Titel: Neuere Schienenstossanordnungen mit enger Stosschwellenlage.
Autor: F. Jaehn
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 453
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Neuere Schienenstossanordnungen mit enger Stosschwellenlage. Von Regierungsbaumeister F. Jaehn in Bromberg. (Schluss von S. 441 d. Bd.) Neuere Schienenstossanordnungen mit enger Stosschwellenlage. Textabbildung Bd. 321, S. 453 Fig. 32. Das Streben nach Erhöhung der FahrgeschwindigkeitHans A. Martens, Fernschnellzüge mit 120 km stündlicher Höchstgeschwindigkeit, Ztg. d. V. Deutscher Eisenb. Verw. 1905, S. 1437. das Wachsen der Achslasten, insbesondere des Reibungsgewichtes der Lokomotiv-Kuppelachsen, die Dichtigkeit der Zugfolge und die aus wirtschaftlichen Rücksichten gebotene Verminderung der Kosten für die immer schwieriger und infolge der steigenden Arbeitslöhne auch immer teurer sich gestaltende Bahnunterhaltung drängen gebieterisch auf eine schrittweise Verstärkung des Oberbaues. Die meisten Eisenbahnverwaltungen haben sich daher genötigt gesehen, die wichtigeren, von Schnellzücen befahrenen oder sonst stark belasteten Strecken mit schwerem Oberbau auszurüsten. Eine derartige Massnahme ist naturgemäss nur in einem mehrjährigen Zeitraume unter Aufwendung ausserordentlich erheblicher Kosten möglich. Man hat daher auf denjenigen Strecken, die nicht sofort mit schwerem Oberbau belegt werden können, durch Verbesserung des Schienenstosses – des Sorgenkindes der Eisenbahnen –, durch Vermehrung und Verlängerung der Schwellen und durch Einbau besserer Bettung die Betriebssicherheit zu erhöhen und einen ruhigen Gang der Fahrzeuge zu erzielen gesucht. Die Verbesserung der Stossverbindung ist meist durch Auswechslung alter abgenutzter Laschen gegen neue verstärkte Laschen bei gleichzeitiger Engerlegung der Stosschwellen erfolgt. Diese Massnahme hat sich bisher vorzüglich bewährt, indem dadurch die Gleislage am Stoss sehr verbessert und die Lebensdauer der Schienen bedeutend erhöht wurde. Die beim Gleisumbau gewonnenen Schienen bilden ein zur Wiederverwendung in Nebengleisen, zum Teil auch in Nebenbahnhauptgleisen, geeignetes wertvolles Material, wobei an den Kopfenden stark abgefahrene oder breitgeschlagene Schienen an beiden Enden entsprechend gekürzt und neu gebohrt werden und dadurch eine höchst wirtschaftliche Materialausnutzung ermöglichen. Wenn nun auch durch Einbau verstärkter Laschen (Kremplaschen) bei gleichzeitiger Verringerung der Stossteilung die Stossverbindung zweifellos ganz erheblich gekräftigt wird, so wird doch nach den obigen Betrachtungen zu erwägen semn, ob sich dasselbe Ziel nicht durch Verwendung des Zweischwellenstosses mit kürzeren und schwächeren Laschen (Winkellaschen), also mit geringeren Mitteln erreichen lässt. Auf Grund der Erörterungen über die Form des Schienenauflagers erscheint eine Anordnung nach Fig. 32 am zweckmässigsten, weil hier der Beweglichkeit der Schienenenden durch Aussparungen in der durchgehenden Hakenplatte (Fig. 33) in einfacher Weise Rechnung getragen werden kann. Auch Versuche mit Blattstossanordnungen, etwa in der in Fig. 34 angedeuteten Form – fester Blattstoss unter Verwendung | von Winkellaschen mit 3 Bolzen – werden geeignet sein, ein Bild darüber zu geben, inwieweit gegenüber dem Stumpfstoss der schädliche Einfluss der Stosslücke beseitigt werden kann. Es liegt der Gedanke nahe, mit Rücksicht auf die Bearbeitungskosten von den bezeichneten Aussparungen der Hakenplatte abzusehen und sie ganz durchzuführen; dann müsste aber andererseits durch eine durchgehende kräftige Klemmplatte mit ausreichender Verbolzung das Spiel der Schienenenden gegeneinander und gegen die Hakenplatte unschädlich gemacht werden, damit die Hammerwirkung des niedergehenden Rades nicht eintreten kann; auch hier kann nur der Versuch über die Wirtschaftlichkeit der Anordnung entscheiden. Textabbildung Bd. 321, S. 453 Fig. 33. Textabbildung Bd. 321, S. 453 Fig. 34. Die günstigen Erfahrungen der amerikanischen Eisenbahnverwaltungen mit dem Wechselstosss in der Form des Dreischwellenstosses geben Anregung, in Erwägung zu ziehen, ob nicht die versuchsweise Einführung des Wechselstosses auf deutschen Eisenbahnen angezeigt sei. Eine Oberbauanordnung muss stets in ihren Wechselbeziehungen zum rollenden Material beurteilt werden. In Amerika nun haben seit den ersten Jahren des Bahnbetriebes Drehgestelle in ausgedehntem Masse bei Lokomotiven und Wagen Verwendung gefunden. Die Drehgestelle folgen leicht allen Unregelmässigkeiten der Gleise, führen daher und vermöge ihrer geringen Masse in sicherer Weise das Fahrzeug, ohne durch Schwingungen der Hauptmasse (bei Lokomotiven) beeinflusst zu werden, oder ihre eigenen Schwingungen in erheblichem Masse auf die Hauptmasse (bei Wagen) zu übertragen; sie sind demnach geeignet, ungünstige Eigenarten einer Oberbauanordnung günstig zu beeinflussen und somit Mängel zu verdecken, die bei unseren steifachsigen Wagen scharf hervortreten würden. Auf deutschen Bahnen kommen verschiedene Wagentypen je nach der Art des Verkehrs in Betracht und zwar für den Güterverkehr in erster Linie der zweiachsige Wagen, seltener der drei- und vierachsige Wagen, für den Personenzugverkehr der zwei- und dreiachsige Wagen, für den Schnellzugverkehr der vier- und sechsachsige Wagen mit Drehgestellen. Jeder dieser Fahrzeuggruppen kann hinsichtlich des Betriebes eine gewisse Fahrgeschwindigkeit zugrunde gelegt werden. Fahrzeug und Fahrgeschwindigkeit stehen wieder in Wechselbeziehung mit der Beanspruchung des Oberbaues: Güterzüge greifen die Gleise erheblich stärker an, als die rascher fahrenden Personen- und selbst SchnellzügeBlum, Einfluss der Fahrgeschwindigkeit auf die Beanspruchung des Schienenstosses, Zentralbl. d Bauv. 1899 S. 373.. Es steht ferner ausser Zweifel, dass ein zweiachsiger Wager das Gleis ungünstiger beansprucht, als ein drei-, vier- oder sechsachsiger WagenSchienenstoss und Achsenzahl der Güterwagen, Zentralbl. d. Bauv. 1900 S. 3.. Auf die Vorzüge der Drehgestelle bei den beiden letzteren Arten hinsichtlich ihres fast geräuschlosen sanften Ganges braucht an dieser Stelle nicht hingewiesen zu werden. Drehgestelle vermögen durch die Drehung um den Drehzapfen nach jeder Richtung hin und ihre seitliche Beweglichkeit jeder beiderseitigen oder einseitigen Gleisunebenheit – Gleichstoss oder Wechselstoss – zu folgen, ohne entsprechende Schwingungen in der Hauptmasse des Fahrzeugs hervorzurufenSchienenstoss und Achsenzahl der Güterwagen, Zentralbl. d. Bauv. 1901 S. 94., es erübrigt sich daher, auf ihren Gang bei Gleichstoss oder Wechselstoss einzugehen. Das Verhalten des dreiachsigen Wagens bei der Fahrt über den Gleichstoss ist erwiesenermassen günstigvon Bornes, Eisenbahntechnik der Gegenwart I, 1. 1898 S. 65, 69, 81 u. 82., beim Wechselstoss wird in dem Augenblick, in dem das Vorderrad in die Lücke fällt, das demselben folgende Mittelrad und Hinterrad mehr belastet, beim Herausheben des Rades aus der Stosseinsenkung aber wird die von den Federn des Mittel- und Hinterrades aufgenommene Arbeit wieder abgegeben und wirkt somit günstig. Den schädlichsten Einfluss auf den Schienenstoss übt der zweiachsige Wagen aus. Beim Gleichstoss muss nicht nur der gesamte Achsdruck von den Schienenenden aufgenommen werden, sondern auch die lebendige Kraft, die dem Raddruck und der Grösse der Einsenkung entspricht (Ablauf-Ende), ebenso muss von ihnen der Beschleunigungsdruck ausgeübt werden, der der Hebung der Achse um das Einsenkungsmass entspricht (Auflauf-Ende). Bei der Fahrt über einen Wechselstoss folgt dem die Stosseinsenkung befahrenden Rade ein die gewöhnliche Radbelastung überschreitender Anteil des Wagengewichts unter gleichzeitiger Entlastung des auf dem ununterbrochenen Schienenstücke fahrenden Hinterrrades. Infolge der sich im Betriebe bald herausbildenden „Schweinsrücken“ nimmt der Wagen schon vor der Stosstelle eine um eine nahezu wagerechte Längsachse drehende Bewegung an, die beim Aufschlagen des Vorderrades auf das Auflaufende der Schiene plötzlich aufgehoben wird, während eine Drehbewegung der Vorderachse in entgegengesetztem Sinne beginnt. Da diese Drehbewegung infolge des von dem Auflaufschienenende ausgeübten Beschleunigungdruckes plötzlich eintritt, schlägt das dem Stosse gegenüber liegende Vorderrad auf die Schiene auf, wodurch sich das bei amerikanischen Bahnen beobachtete Aus- oder Niederfahren der dem Stosse gegenüberliegenden Schienenstellen erklärtHaarmann, Das Eisenbahngleis I, 1. S. 268.. Es werden nun die Mittel zu erörtern sein, die geeignet sind, den schädlichen Schwingungen des Fahrzeugs in wirksamer Weise Abhilfe zu schaffen. Dazu möge nachstehende Betrachtung dienen: bezeichnet v=\frac{s}{t}=\mbox{Geschwindigkeit}=\frac{\mbox{Weg}}{\mbox{Zeit}} \omega=\frac{d\varphi}{dt}= Winkelgeschwindigkeit der Drehung, h1 = bestehende Einsenkung am Stoss h2 = elastische Einsenkung am Stoss ohne Rücksichtnahme    auf die Laschenwirkung,     =-\frac{P\,a^3}{3\,E\,J_s} wobei a = halber Stosschwellenabstand,                         P = Raddruck,                         Js  = Trägheitsmoment der Schiene,                         E = Elastizitätsmodulder Schiene, b = Spurweite, l = Schienenlänge, so wird v=\frac{s}{t}=\frac{n\,l}{t} wo n = Anzahl der in der Zeit t durchfahrenen Schienenlängen ferner bei Annahme einer mittleren Winkelgeschwindigkeit \omega=\frac{d\,\varphi}{d\,t}=\frac{2\,(h_1+h_2)\,n}{b\,t} und wenn \frac{P}{3\,E\,J}=K \omega=\frac{2\,n\,(h_1+K\,a^3)}{b\,t}=\frac{2\,v\,(h_1+K\,a^3)}{b\,l} =C\cdot \frac{v\,(h_1+K\,a^3)}{l} wenn C=\frac{2}{b}. Die kinetische Energie eines drehenden Körpers ist nun E=\frac{1}{2}\,J\,\omega^2 wenn bedeutet J = das auf die Schwerachse bezogene Trägheitsmoment der Masse. Diese kinetische Energie wird im vorliegenden Falle für die Masse der Vorderachse, wenn Jv = das auf die Schwerachse (parallel zur Gleisrichtung) bezogene Trägheitsmoment der Achsmasse, E=\frac{1}{2}\,J_v\,\omega^2=\frac{1}{2}\,J_v\cdot C^2\cdot \frac{v^2}{l^2}\,({h_1}^2+2\,h_1\,K\,a^3+K^2\,a^6). Dieser Fall trifft für die Vorderachse von Drehgestellen zu, bei zweiachsigen Wagen nimmt jedoch die gesamte Fahrzeugmasse, insbesondere der vordere Teil derselben an der Schwingung teil, so dass hier ein der anteiligen Fahrzeugmasse entsprechendes Trägheitsmoment an Stelle des Trägheitsmomentes der Vorderachse in die Rechnung einzuführen wäre. Die entwickelte Formel zeigt jedenfalls, dass bei feststehender Fahrgeschwindigkeit eine Verkleinerung dieser für Oberbau und Fahrzeug schädlichen kinetischen Energie in erster Linie durch eine Verringerung der Stosstützenentfernung, dann aber durch Vergrösserung der Schienenlängen möglich ist. Erstere Massnahme im Verein mit einer sorgfältigen Unterhaltung wird zur Herabminderung der Grösse h1 beitragen, sodass auch hierdurch eine weitere Abschwächung der kinetischen Energie erzielt werden kann. Auf die aus wirtschaftlichen Rücksichten gebotene Notwendigkeit einer sorgfältigen Unterhaltung des Oberbaues, der leider immer noch nicht genügend Rechnung getragen wird, sei hier besonders hingewiesen; die bei der Bahnunterhaltung erzielten Ersparnisse werden durch schnellere Abnutzung des Oberbaues, dann aber durch die Mehrkosten für Reparaturen der Betriebsmittel, ihre den Wagenumlauf ungünstig beeinflussende längere Entziehung aus dem Betriebe und die dementsprechende Belastung der Werkstätten illusorisch. Hat sich in Amerika der Wechselstoss in Form des Dreischwellenstosses in betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht so günstig erwiesen, so erscheinen nach den vorstehenden Erörterungen Versuche mit dem Wechselstoss in Form des Zweischwellenstosses auf deutschen Bahnen angezeigt. Bei einer derartigen Verbindung ist es auch leicht möglich, die Stossanordnung von Vorrichtungen zur Verhinderung des Wanderns zu befreien und auf der dem Stosse gegenüber liegenden Seite, etwa an den Stoss- und den Nachbarschwellen, geeignete Wanderschutzvorrichtungen (Stemmlaschen, Stemmwinkel, Stemmstühle, StemmplattenA. Haarmann, Fünf Jahre Starkstoss-Oberbau, Osnabrück 1906 S. 13, 14. anzubringen. Eine Erhöhung der Schienenlängen bis auf 24 Meter, wie sie nach den Berichten über die Herstellung, Gestaltung und Verlegung von Schienen für Schnellzugsverkehrvan Bodgaert, Bericht für den internationalen Eisenbahnkongress in Washington in „The Railway Age“ vom 5. Mai 1905 S. 31. erstrebenswert erscheint, wird, sofern die etwaigen Schwierigkeiten des Versandes und des Verlegens behoben gedacht sind, bei Verwendung blattartiger Stossverbindungen, also des Blattstosses in den Bekannten Formen, oder von EinsatzlaschenA. Haarmann, Neue Beobachtungen, Messungen u. Versuche am Eisenbahn-Oberbau, Osnabrück 1904., schliesslich von Einsatz-Halbschienen (Fig. 35) sich ermöglichen lassen; die gleichzeitig damit bewirkte Verringerung der Stosstellen muss als ein erheblicher Vorzug in betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht angesehen werden. Textabbildung Bd. 321, S. 455 Fig. 35. a Mitte Stosschwelle. b. Einsatz Halbschine. Durch Messungen Wasiutynskis (s. 4. Russische Bahnen) ist festgestellt worden, dass beim Zweischwellenstoss die Schienenenden und Laschen nach oben gebogen sind; dieses Verhalten deutet darauf hin, dass die elastischen Einsenkungen der Stosschwellen infolge der breiten Auflagerfläche geringer sind, als die der Mittelschwellen. Bei einer idealen Oberbauanordnung wird es aber anzustreben sein, dass sämtliche Schwellen gleichmässige Einsenkungen erfahren; dieses Ziel wird beim Zweischwellenstoss durch Verringerung der Stossschwellenbreiten zu erreichen sein, sofern mit Rücksicht auf die Beanspruchung der Schienen von einer Vergrösserung des Abstandes der Stossnachbarschwellen abgesehen wird; auch hier nur kann der Versuch über die zweckmäsige Breite der Stosschwellen entscheiden. Der Wechselstoss in Form des Zweischwellenstosses mit möglichst langen Schienen wird vornehmlich für Schnellzugslinien in Betracht kommen. Auf den übrigen Hauptbahnen und den Nebenbahnen, schliesslich bei stark befahrenen Nebengleisen wird, auch unter Benutzung älterer kurzer Schienenprofile, der Gleichstoss in Form des Zweischwellenstosses geeignet sein, eine erhöhte Leistungsfähigkeit des Gleises, abgesehen von sonstigen Verstärkungsmassnahmen, mit geringen Mmtteln zu bewirken. Auf den günstigen Einfluss der verminderten Stosseinsenkung auf die Fahrzeuge war im Vorhergehenden schon hingewiesen worden; es wird aber auch die Hebungsarbeit für das Herausheben der Achse aus den Stosstellen verringert und dadurch eine Verringerung der Zugkraft herbeigeführt. Soweit also theoretische Vergleichsrechnung und die bisher gemachten Erfahrungen ein Urteil zulassen, ist der Zweischwellenstoss in bezug auf Betriebssicherheit und Wirtschaftlichkeit wegen geringerer Anlage- und Unterhaltungskosten, Schonung der Fahrzeuge und gleichzeitig erzielten ruhigen Ganges desselben, schliesslich wegen seines Einflusses auf die Verminderung der Zugkraft dem meist bisher üblichen schwebenden Stoss überlegen. Versuche in ausgedehntem Masse mit dem Zweischwellenstoss werden darüber Klarheit schaffen können, ob diese Stossanordnung tatsächlich den Erwartungen entspricht, zu denen sie bisher nach den Ergebnissen der Theorie und Praxis berechtigt.