Titel: Graphodynamische Untersuchung einer Heusinger-Joy-Steuerung.
Autor: Eduard Dafinger
Fundstelle: Band 322, Jahrgang 1907, S. 97
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Graphodynamische Untersuchung einer Heusinger-Joy-Steuerung. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Bewegungsverhältnisse der Steuerungsgetriebe. Von Dipl.-Ing. Eduard Dafinger, München. (Fortsetzung von S. 83 d. Bd.) Graphodynamische Untersuchung einer Heusinger-Joy-Steuerung. Fig. 4. Gegeben ist die Geschwindigkeit des Punktes B; gesucht werden die Geschwindigkeiten der Punkte C und E. Punkt E liegt auf der geometrischen Verbindungslinie von B mit C. Zuerst ist der Pol des bewegten Systems BEC aufzusuchen. Der Polstrahl von B ist schon aus Fig. 3 bekannt und der von C ist der Hebel CD selbst. Der Schnittpunkt P dieser beiden Polstrahlen ist der gesuchte Pol, der mit E verbunden wird. PE ist dann der Polstrahl von E. Man zieht durch den Endpunkt B' der lotrechten Geschwindigkeit von B, eine Parallele zu BC, und diese wird auf PE und PC die lotrechten Geschwindigkeiten EE' und CC' abschneiden. Diese Geschwindigkeiten werden senkrecht zu ihren Polstrahlen so angetragen, daß sie dem durch Bv gegebenen Drehsinn des Systems um P entsprechen. Textabbildung Bd. 322, S. 97 Fig. 4. Bei richtiger Durchführung der Konstruktion müssen die Endpunkte von Bv, Ev und Cv auf einer Geraden liegen, die durch den Endpunkt von Ev im selben Verhältnis geteilt wird wie CB durch den Punkt E. Umgekehrt könnte auch diese Kontrolle zur Aufsuchung von Ev bei gegebenem Bv und schon bestimmten Cv benutzt werden. Fig. 5. Gegeben ist die Geschwindigkeit des Punktes E; gesucht wird die Geschwindigkeit des Punktes F. Der Hebel FG dreht sich um den festen Punkt G. Der Pol des Systems EF ist der Schnittpunkt der beiden Polstrahlen von E und F. Ersterer ist schon aus Fig. 4 bekannt und der letztere kann nur FG selbst sein. EE' ist die lotrechte Geschwindigkeit von E. Durch ihren Endpunkt E' wird eine zu EF parallele Gerade gezogen, die den Polstrahl von F in F' schneidet. FF' ist dann die lotrechte Geschwindigkeit des Punktes F, die um 90° so verdreht werden muß, daß. sie mit Ev den gleichen Drehsinn des Systems EF um P ergibt. Fv ist der Größe und Richtung nach die gesuchte Geschwindigkeit des Punktes F. Die weiteren Steuerungsteile (s. Fig. 1), bestehend aus der Hängestange KI, der Schubstange IL, der Mitnehmerstange NO, dem Voreilhebel MN und schließlich der Schieberstange mit Schieber stellen ein Getriebe vor, bei welchem ein doppelter Bewegungsantrieb stattfindet; nämlich der Antrieb, der durch den mit dem Kreuzkopf fest verbundenen Punkte O erfolgt und der Antrieb, der dem Getriebe durch die Kulisse erteilt wird. Nach Grove (Handbuch für spezielle Eisenbahntechnik von Heusinger, II. Auflage, Bd. 3, S. 612) kann man die Bestimmung der Geschwindigkeiten hier in der Weise lösen, daß man jede Bewegung für sich selbst behandelt. Man denke sich vorerst eine der Bewegungen ausgeschaltet, z.B. den Punkt O festgehalten und bestimmt die Geschwindigkeiten der Steuerungsteile, die von der Bewegung der Kulisse herrühren. Hernach denke man sich die Kulisse festgehalten und bestimmt die Geschwindigkeiten im Getriebe, die von dem Antrieb, der durch den Kreuzkopf erfolgt, herrühren. Textabbildung Bd. 322, S. 97 Fig. 5. Dadurch erhält man an jedem Punkte zwei Geschwindigkeiten, deren Resultierende die Geschwindigkeit des betreffenden Punktes ist für den Fall, dass beide Bewegungen gleichzeitig erfolgen.Diese Zerlegung in zwei Bewegungen, die dann wieder die Zusammensetzung aller betreffenden Geschwindigkeiten aus je zwei Komponenten erfordert, kann vermieden werden und zwar in der Weise, daß man die lotrechte Geschwindigkeit von L als Schnittpunkt von zwei geometrischen Oertern bestimmt.Betrachtet man zuerst das Getriebe KIHTG; für sich, so ist in demselben nur die lotrechte Geschwindigkeit TT' von T gegeben. Bekanntlich ist dann der geometrische Ort für die lotrechte Geschwindigkeit von L eine Gerade, deren Bestimmung in der Weise erfolgt, dass auf dem bekannten Polstrahl IK zwei vorläufige beliebige Pole der Stange IL angenommen werden. Für jeden dieser vorläufigen Pole kann eine lotrechte Geschwindigkeit von L bestimmt werden. Die Verbindungslinie der Endpunkte dieser so erhaltenen lotrechten Geschwindigkeiten ist ein geometrischer Ort für die wirkliche lotrechte Geschwindigkeit LL' von L. Dieselbe Konstruktion kann auch bei dem Getriebe ONM angewendet werden, bei welchem die lotrechte Geschwindigkeit von O gegeben ist. Dadurch wird ein weiterer geometrischer Ort für die lotrechte Geschwindigkeit von L erhalten. Mit der Bestimmung der lotrechten Geschwindigkeit von L ist auch der Polstrahl von L gegeben und die Konstruktion der Geschwindigkeiten der übrigen Gelenkpunkte bietet keine Schwierigkeiten mehr. Im Gegensatz zum ersten Teil des ganzen Steuerungsgetriebes, umfassend die Stangen BC, CD, EF und die Kulisse, bei dem von der Kurbel ausgehend die Bewegung jedes Teiles einzeln in einer Figur bestimmt wurde, wird es hier bei dem zweiten Teil des Getriebes, umfassend die Stangen KI, IL, MN, NO und die Schieberstange mit Schieber, nötig, wegen der Aufsuchung der verschiedenen Polstrahlen die sämtlichen Stangen auf einmal zu behandeln. Fig. 6. Gegeben ist die Geschwindigkeit Fv des Hebels, der die Kulisse bewegt. Es sollen die Geschwindigkeiten der Punkte H, I, L, M und N gesucht werden unter der vorläufigen Annahme, daß der Kreuzkopfpunkt O sich in Ruhe befindet, also zum festen Punkt wird, um den sich die Mitnehmerstange NO dreht. Außer diesem Hebel und der um K drehbaren Aufhängestange KI sind noch die bewegten Systeme IHL und MLN vorhanden, deren Pole P2 und P1 sich wie folgt bestimmen. Der Pol der Stange MN ist P1 als der Schnittpunkt des Polstrahles von N, das ist NO, und des Polstrahls von N, das ist das Lot in M auf der Bahn des gerade geführten Punktes M. P1 mit L verbunden gibt P1L als den Polstrahl des Punktes L, der dem System MN angehört. Von dem System IHL sind die beiden Polstrahlen von I und L bekannt. Ersterer ist KI und letzterer die oben gefundene Linie P1L. P2 ist der Schnittpunkt dieser beiden Polstrahlen und somit der Pol des bewegten Systems IHL. P2 wird dazu benutzt, um den Polstrahl von H anzugeben; doch bringt die Getriebeanordnung es mit sich, daß P2 sehr weit hinausfällt. Man bestimmt deshalb P2H in der Weise, daß man eine zu IL parallele Gerade zwischen den Polstrahlen IP2 und LP2 im gleichen Verhältnis teilt, in welchem der Punkt H die Stange IL teilt. Die Verbindungslinie dieses Teilpunktes mit H ist dann der gesuchte Polstrahl von H. Textabbildung Bd. 322, S. 98 Fig. 6. Bei der Bestimmung der Geschwindigkeiten wird zuerst die Geschwindigkeit des Steines H gesucht. Der Punkt H erhält seine Bewegung von der Kulisse; er wird i sich also mit ihr und – da er frei beweglich in derselben gleiten kann – auch auf ihr bewegen. Gemäß der ersteren Bewegung sei seine Geschwindigkeit Hv' und gemäß der letzteren H''v. H'v ist leicht zu bestimmen, da Fv bekannt und H'_v=F_v\cdot \frac{G\,H}{G\,F}, wobei unter GH nicht der Kulissenbogen, sondern die Sehne zu verstehen ist. H'v muß senkrecht auf GH stehen und mit Fv im gleichen Sinne um G drehen. Die! Geschwindigkeit H''v ist ihrer Größe nach noch unbekannt. Man kennt nur ihre Richtung, das ist die Tangente an die Kulissenkrümmung im Punkte H. Wird im Endpunkte von H'v eine parallele Gerade zu dieser Tangente gezogen, so erhält man einen geometrischen Ort für Hv', die Geschwindigkeit von H. Ferner ist auch noch die Richtung von Hv' bekannt; denn diese Geschwindigkeit muß senkrecht auf dem Polstrahl P2H stehen. Auf dieser Richtung von Hv' schneidet der oben erwähnte geometrische Ort die Geschwindigkeit Hv' der Grösse und der Richtung nach ab. HH' = Hv' auf dem Polstrahl P2H abgetragen ist die lotrechte Geschwindigkeit des Punktes H. Eine durch H' zu IL gezogene Parallele schneidet auf den Polstrahlen von I und L die lotrechten Geschwindigkeiten II' und LL' der Punkte I und L ab. Diese werden senkrecht zu den Polstrahlen so angetragen, daß sie der durch Hv' gegebenen Drehrichtung des Systems IL um den Pol P2 entsprechen. Durch L' wird ferner eine parallele Gerade zu MN gezogen, die auf MP1 und NP1 die lotrechten Geschwindigkeiten MM' und NN' abschneidet. Diese letzteren senkrecht zu ihren Polstrahlen und unter Berücksichtigung des durch Lv' gegebenen Drehsinn des Systems MN um P1 eingetragen, geben die gesuchten Geschwindigkeiten Mv' und Nv'. Textabbildung Bd. 322, S. 98 Fig. 7. Fig. 7. Die in Fig. 6 betätigte Aufsuchung der Geschwindigkeit Hv' kann auch noch in anderer Weise geschehen. Man ersetzt die Kulisse durch ein Glied HT, welches im Krümmungsmittelpunkt T der Kulisse mit dem Gliede FGT und in H mit dem Gliede IL drehbar verbunden ist. Dadurch ist der Punkt H gezwungen, genau dieselbe Bewegung auszuführen, als ob er durch die Kulisse geführt würde. Die Geschwindigkeit Tv des nunmehrigen Gelenkpunktes T ist senkrecht auf GT und bestimmt sich ihrer Größe nach aus der Gleichung: T_v=F_v\cdot \frac{G\,T}{G\,F}, Der Polstrahl von T ist der um G drehbare Hebel GT und der Polstrahl von H ist schon aus, Fig. 6 bekannt. Wird Tv auf GT abgetragen, so hat man in TT' die lotrechte Geschwindigkeit von T, durch deren Endpunkt T' eine zu TH parallele Gerade gezogen wird. Diese schneidet auf dem Polstrahl von H die lotrechte Geschwindigkeit HH' ab. Die übrigen Geschwindigkeiten Iv', Lv', Mv' und Nv' werden wie in Fig. 6 gefunden. Die zuletzt durchgeführte Aufsuchung von Hv' ist umständlicher als die zuerst in Fig. 6 gegebene, da ein neues Hilfsgetriebe eingeschaltet werden muß. Sie ist hier vorzunehmen, da bei der späteren Bestimmung der Beschleunigungen die Einführung des Hilfsgetriebes nötig wird. Fig. 8. Gegeben ist die Geschwindigkeit des mit dem Kreuzkopf R fest verbundenen Punktes O. Es sollen die Geschwindigkeiten der Punkte I, H, L, M und N gesucht werden unter der Annahme, daß die dem Getriebe durch die Kulisse erteilte Bewegung = Null ist. Man denkt sich für einen Moment die Kulisse festgehalten und in O nur die Kreuzkopfbewegung eingeleitet. Bei Einführung des in Fig. 7 erläuterten Hilfsgetriebes würde dadurch T ein fester Punkt werden. Textabbildung Bd. 322, S. 99 Fig. 8. Textabbildung Bd. 322, S. 99 Fig. 8a. Die Pole der bewegten Systeme NLM und IHL bestimmen sich wie folgt. Der Punkt I dreht sich um K und der Punkt H um T; somit sind KI und TH die Polstrahlen von I und H. Der Pol P2 des Systems IHL ist dann der Schnittpunkt von KI mit TH, und P2L muss der Polstrahl des Punktes L sein. M wird als Punkt der Schieberstange gerade geführt; sein Polstrahl ist somit ein Lot in M auf der Bewegungsrichtung. Der Schnittpunkt dieses Lotes mit dem Polstrahl P2L gibt in P1 den Pol des bewegten Systems MLN. P1N ist dann der Polstrahl des Punktes N. Schließlich wäre noch der Polstrahl des Punktes O anzugeben, der ein Lot in O an der Kreuzkopfgleitbahn sein muss. Die Geschwindigkeit Ov = Rv ist bekannt und wird auf dem Polstrahl von O abgetragen. Durch den Endpunkt O' der lotrechten Geschwindigkeit OO' wird eine zu NO parallele Gerade gezogen, die auf P1N die lotrechte Geschwindigkeit NN' des Punktes N abschneidet. Zieht man ferner durch N' eine Parallele zu NM, so schneidet diese auf den Polstrahlen von L und M die lotrechten Geschwindigkeiten LL' und MM' der Punkte L und M ab. Eine weitere zu IL parallele Gerade durch L' würde auf IP2 und HP2 die lotrechten Geschwindigkeiten von I und H geben. Die Anordnung des Getriebes bringt es aber mit sich, daß diese Werte bei allen Kurbelstellungen so klein werden, daß eine rechnerische Bestimmung der graphischen vorzuziehen ist. Man berechnet Iv'' und Hv'' aus den Gleichungen I_{v''}=L_{v''}\cdot \frac{I\,P_2}{L\,P_2} und H_{v''}=L_{v''}\cdot \frac{H\,P_2}{L\,P_2}. Der Pol P2 ist stets zugänglich, weshalb die Werte von IP2, HP2 und LP2 aus der Zeichnung entnommen werden können. In Fig. 8a sind diese kleinen Geschwindigkeiten in hundertfacher Vergrößerung eingetragen, da sie in der Hauptfigur schwer erkennbar sind. Aus den lotrechten Geschwindigkeiten werden, wie in den vorhergegangenen Figuren, die gerichteten Geschwindigkeiten wieder durch Verdrehen der lotrechten um 90° gefunden. Die gesuchten Geschwindigkeiten der Punkte I, H, L, M und N sind dann Iv'', Hv'', Lv', Mv, und Nv. Textabbildung Bd. 322, S. 99 Fig. 9. Fig. 9. Die in Fig. 7 und 8 gefundenen Geschwindigkeiten der Gelenkpunkte I, H, L, M und N sind, wie oben dargelegt, nur Komponenten der wirklichen Geschwindigkeiten. In Fig. 9 sind diese Komponenten zu ihren Resultierenden zusammengesetzt, die dann ihrer Größe und Richtung nach die Geschwindigkeiten der betreffenden Punkte darstellen, wenn beide Antriebsbewegungen durch Kulisse und Kreuzkopf gleichzeitig erfolgen. Wegen der Kleinheit der Werte von Iv'' und Hv'' sind dieselben auch in der Fig. 9 zehnmal vergrößert eingezeichnet. Es ist Iv die Geschwindigkeit des Punktes I, Hv die Geschwindigkeit des Steins H, Lv die Geschwindigkeit des Punktes L, Mv die Geschwindigkeit des Punktes M und Nv die Geschwindigkeit des Punktes N. Damit wäre der erste Teil der Aufgabe gelöst. Auf Grund der obigen Erläuterungen ist es möglich, für jede beliebige Kurbelstellung die Geschwindigkeit von jedem Punkte des Steuerungsgetriebes anzugeben; d.h. ihre Größe und Richtung zu bestimmen, und somit Grundlagen zu gewinnen, auf denen die Beschleunigungen der Punkte und anschliessend die Trägheitskräfte der Getriebeteile aufgesucht werden können. (Fortsetzung folgt.)