Titel: Die Baukonstruktionen auf der Weltausstellung in St. Louis.
Autor: E. Probst
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 200
Download: XML
Die Baukonstruktionen auf der Weltausstellung in St. Louis. Von Bauingenieur E. Probst. Die Baukonstruktionen auf der Weltausstellung in St. Louis. Ueber die Anlage und die Bedeutung der Weltausstellung in St. Louis wurde in Heft 26, 1904, berichtet, und soll es meine Aufgabe sein, über den Bau der Ausstellung, über das Material das hierbei verwendet wurde, und über die Arbeitsverhältnisse einiges den Lesern der Zeitschrift mitzuteilen. Alle grossen Bauten, die dem allgemeinen Zweck gewidmet waren, sind vollständig in Holz gebaut bis auf das verhältnismässig kleine Kesselhaus. Von den ausländischen und den inländischen Repräsentationshäusern der verschiedenen Regierungen machte nur das Gebäude der Vereinigten Staaten eine Ausnahme, dessen Dachkonstruktion ein eiserner Dreigelenkbogen war, und zweifellos dem Besucher einen weit besseren Eindruck machte als die schwerfälligen – besser gesagt schwerfällig aussehenden – Holzkonstruktionen der anderen Gebäude. Es sei hier gleich erwähnt, dass es ein grosser Fehler war, den Gebäuden sowohl als auch der ganzen Ausstellung so unnatürlich grosse Ausdehnungen zu geben, weil es die allgemeine Uebersicht stört und den Besucher wegen der zu grossen Entfernungen ermüdet. Es war von vornherein die Absicht, durch grosse noch nicht dagewesene Ausdehnungen alle bisherigen Weltausstellungen zu übertreffen, nachdem sie aber fertig war, konnte man sehen, dass die Ausstellung an Qualität den bisherigen Ausstellungen durchaus nicht gleichkam, geschweige denn übertraf. Wer die reizende Weltausstellung im Jahre 1900 in Paris gesehen hat oder nur darüber gelesen hat, wer die Düsseldorfer Ausstellung kennt, wird zugeben, dass die Weltausstellung in St. Louis sowohl äusserlich als auch innerlich den gehegten Erwartungen durchaus nicht entsprochen hat. Was ist nun schuld an diesem Misserfolge? – In erster Linie sei erwähnt, dass die Ausstellung ganz unerwartet und man könnte sagen, beinahe ganz planlos gebaut wurde. Am 30. April, am Tage der Eröffnung, gab es kein einziges Gebäude, das vollständig fertig war. Die Zufahrten zur Ausstellung und die Verkehrswege innerhalb der Ausstellung waren in einem trostlosen Zustande, und kann sich der Europäer von diesen Zuständen durchaus keinen Begriff machen. Noch gegen Ende September fand man, dass in einzelnen Ausstellungsgebäuden an der Einrichtung der Ausstellung gearbeitet wurde. Ein anderer Grund für die zu späte Fertigstellung waren die äusserst trostlosen Arbeiterverhältnisse. Die Arbeiter waren sehr gut organisiert, was nur mit Freude zu begrüssen war, dagegen waren die Arbeitgeber durchaus nicht organisiert, und daher vollständig den Arbeitern ausgeliefert. Streiks waren auf der Tagesordnung. Die Preise für Material waren an und für sich hoch und man kann sich denken, dass es durch die gesteigerten Arbeitslöhne durchaus nicht leicht war, die Gebäude weder preiswert noch gut zu bauen. Die organisierten Arbeiter in Europa sind im Vergleiche mit der organisierten Arbeiterschaft in Amerika wie Lämmer. Waren die Arbeitslöhne an und für sich hoch, so wurden sie noch durch die Streiks und durch die Pression der in grossen Massen vorhandenen professionsmässigen Arbeiterführer von Tag zu Tag in die Höhe geschraubt. Einige Beispiele und der Vergleich mit der Bezahlung der bauführenden Techniker mögen zeigen, ob die Preise, die für Arbeit gezahlt wurden oder richtiger gesagt, erpresst wurden, berechtigt waren. Der gewöhnliche Tagelöhner erhielt mindestens 1.50 Dollar f. d. Tag; Maurer wurden bis zu 1 Dollar f. d. Stunde bei achtstündiger Arbeitszeit, jede Ueberstunde musste doppelt bezahlt werden. Da gerade die Maurerarbeit in die letzte Zeit vor der Eröffnung fiel, kann man sich denken, was diese Gruppe von Arbeitern, eine der bestorganisierten, verdient hat. Ziegelleger erhielten für achtstündige Arbeitszeit 6–8 Dollar f. d. Tag. Für Ueberzeit musste natürlich auch f. d. Stunde doppelt gezahlt werden. Dabei sei hervorgehoben, dass die Leistung dem Preise durchaus nicht angemessen war, der für dieselbe bezahlt wurde. Die Schreiner, von denen nur wenige ihr Handwerk verstanden, erhielten von 55 Ct. bis 90 Ct. f. d. Stunde. Ein Transport von Material auf den Ausstellungsplatz war nur durch Zahlung sehr hoher Preise zu bewerkstelligen. Was erhielten hingegen die akademisch gebildeten Ingenieure und die praktischen Bauleiter? 3 Dollar f. d. Tag war schon eine recht gute Bezahlung, und nur wenige von den ausländischen Bauleitern erhielten 5–10 Dollar f. d. Tag. Der Mann, der die Arbeit geistig leitete, der seine ganze Zeit der Arbeit widmete, und die Verantwortung hatte, erhielt im Durchschnitt kaum die Hälfte derjenigen Bezahlung, die ein Arbeiter erhielt. Dies ist nur im vergrösserten Masstab derselbe Zustand, der in den Vereinigten Staaten vorherrscht. Der geistige Arbeiter, der nicht zugleich Spekulant ist oder Unternehmer, wird nicht nach Gebühr bezahlt. Ich habe Maschineningenieure für 10, ja sogar 8 Dollar die Woche arbeiten gesehen; Bauingenieure für 60–65 Dollar im Monat, ich habe aber keinen Tagelöhner unter 10 Dollar die Woche, keinen geschulten Handwerker unter 15 Dollar die Woche gefunden. – Unter diesen Verhältnissen ist es wohl klar, dass der Bau der Ausstellung ganz unwirtschaftlich war, und dass die grossen Kosten (50 Millionen Dollar), die für den Bau der Ausstellung bestimmt waren, bei einer planmässigen und wirtschaftlichen Arbeit wohl um ein Beträchtliches hätten verringert werden können. Doch das gute Volk von St. Louis, die Vereinigten Staaten und die fremden Nationen werden es schon bezahlen. Die Leitung der Ausstellung war in den Händen einer politischen Clique, die ihr „business“ (und das ist ihnen schliesslich und endlich die Hauptsache), bei der, wie sie behaupten, der Erziehung und dem Fortschritt geweihten grössten Weltausstellung, die es je gegeben hat, gemacht hat. – Vom technischen Standpunkt wäre die Anlage als fehlerhaft zu bezeichnen, weil der hierzu gewählte Baugrund zu weit von der Stadt entfernt war, und weil man auf einem ganz unkultivierten Platz, der vor Errichtung der Ausstellung noch ein halber Urwald war, die Ausstellung hinsetzen musste, warum? das weiss die Leitung der Ausstellung, und wissen es alle, die einen Einblick in die Geschäfte des Ausstellungsdirektoriums bekommen haben. All die angeführten Missstände waren Hindernisse bei der Entwicklung der Weltausstellung und ist es nur amerikanischer Unternehmungslust und Arbeitstüchtigkeit zu danken, dass die Ausstellung wenigstens das geworden ist, als was sie sich hernach repräsentierte. Diese einleitenden Bemerkungen waren dazu bestimmt, den Lesern einige Aufklärung über die herrschenden Zustände zu geben, und soll im folgenden nur das rein Technische, der Bau und die Anlage der einzelnen Ausstellungsgebäude besprochen werden. Der Plan der Ausstellung zeigt, dass die Hauptgebäude um eine zentrale Achse gruppiert waren. In der Achse lag in dominierender Stellung die Festhalle mit den Kaskaden und der Staatsterrasse zu beiden Seiten der Festhalle. Rechts und links dieser Hauptanlage lagen in gleicher Höhe mit der Festhalle die Regierungsgebäude des Deutschen Reiches und Japans. Es soll, ohne in die Einzelheiten der Architektur einzugehen, erwähnt werden, dass sowohl die Festhalle als auch die grossen Gebäude dem Europäer ziemlich plump vorkamen wegen der allzu grossen Abmessungen wegen der schwerfälligen Gesimse und der Unzahl von korinthischen und jonischen Säulen, welche die Gebäude umgaben. Dagegen machte die gesamte Ausstellung einen feenhaften Eindruck auf den Beschauer, wenn nach einbrechender Dunkelheit die 250.000 Glühlampen angedreht wurden, welche die Gebäude umrahmten. Besonders die Festhalle, mit den Kaskaden und den daselbst ausgehenden Lagunen boten ein imponierendes Bild, und der prächtige Gesamteindruck war wohl hauptsächlich den märchenhaften Lichteffekten zuzuschreiben. Ausser den vorerwähnten Ausnahmen waren alle Gebäude nach demselben Prinzip gebaut. Die Wände in Holz mit Stuck verkleidet, das Dach eine hölzerne Fachwerkskonstruktion, die von hölzernen Säulen getragen wurde. Ich glaube, dass diese Art von Bau für Ausstellungen, welche ja blos vorübergehend sind, sehr vorteilhaft sind, wenngleich ich gestehen muss, dass die Holzkonstruktionen, die ganz unverdeckt waren, beim Betreten der Gebäude nicht nur auf den Laien, sondern auch auf den Techniker einen sehr unsympatischen Eindruck machten. Bei der Weltausstellung in St. Louis war es nicht nur wirtschaftlich, sondern auch notwendig, die Gebäude in Holz zu bauen. Im Jahre 1902 wurde beschlossen, die Ausstellung 1903 zu eröffnen. Zu dieser Zeit waren die Stahlpreise sehr hoch, und ausserdem war für die Ausführung der Stahlkonstruktion die Zeit zu kurz. Nach Berechnungen, die der Chefingenieur, Philipp Markman, ein Absolvent der Stuttgarter technischen Hochschule, angestellt hatte, ergab sich, dass unter denselben Verhältnissen die Preise für Eisenkonstruktionen 60–120 v. H. höher gekommen wären, vorausgesetzt, dass man die für Holzkonstruktionen verhältnismässig grossen Spannweiten den Eisenkonstruktionen entsprechend geändert hätte. Nachträglich wurde allerdings beschlossen, die Eröffnung der Ausstellung auf 1904 zu verlegen, aber man blieb bei dem ursprünglich gefassten Entschluss, nur Holz für den Bau der Ausstellung zu verwenden. Der Techniker wird leicht ausrechnen können, dass zu dem Bau dieser Ausstellung eine ganze Anzahl von Wäldern notwendig war, und ist dies eine Frage, mit der der Amerikaner in nächster Zeit sich wohl mehr zu befassen haben wird, ob es nicht doch ratsamer wäre, gegen die immer zunehmende Entforstung der Wälder einzuschreiten. Fundamente. Die Fundamente wurden auf verschiedene Art hergestellt, je nach der Tiefe des tragfähigen Bodens. Dabei wären folgende Gruppen zu unterscheiden: 1. Tragfähiger Boden bei einer Tiefe von etwa einem Meter unter der projektierten Strassengradiente; in diesem Falle wurde der hölzerne Fussboden auf Grundschwellen gelegt, welche selbst auf den geebneten tragfähigen Grund aufgelegt wurden. 2. Tragfähiger Grund auf einer Tiefe von etwa zwei Meter unter der Strassengradiente; in diesem Falle wurde der hölzerne Fussboden auf eine Erdfüllung gelegt. 3. Bei einer Tiefe von ½–2 Meter unterhalb des Fussbodens wurde der Boden derart hergerichtet, dass die Pfeiler auf eigenen Fundamenten aufgebaut wurden (Fig. 1) und der Fussboden auf Längs- resp. Querschwellen aufgelegt wurde. 4. War der natürliche Grund bis zu vier Meter unterhalb des Fussbodens, so wurde ebenso wie bei weichem, nachgiebigem Grund der Fussboden auf Längs- bezw. Querschwellen aufgelegt, welche von Piloten getragen wurden (s. Fig. 2). Textabbildung Bd. 320, S. 200 Fig. 1. Manchmal wurde in diesem Falle auch vorher Erdreich aufgefüllt, in welches die Grundschwellen eingebettet wurden, die den Fussboden zu tragen hatten. Bei manchen Gebäuden wurde auch eine Vereinigung dieser verschiedenen Fundierungen angewendet, je nach der Bodenbeschaffenheit. Waren die Fundamente aufgebaut, so ging man an die Errichtung der Säulen, welche selbstverständlich nach der Grösse der Spannweite des Daches, welches sie zu tragen hatten, bemessen waren. Die grössten Spannweiten der hölzernen Dachwerke sind im Agrikulturgebäude (106 Fuss etwa 34 Meter). Die anderen Spannweiten wechseln bis zu 85 Fuss (etwa 28 Meter). Fig. 3 zeigt, wie diese Säulen aussahen, und wie sie aufgebaut wurden. Die Berechnung wurde nach folgender Formel vorgenommen: für zentrische Belastung: s_d=\frac{1400}{1+\frac{L^2}{550\,D^2}} Pfund f. d. Quadratzoll1 Pfd. f. d. Quadratzoll = 0,0703 kg/qcm. Diese Formel gilt für zentrische Belastung und gibt der Ausdruck \frac{L}{D} das Verhältnis der Länge zur kürzeren an. In allen Fällen, wo die Belastung exzentrisch war, oder wo die Säulen durch irgend einen anderen Einfluss, z.B. durch Kniestücke einer seitlichen Durchbiegung unterworfen waren, wurde kombinierte Druckbeanspruchung Textabbildung Bd. 320, S. 201 Fig. 2. Textabbildung Bd. 320, S. 201 Fig. 3. f. d. Quadratzoll auf der Druckseite der beanspruchten Säule nach der eben erwähnten Formel berechnet. Die Bemessung der Säulen, welche mit Kniestücken versehen, aber seitlich nicht unterstützt waren, wurde nach dem grössten Moment bestimmt, d. i. an der Stelle, wo das Kniestück mit der Säule zusammentrifft. Zu diesem Wert kam noch der Wert, der sich aus der unmittelbaren Druckbeanspruchung ergab. Waren die Säulen auch seitlich unterstützt und zwar im Schnittpunkt des Kniestückes mit der Säule, so wurde die Bemessung aus dem halben grössten Moment (dieses war jetzt in der Mitte) und der direkten Druckbeanspruchung derart abgeleitet, dass die Druckspannungen, welche sich aus beiden ergaben, dem Wert gleichkamen, der aus der vorerwähnten Formel abgeleitet wurde. Folgende Werte wurden der Beanspruchung zugrunde gelegt: Bei Gelbtanne für die Druckbeanspruchung sd = 800 lbs. f. d. Quadratzoll (56 kg/qcm) senkrecht zur Phaserichtung, sd = 1800 lbs. f. d. Quadratzoll (126 kg/qcm) in der Richtung der Fasern; bei weisser Eiche für die Scherbeanspruchung ss = 150 lbs. f. d. Zoll (10,5 kg/qcm) in der Richtung der Fasern und 400 lbs. f. d. Zoll (28 kg/qcm) „in einer seitlichen Richtung“ zu den Fasern. Das Holz, das bei den Konstruktionen verwendet wurde, war meist Gelbtanne, während für die Verbindungsstücke Eichenholz verwendet wurde. Die oben erwähnte Beanspruchung parallel zu den Fasern in einer seitlichen Richtung trat in folgenden Fällen zutage: 1. Bei den Verbindungsstücken der einzelnen Teile einer Säule. Da aber die einzelnen Bestandteile der Säule für sich auf Knickung beansprucht waren, so hatten die Verbindungsstücke den Zweck, sowohl die einzelnen Bestandteile der Säule am Ausbiegen zu hindern und gleichzeitig die Beanspruchung der Länge nach zu übertragen. 2. Bei der Verbindung der gewöhnlich aus zwei Teilen bestehenden Untergurte, die bekanntlich auf Zug beansprucht sind; hierbei wurde jeder Teil des Zuggurtes derart bemessen, dass er imstande war, ¾ der Spannung des Untergurtes aufzunehmen. 3. Bei der Verbindung zwischen einer Säule und den Fachwerken, bei welcher die fragliche Beanspruchung dadurch entstand, dass die Verbindungsleiste die an dieser Stelle wirkende Last aufzunehmen hatte. Die Dübel, die zur Verbindung dienten, waren rund und hatten einen Durchmesser von zwei Zoll (5 cm), sie wurden in die vorher gebohrten Löcher eingetrieben, nachdem die zu verbindenden Teile vorerst zusammengestellt wurden. Nach Eintreiben der Dübel wurden die Schraubenmuttern an den Verbindungsbolzen fest angezogen, und auf diese Weise eine solide Verbindung hergestellt. Die Bohrung der Löcher geschah mittels Bohrer durch komprimierte Luft. Nach Ansicht des Chefingenieurs wäre ein quadratischer Dübel theoretisch richtiger gewesen, weil beim Zusammenschrumpfen des Holzes der Raum besser ausgefüllt worden wäre als bei runden Dübeln, und die Scherkräfte nur senkrecht zu den jeweiligen Dübelflächen aufgetreten wären. Mit Rücksicht darauf aber, dass die Konstruktionen nur temporär sind, und die runden Löcher viel rascher herzustellen sind als die quadratischen, blieb man bei den rascher und leichter herzustellenden Verbindungen mit runden Dübeln. Die Verbindungsbolzen wurden derart berechnet, dass die gesamte Zugbeanspruchung den Scherkräften das Gleichgewicht hielt. (Fortsetzung folgt.)