Titel: Die konstruktive Behandlung der Heissdampfrohrleitungen mit Berücksichtigung der Materialfrage.
Autor: A. Reichelt
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 659
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Die konstruktive Behandlung der Heissdampfrohrleitungen mit Berücksichtigung der Materialfrage. Von A. Reichelt, dipl. Ing. in Halle a. Saale. Die konstruktive Behandlung der Heissdampfrohrleitungen mit Berücksichtigung der Materialfrage. Die Einführung der Ueberhitzung im Dampfbetriebe hat die ohnedies nicht leichte Aufgabe einer technisch richtigen Durchbildung der Rohrleitungsnetze in wesentlichen Punkten erschwert. Hatten wir beim Betriebe mit gesättigtem Dampfe mit einem grössten Temperaturunterschiede von etwa 200° zwischen der kalten und der im Betriebe stehenden Rohrleitung zu rechnen, so treten bei weitgehender Ueberhitzung Unterschiede von 300–400° und darüber auf, die dem Konstrukteur besondere Vorsicht zur Pflicht machen. Die weitgehende Steigerung der Ueberhitzung bietet wärmetechnisch so viele Vorteile, dass man gern geneigt sein wird, mit der Temperatur bis an diejenige Grenze heran zu gehen, die mit Rücksicht auf Betriebssicherheit und Abnutzung der Maschinen gezogen werden muss. Diese bedeutende Erhöhung der Wärmegrade hat eine Menge Schwierigkeiten im Gefolge, die sich etwa in drei Gruppen zusammenfassen lassen: 1. Schwierigkeiten, die infolge der starken Bewegungen und Formänderungen der Rohrleitungen als Zusatzbeanspruchungen zu den durch die innere Pressung hervorgerufenen Spannungen in Erscheinung treten. 2. Schwierigkeiten, die sich durch die Beeinträchtigung der Widerstandsfähigkeit und des elastischen Verhaltens des Rohrmaterials infolge der hohen Wärmegrade ergeben. 3. Dichtungsschwierigkeiten. Den Misständen der Gruppe 1 wird durch Sicherung der freien Beweglichkeit der Leitung bezw. Konzentrierung der auftretenden Formänderungen auf elastische oder bewegliche Zwischenglieder, denen der Gruppe 2 und 3 durch zweckmässige Wahl der Konstruktion- und Dichtungsmaterialien begegnet. Was nun die Grösse der zu erwartenden Formänderungen anbelangt, so wird bei schmiedeeiserner Leitung mit einer Verlängerung um 2,5 mm f. d. Meter bei einer Temperaturzunahme um 200° C und mit je 1,1 mm Ausdehnung bei weiterer Steigerung um je 100° C gerechnet. Für einen Rohrstrang von beispielsweise 40,00 m Länge ergibt sich demnach für einen Temperaturunterschied von 300° eine gesamte Verlängerung von 40 . (2,5 + 1,1) = 144 mm, die durch entsprechende Vorkehrungen auszugleichen ist. Bei Anlage der Rohrleitungen wird so vorgegangen, dass gewisse Punkte von vornherein als Festpunkte ausgebildet werden, d.h. Punkte, die unverrückbar im Raume festliegen, während alle anderen Punkte des Leitungsnetzes die ihnen zukommende Beweglichkeit erstatten müssen. Es handelt sich eben darum, die Formänderungen des oft vielfach verzweigten Rohrstranges im voraus zu bestimmen und so zu leiten, dass schädliche Ueberlastungen einzelner Teile, die unter Umständen zu Brüchen führen müssten, vermieden werden. Die Festpunkte werden sich zum Teil von selbst ergeben, z.B. als Anschlüsse an die Kessel und die Maschinen. Die übrigen Festpunkte müssen zweckmässig gewählt werden. Die freie Beweglichkeit des an zwei oder mehr Punkten festgelegten Rohrstranges kann nun auf zweierlei Art gesichert werden, entweder durch Ausbildung einzelner Teile der Rohrleitung zu elastischen Maschinenelementen und Konzentration der Formänderung auf diese Punkte oder durch Einschaltung von Stopfbüchsen- bezw. Drehflanschenkonstruktionen. Fig. 16 stellen eine Reihe verschiedener Ausgleichsmöglichkeiten dar, und zwar gehören die Fig. 13 der Gruppe der federnden, Fig. 46 der Gruppe der gleitenden Ausgleiche an. Bei längeren und schwereren Rohrleitungen würde das Eigengewicht erhebliche Biegungsbeanspruchungen hervorrufen, was zur Ueberlastung der Schrauben und Durchlassen (Blasen) der Dichtungen Veranlassung geben könnte. Es ist daher notwendig, die Leitungen in bestimmten Abständen zu unterstützen. Die Unterstützungen dürfen die freie Beweglichkeit der Rohre in der Längsachse nicht hindern. Fig. 7 zeigt eine Unterstützung für wagerecht geführte Rohre. Damit das Rohr an der Auflagerstelle nicht von der Isolierung entblösst zu werden braucht, wird es mit einer entsprechend ausgebildeten Schelle versehen, deren Auflagerfläche auf der Unterstützungsrolle ruht. Fig. 8 veranschaulicht eine Ausführungsform für senkrechte (Schacht) Leitungen: Mit Hilfe der gusseisernen Schelle führt sich das Rohr am Flansche des senkrechten ⌶ Eisens. In vielen Fällen wird sich die Elastizität der sowieso vorhandenen Krümmer für den Ausgleich nutzbar machen lassen, bezw. es wird möglich sein, diese Bogenstücke so zu bemessen, dass sie als Ausgleicher dienen können. Sind nach Fig. 9 die Enden der Leitung als Festpunkte gedacht, so kann der Krümmer folgende Formänderung aufnehmen: Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 1. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 2. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 3. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 4. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 5a. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 5b. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 6. Es seien: L und l die Längen der Schenkel, t1t2 der die Ausdehnung hervorrufende Temperaturunterschied, D der äussere Rohrdurchmesser, d die Lichtweite der Rohre und f der Wärmeausdehnungskoeffizient, so beträgt die Längenänderung von L: ΔL = L . f . (t1t2) ΔL tritt als Durchbiegung des Teiles l auf und ruft eine grösste Biegungsanstrengung σ hervor: \Delta\,L=\frac{\alpha}{J}\cdot \frac{P}{3}\,l^3 nun ist P\cdot l=\frac{J}{e}\cdot \sigma mithin \Delta\,L=\frac{\alpha\cdot J\cdot \sigma\cdot l^2}{J\,3\cdot l} \sigma=\frac{3\cdot \Delta\,L}{\alpha\cdot l^2} σ ist die Zusatzspannung zu der bereits infolge der inneren Pressung vorhandenen Spannung. Beispiel:        L = 10,00 m         l = 2,00 m t1– t2= 300° C Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 7. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 8. Textabbildung Bd. 321, S. 660 Fig. 9. D = 100 mm f=\frac{1}{90000} \alpha=\frac{1}{2200000} (Flusstahl) Die Ausdehnung von L ergibt sich zu: \Delta\,L=\frac{1000\cdot 300}{90000}=3,33\mbox{ cm}. Dieselbe erzeugt eine grösste Biegungsanstrengung im Rohre l: \sigma=\frac{3\cdot 3,33\cdot 2206000}{40000}=\sim\,2200kg/qcm, was mit Rücksicht auf die Nachgiebigkeit der Flanschenverbindungen als nicht zu hoch erscheint. Dass es unstatthaft wäre ein gerades Rohr von selbst nur massiger Länge an beiden Enden fest zu legen, geht aus folgender Rechnung hervor: Für L = 4,00 m würde bei einem Temperaturunterschied t1 – t2 = 300° die Ausdehnung \Delta\,A=\frac{400\cdot 300}{90000}=1,33\mbox{ cm} betragen. Bei einer Lichtweite des Rohres = 100 mm und 5 mm Wandstärke könnte das Rohr eine Knickbelastung P=\frac{P_K}{S}=\pi^2\,\frac{J}{\alpha\cdot L^2\cdot S}=\frac{9,87\cdot 2200000\cdot 168,8}{160000\cdot 5}=4580\mbox{ kg} ertragen, eine fünffache Sicherheit vorausgesetzt. Diese Belastung P würde aber erst eine Zusammendrückung ΔL = δ . L . α = 0,06 cm verursachen. Es erhellt also, dass eine Verlängerung des Rohres um 1,33 cm eine bedeutende Ausknickung hervorrufen würde, die bei schmiedeeisernen Rohren zu unzulässigen Spannungen, bei Gussrohren aber zum Bruch der Flanschen führen müsste. Wo die natürliche Elastizität der vorhandenen Winkelrohre und Krümmer nicht zum Ausgleich der Wärmeausdehnungen genügt, müssen besondere Ausgleicher an geeigneter Stelle in den Rohrstrang eingeschaltet werden. Wie bereits eingangs erwähnt, handelt es sich im Grunde um zwei Konstruktionsprinzipien, um federnde und gleitende Ausgleicher. a) Federnde Ausgleicher. Von den federnden Ausgleichern sind fast ausschliesslich Rohrbögen verschiedener Form (Fig. 13) im Betriebe, während sich die tellerförmigen und membranartigen Konstruktionen nicht eingeführt haben. Vorausgesetzt, dass sie nicht überlastet werden, gewähren die Rohrbögen eine hohe Betriebssicherheit vermöge ihrer einfachen Konstruktion, die nur eine Verlängerung der Rohrleitung darstellt. Als Nachteil wäre der bedeutende Raumbedarf anzuführen, der sich bei beengten Verhältnissen sehr unangenehm bemerkbar macht, und die nicht unerhebliche Verlängerung des Dampfweges, also erhöhte Wärmeabgabe, zumal wenn von der Umhüllung der Rohrschleife Abstand genommen wird. Nicht unwesentlich ist die achsiale Beanspruchung des Rohrstranges durch diejenige Kraft (P), die infolge der Durchbiegung des Rohrbogens unter dem Einfluss der Wärmeausdehnungen auftritt. Zu einer einfachen Berechnung der Rohrschleifen gelangt man auf Grund folgender Betrachtungen: Ist δ die Durchbiegung der halben Schleife infolge der Ausdehnung des Rohrstranges, P die hierdurch hervorgerufene achsiale Belastung des Stranges, X die Entfernung eines beliebigen Punktes von der Kraftrichtung, M das Biegungsmoment für diesen Punkt, J das Trägheitsmoment des auf die ganze Länge gleichmässigen Querschnitts, bezogen auf die Biegungsachse, L die Länge der halben Schleife, σ die grösste Biegungsspannung und α der Dehnungskoeffizient, so ist die Winkeländerung zweier um dl von einander entfernter Querschnitte: d\,\varphi=\frac{M\cdot \alpha}{J}\,d\,l (nach d. Hütte). Dieser Winkeländerung entspricht eine Verschiebung des Endpunktes der Schleife in Richtung der Kraft um x . dϕ, wobei die Bewegung senkrecht zur Kraftrichtung unberücksichtigt bleibt, und eine Gesamtverschiebung: \delta=\int_0^L\,x\cdot d\,\varphi=\frac{\alpha}{J}\,\int_0^L\,M\cdot x\cdot d\,l. Da nun M = P . x ist, ergibt sich \delta=\frac{\alpha\cdot P}{J}\,\int_0^L\,x^2\cdot d\,l. Das Integral \int_0^L\,x^2\cdot d\,l ist das Trägheitsmoment der Kurve L, bezogen auf die Kraftrichtung = T gesetzt also \delta=\frac{\alpha\cdot P}{J}\cdot T. M. WestphalVergl. Zeitschr. d. Vereins deutscher Ingen. 1885 Seite 726: „Durchbiegung einer ebenen, beliebig gekrümmten Feder“. M. Westphal. hat eine graphische Methode angegeben, mit deren Hilfe der Wert T für beliebige Kurven leicht ermittelt werden kann. Trägt man (Fig. 10) die abgewickelte Länge L der Schleife als Gerade und dazu die Abstände x einer Anzahl Punkte als Ordinaten auf, so ist das Schwerpunktsmoment der gebildeten Fläche in bezug auf die Linie A-C=\frac{T}{2}. Denn: \int_0^L\,\frac{x}{2}\,(x\cdot d\,l)=\frac{T}{2} Textabbildung Bd. 321, S. 661 Fig. 10. Diesem Moment wird das Gleichgewicht gehalten durch das Moment des Rechtecks mit der Höhe x0 auf der anderen Seite. Danach ergibt sich: L\cdot x_0\cdot \frac{x_0}{2}=\int_0^L\,\frac{x}{2}\cdot x\cdot d\,s=\frac{T}{2} oder T = L . x02. x0 lässt sich leicht ermitteln, indem man die Figur aus Kartonpapier ausschneidet mit zunächst reichlich bemessener Höhe des Rechtecks und nun so lange Streifen parallel zur Kante AC abschneidet, bis die Figur auf dieser Kante balanziert. Die gesamte Federung der Schleife beträgt 2\,\delta=\frac{2\cdot P\cdot a}{J}\cdot T. Das grösste Biegungsmoment ist P\cdot a=\frac{J\cdot \sigma}{\frac{d}{2}}. Mithin 2\,\delta=\frac{4\,\sigma\cdot \alpha\cdot T}{d\cdot a} (Schluss folgt.)