Titel: | Die Trägheitskräfte einer Schubstange. |
Autor: | Max Ensslin |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 609 |
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Die Trägheitskräfte einer
Schubstange.
Von Dr.-Ing. Max
Ensslin-Stuttgart.
(Fortsetzung von S. 595 d. Bd.)
Die Trägheitskräfte einer Schubstange.
3. Die Stange unter dem
alteinigen Einfluß der Drehbeschleunigungen. (Fig. 6 S. 594.)
p'_4=\frac{x}{l}\cdot p_4.
In diesem Beschleunigungszustand verhält sich die Stange wie ein um B ungleichförmig rotierender Körper in einem Zeitpunkt,
da die Drehgeschwindigkeit Null ist. Wir ermitteln nunmehr die von den
Trägheitskräften auf A und B ausgeübten Drücke, die in Richtung der Drehbeschleunigung wirken und
dieser Beschleunigung entgegengesetzt sind (vergl. die Fig. 22 später). Zuerst der Druck R1 auf A. Nach dem D'Alembertschen Prinzip ist in bezug auf den Drehpunkt
B das Moment von dem negativ genommenen R1 dem Moment der
Trägheitskräfte im Gleichgewicht wobei die bekannte Gleichung gilt:
\frakfamily{M}=\Theta_B\cdot p_w,
d.h. Moment der äußeren Kraft = Moment der Trägheitskräfte =
Trägheitsmoment der Stange in bezug auf den Drehpunkt B
mal Winkelbeschleunigung. Dabei ist:
\frakfamily{M}=R_1\,l und p_w=\frac{p_4}{l}
so daß maro hat:
R_1\,l=\Theta_B\cdot \frac{p_4}{l},
woraus:
R_1=\Theta_B\cdot \frac{p_4}{l^2}
Würde man die Stangenmasse nach dem Schwerpunktsgesetz auf die Stangenenden
verteilen, so würde die in A gedachte Masse M. a/l infolge der Beschleunigung p4 die
Trägheitskraft
R'_1=M\cdot \frac{a}{l}\cdot p_4
äußern, das ist ein von dem soeben ermittelten verschiedener
Wert, und zwar ist letzterer größer. Es ist nützlich, den Unterschied auszudrücken;
er ist:
R'_1-R_1=M\cdot \frac{a}{l}\cdot p_4-\Theta_B\cdot \frac{p_4}{l^2}.
Wir beziehen nun das Trägheitsmoment 0B auf den Schwerpunkt nach dem
bekannten Reduktionssatz:
0
B
= 0
s
+ a
2
∙ M
und drücken gleichzeitig das Trägheitsmoment 0s mit Hilfe des
Trägheitshalbmessers k aus nach der
Definitionsgleichung
0s = k2 ∙ M,
setzen also:
0b =
k2
M + a2
M = M (k2
+ a2).
Damit wird der oben gesuchte Unterschied:
\begin{array}{rcl} R'_1-R_1&=&\left(M\,\frac{a}{l}-\Theta_B\cdot \frac{1}{l^2}\right)\cdot p_4\\ &=& \left(M\,\frac{a}{l}-M\,(k^2+a^2)\right)\,p_4\\
&=&\frac{M\cdot p_4}{l^2}\,(al-k^2-a^2)=\frac{M\,p_4}{l^2}\,[a\,(l-a)-k^2]\\ &=&\frac{M\,p_4}{l^2}\,(a\,b-k^2)\end{array}.
Man kann die tatsächlich von der Stange ausgeübte
Trägheitskraft R1 daher
auch wie folgt ausdrücken:
R_1=R'_1-\frac{M\cdot p_1}{l^2}\,(a\,b-k^2)
Textabbildung Bd. 322, S. 609
Fig. 8 und 9: B = Richtung der Drehbeschleunigung; Fig. 9: p1 p2 =
Beschleunigung; Fig. 9 a: p4 = Drehbeschleunigung um B.
Textabbildung Bd. 322, S. 610
Fig. 10.
Textabbildung Bd. 322, S. 610
Fig. 11.
Textabbildung Bd. 322, S. 610
Fig. 12.
Textabbildung Bd. 322, S. 610
Fig. 13.
Textabbildung Bd. 322, S. 610
Fig. 14.
Textabbildung Bd. 322, S. 610
Fig. 15.
Textabbildung Bd. 322, S. 610
Fig. 16.
=M\cdot \frac{a}{l}\cdot p_4-\frac{M\,p_4}{l^2}\,(a\,b-k^2).
Der auf B ausgeübte Druck R2 ist gleich der Gesamtträgheitskraft der
rotierend gedachten Stange vermindert um R1. Erstere ist nun:
Textabbildung Bd. 322, S. 611
Fig. 17.
Textabbildung Bd. 322, S. 611
Fig. 18.
Textabbildung Bd. 322, S. 611
Fig. 19.
Textabbildung Bd. 322, S. 611
Fig. 20.
Textabbildung Bd. 322, S. 611
Fig. 21.
\Sigma\,m\,p'_4=\Sigma\,m\cdot \frac{x}{l}\,p_4=\frac{p_4}{l}\,\Sigma\,m\,x=M\cdot \frac{a}{l}\cdot p_4
= Masse mal Schwerpunktsbeschleunigung. Somit wird der Druck
in B:
R_2=M\cdot \frac{a}{l}\cdot p_4-M\cdot \frac{a}{l}\,p_4+\frac{M\,p_4}{l^2}\,(ab-k^2)
R_2=\frac{M\cdot p_4}{l^2}\,(a\,b-k^2).
Die bei der ungleichförmigen Drehung um B auftretenden,
senkrecht zur Stange gerichteten Trägheitskräfte R1 und R2 in A und B sind demgemäß in Fig. 8 eingetragen. Man
erhält sie auch auf Grund folgender Regel:
Man denke sich die Stangenmasse nach dem Schwerpunktsgesetz auf die beiden
Stangenenden verteilt; dann treten bei einer Drehung um B die senkrecht auf der Stange stehenden Kräfte auf
in A M\cdot \frac{a}{l}\cdot p_4
entgegengesetzt der Beschleunigung wirkend und
in B M\cdot \frac{b}{l}\cdot 0=0.
Jetzt füge man noch ein Kräftepaar hinzu, das im Sinn
der Winkelbeschleunigung wirkt und das besteht aus den in A und B senkrecht auf der Stange stehenden
Kräften
\frac{M\,p_4}{l^2}\,(a\,b-k^2).
Die angegebenen Trägheitskräfte sind in Fig. 8 eingetragen.
Dieses Verfahren gilt allgemein für einen ungleichförmig rotierenden oder
schwingenden Körper, wenigstens sofern augenblicklich die Drehgeschwindigkeit 0
ist.
Sieht man von dem zuletzt genannten Kräftepaar ab, so wirkt dem vorhergehenden
zufolge die Stangenmasse gerade so, als ob sie nach dem Schwerpunktsgesetz auf die
Stangenenden A und B
verteilt wäre.
Betrachten wir jetzt die Stange wieder unter dem Einfluß der Gesamtbeschleunigung
oder was dasselbe ist, unter dem gleichzeitigen Einfluß der unter 1 bis 3
angegebenen Beschleunigungskomponenten, so erkennt man, daß die von der Stange
ausgeübten Trägheitskräfte auf folgende einfache Weise gefunden werden:
Man verteile die Stangenmasse nach dem Schwerpunktsgesetz auf die Entpunkte A und B, d.h., nach Mitte
Kurbelzapfen- und Kreuzkopfzapfenlager und berechne die Trägheitskraft dieser beiden
Massen nach der einfachen Gleichung: Kraft = Masse mal Beschleunigung. Diese
Trägheitskräfte sind der Beschleunigung in A und B entgegengesetzt an der Stange anzubringen. Dann füge
man ein Kräftepaar hinzu, bestehend aus den in A und
B senkrecht zur Stange stehenden Kräften
\frac{M\cdot p_4}{l^2}\,(a\,b-k^2)
das im Sinn der Winkelbeschleunigung \frac{p_4}{l} wirkt, k
ist der Trägheitshalbmesser der Schubstange in bezug auf den Schwerpunkt:
k^2=\frac{\Theta\,s}{M}.
Zur Durchführung dieser Rechnung braucht man nur die Beschleunigung des Kurbel- und
des Kreuzkopfzapfens zu kennen. Die Drehbeschleunigung p4 bezw. die Winkelbeschleunigung \frac{p_4}{l} findet
man nach Fig.
9a, indem man in A die Beschleunigung p2 des Punktes B anträgt und nach dem Parallelogrammsatz p3 zeichnet. Hierauf
wird p3 senkrecht zur
Stange und nach derselben zerlegt in die Komponenten p4 und p5; p4 ist die gesuchte Drehbeschleunigung.
Das hier abgeleitete Ergebnis deckt sich mit dem von Wittenbauer und Lorenz früher auf anderem
Wege gefundenen.
Es ist von Interesse, an Hand von Zahlenbeispielen zu sehen, welche Größe das vorhin
mehrfach erwähnte Kräftepaar im Vergleich zu den tatsächlichen Trägheitskräften
erlangt, m. a. Worten die Genauigkeit der Annahme zu prüfen, es könne die
Stangenmasse nach dem Schwerpunktsgesetz auf die beiden Stangenenden verteilt werden
und äußere dann die gleichen Trägheitskräfte, wie die Stange selbst. Um Grundlagen
für Zahlenwerte zu erhalten, wie sie an ausgeführten Maschinen tatsächlich
vorkommen, sind für eine größere Anzahl von Schubstangen verschiedenartigster
Konstruktion die Gewichte, Schwerpunkte und Trägheitsmomente durch Versuch bestimmt
worden, das Trägheitsmoment, indem man die Stange um das Kreuzkopfmittel schwingen
ließ und die Schwingungen z in einer Minute (vergl.
Tab. 1) zählte. Die auf Lokomotivtreibstangen bezüglichen Angaben sind auf meinen
Wunsch mit der Genehmigung des Herrn Oberbaurat Kittel
– Stuttgart von Herrn Regierungsbaumeister Dauner
– Eßlingen ermittelt worden, wofür ich auch hier meinen verbindlichen Dank
zum Ausdruck bringe. Die Zahlenwerte sind in nachstehender Tabelle 1 enthalten.
Textabbildung Bd. 322, S. 612
S=Schwerpunkt; O =
Schwingungsmittelpunkt.
Die in der Zusammenstellung aufgeführten Schubstangen sind in den Fig. 10–21
dargestellt.
Tabelle 1 (vergl. vorstehende Skizze).
Textabbildung Bd. 322, S. 612
a = äußere Stange, i = innere
Stange; Die eingeklammerten Zahlen sind auf Grund einer Schätzung von z bezw. l'
ermittelt; No.; Fig.; Art der Maschine; Umdr. in 1 min; Hub; Stangenläge l;
Schwerpunktsabstand von Mitte; Stangengewicht; Schwingungszahl in 1 Min.;
Reduzierte Pendellänge; Trägheitsmoment für Mitte Kreuzkopfzapfen;
Trägheitshalbmesser für den Schwerpunkt.
(Schluß folgt.)