Titel: Physikalisch metallurgische Rundschau.
Autor: E. Rasch
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 692
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Physikalisch metallurgische Rundschau. Von E. Rasch. Physikalisch metallurgische Rundschau. 1. Stickstoff im Eisen. Man erinnert sich vielleicht, dass vor mehreren Jahren verschiedentlich Vorschläge auftauchten und erörtert wurden, die darauf ausliefen, den Stickstoff atmosphärischer Luft durch Ueberleiten über glühendes Eisen chemisch zu binden, kurzum den Stickstoff der Atmosphäre auf diese Weise und im grossen Masstabe in chemisch gebundener Form zu gewinnen. Das Eisen sollte als Katalysator wirken. In der Tat liess sich in den nach diesem Verfahren behandelten Gasen die Bildung von Stickstoffverbindungen nachweisen. Die Verfahren zeigten jedoch nach kurzer Zeit eine wachsende Ermüdung und schliesslich völlige Erschöpfung. Offensichtlich rührte dieser Stickstoff vom Eisen her, das – wie Hjaimar Braune nachgewiesen hat – nicht unerhebliche Mengen Stickstoff gelöst halten kann. BrauneUeber Cyankalium und Stickstoffreaktionen bei dem Hochofenprozess. „Teknisk Tidskrift“, 1903. ist dieser Frage von einem wesentlich anderen Gesichtspunkt aus näher getreten. Er hatte in verschiedenen schwedischen Hochofenbetrieben die Beobachtung gemacht, dass trotz Verhüttung eines guten Ausgangsmaterials zeitweilig ohne erkennbare Ursache ein minderwertiges Roheisen erschmolzen und ein sprödes Fertigfabrikat erzielt wurde, und dass in diesen Fällen das Auftreten von Cyankalium im Gestelle festgestellt werden konnte. Braune hat sodann durch verdienstvolle, bis in das Jahr 1901 zurückreichende Arbeiten den Einfluss des Stickstoffes auf Eisen systematisch verfolgt und nachgewiesen, „dass bei jedem metallurgischen Prozess, bei welchem unter hoher Hitze und basischer Schlacke Stickstoff und Kohlenstoff auf ein reaktionsfähiges Eisen einzuwirken Gelegenheit haben, eine Aufnahme von Stickstoff festzustellen ist“. Braune hat schliesslich Stickstoffeisen laboratoriumsmässig durch wiederholte Glühungen in trockenem Ammoniak bei 800° C und darauffolgendes Ausglühen erzeugt und das Bestehen eines Eisennitrids wahrscheinlich gemacht.Revue de Métallurgie II, S. 497 (1906). Letzteres ist im Ferrit (reinen Eisen) unter Bildung von Mischkristallen löslich, im Cementit (Eisencarbid) dagegen unlöslich. Erinnert mag hierbei werden, dass die Nitridbildung bei einigen Metallen, wie Lithium und Magnesium ausserordentlich energisch unter Licht und Wärmeentwickelung erfolgt, etwa nach der Gleichung 3Mg + N2 = Mg3N2, und dass auch das Bor und Silicium sowie einige Carbide (Frank-Erlweinscher Kalkstickstoff, Bindung des atmosphärischen Stickstoffes)s. Dingl. polyt. Journal S. 428 d. Bd. sich in der Hitze mit Stickstoff ziemlich stürmisch verbinden. Nach Braune erhöht N im Eisen die Festigkeit und setzt die Dehnung sprungweise unter gleichzeitiger Aenderung des Kleingefüges herab. Ein Stickstoffgehalt von 0,03 v. H. soll beispielsweise hinreichen, um eine erhebliche Verschlechterung der Stahlqualität im Gefolge zu haben. Der elektrische Widerstand betrug an einem Drahtmaterial von 0,08 v. H. C bei 0,45 mm Durchmesser und N = 0,027 v. H. 10837 10 – 9 Ω/cm3 N = 0,267 v. H. 14340 nahm also um rd. 32 v. H. mit 0,24 v. H. N-Gehalt zu. Die magnetische Hysteresis nimmt mit wachsendem N-Gehalt gleichfalls zu; die magnetische Sättigung wird vermindert. Die Frage über den Einfluss des Stickstoffes auf die physikalisch-technologischen Eigenschaften des Stahles bedarf jedoch wohl noch der Klärung und weiterer Untersuchungen, die von Braune in Aussicht gestellt sind. In seiner Dissertation„Ueber eine schnelle Methode für die Bestimmung des Stickstoffgehaltes in Eisen und Stahl“. Jnauguraldissertation Basel, 1905. hat Braune eine schnelle Methode zur analytischen Ermittelung des Stickstoffes im Stahl angegeben. Der N-Gehalt wird in ammoniakalischem Destillat mit Hilfe von Nesslerschem Reagenz kolorimetrisch bestimmt. Die charakteristische Braunfärbung ist noch bei einem Gehalt von 0,00005 mgr/ccm sichtbar. Die kolorimetrische Einstellung erfolgt in einer geschwärzten Kamera gegen eine weisse Fläche in tarierten Büretten gleichen Durchmessers. Als Vergleichsflüssigkeit dient eine Salmiaklösung von 0,038147 gr Salmiak in 1 Liter Wasser. Ein ccm dieser Normallösung entspricht 0,01 mgr Stickstoff. 2. Das Sättigungsvermögen des Eisens für Kohlenstoff unter dem Einfluss des Phosphors. Nach älteren Versuchen von SteadJournal of the Iron and Steel Justitute. 1900. II. S. 109. mindert die Anwesentheit von Phosphor das Lösungsvermögen des Eisens für Kohlenstoff erheblich herab, bis bei einem P-Gehalt von 15,8 v. H. – entsprechend einem in Eisen löslichen Eisenphosphid Fe3P – die Aufnahmefähigheit des Eisens für C praktisch gleich Null wird. (Siehe Tab. 1.) Tabelle 1. Löslichkeit des Kohlenstoffes in Phosphoreisen nach Stead. P-Zusatzv. H. C-Gehaltv. H. 4,15   4,10 3,25   7,82 2,00   13,00 0,70 16,2 Durch eine neuere Untersuchung von FettweisMetallurgie, 1906 Bd. 3 S. 60. ff. werden die Steadschen Angaben im grossen und wesentlichen gut bestätigt, wie Fig. 1 erkennen lässt. Berechnet man aus den von Fettweis ermittelten Zahlen den Quotienten \frac{\Delta\,C}{\Delta\,P} (C = gelöster Kohlenstoff; P = Phosphorgehalt in v. H.) so erkennt man (Spalte 4 u. 5 Tab. 2), dass dieser praktisch konstant ist, wie auch die graphische Darstellung Fig. 1 lehrt. Das heisst also, der Gehalt an gelöstem Kohlenstoff nimmt linear mit dem Phosphorgehalt und zwar um rd. 0,25 v. H. C für 1 v. H. P ab. Tabelle 2. Löslichkeit des Kohlenstoffes in Phosphoreisen nach Fettweis. No. Phosphor-gehalt Pv. H. GelösterKohlenst.Cv. H. \frac{C}{P_0-P}\,\sim\,\mbox{konst} \frac{\Delta\,C}{\Delta\,P} Bemerkung 1   0,02 4,26 0,27 2   1,90 3,92 0,28 – 0,18 P0 = 15,8 v. H. 3   3,53 3,58 0,29 – 0,21 4   6,02 3,08 0,31 – 0,20 (EisenphosphidFe3P) 5   7,65 2,63 0,32 – 0,28 6   9,65 1,91 0,31 – 0,36 7 11,34 1,26 0,28 – 0,38 8 13,51 0,69 0,30 – 0,26 9 14,45 0,55 0,41 – 0,15 Textabbildung Bd. 321, S. 692 Fig. 1. Fettweis; Stead 3. Das Erstarrungsdiagramm der Mangan-Eisenlegierungen. Der Schmelzpunkt des Mangans liegt nach Heraus (1902) bei 1245° C. Aus Untersuchungen von M. Levin und G. TammannZeitschr. f. anorg. Chemie. Bd. 47. (1). S. 136.-Göttingen folgt, für Eisen, dessen Mangangehalt in den praktisch interessierenden Grenzen von Mn = 0 bis Mn = 40 v. H. liegt, dass die Erniedrigung des Erstarrungspunktes (E) dem Mangangehalt (p v. H.) annähernd proportional ist. Aus den genannten Versuchen berechnet sich etwa \frac{d\,E}{d\,p_{Mn}}=-49 bis 50\,\left(\frac{\mbox{Grad Celsius}}{\mbox{Mangan v. H.}}\right) wobei also \frac{d\,E}{d\,p}=\mbox{tg}\,\alpha (der Differentialquotient der ϕ (E, p) Funktion) die Neigung der Erstarrungspunktskurve (hier einer Geraden) gegen die pMn-Abscissenachse darstellt. Zur Anwendung kam ein Flusseisen mit 0,26 v. H. Gesamt Verunreinigungen. Der Erstarrungspunkt des reinen Eisens ist zu etwa 1550°C angenommen. Die magnetische Permeabilität nimmt mit steigendem Mn-Gehalt ab. 4. Die spezifische Wärme des reinen Eisens bei hohen Temperaturen. Praktisch beachtlich wird beispielsweise die spezifische Wärme des Eisens bei dem Krautschneiderschen elektrischen Härteverfahren (Gebr. Körting), da für den Energieverbrauch des durch einen durchfliessenden elektrischen Strom direkt erhitzten Schmelzbades die Wärmemenge mit bestimmend ist, die zur Erhitzung eines eingebrachten kg Stahles auf die Härtetemperatur erforderlich ist. Aehnliches gilt auch für die elektrische Stahlerzeugung. Von neueren Untersuchungen sind die von Piouschon (1886) und J. A. HarkerPhil. Magazine, 1905, S. 430. bis zu hohen Temperaturen fortgesetzt und gut übereinstimmend (s. Tab. 3). In Tab. 3 ist unter Qt0 diejenige Wärmemenge in Kalorien verzeichnet, die ein Gramm Eisen bei der Abkühlung von der Temperatur t auf t = 0 abgibt. Das untersuchte, von Hadfield herrührende, Eisen besass Kohlenstoff 0,01 v. H. Silicium 0,02 Schwefel 0,03 Phosphor 0,04 Mangan Spuren. Tabelle 3. Tempe-ratur Wärmemenge Qt0 in \frac{\mbox{cal}}{\mbox{gr}} Piouschons Versuche HarkersVersuche Formel korrigiert   200   23,5   23,5    23,5   300   36,8   36,8 37   400   51,6   51,6    51,3   500   68,2   66,0    66,9   600   87,0   83,2    83,8   700 108,4 102,2 104,1   800 135,4 125,0 127,8   900 157,2 146,7 148,0 1000 179,0 166,0 155,7 1100 168,8 In Tab. 4 sind die spezifischen Wärmen O verzeichnet, d.h. diejenigen Werte, die für den Temperatursprung 0 bis zu benutzen sind. Tabelle 4. Mittlere spezifische Wärme Ct0des Eisens bei hohen Temperaturen. (Harker.) Temperatur SpezifischeWärme Ct0(zwischen 0 u. t°) t = 200 0,1175      250 0,1204      300 0,1233      350 0,1257      400 0,1282      450 0,1311      500 0,1338      550 0,1361      600 0,1396      650 0,1440      700 0,1487      750 0,1537      800 0,1597      850 0,1647      900 0,1644      950 0,1612   1000 0,1557   1050 0,1512   1100 0,1534 Zur Erhitzung von 1 kg Eisen von 0° C auf die Härtetemperatur von 850° C sind den Harkerschen Werten zufolge erforderlich 0,1382 Kg.-Cal., das sind 0,161 Watt stunden f. d. kg Eisen. Bei einer Erhitzungsdauer von fünf Minuten ergibt dies einen Stromaufwand von 1,93 Watt f. d. kg Eisen. F. Osmond und Ch. Fremont: Die technologischen Eigenschaften isolierter Eisenkristalle.Compt. rend. No. 6, 7. August 1905. p. 361. Die französischen Forscher gelangten in Besitz einer Eisenbahnschiene, die 15 Jahre lang als Armatur eines Ofens gedient hatte, eine starke Oxydkruste besass und nahezu kohlenstoffrei geworden war. Ebenso waren die sonstigen Verunreinigungen verschlackt und unter den hierfür günstigen Temperaturbedingungen hatten sich Kristalle des chemisch reinen Eisens gebildet. Aus den einzelnen Kristallen, die eine Grösse bis zu mehreren Kubikzentimetern erreichten, wurden nach den Flächen grösster Spaltbarkeit Prüfungsplatten hinreichender Grösse herausgeschnitten. Die Zugfestigkeit wurde parallel zu einer quaternären Kristallachse an einem Stäbchen mit 10 mm zylindrischer Versuchslänge und 8 mm Durchmesser ermittelt. Es wurde gefunden: Elastizitätsgrenze σE = 13–16 kg/qmm Streckgrenze (scharf ausgeprägt) σS = 16,5 Bruchfestigkeit (auf den ursprüng-    lichen Querschnitt bezogen) σB = 27,8 Kontraktion q = 85 v. H. Bei Druckversuchen an Prismen aus demselben Kristall ergab sich für die Elastizitätsgrenze: Druck parallel zu einer quaternären    Achse σE = 13,9 kg/qmm Druck parallel zu einer ternären Achse σE = 17,0 Auch bei den Druckversuchen zeigte sich in den Diagrammen die Streckgrenze scharf ausgeprägt. Härteversuche. Die Härte wurde nach der sogenannten Brinellschen Kugeldruckprobe, einer praktischen Anpassung an das Verfahren von Hertz, ermittelt. Auf die polierte Kristallfläche wurde eine gehärtete Stahlkugel von 5 mm Durchmesser mit P = 140 kg normal gepresst. Die Ergebnisse sind aus Tab. 5 ersichtlich. Tabelle 5. Härte reiner Eisenkristalle. P = 140 kg. Zustand derProbe Durchmesser d inmm der Eisendruck-fläche FlächendruckH=\frac{4\,P}{\pi\,d^2} in kg/qmm aufFlächep aufFlächeb1 aufFlächea1 aufFlächep aufFlächeb1 aufFlächea1 Bei sehr dunklerRotgluht (550 C°)angelassen 1,540 1,500 1,484 75 79 81 Bei heller Kirsch-rotglut (800 C°)angelassen 1,642 1,602 1,533 66 69 76 Beachtlich ist es, dass die Umrissfigur der Kugel-Eindrücke nicht – wie bei isotropen Materialien – genau kreisrund waren, sondern sich auf den Flächen p und b, einem Achteck, auf der Fläche a1 einem Sechseck nähern, da die Spaltflächen der Kristalle offensichtlich Flächen geringster Härte darstellen. Es erhellt aus diesen Versuchen in Uebereinstimmung mit Biegeversuchen der Verfasser, dass die Sprödigkeit bei Beanspruchung in Richtung der Kristallflächen sehr gross ist, während in der Richtung normal zu den Spaltflächen die Plastizität eine erhebliche ist, dass somit die Widerstandsfähigkeit in erheblichem Masse von der Richtung der äusseren Kräfte zu den natürlichen Kristallflächen abhängt.Osmond u. G. Cartaud sind in neueren Arbeiten bestrebt, die Metallographie auf eine breitere wissenschaftliche Basis zu stellen und vom Standpunkte der hierbei bislang weniger beachteten geometrischen Kristallographie zu studieren. Sie bedienen sich hierbei einer von ihnen ausgearbeiteten Methode, bei der durch Punktieren der Kristallflächen mit spitzen Nadeln das Erscheinen gewisser mikroskopischer Fliesserschliessungen „Silhouetten“ die Lage der Symmetrieachsen des Kristalles anzeigt. Siehe „Die Kristallographie des Eisens“. Metallurgie 1906, Seite 522; ferner Annales des Mines; vol. XVII p. 110 ff. 1900. Im letzten Grunde laufen Schlagbiegeversuche mit eingekerbten Proben darauf hinaus, über diese mehr oder minder ausgesprochene Spaltbarkeit der Materialien, die von dem Vorhandensein kristallinischer oder sonstiger Abschiebeflächen, Korngrösse und dergl. abhängig ist, summarischen Aufschluss zu geben. 6. Eine neue allotrope Modifikation des Kohlenstoffes hält W. G. MixterAmerican Journ. of Science. Juni 1906. durch die Tatsache für wahrscheinlich gemacht, dass die bei der Dissociation des Azetylens abgeschiedene Kohle, einen von anderen Modifikationen des Kohlenstoffes abweichende Heizwert besitzt. Von praktischem Interesse sind die von ihm ermittelten Verbrennungswärmen, die daher in Tab. 6 wiedergegeben sein mögen. Tabelle 7. Verbrennungswärme bezogen auf 12 gr Substanz. Holzkohle 96,960 Kal. 96,650 Zuckerkohle 96,500 Retortenkohle 96,568 Graphit 93,559 94,810 94,000 Diamant 93,240 94,310 Azetylenkohle 94,728 94,700 Mittel aus 6 Versuchen 94,745 4 Die Versuche scheinen mit grosser Sorgfalt und Beobachtung peinlicher Korrektionen ausgeführt, immerhin scheint es, dass der Autor den letzten Stellen seiner Zahlen (die auf fünf Stellen angegeben werden) einen übertriebenen Wert beimisst: Die Einzelwerte weichen bereits in der zweiten und dritten Stelle von einander ab.