Titel: Vielfach-Motorschaltung für elektrische Bahnen.
Autor: Otto F. Schoepflich
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 264
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Vielfach-Motorschaltung für elektrische Bahnen. Von Otto F. Schoepflich, Chicago. Vielfach-Motorschaltung für elektrische Bahnen. Das Type „M“ Control System der General Electric Co. Der stets wachsende Betrieb der amerikanischen Strassen- und Hochbahnen hat immer stärkere Motoren für die Wagen erfordert und die alten Kontroller haben der starken Beanspruchung durch Strom nicht mehr genügt. Die Unterbrechung der Lichtbögen beim Uebergang von einer Schaltstufe zur nächsten verursachte immer grössere Schwierigkeiten, häufige Auswechslung der Fingerkontakte und sonstige Reparaturen am Kontroller verringerten die Betriebsfähigkeit und erhöhten die laufenden Kosten der Bahnen. Dazu kam dann die Einführung des elektrischen Betriebes bei Vollbahnen und weit ausgedehnten Vorortbahnen, der Uebergang vom Dampfbetrieb zum elektrischen Betrieb bei Hochbahnen, wie in New-York, Chicago und Boston, wobei zwei Motoren zum Ziehen eines Zuges von fünf bis sechs Wagen wegen des ungenügenden Adhäsionsgewichts und des beschränkten Raumes zur Unterbringung grosser Motoren Bedingungen schafften, die zu einer befriedigenden Lösung drängten. Textabbildung Bd. 320, S. 265 Abnehmerschuh; Reversierzylinder; Haupthandschalter; Kontroller; Automatischer Ausschalter; Automatischer Hilfskontakt; Reversierschalter; Kontroller, Schalter und Sicherung; Zuleitungskupplung; Zugleitung-Verbindungskasten; Hauptsicherung; Zugleitungsausschalter; Widerstände für Schaltstromkreise; Sicherungen; Bläserspulen; Erde; bei f an 3 ist D geschlossen, bei f an 6 ist D offen. Schon im Anfang der neunziger Jahre war Sprague daran, eine einheitliche Schaltvorrichtung zu konstruieren, die es ermöglichen sollte, einen Zug von einem Punkt aus zu regulieren, und zwar bei einer beliebigen Verteilung der Motoren im Zug. Es wurden bei der Boston Elevated R. umfangreiche Versuche angestellt, bis zuletzt als erste Bahn die Chicager South Side Rapid Transit Hochbahn das Spraguesche Multiple Unit. System annahm. Seit dieser Zeit, dem Jahre 1899, sind die Spragueschen Patente in die Hände der General Electric Co. übergegangen. In dem System sind inzwischen alle unnötigen Komplikationen beseitigt und ist es nicht mehr nötig, auf Jene erste Ausführung des Multiple Unit System, die auch die einzige ihrer Art geblieben ist, näher einzugehen. Es soll die Aufgabe des folgenden sein, das Type „M“ Control System in der Ausführung zu erklären, wie es jetzt bei den wichtigsten Betrieben in Anwendung ist. Das Hauptprinzip ist eine Teilung des Stromes in zwei völlig getrennte Kreise, die nur insofern voneinander abhängen, als der Motorstromkreis von dem Schaltstromkreis bedient wird. Verfolgen wir nachstehendes Schema, so sehen wir, dass der Strom nach Verlassen der Abnehmerschuhe A durch den Hauptausschalter B, von da zur Sicherung J und durch den selbsttätigen Ausschalter D geht. Nach Passieren einer Reihe von Relais, deren Wirkungsweise später noch erörtert werden soll, tritt er in den Reversierschalter E ein, um von da in der gewünschten Richtung nach den Motoren und deren Magnetspulen zu gehen. Die Anordnung des Schaltstromes bedingt den Stromverlauf für den Haupt- oder Motorstrom. Er zweigt vor dem Hauptausschalter B bei a von dem Hauptkreis ab, geht über zwei Spulen bb1 und von hier durch die ersten Kontaktfinger nach dem Reversierzylinder c im Kontroller d. Vor Eintritt in den Kontroller findet bei e eine Abzweigung zur Betätigung des selbsttätigen Ausschalters D statt. Der letztere ist gewöhnlich unter dem Wagen angebracht und wird vom Fahrer mit einem kleinen Doppelschalter f bedient. Vor Antritt der Fahrt wird der Schalter in die Stellung gebracht, die dem Strom einen Weg durch den Schliessungssolenoid gewährt, wodurch der Hauptstrom durch den Ausschalter D geschlossen wird. Sollte während der Fahrt der Haupthandschalter B durch irgend einen Unfall nicht wirkungsfähig sein, so kann der Hilfsstromkreis für den selbsttätigen Ausschalter benutzt werden, indem der Doppelschalter f die Wirkung des ersten Solenoides aufhebt und einen zweiten Solenoid erregt, der dieselbe Wirkung hat wie ein Kurzschluss im Hauptstrom. Die beiden Hilfsstromkreise enden in der negativen Leitung und fallen daher für die folgende Betrachtung weg. Wir gehen wieder zurück zum Reversierzylinder c des Kontrollers und verfolgen den Stromkreis auf seiner weiteren Bahn. Die Leitung geht bei der Schaltung auf „Vorwärts“ unmittelbar zu dem entsprechenden Solenoid des Reversierschalters, der dadurch in die gewünschte Stellung gebracht wird, und tritt von da in die Reihe der Relais ein. Beim Eintreten in Relais 1 öffnet er den Hilfskontakt für den Stromkreis zur Betätigung des selbsttätigen Ausschalters und überlässt dessen Klinke die Aufrechterhaltung des geschlossenen Hauptstromes, erregt das Solenoid des Relais 1, geht durch die Solenoide von Relais 2 und 3, von da durch Relais 11 über den Hilfskontakt bei 12 zurück zu den geerdeten Kontaktstücken des Kontrollers. Wir haben nun folgendes erreicht. Der Hauptstrom geht durch den selbsttätigen Ausschalter D und die parallel geschalteten Relais 1 und 2 auf die gemeinsame Sammelschiene F für Relais 1 bis 10. Da in dieser Reihe nur Relai 3 gehoben ist, so wird der Strom den Widerstand R1 bis R7 überwinden, in den Reversierschalter E und von da der Reihe nach durch Anker und Feld des ersten und zweiten Motors gehen. Aus der Figur ist ersichtlich, dass das Reversieren der Motoren durch das Reversieren der Ankerströme geschieht; die Wirkung des Reversierschalters bedarf keiner weiteren Erläuterung. Bei Punkt 2 des Kontrollers tritt Relais 5 in Tätigkeit und schliesst Widerstand R1 kurz, bei 3 Relai 6 und schliest R3 kurz, der 4. Punkt erregt Relais 7 und schaltet damit die Widerstände R5 und R6 parallel zu R4 und R7 und endlich im letzten Punkt der Serienschaltung der Motoren öffnen die gehobenen Finger der Relais 8, 9 und 10 dem Strom die Bahn in die Motoren, ohne ihm Widerstand vorzuschalten. Beim Uebergang zur Parallelschaltung der Motoren kommt ein Interval, wobei die Kontakte des Hauptstroms bei sämtlichen Relais aufgehoben werden, die Motoren also augenblicklich keine Spannung zugeführt bekommen. Erst bei Punkt 6 am Kontroller wird die neue Schaltung ausgeführt und die Aufeinanderfolge der verschiedenen Vorgänge ist wie folgt: Der Stromkreis durch Reversierschalter, Relais 1 und 2 ist derselbe wie bei der Serienschaltung der Motoren. Relais 3 und 11 sind ausgeschaltet, da mit dem Ende der Hilfsleitung das geerdete Kontaktstück am Kontroller nicht mehr getroffen wird und kein Strom mehr zustande kommen kann. Dafür geht der Strom jetzt durch die Relais 4, 12 und 13, durch den Hilfskontakt bei 11 zurück zu einem anderen geerdeten Stück des Kontrollers. Der Erfolg ist: Der Hauptstrom geht durch die parallelen Relais 1 und 2 zu 4, durch R2 und R7 bis Relai 12. Hier teilt er sich, geht durch 12 nach dem Reversierschalter zu Motor 2, sein Feld, und zur Erde und anderseits zur Motor 1-des Reversierschalters zum Motor 1, Feld 1, Relay 13 zur Erde. Damit sind die beiden Motoren parallel geschaltet. Die Ausschaltung des Widerstandes geschieht bei den Punkten 7, 8, 9 und 10 des Kontrollers in ähnlicher Weise und es mag die Wirkungsweise genügend erklärt sein. Die Vorteile des Type M-Systems liegen klar zutage. Berührung Starkstrom führender Teile ist ausgeschlossen. Die Bedienung erfolgt durch selbsttätige Vorrichtungen, die, geöffnet und geschlossen, die Gefahr des Funkens allenthalben durch Anwendung von Bläserspulen auf ein Minimum reduzieren. Sollte ein Teil wirklich Schaden nehmen, so ist die Gefahr auf einen Punkt beschränkt, da die verschiedenen Relais in beträchtlichen Entfernungen voneinander angebracht sind und einem umgreifenden Feuer mit Leichtigkeit vorgebeugt werden kann. Die Schwierigkeit, starke Ströme mit Sicherheit zu schalten, ist also hier überwunden. Der Fahrer kann den Zug bedienen, ohne mit einem Apparat in Berührung zu kommen, der mit hoher Stromstärke belastet ist. Hiermit also ist mit dem alten Uebel der landläufigen Kontroller aufgeräumt, eine gute Isolierung des Motorstromes ermöglicht und jeglicher Feuergefahr durchaus vorgebeugt. Doch damit sind die Vorteile noch nicht erschöpft. Das Schaltungsschema zeigt, dass die einzelnen Drähte vom Kontroller aus, also die Bestandteile des Hilfsstromkreises, zu Punkten führen, an welchen die Verbindung mit der Zugleitung vorgenommen ist. Diese Punkte stehen nacheinander unter Spannung, sobald der Kontroller eingeschaltet ist und vermögen daher, eine Leitung von Drähten, die durch den ganzen Zug geht, mit Strom zu beschicken. Bei gleicher Anordnung des ganzen Schaltapparates unter irgend einem Wagen wird also die Wirkung der Relais gleichbedeutend mit der des ersten Wagens sein, und wir sind daher in der Lage, irgend einen Motorwagen, der seine individuelle Hauptstromzuführung hat und durch die durchgehende Zugleitung mit den neun Fingern des Kontrollers verbunden ist, mit seiner ganzen Motorausrüstung wirken zu lassen. Sollten wir es aber für erwünscht halten, einen bestimmten Motorwagen ausgeschaltet zu lassen, so ist nur die Hilfsleitung durch den gemeinsamen Ausschalter k in dem betreffenden Wagen zu unterbrechen, wobei die Bedingungen für die übrigen Wagen des Zuges genau dieselben bleiben. Damit ist eine grosse Veränderlichkeit von Verhältnissen geschaffen. Nehmen wir an, ein Zug von sechs Wagen habe drei Motorwagen. Durch den ganzen Zug, von einem Wagen zum andern, geht das Kabel der Zugleitung, jeder Motorwagen hat dieselbe Ausrüstung. Sind die Handausschalter in jedem Wagen eingeschaltet, dann wird die erste Bewegung des Fahrers, die er an seinem Kontroller vornimmt, gleichzeitig sämtliche selbsttätigen Ausschalter schliessen und gleichzeitig sämtliche entsprechenden Relais unter jedem Wagen betätigen; die Motoren, die natürlich am besten von derselben Type sind, werden gleichzeitig anlaufen und finden durch die verteilte Adhäsion die besten Bedingungen für ein ruhiges, vor allem aber wirtschaftliches Anfahren. Der Zug wird sofort von der Stelle gehen, die Motoren werden rascher die nötige gegenelektromotorische Kraft erlangen, die Schwankungen der Stromstärke werden beseitigt und das ganze System bleibt geschont. Sollte es nun vorkommen, dass einer der Motorwagen, sagen wir der erste, Schaden genommen hat und ausser Betrieb gesetzt werden muss, so schalten wir die Hilfsleitung für diesen Wagen ab und bedienen vom selben Kontroller aus den oder die übrigen Wagen. Im Falle einer Betriebsstörung kann also immer zum mindesten ein Wagen einspringen und die Gesamtleistung, wenn auch bei verringerter Geschwindigkeit, übernehmen. Bei der Manhattan Elevated R. R., New-York, sind sechs Wagenzüge stets mit drei Motorwagen ausgerüstet, bei der Northwestern Elevated, Chicago, wird der erste und der letzte Wagen ein Motorwagen sein. Es mag noch erwähnt werden, dass neben den übrigen Vorteilen einer Verteilung des Adhäsionsgewichtes über, den ganzen Zug, bei kurvenreichen Bahnen, wie die oben genannte Northwestern Elevated R. R., die Wirkungen der Zentrifugalkraft erheblich verringert werden und eine absolute Sicherheit gegen Herausschleudern gewährleistet ist. Die grösste Stromstärke im Hilfsstromkreis ist durch eingeschaltete Widerstände auf 2,5 Amp. festgelegt, was ein sehr geringer Prozentsatz der Motorstromstärke ist. Bedenkt man noch, dass die Bedienung des Kontrollers nur einen ganz geringen Kraftaufwand erfordert, so dass die Aufmerksamkeit des Fahrers sich vor allem auch auf die Bremsvorrichtungen erstrecken kann, so wird dieser Stromverbrauch nicht in Rechnung gezogen werden müssen. Das Schaltungsschema zeigt bei der oberen Bläserspule b1 des Kontrollers zwei Hilfskontakte g, die durch eine mechanische Vorrichtung im Handgriff des Kontrollers betätigt werden und zwar so, dass durch Herunterdrücken eines Knopfes der Kontrollerstromkreis geschlossen wird. Der Fahrer muss also stets seine Hand auf dem Handgriff haben, er ist zu scharfer Aufmerksamkeit gezwungen, da beim Wegnehmen seiner Hand der Hilfskontakt selbsttätig geöffnet wird und der Zug zum Stehen kommt. Ist der Hilfskontakt auf diese Weise einmal geöffnet, so kann er nicht auf einem beliebigen Punkt des Kontrollers wieder geschlossen werden, sondern der Fahrer muss zurück zu seinem Ausgangspunkt gehen und es ist somit vermieden, dass die Motoren nach Verlust ihrer gegenelektromotorischen Kraft sofort wieder volle Spannung bekommen. In vielen Fällen ist sogar die Anordnung getroffen, dass die Entfernung der Hand von der Schaltkurbel die Luftbremse betätigt und so ausser der Unterbrechung der Kraftzufuhr eine sofortige, starke Bremsung des ganzen Zuges erfolgt. Diese Einrichtung ist eine Garantie für die Fahrgäste, dass der Fahrer stets an seinem Platze ist und seiner Aufgabe, die Strecke vor sich im Auge zu haben, gerecht wird. Ueber das Gewicht der gesamten Schaltvorrichtung gibt folgende Tabelle Auskunft; Gesamtleistung der Motorenin PS. Gewicht der Ausrüstungeines Wagens in kg. 100   675 200   900 300 1125 500 1800 640 2000 Diese Zahlen entsprechen 7–10 v. H. des Wagenkastens, was keineswegs zu einem Einwand Anlass geben kann, da die ganze Last Nutzlast ist und die Adhäsionskraft der Wagen vermehrt. Die Anhängewagen haben nur die Zugleitung und deren Kupplungen zu tragen, ein Gewicht von etwa 50 kg. Die Installation der ganzen Einrichtung wird von den Bahngesellschaften jetzt meist selbst besorgt, da jede Bahn ihre eigenen Erfahrungen gemacht hat und das System den individuellen Bedingungen ihrer Wagen besser anpassen kann. Die Stromzuführung von der dritten Schiene ist bei Voll- und Hochbahnen die landläufige; jedes der beiden Untergestelle trägt auf beiden Seiten Abnehmerschuhe, die zunächst im Untergestell miteinander verbunden sind und dann den Strom in eine Leitung führen, die die beiden Drehgestelleitungen miteinander verbinden. Diese Leitung ist meist in gusseisernen Rohren verlegt und hat eine Abzweigung, die zum Haupthandausschalter in die Abteilung für den Fahrer führt. Dies ist der einzige Punkt der Motorleitung, der während der Fahrt zugänglich ist, denn von hier aus geht das Kabel wieder unter den Wagen, um den schon beschriebenen Weg zu machen. Starke Bretter, die ringsum mit Isoliermaterial verkleidet sind, tragen die in einer Reihe angeordneten Relais, den Reversierschalter, die Sicherungen und den selbsttätigen Ausschalter. Die Bretter sind an ihrer oberen mit Rillen versehen, welche die verschiedenen Kabel aufnehmen, und an geeigneten Stellen werden dann die Abzweigungen durch Löcher zu den verschiedenen Apparaten geführt. Eine Bewegung der Kabel in den Rillen ist ausgeschlossen, eine Abnutzung der Isolierung daher unmöglich gemacht und die Möglichkeit von Kurzschlüssen nahezu undenkbar. Reversierschalter, selbsttätige Schalter und die Relais in Gruppen von vier bis sechs sind in Kästen vollkommen eingeschlossen und gegen Verunreinigung und Nässe geschützt. Die ganze Anordnung ist leicht übersichtlich und der Ueberwachung an jeder Stelle zugänglich. Das System hat sich schon längst gut bewährt, es sind im ganzen 2600 Wagen damit ausgerüstet und 54 amerikanische Bahnen haben es in ihren Betrieb aufgenommen. Es sind darunter viele Vollbahnen, die ihre Vorort- und Vorort-Frachtbetriebe damit betreiben, und auch in Deutschland, Frankreich und England hat das System Eingang gefunden. Sollte man mit der Zeit für Vollbahnen auf Drehstrom übergehen, so wird es keine Schwierigkeit sein, es auch für diese Stromart auszugestalten.