail. das man mit besonderem Vorteil für möglichst reibungsloses Lagern verwendet, und diese Anordnung soll zum Bremsen des Kettenbaumes vorteilhafter als die einfache Backenbremse oder Bandbremse, der sie sich nähert, sein! Ebensowenig erscheint es für die technologische Wirkungsweise der Bremse zweckentsprechend, wenn in D. R. G. M. 58530 bezw. 61905 eine „Universalkettenbaumbremse“ derart aufgebaut wird, dass auf den Kettenbaum ein „Zahnrad“ richtiger eine Kettenrolle aufgekeilt, über dasselbe eine kalibrierte Kette als Bremsband (!) aufgelegt und in der üblichen Weise mit Hebelanordnung belastet wid. In D. R. G. M. 125679 wird einer einfachen Band- oder Seilbremse ein Konstruktionsdetail, zugegeben, das darin besteht, dass das sonst an einem Festpunkte befestigte Seilende in bekannter Weise mittels einer Schraubenfeder gehalten ist und die Feder nun durch eine Schraubenanordnung mehr oder weniger gespannt werden kann. Dass die Spannung in dem am Festpunkte angehängten Seiltrum eine sich selbsttätig einstellende von dem Belastungszuge, der Seilreibung und dem gesamten Kräftespiel abhängige Grösse ist, scheint dem Erfinder entgangen zu sein, das beweist auch die beigegebene Beschreibung, die ganz verfehlte Anschauungen entwickelt. Ganz interessant ist die Einrichtung des D. R. P. 120395 allerdings nur vom wissenschaftlichen Standpunkte, sie ist durch ihre Anordnung förmlich ein Schulapparat, um das über den Zweck der Reibung bei Bandbremsen oben Gesagte zu erläutern. Die auf dem Kettenbaume a (Fig. 34) aufgesetzte Bremsscheibe oder der Hals des Kettenbaumes selbst, wird von einem Paar Bremsbacken umgriffen, die scharnierartig verbunden und durch das Belastungsgewicht i zusammengepresst bezw. an den Kettenbaumhals angepresst werden. Es stellt somit dieses Gewicht i durch seine Anpressung die mechanische Verbindung zwischen den Bremsbacken und dem Kettenbaume mittels der hervorgerufenen Verklemmung (Reibung) her, ganz in der Weise, als ob irgend ein anderes Konstruktionsdetail zu diesem Zwecke angeordnet wäre, aber es erteilt dieses Gewicht dem Kettenbaume auch ein rechtsdrehendes Moment, welches von dem Momente der Kettenspannung überwunden werden muss, wenn Kette abgewickelt werden soll. In seiner Wirkung wird nun i unterstützt durch ein zweites im gleichen Sinne wirkendes Gewicht g, das an den bogenartig ausgebildeten und auf die andere Seite des Kettenbaumes ragenden Arm des die Belastung tragenden Winkelhebels f angehängt wird. Die beiden Gewichte zusammen vermögen die Bremsbacken so fest an den Baumhals anzulegen, dass die Mitnahme der ganzen Bremskluppe erfolgt, wenn sich der Kettenbaum beim Abwinden von Kette nach links bewegt. Wenn diese Bewegung so weit gediehen ist, dass sich g auf eine Unterlage aufsetzt, dann wird die Bremskluppe weniger kräftig angepresst und sie folgt dem rechtsdrehenden Momente von i solange, bis g wieder in Wirkung treten kann. Man erkennt dasselbe Spiel, wie es oben für die Gewichtsbremsen abgeleitet wurde, nur dass für die letzteren ein einfaches Umschlingen des Bremsseiles und Anhängen des Belastungsgewichtes zu einer Seite, des Gegengewichtes zur andere, bezw. des Anlegens an einen Festpunkt an dieser Stelle nötig war, während hier eine ganz umständliche Einrichtung ohne jeden Vorteil geschaffen ist. Allerdings zur Klarlegung des Anteiles der Seilreibung am Kräftespiel der einfachen Seilbremse bietet die Anordnung, so schwerfällig und unpraktisch sie sonst ist. viel Interesse. Man kann hier ganz deutlich verfolgen, wie die Reibung zunächst als mechanische Verbindung zwischen Bremslast und Kettenbaum auftritt und nachher die Neueinstellung der Bremse, durch Lockern dieser Verbinbindung erfolgt, es wird das Bild insofern klarer, als man es hier nicht mit der doch einigermaassen verwickelter sich darbietenden Seilreibung, sondern mit der deutlicher erfassbaren einfachen gleitenden Reibung zu tun hat. Einen recht hübschen Gedanken dagegen hat das D. R. P. 96901 zur Ausführung gebracht: Eine Backenbremse (Fig. 35) wird für die Kettenbaumbremsung derart angeordnet, dass die Bremsscheibe von zwei Backen kluppenartig umfasst wird, von denen der eine derselben, der untere, festliegt, während der andere als Bremshebel in gewöhnlicher Weise ausgebildet ist. Die Bremse hat sonach im allgemeinen das Gepräge einer Muldenbremse, indem der untere Backen der Mulde entspricht, während das sonst angeordnete Bremsband hier durch den oberen Backen ersetzt erscheint. Der Andruck auf diesen Backen wird durch eine Feder hervorgebracht und das Interessante dieser Anordnung besteht nun darin, dass das diese Feder aufnehmende Gestänge einen Spannbaum (Streichbaum) trägt, der je nach der Grösse der vorhandenen Kettenspannung, in ähnlicher Art, wie dies bei negativen Kettenbaumregulatoren und bei der oben unter Fig. 32 dargestellten Type der Fall ist, auf die Bremsbelastung einwirkt, derart, dass bei zunehmender Kettenspannung der Streichbaum stuhleinwärts geht und die Bremse mit Hilfe des Hebelgetriebes lockert und dadurch ein Abwickeln des Kettenbaumes insolange gestattet, bis die sich ermässigende Kettenspannung ein Ausschwingen des Streichbaumes und ein Festbremsen des Kettenbaumes bewirkt. Wenn auch das Getriebe dieser Anordnung kompliziert ist und ihr alle Mängel der Backenbremsen anhaften, dieselbe sich aus diesem Grunde sonach kaum in die allgemeine Praxis, wenigstens nicht in dieser Gestalt, einführen dürfte, so kann man doch der ihr zugrunde liegenden Idee das Zeugnis nicht versagen, dass sie ein vielleicht ausbildungsfähiges Moment heranzieht. Allerdings hat die Einregulierung der Bremsbelastung durch die Kettenspannung den prinzipiellen Uebelstand so vieler „Regulatoren“, dass sieerst dann zur Wirkung kommen kann, wenn eine entsprechende Aenderung der Kettenspannung schon eingetreten ist, immerhin aber verdient diese Anordnung Beachtung. Nur die konstruktive Durchführung, nicht aber das Wesen der Differentialbremse erscheint im D. R. P. 96711 zum Gegenstande der Neuerung gemacht. Das Bremsgewicht wird längs des Bremshebels zwangläufig von dem Fühlwalzenapparat bewegt. Zahnstange, Stirnrad, Kegelräder, zwei Kettenrollen, eine Gliederkette, Rahmenhebel mit Laufbahnen! – eine recht komplizierte Anordnung. Im D. R. P. 109567 lässt sich der Erfinder wieder eine Kettenbaumbremse schützen: „dadurch gekennzeichnet, dass der Veränderung der wirksamen Hebellänge des am Bremsband angreifenden Bremshebels durch Verschiebung des Hebelzapfenlagers auf einem am Gestelle befestigten Bolzen erfolgt“! Hier wird eine leichte und einfache Betätigung ganz ohne jeden sonstigen Vorteil zu einer unbequemeren und insbesondere auch ungenaueren Hantierung umgeändert, und nicht viel besser sieht es mit der Anordnung D. R. P. 135111 aus, bei welcher statt der einfachen mit Gewichten belasteten Bremshebel Doppelhebelwerke angewendet werden, die in ihrer Uebersetzung durch Verstellen der Lage der Uebetragungsstangen geändert werden. Die Fig. 36 zeigt die Anordnung nach der Patentzeichnung. Die Bremshebel b empfangen ihre Belastung durch Vermittlung der Zugbänder n von den Hebeln m, die sich gemeinschaftlich bei l gegen eine stellbare exzentrische Scheibe e stützen und ausserhalb der Stuhlwände durch Federkraft p hochgezogen werden. Der Vorteil dieser Anordnung soll darin bestehen, dass man den Kettenbaum freigeben kann, wenn man das Exzenter e bei l aufklappt, wodurch die Hebel m den Stützpunkt verlieren und dass man die Kettenspannung bei abnehmendem Kettenbaumdurchmesser oder aus sonstigem Anlasse durch Einstellen der Zugbänder n „leicht“ regulieren kann. Wie man erkennt, sind im Ganzen wirklich wertvolle Verbesserungen des Prinzipes fast gar nicht anzutreffen und nur insofern kann man im allgemeinen einen Fortschritt in den praktischen Ausführungen konstatieren als überall in den maassgebenden Webstuhlwerkstätten das Prinzip vorwaltet, zu dem einfachsten und natürlichsten zu greifen, und im einzelnen die Getriebeteile zweckentsprechend und gediegen auszuführen. Die einfache Seilbremse mit Bremsscheibe auf dem Kettenbaume, die Muldenbremse mit Stahlband, die Gegengewichtsbremse mit schwebendem Gewichte – das sind heute die verbreitetesten Typen. (Fortsetzung folgt.)