Titel: Die Drahtseilbahnen.
Autor: Stephan
Fundstelle: Band 319, Jahrgang 1904, S. 503
Download: XML
Die Drahtseilbahnen. Von Regierungsbaumeister Stephan. (Fortsetzung von S. 471 d. Bd.) Die Drahtseilbahnen. Die Förderkübel werden unterhalb ihres Schwerpunktes an zwei gegenüberliegenden Zapfen von einem Bügel getragen, so dass sie nach dem Umschlagen einer Sperrklammer umkippen und sich auf diese Weise entleeren. Der übergreifende Bügel hängt meist frei beweglich in einem gekröpften Haken, so dass auch bei starkem Pendeln der Gefässe infolge von Wind oder dergl. die Tragrollen sicher passiert werden können. Fig. 14 zeigt eine solche Konstruktion der Firma Ceretti & Tanfani in Mailand, Fig. 15 einen Wagen für grössere Ladung mit nur einem einfachen gekröpften Gehänge nach einer Ausführung von Bullivant & Co., dessen Arretiervorrichtung von der sonst gebräuchlichen Konstruktion abweicht. Die Verbindung mit dem Seil erfolgt vielfach nach der älteren Anordnung von Hodgson dadurch, dass sich ein Tragsattel, der mit Holz oder besser mit Kautschuk ausgefüttert ist, auf das Seil legt und durch die Reibung festgehalten wird. In Fig. 11 war eine derartige Ausführung im Schnitt angegeben. Eine wesentliche Verbesserung ist die Roe sehe Bauart nach Fig. 16, welche die Einzelheiten des in Fig. 14 dargestellten Wagens giebt. Zum besseren Festhalten wird hierbei das Bestreben der Seile benutzt, sich unter dem Einfluss der Zugkraft etwas aufzudrehen; der Sattel besteht aus einem einfachen Gusseisenhebel, in dem zwei Tragschuhe in der Längsrichtung frei beweglich angeordnet sind, so dass sie sich jeder Neigung des Seiles bequem anpassen können. In die Schuhe ist eine nur 1,5 cm breite Stahlnase eingesetzt, die zwischendie Seillitzen greift und darin durch den Drall des Seiles und das Gewicht des Förderkübels festgeklemmt wird. Die Figur zeigt ausserdem die Befestigung des Hakens m I der Traverse, die auch bei geneigtem Seil die senkrechte Lage des Hakens gestattet. Die Rollen des Wagens werden nur in den Stationen benutzt, wo sich der Greifer von dem Seil abhebt, wenn die Rollen auf die seitlich angeordneten Tragschienen auflaufen. Die Neigung der Rollen ist so bemessen, dass ihre Mittelebene gerade durch den Aufhängungspunkt des Förderkübel geht, wodurch Pendeln desselben beim Uebergang von Seil auf die Tragschienen verhindert wird (s. Fig. 14). Für den einfachen Auflegerschuh ergibt sich die grösste mit Sicherheit zu überwindende Seilneigung aus der Bedingung tg γ < μ0, worin der Reibungskoeffizient der Ruhe bei Tragschuhen, die mit Kautschuk ausgelegt sind und auf einem gut geschmierten Seil liegen, mit Rücksicht auf etwa auftretende Stösse und dergl. zu rund 1/6 angenommen werden kann. Da der Winkel γ durch den Seildurchhang infolge des Eigen- und Wagengewichtes nur wenig vergrössert wird (vergl. Fig. 19), so kann als grösste Neigung, die bei nicht zu ungünstigen Witterungsverhältnissen mit Sicherheit befahren werden kann, etwa das Verhältnis 1 : 7 gelten; allerdings dürfen in einer Strecke mit dieser Neigung grosse Spannweiten über 100 m nicht vorkommen. Im allgemeinen wird das englische System in der Hodgson sehen Durchbildung deshalb nur für schwache Neigungen verwendet; selbst bei grösseren Terraineinschnitten schliesst man sich ungern dem Gelände an, sondern führt lieber die Stützen in einer beim deutschen System nur vereinzelt anzutreffenden Höhe aus (vergl. Fig. 19). Verlangen die Terrainverhältnisse in der Trace Gegenneigungen,so wird bei einer Stütze ein scharfer Bruchpunkt eingelegt. Liegt der Bruch in der Tiefe, so dass die Bahn von dort aus nach beiden Seiten ansteigt, so wird jedes Seiltrum nach Fig. 17 um zwei Scheiben geführt, während der Wagen mit seinen Rollen auf einer neben dem Seil verlegten Schiene herabrollt. In ähnlicher Weise lassen sich Winkelstationen mit wagerechter Ablenkung ausbilden, indem sich das Seil um eine Scheibe von etwa 2 m Durchmesser oder besser um zwei oder drei von entsprechend kleinerem Durchmesser legt, während der Wagen auf daneben angeordneten Schienen von Hand bis zum Auslauf geschoben werden muss. Fig. 18 gibt die Abbildung einer solchen Station von recht kurzer Baulänge nach einer Ausführung des Ropeways Syndicate. Textabbildung Bd. 319, S. 503 Fig. 14. Förderkübel für Bahnen englischen Systems. Textabbildung Bd. 319, S. 503 Fig. 15. Fördergefäss für Bahnen englischen Systems. Textabbildung Bd. 319, S. 503 Fig. 16. Tragsattel Bauart Roe. Wie schon das Profil Fig. 13 zeigt, treffen die obigen Darlegungen für die Roesche Konstruktion nicht zu. Mit dem Klemmapparat können Neigungen bis 1 : 2 überwunden werden; ob auch unter ungünstigen Witterungsverhältnissen mit vollkommener Sicherheit, mag allerdings dahingestellt bleiben. Die Roeschen Ausführungen sind jedenfalls bedeutsame Verbesserungen des englischen Drahtseilbahnsystems, da die Anlagen sich sowohl was die Führung der Trace anbetrifft, also auch inbezug auf Leistungsfähigkeit dem deutschen System nähern. Textabbildung Bd. 319, S. 504 Fig. 17. Seilführung in einem Bruchpunkt. Kontinentale Firmen sind im allgemeinen trotz der Roeschen Vervollkommnungen dem englischen Seilbahnsystem abgeneigt, sie gehen bei einem mittleren Wagengewicht von etwa 50 kg nicht gern über 120 kg Nutzlast; als äusserste Grenze gilt hier meist eine Nutzlast von 150 kg. Die Wagengeschwindigkeit beträgt gewöhnlich 4 m/sek. Rechnet man nun mit einer Wagenfolge von 20 sek., also bei 4 m/sek. Seilgeschwindigkeit mit einem Wagenabstand von 80 m, so können in einer Stunde 180 Wagen befördert werden oder bei einem Wageninhalt von 110 kg rund 20 t. Die meisten Ausführungen bleiben noch hinter dieser Leistung zurück, auf dem Kontinent werden Bahnen englischen Systems gewöhnlich nur für Leistungen unter 15 t/St. gebaut. Die englischen und amerikanischen Konstrukteure wählen, wenn grosse Leistungen verlangt werden, bei entsprechend verstärktem Seil wesentlich grössere Einzellasten, die bis zu 600 kg gehen; allerdings wird dann die Seilgeschwindigkeit erheblich verringert, bei so hohen Einzellasten auf etwa 1 m/sek. und bei Lasten von 350 kg schon auf 1,5 m/sek., so dass mit einem Wagenabstand von za. 60 m Förderleistungen von 35 bis 50 t/St. erzielt werden können. Textabbildung Bd. 319, S. 504 Fig. 19. Gruppe von neuen zusammengehörigen Seilbahnen bei Bilbas. Zu diesen grossen Fördermengen ist man freilich erst in letzter Zeit übergegangen. Man half sich früher insolchen Fällen damit, zwei oder gar drei Bahnen von derselben Bauart an einem Gestänge nebeneinander anzubringen. Der Vorgang, der bei den Eisenerzgruben Nordspaniens sich mehrfach wiederholte, war gewöhnlich der, dass zuerst bei Inbetriebsetzung der Grube die erste Bahn auf dem gleich für die volle Leistung hergerichteten Gestänge montiert wurde und dann, wenn der Absatz gestiegen und demgemäss die Mittel zum weiteren Ausbau vorhanden waren, eine zweite und sogar dritte hinzugefügt wurde. Die Anlage- und Betriebskosten sind natürlich wesentlich höher, als wenn eine einzige Bahn deutschen Systems von vornherein erstellt worden wäre, doch war der nicht zu unterschätzende Vorteil erreicht worden, dass die betreffenden Gruben mit einem verhältnismässig geringen Anfangskapital auskamen und die späteren Ausgaben aus den Einnahmen decken konnten. Textabbildung Bd. 319, S. 504 Fig. 18. Winkelstation. Durch eine dem Bedarf entsprechende Vermehrung der nebeneinanderstehenden Gestänge, ist man bei Bilbao zu drei Gruppen von je drei derartiger, dicht bei einanderliegenden Bahnen gekommen (Fig. 19), deren Gesamtleistung nur 2500 t für den Tag beträgt. In gewissem Sinne hat eine solche Anordnung noch einen Vorzug, nämlich den, dass keine gänzliche Betriebsstörung durch Bruch eines Seiles oder dergl. eintreten kann. Der Leistungsbedarf einer englischen Seilbahn mit wagerechter Trace berechnet sich in folgender Weise. Sind auf jedem Seiltrum n-Wagen vorhanden vom Eigengewicht p kg und beträgt die Ladung eines Wagens P kg, so ist der auf die Gesamtheit der Tragrollen vom Durchmesser d1 entfallende Druck einschliesslich des Seiles vom Eigengewicht 9 kg/m bei L m Bahnlänge: D = 2 q L + 2 p n + P n, worin n sich aus der Gesamtfördermenge Q t/St und der Ladung P kg eines Wagens infolge des Zusammenhanges n\,P\,\cdot\,v=\frac{Q}{3,6}\,\cdot\,L ergibt zu n=\frac{Q\,L}{3,6\,P\,v} . . . 21) Man erhält damit D=\frac{Q\,L}{1,8\,v}\,\left(\frac{1}{2}+\frac{p}{P}+3,6\,\frac{q}{Q}\,v\right) Wird der Koeffizient der Rollenreibung mit s bezeichnet, so ist die Grösse der auftretenden Rollenreibung D\,\frac{2,s}{d_1}. Dabei kann der Wert von s, da das Seil sich auf einer ziemlichen Länge an die Tragrollen anlegt, zu 0,003 bis 0,005 m angenommen werden. Die Grösse des Wertes wächst mit der Belastung des Seiles also mit der Leistung der Bahn; bei einer Leistung von 10 t/St. würde die erstere Zahl zu wählen sein, während die letztere bei der doppelten Leistung zutrifft. Bei Ausführungen nach Roe kann infolge der bedeutend günstigeren Anordnung bei allen Belastungen der Wert 0,0025 genommen werden. Die beiden Zapfendrücke der fliegend gelagerten Rollen addieren sich bei den üblichen Ausführungen zu etwa 1,6 D, so dass mit dem Zapfenreibungskoeffizienten μ1 der bei gewöhnlicher Schmierung zu 0,07 gesetzt werden kann, und dem Zapfendurchmessser d2 sich als Wert des Zapfenreibungswiderstandes, bezogen auf den Umfang der Rollen, ergibt 1,6\,D\,\frac{\mu_1\,d_2}{d_1}. Auch hier hat die Roesche Konstruktion einen Vorsprung, da die Rollen nur einfach gelagert sind, so dass der Zahlenfaktor fortfällt. Durch Addition beider Widerstände erhält man mit der Seilgeschwindigkeit v die zum Antrieb erforderliche Leistung N=\frac{Q\,L}{135}\,\left(\frac{1}{2}+\frac{p}{P}+\frac{3,6\,q}{Q}\,v\right)\,\frac{2\,s+1,6\,\mu_1\,d_2}{d_1} . 22) für eine Ausführung nach Hodgson. Hierzu ist noch ein mit der Länge und Fördermenge der Bahn wachsender Zuschlag von 0,5 bis 2 PS für die Reibungsarbeit in den Stationen usw. zu machen. Hat die Bahn Gefälle, so kommt bei der Aufwärtsförderung noch die Leistung hinzu, die zur Hebung der sekundlichen Fördermenge um die Höhendifferenz der beiden Stationen nötig ist; bei der Bewegung nach unten wäre dieser Betrag in Abzug zu bringen. Nach Einsetzung der angegebenen Zahlen erhält man unter Annahme von d1 = 0,5 m und d2 = 0,045 m den Zahlenfaktor der Gleichung 22 zu \mu=\frac{22}{1000} bis \frac{30}{1000} je nach der Leistung der Anlage. Wird beispielsweise noch das Seilgewicht q ∾ 1 kg, das Wagengewicht p = 50 kg und die Nutzlast P= 100 kg Angeführt, so ergibt sich bei wagerechter Förderung mit der Seilgeschwindigkeit v = 4 m/St.: N ∾ 2,4 L (1 + 0,07 Q) + 0,5 bis 2 PS . 23) Zu bemerken ist, dass bei schlechter Unterhaltung der Bahn oder bei besonders ungünstigsten Witterungsverhältnissen die so ermittelte Antriebsleitung manchmal erheblich überschritten werden kann. Bei einer Bahn mit stärkeren Neigungen, für die nur die Roesche Anordnung in Frage kommt, ist die Belastung D zu zerlegen in die der Bewegung widerstehende Komponente D sin a und die auf das Seil drückende & cos α. Der Widerstandskoeffizient ist nach dem obigen \mu=\frac{2\,s+\mu_1\,d_2}{d_1}\,\sim\,\frac{1}{60}. Das die vollen Fördergefässe tragende Seiltrum ergibt den Druck D1 = q L + n (p + P), das Leerseil den Druck D2 = q L + n p. Der Gesamtwiderstand ist demnach W=(D1+ D2) μ cos α ± (D1 – D2) sin α, je nach dem die Förderung nach aufwärts oder abwärts stattfindet. Die Antriebsleistung beträgt dann N=\frac{v}{60\,\cdot\,75}\,\left[2\,q\,L+n\,(2\,p+P)\right]\,\mbox{cos}\,\alpha\,\pm\,\frac{v}{75}\,n\,P\,\mbox{sin}\,\alpha. Wird hierin aus Gleichung 21) der Wert für n eingesetzt und noch ein Zuschlag gemacht, der die Reibungsverluste in den End- und etwaigen Kurvenstationen berücksichtigt, so erhält man schliesslich N\,\sim\,\frac{Q\,L}{270}\,\left[0,12\,\frac{q}{Q}\,v\,\mbox{cos}\,\alpha+\left(\frac{1}{2}+\frac{p}{P}\right)\,\frac{\mbox{cos}\,\alpha}{30}\,\pm\,sin\,\alpha\right]+1\mbox{ bis }3\mbox{ PS} . . . . . . 24) Die Gleichung zeigt den bekannten Zusammenhang, dass die Antriebsleistung um so geringer ausfällt, je kleiner das Verhältnis \frac{q}{Q} und \frac{p}{P} der toten Last zur Nutzlast ist. Hat die Bahn mehrere, wesentlich von einander abweichende Neigungen, so ist der obige Ausdruck für jede einzelne Strecke L zu berechnen. Da dann die in den oberen Bruchpunkten der Trace stehenden Stützen durch die Seildrücke stark belastet werden, so ist in diesen Fällen ein entsprechend höherer Zuschlag zu machen. Erfolgt die Förderung auf einer geneigten Bahnstrecke nach aufwärts und ist der Antrieb in der oberen Station angebracht, so wird die untere Umführungsscheibe von einem Spanngewicht G gehalten, das so bemessen ist, dass das Seil an der am schwächsten gespannten Stelle immer noch mit mindestens 300 bis 500 kg je nach der Seilstärke angezogen wird. Die grösste im vollbeladenen Seil auftretende Spannkraft ist dann S_1=[q\,L+n\,(p+P)]\,(\mbox{sin}\,\alpha+\mu\,\mbox{cos}\,\alpha)+\frac{G}{2}. . 25) und die grösste in dem die leeren Gefässe zurückbringenden Seiltrum S_2=[q\,L+n\,p]\,(\mbox{sin}\,\alpha-\mu\,\mbox{cos}\,\alpha)+\frac{G}{2} . 26) Nach Einsetzung von Gleichung 21) erhält man S_1=Q\,L\,\left[\frac{q}{Q}+\frac{0,28}{v}\,\left(1+\frac{p}{P}\right)\right]\,(\mbox{sin}\,\alpha+\mu\,\mbox{cos}\,\alpha)+\frac{G}{2} . . . 25a) und S_2=Q\,L\,\left[\frac{q}{Q}+\frac{0,28}{v}\,\frac{p}{P}\right]\,\mbox{sin}\,\alpha-\mu\,\mbox{cos}\,\alpha)+\frac{G}{2} . 26a) Ist der Antrieb in der unteren Station angeordnet, während die Förderrichtung und die Lage der Spannscheibe dieselbe bleibt, so wird S_1=[q\,L+n\,(p+P)]\,(\mbox{sin}\,\alpha+\mu\,\mbox{cos}\,\alpha)+\frac{G}{2} . . 25) und S2 = [q L + n p] (sin α – μ cos α) + S1 . . 27) Erfolgt bei dieser Anordnung die Förderung nach unten, so wird S_2=[q\,L+n\,p]\,(sin\,\alpha+\mu\,cos\,\alpha)+\frac{G}{2} . . 28) S1 =[qL + n (p + P)] (sin α – μ cos α) + S2 29) Geschieht die Förderung selbsttätig, so dass in der oberen Station eine Bremsvorrichtung angebracht werden muss, so gelten die Gleichungen (25 bis 26a) mit negativem μ. Bei stark wechselnden Neigungen ist die Berechnung für die einzelnen Seilabschnitte L auszuführen, in welchen Fällen die Gleichungen (25a), (26a) usf. sehr bequem sind. Verbindet man nach dem Vorschlage von Gourjon die Wagen fest mit dem Seil, so dass sie ständig mitumlaufen und ihre Be- und Entladung während der Bewegung stattfinden muss, so erhält man eine Abänderung des englischen Systemes, die allerdings unter wesentlicherVerminderung die Fördermenge die sichere Ueberschreitung des ungünstigsten Geländes gestattet, da die Seilführung sich dem Terrain nach Belieben anschliessen kann. Um Abheben des Seiles von den Tragrollen bei einseitiger Belastung zu verhindern, erhalten die gefährdeten Stützen besondere Führungsrollen über den Tragscheiben. Im übrigen entspricht die Konstruktion ganz den bereits oben gemachten Angaben. (Fortsetzung folgt.)