Titel: Ein Beitrag zur Frage der Ingenieurausbildung.
Autor: Friedrich Meyenberg
Fundstelle: Band 319, Jahrgang 1904, S. 635
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Ein Beitrag zur Frage der Ingenieurausbildung. Von Friedrich Meyenberg, Bochum. Ein Beitrag zur Frage der Ingenieurausbildung. „Wenn wir uns nach den Aufgaben umsehen, die zunächst in unmittelbarem Anschluss an unseren besonderen Beruf zu stellen sind, so tritt uns ein Studium entgegen, dessen jeder Ingenieur ohne Ausnahme bedarf, sobald er in den wirtschaftlichen Kampf eintritt, von dem die ganze Technik beherrscht wird: das ist die Volkswirtschaftslehre.“ Diese Worte, welche W. von Oechelhaeuser in seiner Eröffnungsrede der Düsseldorfer Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure im Jahre 1902 mit besonderem Nachdruck aussprach und im einzelnen erläuterte, bilden das Programm einer ganzen Reihe von Bestrebungen,welche damals teils schon festere Gestalt gewonnen hatten, teils eben begannen, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise unserer Berufsgenossen auf sich zu lenken. Die Richtigkeit der an so hervorragender Stelle ausgesprochenen Behauptung wurde kaum noch bezweifelt. Viele Ingenieure und gerade diejenigen, welche sich zu bedeutenderen Stellungen emporgeschwungen hatten, hatten die Wahrheit der Oechelhaeuserschen Worte an sich erfahren. Aber unter diesen, die durch mühsame Selbststudien die erforderlichen und ihrem eigentlichen Berufe fernstehenden Kenntnisse hatten erwerben müssen, waren viele, die den jungen, eben in den Beruf eintretenden Mann auf den gleichen Weg verwiesen und von allen Bestrebungen, ihm durch Unterweisung von erfahrener Seite den Weg zu ebnen, nichts wissen wollten. Derartige Belehrung wurde von ihnen als graue Theorie bezeichnet, die für die Praxis wenig nütze. Wenn nun auch zweifellos durch ein derartiges Studium allein niemand zu einem wirklich wirtschaftlich denkenden Manne der Praxis sich heranbilden kann, so gibt es doch anderseits eine Reihe von Kenntnissen, auf denen fussend es leichter ist, die Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens zu erfassen. Und so sehen wir denn auch, dass jene eben erwähnten Bestrebungen von verschiedenen Seiten weiter durchgeführt werden und bereits manchen Erfolg gezeitigt haben. Eine eingehende Schilderung dieser ganzen Verhältnisse gibt Dr. Hermann Beck in seiner vor kurzem erschienenen Broschüre „Recht, Wirtschaft und Technik“, die als eine erweiterte Ausarbeitung des in zahlreichen technischen Vereinen gehaltenen, gleichnamigen Vortrages anzusehen ist; dieser ist übrigens auch vor kurzem in der „Zeitschritt des Vereins deutscher Ingenieure“ erschienen und dürfte auch wohl vielen Lesern von „Dinglers Polytechnischem Journal“ bekannt sein. Ohne näher auf die einleitenden Ausführungen dieser Schrift einzugehen, welche sich mit den zahlreichen, verschiedenartigen Beziehungen zwischen Recht, Wirtschaft und Technik befassen, möchte ich doch nicht verfehlen, an dieser Stelle kurz auf den Hauptteil hinzuweisen, welcher sich eingehend mit der Frage der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Bildung des Ingenieurs befasst. Es sind hier mehrere Bestrebungen zu unterscheiden: Die erste wird von akademischer Seite vertreten und findet ihren Ausdruck in der neuen Diplom-Prüfungs-Ordnung für Maschinen-Ingenieure, wie sie für die Technische Hochschule in Charlottenburg erlassen ist. Diese macht einen Unterschied zwischen fünf verschiedenen Arten von Maschinen-Ingenieuren, von denen eine, uns hier besonders interessierende, als „Verwaltungs-Ingenieur“ gekennzeichnet wird. Er soll bereits auf der Hochschule sich Kenntnisse wirtschaftlicher Art in umfassender. Weise aneignen, indem er neben dem Hören entsprechender Vorlesungen zur Anfertigung von Uebungsarbeiten über Volkswirtschaftslehre, Rechts- und Verwaltungskunde, Berechnungen von Anlage- und Betriebskosten und dergl. mehr verpflichtet wird. Es wird dieser Richtung von anderer Seite der Vorwurf gemacht, dass eine derartige Spezialisierung bereits auf der Hochschule verfrüht sei. Den Wert wirtschaftlicher Kenntnisse und das volle Verständnis dafür könne sich ein junger Mann erst dann klar machen, wenn er in der Praxis den Mangel entsprechender Kenntnisse unangenehm empfunden habe. Ob ferner gerade die Fähigkeiten in ihm entwickelt seien, die ihn zum späteren Organisator industrieller Unternehmungen oder städtischer und staatlicher Verwaltungen befähigen, würde sich erst nach mehreren Jahren der Praxis herausstellen. Dann aber sei es zur Wahl einer anderen Richtung des Ingenieurberufes zu spät, wenn ihm die Hochschule nicht die volle Ausbildung in technisch-wissenschaftlicher Beziehung geboten habe, und hierzu sei bei nur vierjährigem Studium durch die starke Beschäftigung mit Fragen wirtschaftlicher Natur nicht genügend Zeit gewesen. Den letzten Fehler dieser zuerst gekennzeichneten Richtung will eine zweite vermeiden, die für den auf einer technischen Hochschule vollständig ausgebildeten Ingenieur ein besonderes Studium wirtschaftlicher Fragen während 1–2 Semestern fordert. Vertreten wird dieser Standpunkt insbesondere durch die Frankfurter Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, die die Möglichkeit eines derartigen Studiums übrigens nicht nur Ingenieuren,sondern auch Kaufleuten, Juristen und sonstigen im industriellen und öffentlichen Leben Stehenden ermöglichen und dadurch ein gegenseitiges Verständnis zwischen den verschiedenen Ständen vermitteln will. Aber ein derartiges Studium von 1–2 Semestern kann den ersten, gegen jene andere Richtung erhobenen Vorwurf nur dann entkräften, wenn erst derjenige sich dazu entschliesst, der bereits mehrere Jahre vorher in der Praxis die Lücken seiner Bildung gerade nach der gekennzeichneten Richtung empfunden hat. Und bei dem immer schärfer werdenden Wettbewerb im Kampf ums Dasein werden es nur die an Glücksgütern reicher Gesegneten sein, die sich ein derartiges Heraustreten aus der Praxis ermöglichen können. Das wird selbst dann noch bis zu einem gewissen Grade der Fall sein, wenn dem Einzelnen durch Vereine gemeinnütziger Natur eine Unterstützung in materieller Beziehung während dieses Studienjahres geboten wird, wie das insbesondere seitens der Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung in Frankfurt a. M. geschieht, deren Sekretär der Verfasser der oben erwähnten Schrift, Dr. Hermann Beck, ist. Fast immer wird auch heute noch der junge Mann auf das Selbststudium entsprechender Schriften angewiesen sein. Wie schwer sich das aber im praktischen Falle gestaltet, wird jeder ermessen können, der einmal selbst ernsthaft versucht hat, sich mit diesen Fragen ohne jeden helfenden Rat von berufener Seite zu beschäftigen. Unter dem lebendigen Eindruck, welchen der Vortrag des Dr. Beck im Bochumer Bezirksverein deutscher Ingenieure auf mich gemacht hat, habe ich daher diesem gegenüber die Anregung gegeben, gewissermassen als Fortsetzung des eben Gehörten einen ganzen Zyklus von Vorträgen abzuhalten, in dem „in knapper Form und unter Weglassung des dem praktisch tätigen Ingenieur bereits geläufigen Stoffes das Wesentlichste von dem geboten würde, was in Frankfurt z.B. in den Vorlesungen über Bilanzwesen, Fabrik-Buchhaltung, Waren-Kalkulation und Selbstkostenwesen, Fabrik-Organisation sowie in einigen allgemeinen Vorlesungen vorgetragen würde“. Dieser Gedanke hat vielfach lebhaften Beifall gefunden und meine damalige Unterredung hat inzwischen zu einem Vortragskursus Veranlassung gegeben, welcher vom 10.–22. Oktober d. J. in Frankfurt a. M. abgehalten werden wird. Nach Art der Ferienkurse, wie sie in anderen Berufen, im Aerzte- und Lehrerstande längst Sitte sind, sollen dort von den ersten Lehrern der Frankfurter Akademie 2 Wochen hindurch Vorlesungen gehalten werden, die den Hörer täglich etwa 6 Stunden in Anspruch nehmen werden. Das ganze Unternehmen wird am besten dadurch charakterisiert, dass wir die Themata namhaft machen, die von den betreffenden Dozenten gewählt sind: Grundzüge des Aktienrechts 6 Stunden.        „          der Verfassung 5 Bilanzwesen mit einer Einführung in die    Buchhaltung 12 Notenbank- und Diskontowesen in den    Haupt-Kulturstaaten 6 Grundzüge der technischen Oekonomik 5 Fabrik-Organisation 6 Gewerbehygiene 4 Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass bei diesem Vortrags-Zyklus als dem ersten seiner Art in der Wahl der Themata oder in der Weise, wie der einzelne Stoff vorgetragen wird, manches als verbesserungsfähig sich herausstellt. Zu bedenken ist da eben, dass die Dozenten vor einer Zuhörerschaft lehren werden, die von der ihnen bisher gewohnten gänzlich verschieden ist, da sie sich zum grössten Teile aus Männern zusammensetzen wird, die bereits jahrelang in der Praxis tätig sind. Jedenfalls aber ist dieses Unternehmen als der erste Schritt auf dem Wege freudig zu begrüssen, dem in der Praxis stehenden Ingenieur die rechten Wege bei seinem Selbststudium wirtschaftlicher Fragen zu weisen. Trotzdem muss ich hier hervorheben, dass mir persönlich bei meiner damaligen Anregung ein ganz anderer Plan vorgeschwebt hat, den ich allerdings auch vor den an der Spitze der Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung stehenden Herren zu erläutern Gelegenheit hatte, der aber aus Gründen, die nicht in der Sache liegen, vorläufig nicht zur Ausführung gekommen ist. Zu meiner Freude höre ich indessen, dass dieser wohl als aufgeschoben aber keineswegs als aufgehoben zu betrachten ist, sondern dass vielleicht in späteren Jahren auf meine Anregung zurückgegriffen wird. Der Frankfurter Kursus hat für den in der Praxis stehenden Ingenieur das Unangenehme, dass er einen Urlaub nötig macht, der namentlich in kleineren Geschäften mit beschränkter Beamtenzahl nicht immer zu erlangen sein dürfte, wenn nicht der sonst übliche Erholungsurlaub dafür aufgegeben wird; und letzteres dürfte nicht zweckmässig erscheinen, wenn man sich die grossen, mit einem derartigen Kursus verbundenen geistigen Anstrengungen vergegenwärtigt. Ferner erfordert der Frankfurter Kursus trotz des ausserordentlich geringen Preises für die einzelnen Vorlesungen nicht unerhebliche materielle Opfer, da der Hörer die Reise nach Frankfurt unternehmen und sich zwei Wochen dort aufhalten muss. Diese Nachteile wären bei dem von mir gemachten Vorschlage vermieden worden, wenn auch anderseits der Vortrags-Zyklus in der Form, wie ich ihn befürwortet habe, einen wesentlich geringeren Umfang hätte erhalten können, als man jetzt dem Frankfurter Kursus gegeben hat. Ich hatte an Kurse gedacht, die in den Industrie-Zentren längere Zeit hindurch, etwa ein viertel oder ein halbes Jahr, stattfinden sollten und deren Organisation so zu gestalten wäre, dass nur geringe Kosten erwüchsen und trotzdem die Ausgaben durch die Einnahmen wenigstens annähernd gedeckt worden wären. Als Dozent sollte, wenigstens zunächst, nur ein einziger in Aussicht genommen werden, der im Mittelpunkt eines derartigen Industriegebietes seinen Wohnsitz zu nehmen hätte. Naturgemäss hatte ich vor allen Dingen an meine augenblickliche Heimat, das Ruhr-Revier, gedacht, das mit seiner dichten Bevölkerung und den vorzüglichen Eisenbahnverbindungen besonders geeignet für die Anstellung eines derartigen Versuches erscheint. Doch dürfte der Hinweis nicht überflüssig sein, dass noch manche andere Gegenden unseres deutschen Vaterlandes ähnliche Verhältnisse zeigen und daher, wenn in Westfalen der Versuch geglückt wäre, auch andere Orte für eine derartige Unternehmung in Aussicht zu nehmen wäre. Es sollten fünf Städte in Betracht gezogen werden, die so zueinander gelegen sind, dass sie bequem von einer derselben aus, die etwa im Mittelpunkt liegt, hättenerreicht werden können. An einem bestimmten Abend der Woche findet nun in jeder der fünf Städte eine 1 – bis 2stündige Vorlesung statt, deren Anfang natürlich so gelegt werden muss, dass genügend Zeit nach dem orts-| üblichen Geschäftsschluss verbleibt, um bequem bei Beginn der Vorlesung anwesend sein zu können. Die Vorträge haben entsprechend der verhältnismässig geringen zur Verfügung stehenden Zeit nur solche Themata zu behandeln, deren Kenntnis als grundlegend zur Erlangung einer Uebersicht in wirtschaftlichen Fragen zu betrachten ist. Ferner ist dafür zu sorgen, dass an der Hand des Gebotenen durch Selbststudium und Beschäftigung mit der einschlägigen Litteratur ein tieferes Eindringen in die ganzen Fragen, die hier in Betracht kommen, erleichtert wird. Durch die Art der Ankündigung dieser Vorträge muss dafür gesorgt werden, dass ein möglichst gleichartiges Auditorium zustande kommt, da einem solchen naturgemäss in der kurzen Zeit mehr geboten werden kann, als einer Zuhörerschaft, die sich aus den verschiedenartigsten Elementen zusammensetzt. Erleichtert würde die Erreichung dieses Zieles zweifellos dadurch werden, dass man diese Vorträge in Verbindung mit den bestehenden technischen Vereinen unternehmen würde, von deren Mitgliedern sich wahrscheinlich nur die jüngeren beteiligen würden. Die Teilnehmerzahl sollte so festgelegt werden, dass ein Eintrittsgeld von 10-15 Mark für einen etwa zwölf Abende umfassenden Kursus erhoben werden müsste, um die Hauptkosten des Unternehmens zu decken. Es war demgemäss auf eine Teilnehmerzahl von insgesamt 150–200, also 30–40 für jede der beteiligten Städte gerechnet. Der Stoff der Vorträge sollte für alle fünf Orte genau der gleiche sein, und um für den Vortragenden die dadurch unweigerlich bedingte Eintönigkeit seiner Arbeit zu mildern, sollte für diesen der Aufenthalt im Industriegebiet gewissermaassen als Studienreise aufgefasst und ihm die Möglichkeit geboten werden, die wirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden Gegend nach irgend einer besonderen Richtung zur späteren Bearbeitung in einer wissenschaftlichen Arbeit zu studieren. Zeit genug steht diesem Herrn ja zur Verfügung, da nur seine Abendstunden besetzt sind, und die Vorträge selbst vor Beginn des ganzen Kursus eingehend durchgearbeitet sein müssen. Ein kurzes, ungezwungenes Zusammensein, das sich vielleicht an die Vorlesung selbst anschliesst, wird ihm und den Hörern Gelegenheit zu einem Meinungsaustausch geben, der für beide Teile sich sehr fruchtbar gestalten kann. Das war so im grossen und ganzen die Organisation des Vortragszyklus, die ich vorgeschlagen habe; und ich wiederhole, dass nach den mir zugegangenen Nachrichten nur ausserhalb der Sache liegende Gründe einstweilen die Verwirklichung des Planes verhindert haben. Ich folge einem Wunsche der Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung, indem ich, wie geschehen, diesen Vorschlag veröffentliche und damit zur Diskussion stelle.