Titel: Schlagversuche mit Flusseisen und Stahl.
Autor: A. E. Seaton, A. Jude
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 138
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Schlagversuche mit Flusseisen und Stahl. Schlagversuche mit Flusseisen und Stahl. Im Engineering ist unter dem Titel: „Impact tests“ eine Arbeit von A. E. Seaton und A. Jude erschienen, die gestützt auf Versuchsergebnisse und Beobachtungen in der Praxis, die Zweckmässigkeit der zur Zeit üblichen Verfahren zur Prüfung von Eisen und Stahl erörtert. In folgendem soll auf die wesentlichen Punkte näher eingegangen werden. Die erhöhten Anforderungen, die der moderne Maschinenbau an die zu verwendenden Konstruktionsmaterialien stellt, verlangen gebieterisch ein Prüfungsverfahren, das mit Sicherheit Schlüsse auf das künftige Verhalten des Materials im Betriebe zulässt. Der Konstrukteur muss mit Rücksicht auf die hohen Materialbeanspruchungen, die infolge der erhöhten Geschwindigkeiten bei möglichster Beschränkung der Abmessungen zu wählen sind, in der Lage sein, unzuverlässiges Material als solches zu erkennen und von der Verwendung auszuschliessen. Erwünscht hierbei ist die Vornahme der Prüfung an möglichst kleinen Proben, um nicht das ganze Stück opfern zu müssen, wie es bei der Prüfung von Achsen, Radreifen usw. zur Zeit geschieht. Bei den jetzt üblichen Prüfungsverfahren wird auf die spätere Beanspruchung des zu untersuchenden Materials im Konstruktionsteil zu wenig Rücksicht genommen. Meistens begnügt man sich bei der Abnahme mit dem Ergebnisse der Zerreissversuche, gleichgültig, ob das Material für ruhende Belastung bestimmt ist, oder wechselnder, vielleicht auch stossweiser Anstrengung widerstehen soll. Nimmt man eine Einteilung des Materials nach dem späteren Verwendungszwecke vor, so kann man etwa folgende Gruppen unterscheiden: a. Konstruktionsmaterial für ruhende Belastung, z.B. Kessel, Baukonstruktionen, Tanks usw. b. Konstruktionsmaterial für Belastungen, die innerhalb gewisser Grenzen Schwankungen unterliegen, z.B. bei Brücken. c. Konstruktionsmaterial für oft wiederholte Beanspruchungen in derselben Richtung, die mehr oder weniger plötzlich auftreten, z.B. Bolzen, Zapfen, Schienen usw. d. Konstruktionsmaterial für wechselnde Beanspruchungen in beiden Richtungen mit oder ohne Stoss, wie sie in den festen und bewegten Teilen der Maschinen und in vielen Schiff steilen auftreten. Diesen wirklichen Beanspruchungen stehen etwa folgende Prüfungsverfahren gegenüber: 1. Zugversuche mit Bestimmung der Streckgrenze, Bruchgrenze, Bruchdehnung; 2. Biegeproben mit Bestimmung der Biegegrösse; 3. Druck-, Scher- und Verdrehungsversuche; 4. Ausbreiteproben; 5. Schwingungsbeanspruchung, durch wiederholtes Biegen:a. in derselben Ebene,b. in stetig wechselnder Ebene bei Drehung des Probestabes um seine Achse; 6. Schwingungsbeanspruchung bei gleichmässig über den ganzen Querschnitt verteilter Spannung (Osborne Reynoldt); 7. Schlagbiegeversuche mit unverletzten Stäben; 8. Schlagbiegeversuche mit eingekerbten Stäben; 9. Chemische Analyse und 10. Untersuchung des Kleingefüges. Von diesen Prüfungsarten kommen in der Regel nur die unter 1, 2 und 4 genannten in Anwendung. Für die Materialgruppen a und b ist der Zugversuch ohne Zweifel geeignet und ausreichend, da es sich hierbei nur um statische Beanspruchungen handelt, aber er ist ungeeignet für die Gruppen c und d, denn hier kommt das Verhalten gegenüber dynamischen Einwirkungen in Frage. Welches Prüfungsverfahren wird also in diesem Falle einzuschlagen sein? Um zunächst einmal festzustellen, mit welchen Anstrengungen der Maschineningenieur vorwiegend rechnen muss, haben sich die Verfasser der Mühe unterzogen, die in den einzelnen Teilen einer mittleren Dampfmaschine auftretenden Beanspruchungen ihrer Art nach zusammenzuwtellen. Hiernach herrschen: Ständige Zugbeanspruchung in 3,9 v. H. Zug oder Druck (von 0 bis max.) in 1,3 Zug und Stoss in 48,8 Abwechselnd Zug und Druck mit Stoss in 2,8 Oft wiederholter Zug (von einem gewissen    Betrage bis max.) mit Stoss in 36,0 Nicht feststellbare Beanspruchung in allen    Maschinenteilen 7,2 Also 87,6 v. H. aller Maschinenteile sind mehr oder weniger Stössen ausgesetzt, während reine Zugbeanspruchung nur in einem sehr geringen Anteil herrscht. Schwingungsbeanspruchungen, bei denen der Richtungswechsel vollständig sanft und stossfrei erfolgt, sind unter normalen Verhältnissen nicht vorhanden, vielleicht unter idealen Bedingungen in der Kurbelwelle. Aehnliche Verhältnisse würden sich für die Maschinen vieler Industriezweige, z.B. Textilmaschinen und Druckereimaschinen nachweisen lassen. Von Seiten des Maschinenbaues wird also auf Materialien Wert gelegt werden müssen, die vor allen Dingen den so gefährlichen stossweisen Beanspruchungen trotzen können. Welche Katastrophen eintreten können, wenn durch einen Bruch im Kurbeltrieb beschleunigte Massen plötzlich ihre eigenen Wege gehen, hat Geheimrat Riedler in seinem Vortrage über „Maschinenbrüche“ gezeigt. Wenn Kolben- und Pleuelstange unter idealen Betriebsverhältnissen auch nur pulsierenden Beanspruchungen ausgesetzt sind, so treten doch wegen des wenn auch noch so geringen Spielraumes der Wellen und Zapfen in den Lagern beim Richtungswechsel in den Totlagen Stösse auf, welche geeignet sind, die wirklichen Beanspruchungen weit über den rechnerischen Wert zu erhöhen. Bricht eine Kolbenstange im Betriebe, so liegt die Bruchstelle in der Regel im Gewindeteil etwa bei a-b (Fig. 1), auch wenn der Kerndurchmesser grösser ist als der Durchmesser im Querschnitt c-d. Seaton neigt deshalb der Ansicht zu, dass die Wirkung der oft wiederholten Stösse in a-b ihren grössten Wert erreicht. Textabbildung Bd. 321, S. 139 Fig. 1. Dass die Schwingungsbeanspruchung allein nicht als Ursache des Bruches aufgestellt werden kann, geht aus Versuchen hervor, die Prof. Smith der Royal Society vorgeführt hat. Die Versuche, deren Ergebnisse in Schaubild (Fig. 2) dargestellt sind, wurden an Probestäben angestellt, die über den ganzen Querschnitt gleichmässig in schneller Aufeinanderfolge abwechselnd auf Zug und Druck beansprucht wurden.s. D. p. J. 1905, Bd. 320, S. 481. Textabbildung Bd. 321, S. 139 Fig. 2. Untersuchungen Prof. Smiths über die Schwingungsfestigkeit von Flusseisenstäben Spannung in kg/qmm.; Spannungswechsel i. d. Min.; Anzahl der Spannungswechsel bis zum Bruch. Smith hat sechs Versuchsreihen mit 1316–1888 Lastwechseln i. d. Minute durchgeführt, also mit ausserordentlich hoher Geschwindigkeit gegenüber den älteren Versuchen Wöhlers mit 60 bis 80 Wechseln i. d. Minute. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gesamtzahl der ertragenen Belastungswechsel, also die Widerstandsfähigkeit, mit steigender Geschwindigkeit des Lastwechsels erheblich abnimmt, immerhin beträgt sie aber bei einer Wechselzahl von 1888 i. d. Minute und einer Spannung von 17 kg/qmm noch 3240000. Die Schaulinien fallen mit abnehmender Spannung anfänglich schnell ab und laufen schliesslich nahezu parallel zur Abszissenachse, woraus hervorgeht, dass unterhalb einer gewissen Spannung die Schwingungsfestigkeit eine nahezu unbegrenzte ist. Smith gibt für den Bruch die in Tab. 1 zusammengestellten Werke an; die zugehörigen Spannungen sind aus dem Schaubild entnommen. Tabelle 1. Ergebnisse der Dauerversuche von Smith. Reihe Spannungkg/qmm Lastwechsel i. d. Minute Gesamtbis zum Bruch A 17,0 1888 3240000 B 21,2 1696   7000000 C 25,3 1682   1240000 D 26,8 1544   2800000 E 28,0 1441   5700000 F 29,9 1316 15400000 Wenn also Bolzen, deren Spannung im Betriebe 4,5 kg/qmm wahrscheinlich nicht erreicht, 7,4 kg/qmm aber unter keinen Umständen überschritten hat, und bei einer Schwingungsbeanspruchung zwischen 0 und max. und einer Wechselzahl < 350 i. d. Minute gebrochen sind, so kann der Bruch nicht in übertriebener Schwingungsbeanspruchung zu suchen sein, denn nach Fig. 2 muss es als ausgeschlossen gelten, dass so geringe Beanspruchungen jemals den Bruch herbeiführen können. Das geht auch daraus hervor, dass der Bruch auch dann im Gewindeteile erfolgte, wenn der Schaftquerschnitt um 50 v. H. verschwächt wurde. Die Ursache des Bruches konnte erst Recht nicht in ungenügender Zugfestigkeit oder Dehnbarkeit liegen, denn Zugproben, die den gebrochenen Bolzen entnommen wurden, befriedigten durchaus, desgleichen Analysen für Material in der Nähe der Bruchflächen. Eine Verminderung der Zugfestigkeit durch häufigen Betriebsspannungswechsel hat sich trotz sehr vieler Versuche mit im Betrieb gebrochenen Wellen usw. nicht nachweisen lassen. Einen Beitrag zu dieser Frage liefern auch Versuche, die jüngst von der Kgl. Eisenbahndirektion Magdeburg angestellt wurden, worüber das „Zentralblatt der Bauverwaltung“ vom 7. Januar 1905 berichtet. Gelegentlich der Auswechslung von Teilen einer vielbefahrenen Saale-Brücke, die 51 Jahre im Betrieb gewesen war, wurden an drei verschieden beanspruchten Stellen der durchlaufenden Platte eines Obergurtes je drei Zugproben a, b und c entnommen. Die Versuchsergebnisse sind in Tab. 2 zusammengestellt. Sie zeigen, dass eine Verminderung der Zugfestigkeit oder Dehnung keineswegs eingetreten ist. Von hohem Interesse würden neben diesen Zugversuchen Schlagbiegeversuche mit demselben Material gewesen sein. Bemerkt wird, dass hier allerdings Schweisseisen vorliegen muss, da die betreffende Brücke bereits im Jahre 1844 erbaut wurde. Wurde das vorhin besprochene Bolzenmaterial nun aber Schlagversuchen unterworfen, so ergaben sich sehr wenig befriedigende Resultate, welche die erfolgten Betriebsbrüche durchaus erklärlich scheinen lassen. Denn: Sorte A brach bereits nach   1 Schlägen B 13 C   9 D   7 während unter gleichen Versuchsbedingungen beispielsweise Flusseisen für Schiffsbauzwecke mittlerer Qualität über 20 Schläge aushält. Tabelle 2. Zugversuche mit alten Brückenteilen. Probe Grösste imBetrieb er-littene Bean-spruchungkg/qmm Ergebnisse der Zugversuche Zugfestigkeitkg/qmm Bruch-dehnungv. H. Querschnitts-verminderungv. H. a)     123 000 37,3033,5134,57 12,111,018,9 Stab ausserhalb d.Körner gerissen12,922,6 Mittel 35,13 14,0 17,8 b)     123 – 6,68– 6,68– 6,68 31,1534,5234,21 10,616,518,8   9,218,823,0 Mittel 33,29 15,3 17,0 c)     123 + 9,47+ 9,47+ 9,47 36,2736,4434,30 23,017,220,8 23,722,621,5 Mittel 35,67 20,3 22,6 Das von Seaton benutzte Fallwerk ist in Fig. 3 dargestellt. Das Bärgewicht beträgt 2,7 kg und die grösste ausnutzbare Fallhöhe 600 mm. Abweichend von der sonst üblichen Bauart ist der Bär in der Achse durch eine Stange geführt, die man sich wohl als Rohr vorzustellen hat in der Annahme, dass die wirksame Bärmasse im unteren Teile angebracht ist. Mag diese Anordnung auch im vorliegenden Falle, namentlich wenn es sich nur um Vergleichswerte handelt, genügen, so widerspricht sie doch der an ein gutes Fallwerk zu stellenden Anforderung, die Bärmasse möglichst zu konzentrieren, und durften die wirklich ausgeübten Schlagarbeiten zu gross angegeben sein. Textabbildung Bd. 321, S. 140 Fig. 3. Seatons Fallwerk für Schlagbiegeversuche. Die Probestäbe waren 100 mm lang bei 13 × 13 mm Querschnitt und in der Mitte 3,2 mm tief dreieckig eingekerbt. Da keine Einrichtung vorhanden ist, die von der Probe aufgenommene Arbeit zu messen, muss der Bruch durch eine Anzahl Schläge herbeigeführt werden, die Seaton unmittelbar als Mass für die Widerstandsfähigkeit benutzt. Nach jedem Schlage wird die Probe umgewendet. Ob es richtiger ist, den Bruch durch einen oder eine Anzahl Schläge herbeizuführen, ist noch eine offene Frage. Seaton hält es bei weichem, zähem Stahl etwa bis 0,4 v. H. Kohlenstoff für vorteilhafter, eine Anzahl Schläge anzuwenden, für höhere Kohlenstoffgehalte dagegen den Bruch durch einen Schlag herbeizuführen. In diesem Falle müsste durch systematisches Probieren die grade zum Bruch nötige Fallhöhe ermittelt werden. Noch ein weiterer Umstand deutet darauf hin, dass die Ursache der Brüchigkeit nicht in der mangelnden Schwingungsfestigkeit, sondern in der unzulänglichen Stossfestigkeit zu suchen ist. Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Schwingungsbeanspruchung wächst mit der Spannung an der Proportionalitätsgrenze, also mit dem Kohlenstoffgehalt, während die Stossfestigkeit mit steigendem Kohlenstoffgehalt abnimmt, denn es hat sich oft genug gezeigt, dass Stahlteile von 0,25–03 v. H. C, die nach kurzer Arbeitsdauer gebrochen waren, mit Erfolg durch solche von niedrigerem Kohlenstoffgehalt ersetzt wurden, oder dass wenigstens der Eintritt der Brüche sehr erheblich hinausgeschoben wurde. Bezüglich der Anforderungen, die an die Schlagfestigkeit zu stellen sind, wird wieder der Verwendungszweck des Materials zu berücksichtigen sein. Für Brücken und Kesselmaterial mögen etwa 30 Schläge genügen, an Maschinenteile müssen höhere Anforderungen gestellt werden. Um feinere Unterschiede bei den hier überhaupt nur in Frage kommenden zäheren Materialien zu erkennen, reicht die vorstehend behandelte Methode der Prüfung in unverletzten Stäben nicht mehr aus, sondern hier halten die Autoren in Uebereinstimmung mit vielen anderen Forschern die Schlagbiegeprobe an eingekerbten Stücken für das zweckmässigste Prüfungsverfahren zur Erkennung der Brüchigkeit. Denn: 1. geht hierbei der Bruch unter Bedingungen vor sich, die denen gleichen, welche im Betriebe zum Bruch führen, 2. haben die bisherigen Versuche stets gezeigt, dass auch die Dehnbarkeit des Materials eine gute ist, wenn die Schlagbiegeprobe befriedigende Werte liefert, dass umgekehrt hingegen der Zugversuch hohe Festigkeits- und Dehnungswerte liefern kann, während die Schlagbiegeprobe sehr geringe Stossfestigkeit nachweist, 3. ist die grosse Mehrzahl aller Maschinenteile mehr oder weniger als eingekerbt zu betrachten (scharfe Eindrehungen, Gewinde usw.) und die Probe daher geeignet, die Empfindlichkeit des Materials gegenüber solchen Einkerbungen zu ermitteln. Bezüglich der Versuchsausführung weicht Seaton von der Anschauung der meisten anderen Materialsprüfungstechniker ab, indem er auch hier eine Anzahl Schläge der Prüfung mit einem wuchtigen Schlage vorzieht. Fremont, Barba, Rudeloff lassen den Bär mit einer lebendigen Kraft arbeiten, die reichlich genügt, um den Bruch der Probe herbeizuführen, und bestimmen die nach erfolgtem Bruch im Bären verbleibende Energie durch geeignete Messvorrichtungen.W. Ast und J. Barba. Feststellung von Untersuchungsmethoden über die Homogenität von Eisen und Stahl behufs, deren eventueller Benutzung bei Abnahmen. Budapest, 1901.A. Martens. Denkschrift zur Eröffnung des Kgl. Materialprüfungsamtes. Berlin, 1904. Fremont ist der Ansicht, dass die Wirkung einer grösseren Anzahl Schläge nicht wesentlich verschieden ist von der einer langsam wirkenden Kraft bei der Biegeprobe, dass also anstatt des beabsichtigten plötzlichen Bruches eine allmählich fortschreitende Durchbiegung stattfindet. Barba hält eine Auftreffgeschwindigkeit des Bären von wenigstens 12 m i. d. Sek., also eine Fallhöhe von 7 m, für erforderlich, um auch bei zäherem Material einen plötzlichen Bruch ohne nennenswerte Biegung zu erhalten. (Schluss folgt.)