Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 261 |
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Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Wie der Motorwagen, so bildet auch das Motorzweirad zur Zeit einen wertvollen
Bestandteil unseres heutigen Verkehrswesens. Die überaus rasche und günstige
Aufnahme, die dieses Kraftfahrzeug in allen Kreisen fand, gibt den Beweis dafür,
dass es als praktisch und gebrauchsfähig erkannt worden ist. Dass trotzdem die
Konstrukteure nicht ruhen und immer noch auf Verbesserungen sinnen, davon zeugen die
Aenderungen, die seit unserem letzten Bericht (1903, Bd. 318, S. 596) zu verzeichnen sind und die im nachstehenden besprochen
werden sollen.
Der Rahmen ist bedeutend länger und niedriger als im Vorjahr gehalten. Hierdurch ist
erstens das Auf- und Absteigen erleichtert und zweitens ein grösserer Abstand
zwischen den beiden Rädern entstanden, so dass der Motor verhältnismässig mehr nach
vorn gerückt werden konnte, was eine bessere Kühlung desselben und gleichmässigere
Belastung des Fahrzeuges im Gefolge hatte. Die Rahmenteile sowie die Vorderradgabel
sind verstärkt. Dieses wird entweder durch einfache Materialverstärkung oder, wie
Fig. 1 zeigt, dadurch erreicht, dass die
Gabelscheiden über den Gabelkopf hinaus bis zum Lenkstangenschaft führen und dort
befestigt sind. Versteifung der Vorderradgabel bezwecken ferner zwei gekrümmte
Streben, die einerseits an der Achse, anderseits am Lenkstangenschaft befestigt sind
(Fig. 2), oder Verstrebungen mit Mittelstütze
nach Fig. 3.
Textabbildung Bd. 320, S. 261
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 320, S. 261
Fig. 2.
Textabbildung Bd. 320, S. 261
Fig. 3.
Die Aufhängung des Motors im Rahmen geschieht entweder am Tretkurbelgehäuse, wobei er
das untere Schlusstück am Rahmen bildet (Fig. 4),
oder der Rahmen wird nach Fig. 5 als geschlossenes
System ausgebildet, bei dem der Motor in einer Ausbuchtung befestigt ist. Bei anderen
Systemen wird das vom Gabelkopf nach dem Tretkurbellager führende Rahmenrohr als
Schleife ausgebildet, in die der Motor eingehängt wird (Fig. 6–7).
Textabbildung Bd. 320, S. 262
Fig. 4.
Textabbildung Bd. 320, S. 262
Fig. 5.
Textabbildung Bd. 320, S. 262
Fig. 6.
Textabbildung Bd. 320, S. 262
Fig. 7.
Aus vorstehendem geht hervor, dass man es nicht mehr mit einem gewöhnlichen
Fahrradrahmen zu tun hat, in welchem einfach der Motor aufgehängt ist, sondern dass
ein Kraftfahrzeug für starke Beanspruchungen geschaffen ist. Der langgestreckte Bau
bietet auch noch die Vorzüge sicherer Lenkung und stossfreieren Fahrens, sowie Raum
für einen grösseren Benzinbehälter. Ferner ist Gleiten des Riemens durch die
Verlegung des Motors nach vorn fast ausgeschlossen, denn ersterer umfasst nun einen
viel grösseren Kreisteil der Motorriemenscheibe. Der freie Raum, der zwischen dem
Sattelstützrohr und der Hinterradgabel verblieben ist, wird z.B. von Seidel & Naumann zur
Unterbringung eines Reserveakkumulators ausgenutzt, während andere Firmen den
Oelbehälter und die Werkzeugtasche dorthin verlegt haben.
Als Triebkraft kommen neben dem immer noch vorherrschenden Einzylindermotor solche
mit bis zu vier Zylinder in Anwendung. Letztere haben den Vorteil einer
besseren Massenausgleichung, daher grössere Betriebssicherheit neben
gleichmässigerem weichen Antrieb; auch wird das Antreten des Fahrzeuges dadurch
erleichtert, dass die Kompression nacheinander und nicht, wie beim Einzylindermotor,
auf einmal überwunden werden muss. Ein wunder Punkt ist die Kühlung. Da die Zylinder
hintereinander angeordnet sind, so kann nur der vordere von der Luft bestrichen
werden, die anderen werden dagegen nicht nur nicht gekühlt, sondern sie geben sogar
noch ihre Hitze gegenseitig aneinander ab. Die Kolben sind also stets der Gefahr
ausgesetzt, festzubrennen. Selbst wenn die Schmierung ausreichen sollte, wird doch
dadurch, dass das angesaugte Gemisch sofort stark erhitzt wird, die Leistung sinken.
Einige Fabriken bringen daher seitlich einen kleinen Ventilator an, der aber seinen
Zweck schwerlich erfüllen wird. Besser ist schon die Anordnung der Progress Motoren- und Apparatenbau, G. m. b. H. in
Charlottenburg, welche auf der letzten Berliner Automobilausstellung ein Fahrzeug
mit zwei nebeneinander angeordneten Zylindern zeigte, die beide von der Luft
bestrichen werden können.
Zur Kraftübertragung ist der runde Riemen bezw. die Riemenschnur ganz verschwunden,
selbst der flache Riemen wird seltener. An seine Stelle tritt jetzt der dreieckige
oder keilförmige Riemen, der einen viel grösseren Querschnitt als der flache
besitzt, daher sich weniger streckt und Gleiten so gut wie ausschliefst.
Bevor auf die Besprechung der Einzelteile eingegangen wird, lassen wir aus der
grossen Zahl der Motorzweiräder einige Typen folgen, an denen die allgemeine
Anordnung gezeigt werden soll.
I. Personenfahrräder.
a) Einzylindrige Fahrzeuge.
Die Neckarsulmer Fahrradwerke A.-G. in Neckarsulm
haben im grossen ganzen die bisher übliche Form des Rahmens beibehalten, nur ist
letzterer länger (760 mm) und niedriger (500 mm) gehalten. Die Räder haben den
jetzt allgemein üblichen Durchmesser von 24'' (610
mm). Die Lenkstange ist länger gehalten, wodurch die das Vorderrad treffenden
Stösse gemildert werden.
Textabbildung Bd. 320, S. 262
Fig. 8. Luftgekühltes Motorzweirad der Neckarsulmer Fahrradwerke
A-G.
Fig. 8 zeigt ein solches Fahrzeug. Der 2½
PS-Motor ist mit gesteuerten übereinander liegenden Ventilen, Drosselhahn und
der jetzt allgemein beliebten magnet-elektrischen Zündung (D. p. J. 1903, Bd.
318, S. 634) versehen. Der Magnetapparat sitzt
vorn am Motor und wird von diesem mittels Zahnräder, wie später gezeigt wird,
angetrieben. Die Induktionsspule ist im Benzinbehälter untergebracht. Der
Vergaser, der hier sowie bei den meisten der folgenden Fahrzeuge in Anwendung
kommt, ist im grossen ganzen derselbe, welcher schon in D. p. J. 1903, Bd. 318, S. 598 Fig. 28 und S. 600 Fig. 38 besprochen
ist.
Textabbildung Bd. 320, S. 263
Fig. 9. Wassergekühltes Motorzweirad der Neckarsulmer Fahrradwerke
A.-G.
Textabbildung Bd. 320, S. 263
Fig. 10. Motorzweirad der Phänomen-Fahrradwerke, Gustav Hiller.
Zwischen diesem und der Rohrleitung des Ansaugeventils ist der Drosselhahn
eingeschaltet. Derselbe ist von grosser Wichtigkeit, da er zur Sparsamkeit des
Betriebsmaterials beiträgt. Ist weniger Kraft nötig, als der Motor bei
seiner Maximalleistung entwickelt, so wäre es ganz verkehrt, die volle Gaszufuhr
eingestellt zu lassen und die Geschwindigkeit durch Nachzündung zu vermindern.
Im Gegenteil, es muss die höchste Vorzündung unter teilweisem Abdrosseln des
Benzingemisches eingestellt werden, wodurch nicht nur Benzin gespart, sondern
nebenbei ein weicheres Fahren erzielt wird. Durch diese Anordnung ist es
ermöglicht, die Geschwindigkeit während der Fahrt bis zum Fussgängertempo zu
vermindern.
Für häufige Benutzung in sehr gebirgigen Gegenden und steilen Bergstrassen ist
das N. S.U. – Motorzweirad Fig. 9 gebaut. Dasselbe besitzt einen
wassergekühlten 4 PS.-Motor, durch den man imstande ist, lang anhaltende
Steigungen zu befahren, ohne Ueberhitzung befürchten zu müssen. Die
Wasserkühlung befindet sich im vorderen Teil des Rahmens und ist mit
Bienenkorbkühler und Saugventilatoren eingerichtet, wodurch auch bei
angestrengtem Gebrauch das Wasser nicht zu heiss wird. Der Antrieb der
Saugventilatoren geschieht von der linken der Motorachse aus. Dieses Modell hat
wie das vorbesprochene gesteuerte Ventile, Spritzvergaser mit Drosseleinrichtung
während der Fahrt und ist mit kräftigen Bremsen ausgerüstet.
Die Phänomen-Fahrradwerke Gustav Hiller in Zittau
verlegen den Motor noch mehr nach vorn (Fig.
10). Hierzu ist das vom Gabelkopf abwärts führende Rahmenrohr nicht
gerade, sondern nach dem Vorderrand zu geschweift. Um nun dem Rahmen noch
genügende Steifigkeit zu verleihen, ist er etwa in der Mitte abgestützt.
Zwischen dieser Stütze und dem 1 vom Gabelkopf kommenden Rahmenrohr findet der
3- oder 3½ P.S. – Motor eine gute Lagerung. Die Kraftübertragung erfolgt mittels
Keilriemens. Für die Bedienung ist am oberen Rahmenrohr je ein Hebel für die
Gas- und Luftregulierung und die Zündung vorgesehen, welche durch federnde
Klinken in gezahnten Segmenten in ihrer jeweiligen Lage festgehalten werden. Das
Anheben des Ventils zur Aufhebung der Kompression beim Anfahren geschieht durch
den Bremshebel. Diese Einrichtung ermöglicht, mit dem Bremsen des Fahrzeuges
gleichzeitig die Kompression aufzuheben und den Motor stillzustellen. Der
Benzinbehälter fasst 9 Liter, die für eine Wegstrecke von etwa 300 km
ausreichen. Das Gewicht des Fahrzeuges beträgt 65 kg.
Textabbildung Bd. 320, S. 264
Fig. 11. Motorzweirad der Corona-Fahrradwerke.
Fig. 11 zeigt ein Motorzweirad der Corona-Fahrradwerke und Metallindustrie, A.-G., in
Brandenburg a. H. Der Rahmen ist ähnlich dem vorhergehenden gebaut, nur dass die
Stütze fehlt. Der Motor „Zedel“ von 2¼, 3
und 372 P. S. hat ebenfalls gesteuerte Ventile, die aber hier nebeneinander
angeordnet sind. Die Zündung ist ebenfalls magnet-elektrisch. Der Magnetapparat
ist nicht, wie bei den vorbesprochenen, unten am Motor angebracht, sondern über
demselben und stützt sich auf dem unteren wagerechten Rahmenrohr. Ausserdem
ragt er in eine Aussparung des Benzinbehälters hinein, wo er von einer Tür
verschlossen wird. Der Antrieb des Ankers erfolgt durch Kegelräder vom Motor
aus. Der Benzinbehälter fasst etwa 7 und der in demselben untergebrachte
Oelbehälter 1–2 Liter. Die Gasabdrosselung erfolgt direkt am Vergaser.
Textabbildung Bd. 320, S. 264
Fig. 12. Motorzweirad der Diamant-Fahrradwerke, Gebr. Nevoigt.
Um gute Verstärkung des Rahmens neben sicherer Lagerung des Motors zu erzielen,
stellen die Diamant-Fahrradwerke Gebr. Nevoigt in
Reichenbrand – Chemnitz denselben so her, dass er ein geschlossenes Ganzes
bildet. Wie Fig. 12 zeigt, wird der Motor von
einer möglichst weit nach vorn verlegten Schleife nach Fig. 6 aufgenommen, was eine gute Lagerung neben stossfreierem Gang
bedingt. Der Motor entwickelt 3 P.Se. und ist
mit gesteuerten Ventilen versehen. Das Auspuffventil wird mittels Bowdendraht (s. D. p. J. 1903, Bd. 318, S. 670) durch den an der rechten der Lenkstange
befindlichen Hebel gelüftet. Auch hier ist die Zündung magnet-elektrisch. Um den
Apparat nach Möglichkeit gegen Verschmutzen usw. zu schützen, ist er hinter dem
Motorgehäuse angebracht. Die Verbindung mit dem Motor geschieht nicht wie bisher
mittels Uebertragungsräder, sondern durch eine Kette, die den Vorzug hat, dass
sie das einfachste und billigste Uebertragungselement ist. Um ein Nachspannen
der Kette zu ermöglichen, ist der Magnetapparat auf seinem Sockel verschiebbar
angeordnet. Das Ganze ist staubdicht eingekapselt. Die Einstellung des Apparates
auf den Zündzeitpunkt geschieht durch den hinteren linken Hebel am oberen
Rahmenrohr. Der vordere Hebel links betätigt die Drosselklappe. Die
Kraftübertragung erfolgt mittels keilförmigen Leder- oder Gummiriemens. Als
Bremsen sind eine auf das Vorderrad wirkende Bowdenfelgenbremse (s. D. p. J. 1904, Bd. 319,
S. 46, Fig. 181) und eine auf das Hinterrad wirkende, durch Bowdensystem betätigte Bandbremse vorgesehen.
Letztere ist mit dem Unterbrecher für die Zündung verbunden, so dass durch einen Hebeldruck die Zündung ausgeschaltet und die
Bandbremse angezogen wird.
(Fortsetzung folgt.)