Titel: | Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in Lüttich 1905. |
Autor: | Fr. Freytag |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 689 |
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Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der
Weltausstellung in Lüttich 1905.
Von Fr. Freytag,
Chemnitz.
(Fortsetzung von S. 678 d. Bd.)
Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in
Lüttich 1905.
Die von der Maschinenbau A.-G. „Union“ ausgestellte einzylindrige doppeltwirkende Viertakt-Gasmaschine ist in Fig. 40 in äusserer Ansicht dargestellt; sie hat 600
mm Zylinderdurchmesser für 750 mm Hub und entwickelt mit 160 minutlichen Umdrehungen
normal 250 PSe, während ihre Höchstleistung etwa 290
PSe beträgt.
Textabbildung Bd. 320, S. 689
Fig. 40. Doppelwirkende Viertakt-Gasmaschine der „Union“ A.-G. in
Essen.
Ein- und Auslassventile (Fig. 41 und 42) sitzen mit ihren langen Führungen in besonderen
Einsatzkörben, die mit den Ventilhauben zugleich im Zylinder befestigt werden. Die
hohen Betriebstemperaturen sind durch geeignete Wasserkühlung herabgezogen.
Beim Auslass, der den heissen Auspuffgasen besonders ausgesetzt, wird neben dem
Ventil selbst noch der Ventilsitz gekühlt; es ist ferner der Ventilkörper so
konstruiert, dass das Ventil durch Losen eines einzigen Verbindungsbolzens nach dem
Innern des Zylinders zum Zwecke der Reinigung und des Nachschleifens herausgenommen
werden kann, ohne vorherige Entfernung der Ventilhauben und der Steuerungsteile.
Sämtliche Steuerungsorgane – Einlass- und Auslassventil, Anlassventil, Vorauslass und
Zündung – werden von einem einzigen Exzenter für jede Zylinderseite betätigt,
welches auf der im Verhältnis 1 : 2 zur Kurbelwelle angetriebenen Steuerwelle
angeordnet ist. Die Ein- und Auslassteuerung selbst ist als Wälzhebelsteuerung mit
festliegenden Drehpunkten nach dem Vorbilde moderner Dampfmaschinensteuerungen
ausgeführt. Mit sanftem Anheben und Aufsetzen der Ventile ist hierdurch eine
wirksame Entlastung des Steuergestänges und des Exzenters zur Zeit der Eröffnung des
Auslassventils, wo die grössten Kräfte im Ventilgestänge zu überwinden sind,
verbunden. Durch richtige Wahl der Wälzkurven und Einfügen von Laufrollen
zwischen Wälzhebel und Ventilgestänge ist ein schädliches Gleiten der aufeinander
arbeitenden Flächen verhindert. Die Verwendung besten Stahls, glasharter Oberflächen
und ergiebiger Schmierung ergibt eine weitere Schonung dieser Teile. Zu demselben
Zwecke sind sämtliche belasteten Gelenkbolzen gehärtet, in Stahlbüchsen gelagert und
selbsttätig geschmiert.
Das Anlassen der Maschine geschieht mittels Druckluft von 15 at Spannung. Zu dem
Zwecke ist ein Anlassgefäss vorgesehen, welches von einem elektrisch angetriebenen
kleinen Kompressor in kurzer Zeit voll Druckluft gepumpt wird und dessen Füllung für
mehrmaliges Anlassen der Maschine ausreicht.
Um letzteres zu bewirken, wird zunächst die Anlassteuerung von Hand auf Zweitakt
eingestellt; dies geschieht dadurch, dass man den zweiarmig ausgebildeten unteren
Wälzhebel der Anlassteuerung (Fig. 43) in seiner
Verlängerung nur mittels eines dazwischen zu schiebenden Uebertragungskeiles auch
während jedes zweiten Hubes auf den oberen, ebenfalls lang gehaltenen Wälzhebel
einwirken und so das Auslassventil entsprechend öffnen lässt. Hierauf wird mittels
eines kurzen Handgriffes das nach der Steuerwellenseite in wagerechter Zylinderebene
liegende Anlassventil m (Fig. 43a) in den
Wirkungsbereich einer seitlich an der Einlassexzenterstange angebrachten Laufrolle
a gerückt. Hierbei wird gleichzeitig durch
Kurzschliessen des Stromkreises die Zündung im Innern des Zylinders ausgeschaltet,
so dass Vorzündungen nicht auftreten können. Sobald die nunmehr vom Anlassgefäss in
den Zylinder strömende Druckluft den Motor auf genügende Tourenzahl gebracht hat,
werden die Handhebel in umgekehrter Reihenfolge wie vorher in die bei normalem Betriebe
eingenommene Anfangslage zurückgebracht, so dass jetzt der Motor mit Gasgemisch im
Viertakt weiter arbeitet.
Textabbildung Bd. 320, S. 690
Fig. 41. Einlassventil der „Union“-Gasmaschine.
Textabbildung Bd. 320, S. 690
Fig. 42. Auslassventil der „Union“-Gasmaschine.
Die Zündung wird ebenfalls vom Steuerexzenter abgeleitet;
dasselbe bewirkt sowohl die Erzeugung des elektrischen Stromes in den bekannten Boschschen Magnetinduktorens. D. p. J., 1902, 317, S. 30; 1903, 318, S. 191 und
635., von denen je zwei Apparate für jede Zylinderseite
angeordnet sind, als auch die Unterbrechung des Stromes in dem von der jeweiligen
Belastung abhängigen bestgeeigneten Augenblicke.
Da bei der Regelung nach dem sogenannten Mischverfahren – Qualitätsregelung –, wo die
Beschaffenheit des Gases durch Vermehrung oder Verminderung des Gasgehaltes
verändert wird, die geringe Zündfähigkeit des ärmeren Gemisches einer weitgehenden
Regelung ebenso hindernd in den Weg tritt, wie die veränderliche nur zur
Massenverzögerung oft nicht ausreichende Kompression bei der Regelung nach dem
sogenannten Füllverfahren – Quantitätsregelung –, wo die Menge des angesaugten
Gemisches ohne Beeinflussung der Zusammensetzung desselben geändert wird, so hat die
Maschinenbau-Aktien-Gesellschaft Union bei ihren
Gasmotoren ein allen Verhältnissen Rechnung tragendes Regelverfahren in Anwendung
gebracht. Dasselbe vereinigt die besprochenen beiden Regelverfahren und stellt
ausserdem | den Zeitpunkt der Zündung derart unter den Einfluss des Regulators, dass
man für geringere Belastung mehr Vorzündung gibt. Das ärmere Gemisch bei der
Qualitätsregelung hat jetzt Zeit zur vollkommenen Verbrennung – Einsaugeknaller und
Versager sind ausgeschlossen, ebenso findet der Druckwechsel nicht mehr wie bei
alleiniger Quantitätsregelung im Totpunkte mit Stoss, sondern vorher und sanft
statt, da die beginnende Explosionsspannung die Kompressionsspannung ersetzt. Behufs
Erzielung dieser Regelung beeinflusst ein auf der verlängerten Kurbelwelle sitzender
Achsenregler die angesaugte Gasmenge sowie das Luft- und Gasgemisch mittels
Drosselklappen, ferner die Luftmenge mittels zweier übereinander liegenden, sich
drehenden Schieberplatten.
Die Mischung selbst geschieht durch ein selbsttätiges Mischventil (Fig. 44) mit Luftpufferwirkung, welches bei grösseren
Maschinen ebenfalls gesteuert wird. Der Zeitpunkt der Zündung wird vom Regulator
verstellt, indem der Anschlag für die Abreissvorrichtung je nachdem höher oder
tiefer gelegt wird. Die Gewichte aller Reguliergestänge und Teile sind ausgeglichen;
für die Lagerung sind Kugellager vorgesehen, so dass auf den Regulator kein
Rückdruck ausgeübt wird.
Die Tourenschwankung ist bei dem geringen Un-empfindlichkeitsgrad des Regulators sehr
gering; sie beträgt höchstens ± 4 v. H. der normalen Tourenzahl.
Zufolge der angeordneten Regelung sind die Motoren in weiten Grenzen für alle
möglichen Gasarten verwendbar; sie eignen sich insbesondere auch für Generatorgase
und minderwertige Brennstoffe, selbst wenn deren Zusammensetzung während des
Betriebes irgendwelchen Schwankungen unterworfen ist.
Der mitsamt der hohlen Kolbenstange gekühlte Kolben (Fig.
46) kann nach jeder aus dem Zylinder herausgenommen und freigelegt werden,
so dass man bequem ins Innere des Zylinders und damit auch zu den Ventilen gelangen
kann.
Die Kühlpumpe (Fig. 45) besteht aus einem senkrechten
Pumpenkörper mit seitlich angeordnetem hohlen Zapfen, mittels dessen der
Pumpenzylinder selbst in einem Lagerbock unterhalb des hinteren Führungskastens
drehbar gelagert ist und durch den die Zuleitung des Kühlwassers von der
Hauptleitung erfolgt. Im Pumpenzylinder befindet sich das von unten leicht
zugängliche Saugventil, während das Druckventil am Fusse des hohl ausgebohrten
Plungers angebracht ist. Der Kopf des Plungerrohres ist auf einem seitlichen,
ebenfalls hohlen Zapfen des Gleitschuhes gelagert, durch dessen Bohrung hindurch mittels eines
angesetzten Umlaufrohres das Druckwasser vom Innern des Plungers nach dem Hohlraum
des Gleitschuhes, von dort in die Kolbenstange geführt wird (Fig. 46) und zwar kühlt das Wasser zunächst die
Kolbenstange, sie bis zum Kreuzkopf durchmessend, wo es seine Richtung umkehrt und
im Innern eines Messingrohres durch ein Verteilungsstück dem Kolben unten zu und an
der obersten Stelle von Ihm abgeführt, hierauf wieder zurück nach dem am hinteren
Ende des Zylinders befindlichen Abflussbehälter befördert wird. Auch die
Zylinderdeckel, der Zylindermantel, Ein- und Auslassventile, die Zylinderansätze und
die Auspuffregler werden mit Wasser gekühlt und zwar geschieht die Zuführung in
für sich getrennten Rohrsträngen von einem gemeinsamen, mit der Wasserleitung durch
ein Absperrventil verbundenen Sammelrohr aus; ebenso erfolgt die Abführung des
Kühlwassers überall in getrennten, für sich gekennzeichneten Rohrsträngen nach einem
am hinteren Ende des Zylinders angeordneten Wasser-Behälter und von dort in den
gemeinsamen Abfluss bezw. in eine Rückkühlungsanlage.
Textabbildung Bd. 320, S. 691
Fig. 43 und 43a. Anlassteuerung der „Union“-Gasmaschine.
Bemerkenswert ist noch der Kühlmantel des Zylinders (Fig.
47). Laufbüchse und Mantel sind in einem Stück gegossen; letzterer ist in
der Mitte unterbrochen und auch auf beiden Seiten durch eine Eindrehung von den
Endflanschen getrennt.
Diese Eindrehungen werden mit Gummiringen und Spanndrähten wieder abgedichtet bezw.
der mittlere offene Teil des Zylinders durch Gummistreifen und einen Blechmantel
gegen aussen wasserdicht abgeschlossen.
Auf diese Weise erzwingt die ungleiche Wärmedehnung von Laufbüchse und Mantel in
den Flanschen keine Biegungsbeanspruchung und die Ventilsitze können sich unter dem
Einflüsse der sich ungleichmässig ausdehnenden Gussteile nicht verziehen.
Hauptlager und Kurbelzapfen werden durch eine Zirkulationsschmierung im Betrieb
dauernd unter Oel gehalten. Zu diesem Zwecke ist eine kleine Flügelpumpe vorgesehen,
welche, von der Schwungradwelle angetrieben, das sich im unteren Teile der beiden
Lagerkörper sammelnde Oel ansaugt und nach einem Oeltopf auf dem Lagerdeckel an der
Schwungradseite pumpt, wo es durch mehrere Filzplatten hindurchgeht und gereinigt
wird; von dort fliesst es jedem Lager an zwei Stellen vom Deckel aus wieder zu und
gelangt anderseits auch in einen am Schenkel der Kurbelkröpfung angebrachten
Schmierring, von wo eine Bohrung dasselbe während der Drehbewegung der Welle ins
Kurbelzapfenlager hindurchtreten lässt.
Textabbildung Bd. 320, S. 692
Fig. 44. Mischventil der „Union“-Gasmaschine.
Textabbildung Bd. 320, S. 692
Fig. 45. Kühlpumpe der „Union“-Gasmaschine.
Textabbildung Bd. 320, S. 692
Fig. 46. Kolben mit Kolbenstange der „Union“-Gasmaschine.
Textabbildung Bd. 320, S. 692
Fig. 47. Kühlmantel der „Union“-Gasmaschine.
Die Maschinen werden von 300 PS. an als doppeltwirkende Tandemmaschinen und von 1600
PS. an als doppeltwirkende Tandem-Zwillingsmaschinen für Leistungen bis zu 4000 PS.
gebaut.
(Fortsetzung folgt.)