Titel: Elektrische Zugbeleuchtung, Bauart L'Hoest-Pieper.
Autor: Hans A. Martens
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 518
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Elektrische Zugbeleuchtung, Bauart L'Hoest-Pieper.s. D. p. J. 1906, 332, S. 87. Nach dem französischen Originalbericht von Hans A. Martens. Elektrische Zugbeleuchtung, Bauart L'Hoest-Pieper. Zu den bemerkenswerten Neuheiten der Abteilung für Eisenbahnwesen auf der Ausstellung zu Lüttich gehörte eine Schnellzuglokomotive der Belgischen Staatsbahnen, welche mit einer elektrischen Zugbeleuchtungseinrichtung, Bauart L'Hoest-Pieper, ausgerüstet war. Da das eigenartige System in zwei Expresszügen der Strecke Verviers–Brüssel schon mit Erfolg versuchsweise in Betrieb war, so darf es weiteres Interesse beanspruchen und soll daher näher beschrieben werden. Textabbildung Bd. 321, S. 517 Fig. 1. Lokomotive mit Dampfdynamo auf dem Langkessel. Fig. 1 zeigt einen Teil der Lokomotive in Seitenansicht und lässt deutlich die grosse elektrische Stirnlaterne an der Rauchkammer und die Dampfdynamo erkennen, welche auf dem Langkessel zwischen Dampfdom und Führerstandhaus angeordnet ist. Die Hauptstrom-Dynamo (Fig. 2) wird von einer unmittelbar mit ihr gekuppelten Dampfmaschine mit 1000 minutlichen Umdrehungen angetrieben, welche mit einfacher Dampfdehnung, konstantem Dampfzufluss und ohne Geschwindigkeitsregler arbeitet. Die Verbindung von Dampfmaschine und Dynamo nach Bauart Bernstein hat das Bestreben, durch Aenderung der Geschwindigkeit konstanten Strom zu geben, und den Vorzug sehr wirtschaftlicher Regulierung für sich. Die Schmierung findet selbsttätig statt. Die Dynamo mit konstantem Feld ist ähnlich den Strassenbahnmotoren durch ein staubdicht schliessendes Gehäuse gegen Witterungseinflüsse geschützt, jedoch durch Abheben des oberen Gehäuseteils leicht zugänglich. Die Beleuchtung erfolgt durch unter sich parallel geschaltete Osmiumlampen für etwa 30 Volt Spannung. Jeder Wagen hat ausserdem eine kleine Akkumulatoren-Batterie, welche mit den Lampen an die Hauptleitung parallel geschaltet ist. Sie kann etwa drei Stunden ununterbrochen Strom geben, wird von dem Maschinenstrom ständig auf Spannung gehalten, im übrigen aber so wenig als möglich zur Stromabgabe benützt. Durch jeden Wagen ist der Hauptstromkreis als Hin- und Rückleitung verlegt. Die Verbindung zwischen den einzelnen Fahrzeugen fmndet durch Verbindungskabel mittels Bajonettverschluss statt (Fig. 3). Um Zerstörungen der Kabel beim Ausrangieren von Wagen zu verhindern, falls die Verschlüsse nicht gelöst sind, ist ein Reibungsverschluss vorgesehen, der beim Anspannen der Kabel einfach auseinander gezogen wird. Am Schlusswagen werden Hin- und Rückleitung durch ein Kabel verbunden. Die Wagen sind also alle in Reihe geschaltet, so dass die Dynamo, auf einen veränderlichen, aber begrenzten Widerstand in Reihe geschaltet, arbeitet. Die Spannung wächst mit der Anzahl der Wagen. Textabbildung Bd. 321, S. 517 Fig. 2. Dampfdynamo. Die Regulierung findet in der Weise statt, dass bei Anschluss eines Wagens die Spannung zunächst infolge des vermehrten Widerstandes fällt, somit die Dampfmaschine so lange schneller läuft, bis der ursprüngliche Gleichgewichtszustand wieder hergestellt ist. Beim Aussetzen eines Wagens findet der umgekehrte Vorgang statt. Textabbildung Bd. 321, S. 518 Fig. 3. Verbindungskabel zwischen zwei Wagen. Textabbildung Bd. 321, S. 518 Fig. 4. Schaltungsschema für die Lokomotive. Die Wirkungsweise der Beleuchtungseinrichtung lässt sich am zweckmässigsten an Hand der Schaltungsschema erläutern, in denen zwar die wenigen Apparate auch nur schematisch dargestellt sind; jedoch wegen ihrer Einfachheit erübrigt sich die Darstellung der meist bekannten Ausführungsform. Fig. 4 zeigt in vereinfachter Form zwei Stromschaltungen, die unter Zuhilfenahme von Fig. 6, in dem die Schaltung der auf der Lokomotive verlegten Leitungen und Apparate (auf dem Bilde links) dargestellt ist, verfolgt werden müssen. Auf der Lokomotive befindet sich ein durch Dampf betätigter Fahrschalter, der bei Dampfeinlass zur Dampfdynamo in Wirkung tritt und drei Stellungen hat. Die Ruhestellung, in der er nicht vom Arbeitsdampf betätigt wird, unterbricht alle Verbindungen zwischen Dynamo, Batterien, Widerständen und Lampen. Die zweite Stellung (Fig. 4, Schema 1) wird beim Anlassen der Dampfmaschine nur sehr kurze Zeit, etwa eine Sekunde eingehalten und schaltet Strom aus den Batterien b und B auf die Dynamo A, welche als Motor läuft und das Anlassen bewirkt bezw. erleichtert. Schliessen oder Oeffnen der Lokomotivbeleuchtung mit Hilfe des Stromschliessers I ändert nichts an der Schaltung. Die dritte Stellung ist die Betriebsstellung (Fig. 4, Schema 2). Die Dampfmaschine nimmt eine bestimmte Geschwindigkeit an und sendet bei geöffneter Hauptleitung des Zuges Strom durch einen auf der Lokomotive befindlichen Widerstand R. Bei geschlossener Hauptleitung (Strom zu den Wagen) wird dieser Lokalstromkreis aber mit Hilfe des Elektromagneten d unterbrochen, der Dynamostrom fliesst in die Hauptleitung und in Abzweigung durch die grosse Lokomotivbatterie B von fünf Elementen, diese, welche zur Stromabgabe beim Anlassen dient, langsam ladend. Wird der äussere Stromkreis plötzlich irgendwie unterbrochen (Aussetzen eines Wagens, Zugtrennung), so fällt der Anker a des Elektromagneten d sofort zurück und die Dynamo arbeitet wie vorher auf den Lokalstromkreis auf der Lokomotive. Die Dampfdynamo muss also nicht abgestellt werden, sondern kann ununterbrochen weiter laufen. Der Lokomotivführer wird somit in keiner Weise in Anspruch genommen. Textabbildung Bd. 321, S. 518 Fig. 5. Schaltungsschema eines Wagens. Der in einen Wagen eintretende Strom durchläuft zunächst die Spule eines Elektromagneten J (Fig. 5), dessen Anker P, den für die ausgeschaltete Wagenbeleuchtung als Ersatz dienenden Widerstand K und geht dann, wenn die Beleuchtung durch den Wagenschalter t ausgeschaltet ist, zum nächsten Wagen über, um in der zweiten Hauptleitung zur Dynamo zurückzukehren. Der Elektromagnet J ist so abgestimmt, dass er bei einer Stromstärke, die wenig höher ist als die der normalen Spannung der Batterie B entsprechende, seinen Anker P (Fig. 5) anzieht und den Maschinenstrom durch die Batterie B führt. Ist die Batterie genügend geladen, so tritt eine Schwächung des Hauptstroms ein, welche den Anker wieder abfallen lässt, womit das Laden der Batterie authört. Textabbildung Bd. 321, S. 518 Fig. 6. Schaltungsschema der Lokomotive und zweier Wagen. Mit Hilfe des an beiden Wagenseiten angebrachten Schalters I bezw. I' lassen sich die Wagenlampen ein- und ausschalten. Der Lade-Widerstand R (Fig. 6) gleicht die Spannungsschwankungen der Batterie im geladenen und entladenen Zustande aus. Wie leicht einzusehen ist, besteht eine vollständige Unabhängigkeit zwischen Dynamo und Batterie, wenn auch in Wirklichkeit beide mit einander in der Weise arbeiten, dass der Nutzstrom der Dynamo die Lampen speist und in Abzweigung die Batterie mit schwacher Stromstärke ständig aufladet. Durch diese Unabhängigkeit wird erreicht, dass die Beleuchtung selbsttätig fortdauert, wenn die Dynamo abgestellt wird oder die Lokomotive den Zug verlässt. Umgekehrt jedoch liesse sich von der Lokomotive aus durch Anstellen der Dynamo die Beleuchtung nicht in Tätigkeit setzen, falls die Stromschliesser I und I' geöffnet sind. Dieser Fall gewinnt an Bedeutung, wenn die Beleuchtung unterwegs für kurze Zeit bei Durchfahrt durch Tunnel in Tätigkeit treten soll und die bei Abteilwagen aussen liegenden Stromschliesser I und I' nicht bedient werden können. Für diesen Fall ist ein für gewöhnlich offener Hilfsstromschliesser t in jedem Wagen vorgesehen, der vor Abfahrt auf die Tunnelstrecke geschlossen wird. Bei Stromlieferung von der Dynamo wird der Anker P (Fig. 5) angezogen, der mit einer isolierten Nase den Stromschliesser P' gegen einen Kontakt legt, welcher seinerseits den Stromkreis zu den Lampen über den Hilfsstromschliesser t schliesst. Die Vorzüge des Systems lassen sich nach folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen: 1. Geringstes Gewicht und geringste Raumbeanspruchung. Eine einzige Dampfdynamo auf der Lokomotive ergibt zweifellos ein geringes zusätzliches Zuggewicht als mehrere Einzeldynamos an den Wagen. Die Batterie ist so leicht als möglich gebaut, da ihre Kapazität nicht grösser als unumgänglich notwendig angenommen worden ist. Das gleiche gilt für die Raumbeanspruchung. Auf dem Lokomotivkessel ist Platz für den Einbau leicht zu schaffen, während er bei den Wagen entweder gänzlich fehlt (Luxuswagen auf internationalen Strecken) wegen mannigfacher am Untergestell angebrachter Ausrüstungsteile oder doch nur schwierig zu erübrigen ist. Die Stromschliesser wiegen kaum 12 kg, ihr Raumbedarf ist kaum nennenswert. Die Leitungen lassen sich leicht in Röhren an der Decke unterbringen. 2. Geringste Bedienung. Die Anlage gestattet, die Beleuchtung von jeder Seite des Wagens in Tätigkeit zu setzen, ohne dass der Beamte von einer Wagenseite auf die andere sich zu begeben hat. Desgleichen sind die Dächer nicht zwecks Anzündens der Lampen zu begehen, auch braucht bei den Abteilwagen das Wageninnere nicht betreten zu werden. Bei den Zügen mit Gang ist die Beleuchtung leicht während der Fahrt vom Wageninnern zu bedienen. Bei den Abteilwagen wird dies durch die oben besprochene Einrichtung mittels des Hilfsstromschliessers bewirkt, so dass die Beleuchtung nur dann angestellt ist, wenn sie wirklich notwendig ist (Befahren von Tunnelstrecken). Die Kupplung der elektrischen Hauptleitung zwischen den Fahrzeugen geschieht durch Kabel schnell und sicher. Der Lokomotivführer hat in keiner Weise die Dampfdynamo während des Laufes zu beobachten, sodass er seinen eigentlichen Dienstpflichten der Lokomotivführung und Streckenbeobachtung nicht entzogen wird. Einmal täglich ist die selbsttätige Schmierung zu versorgen. Anstellen und Abstellen der Dynamo geschieht durch einfaches Oeffnen und Schliessen eines Dampfventils. Strom und Spannungsmesser sind nicht zu beobachten, nach denen etwa der Gang der Dynamo zu regeln wäre, daher sind elektrotechnische Kenntnisse vom Lokomotivführer nicht zu verlangen. 3. Grösste Sicherheit. Die Vorrichtungen, welche einiger Wartung bedürfen, sind auf der Lokomotive angebracht und nicht auf die Wagen zerstreut: Ihre ständige Besichtigung und Pflege ist dadurch gesichert. Die Lebensdauer der Batterie wird möglichst gross sein, da sie nur in Fällen der Störung oder für kurze Zeit bei Unterbrechung der Hauptleitung Strom abgibt. Die Unabhängigkeit der Stromlieferung durch die Dynamo von der Bewegung des Zuges bewirkt die grösstmögliche Schonung der Batterie. Die wenigen Apparate, wie der Dampfanlasser, die elektromagnetischen Stromschliesser sind so einfach und stark gebaut, dass ihre Beschädigung und ihr Versagen fast ausgeschlossen erscheinen. 4. Geringste Unterhaltungskosten. Aus der Einfachheit der ganzen Einrichtung folgen ihre geringen Unterhaltungskosten, von denen die der Batterie, welche nicht zu entbehren ist, den verhältnismässig grössten Anteil ausmachen werden.