Titel: | Moderne Gießwagen und Gießkrane für Stahlwerke. |
Autor: | C. Michenfelder |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 663 |
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Moderne Gießwagen und Gießkrane für
Stahlwerke.Nach einem Vortrage,
gehalten im Oberschi. Bezirksverein d. Vereines deutscher Ingenieure zu
Gleiwitz am 25. Mai
07.
Von Dipl.-Ing. C. Michenfelder.
Moderne Grieß wagen und Gießkrane für Stahlwerke.
Um das heutzutage im Bau und Betriebe von Stahlgießwagen und -kranen Erreichte
vollauf würdigen zu können, erscheint vorerst ein Rückblick auf die diesbezügl.
Zustände und Fortschritte früherer Zeiten angebracht, aus dem gleichzeitig die
einflußgebende Bedeutung der erwähnten Transportvorrichtungen für die Ausgestaltung
einer so hervorragenden Industriestätte, wie die der Stahlgewinnung, deutlich zu
erkennen sein wird.
Es liegt zwar in der Natur der Sache, daß schon im allgemeinen gerade die Technik,
mehr als irgend ein anderes Wissensgebiet, lehrreiche Beispiele gibt für die
fördernde Wechselwirkung zwischen dem Aufschwung eines Gebietes menschlicher
Betätigung einerseits und der Vervollkommnung der hierzu verwendeten Hilfsmittel
andererseits. In ganz bemerkenswertem Maße gilt dies jedoch von den
Erzeugungsstätten unseres hauptsächlichsten modernen Baustoffes, des Eisens,
insbesondere des Stahles, und von den in diesen verwendeten Hilfsvorrichtungen,
speziell denen zum Transport des flüssigen Materials.
Da die älteste Methode der Stahlerzeugung der verflossenen Jahrhunderte, das
Herdfrischen, wegen der notwendigen und ausschließlichen Verwendung eines
künstlichen und teueren Brennmateriales – der Holzkohle – nur in sehr kleinem
Maßstab (mit Roheiseneinsätzen von etwa 0,1 t) betrieben wurde, lag ein Bedürfnis
nach stattlichen Hebe- und Transportvorrichtungen damals nicht vor. Der
hauptsächlich zum Abheben der Triebherddeckel verwendete Auslegerdrehkran mit
feststehender Säule vermochte den Anforderungen der Stahlfabrikation auch dann noch
gerecht zu werden, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Puddelöfen mit der
billigeren Steinkohlenfeuerung in Aufnahme kamen, bei denen man mit dem
Einsatzgewicht auch nur bis auf wenige 100 kg hinaufging. Eine prinzipielle
Aenderung der Lastenbeförderung ist während der ganzen langen Zeit nicht
eingetreten: der erwähnte typische „Gießkran“ erfuhr nur einige
unwesentliche, konstruktive AbänderungenVergl.
Kammerer,
„Die Technik der Lastenförderung einst und jetzt“, S. 75 u.
ff..
Die Fabrikation des Stahles wie auch der Bau seiner Transportmaschinen steckten eben
noch in den Kinderschuhen, und keines vermochte dem anderen einen genügend kräftigen
Impuls zur Weiterentwicklung zu geben. Die zu einer solchen belebenden
Reaktionswirkung erforderliche Kraft äußerte sich jedoch in machtvoller Weise
Textabbildung Bd. 322, S. 663
Fig. 1.
durch die Einführung des im Jahre 1855 von Henry Bessemer in England erfundenen
Stahlgewinnungsverfahrens.
Sowohl die infolge der kraftvoll innigen Berührung der Oxydationsluft hierbei
zweckmäßig zulässigen bedeutenden Roheisenmassen als auch die kurze Dauer des ganzen
Prozesses – wenige Minuten gegen viele Stunden vordem – stellten bisher ungekannte
Anforderungen an die Maschinen zum Transport der flüssig erblasenen Stahlmengen an
deren nächste Verwendungsstätte in der Gießhalle.
Textabbildung Bd. 322, S. 664
Fig. 2.
Das Anwachsen der Lastgröße auf tausende von Kilogrammen, in Verbindung mit den durch
die Eigenart des Materials bedingten großen Fortschaffungsgeschwindigkeiten, ließen
den bisherigen Handbetrieb der Lastenbewegungen natürlich als wenig geeignet
erscheinen und rieten zur Anwendung des gleichfalls in den fünfziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts durch Armstroung verbesserten
Akkumulator - Druckwasserbetriebes.
Es bildete sich die Form der wiederum lange Zeit vorherrschenden sogen, hydraulischen
„Zentralkrane“ oder „Mittelkrane“ heraus, die, wie der Name
besagt, im Mittelpunkt des von den Konvertern und von den Gießformen besetzten
Kreises als feststehende Drehkrane aufgestellt waren. Fig.
1 zeigt schematisch die Anlage eines solchen älteren Bessemer-Werkes mit drei (gewöhnlich sogar nur zwei) am
äußeren Schwenkkreisumfang der Gießpfanne angeordneten Birnen, deren Charge mittels
des Kranes in die am übrigen Rand der meist kreisförmigen Gießgrube
aufgestellten Kokillen abgegossen wurde. Die in roher Weise – oft durch
Fallenlassen oder Behämmern der vergossenen Kokillen – gestrippten Blöcke wurden
sodann mit Hilfe besonderer Drehkrane auf der im Bilde angedeuteten Gleisbahn ins
Walzwerk bezw. zu den Wärmöfen befördert.
In ähnlicher Weise, wie bei diesen früheren Bessemer-Stahlwerksanlagen, also die begrenzte Arbeitsmöglichkeit eines
Drehkranes für die centrische Anordnung und für die beschränkte Ausdehnung des
ganzen Werkes bestimmend gewesen ist, hat die mit der Einführung des bei unseren
phosphorreichen Eisenerzen ungleich wichtigeren basischen Konverter-Verfahrens, des
Thomas-Verfahrens, – seit etwa 1880 – infolge der
zunehmenden Größe und Anzahl der Konverter sich ergebende Aufstellung der Birnen in
gerader Flucht eine grundsätzliche Aenderung der Gießvorrichtungen bewirken müssen.
Fig. 2 veranschaulicht eine neue Thomas - Anlage, aus der erkannt werden kann, wie die
bisherige kreisförmige Hauptbewegung der Pfanne einer geradlinigen weichen mußte,
was wiederum in Anbetracht der Größe des wagerechten Pfannenweges zu einer
laufwagenartigen Ausbildung dieser Transportmaschine führen mußte.
Diese fortab sinngemäß „Gießwagen“ genannten, wichtigen Hilfsmaschinen eines
modernen Thomas-Stahlwerks haben in der Zeit ihres
jetzt etwa viertelhundertjährigen Bestehens unter dem Einflüsse ständig gesteigerter
wirtschaftlicher Forderungen, reichlich gesammelter Betriebserfahrungen und vermöge
der vielseitigen Fortschritte der
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Fig. 3.
Technik mannigfache Wandlungen durchlebt, die sie – teils
unter prinzipieller, teils nur konstruktiver Abänderung – auf die heutige Höhe der
Vollkommenheit gehoben haben.
Die zuletzt erwähnte Notwendigkeit des Ueberganges von dem ortsfesten zum
ortsveränderlichen Typus forderte von dem neuen Gießwagen nicht nur außer den
bisherigen Bewegungsmöglichkeiten des Gießkübels (Heben, Schwenken, Radialverfahren
und Kippen) noch die weitere des Langfahrens mit dem Wagen, sondern dieser Uebergang
bedingte wegen der steten Zuleitung des elementaren Kraftmittels, des Preßwassers,
eine Freimachung des Wagens von der feststehenden Akkumulatorzentrale und mußte nach
dem damaligen Stande der Technik bezw. der Elektrotechnik notgedrungen zur Schaffung
eines in sich selbständigen, unabhängigen Gießwagens führen. Die hydraulische
Antriebskraft, deren Eignung zum sicheren Ueberwinden relativ großer Kräfte auf
kleinen Wegen, auch unter besonderer Berücksichtigung der im Stahlwerk vorliegenden
Verhältnisse, durchaus nicht verkannt werden soll, und die man deshalb auch bei dem
neuen Gießwagen nicht missen wollte, mußte nun aber auf dem letzteren selbst mittels
einer Preßpumpe erzeugt werden, für deren Antrieb damals ausschließlich die
Dampfmaschine in Frage kam.
So entstand zuerst der „dampf-hydraulische Gießwagen“, wie ihn die Fig. 3 zeigt, und zwar stellt die Abbildung den
ältesten, zu Anfang der 80 er Jahre für den Hörder
Bergwerks- und Hüttenverein (als Lizenznehmerin des Thomas- Patentes) gelieferten Gieß wagen dar.
Zur Erzeugung des Dampfes diente ein auf der Plattform des Wagens stehender
Heizröhrenkessel, durch den eine in das Gestell des Wagens eingebaute
Zwillingsdampfmaschine liegender Bauart mit direkt gekuppelter Zwillingspumpe für
das Hubwerk gespeist wurde. Während die Drehung der Dampfmaschinenkurbelwelle
vermittels einer Klauenkupplung durch Stirn- und Kegelräder einseitig auf das
Fahrwerk des Wagens übertragen wurde, drückte die Pumpe das Wasser aus einem unter
ihr hängenden Behälter nach dem Zylinder, der sich infolgedessen samt dem an ihm
befestigten schmiedeeisernen Pfannenausleger längs des im Gestell verschraubten
Hohlplungers senkrecht verschob. Die übrigen Bewegungen der Pfanne, das Verfahren
auf dem Ausleger und das Kippen, erfolgten durch Handrad- oder Kurbelgetriebe von
einer am Ausleger angebrachten Bedienungsbühne aus, wohingegen das Schwenken der
Pfanne in primitivster Weise durch Ziehen oder Drücken von Hand am Auslegerschnabel
bewirkt wurde.
Der große Platzbedarf für die Unterbringung dieser verschiedenen Maschinen und
Mechanismen ließ aus Herstellungs- und Transportrücksichten die Zweiteiligkeit des
damals allgemein gußeisernen Unterwagengestelles von Anfang an als zweckmäßig
erscheinen, und zwar derart, daß man die Antriebsmaschinen mit ihrem Kessel getrennt
von dem gegen den Unterwägen beweglichen Pfannenausleger mit seinen unmittelbar auf
die Pfanne wirkenden Mechanismen unterbrachte. Beide Gestellteile wurden in der
ersichtlichen Weise starr miteinander verschraubt und zur bequemen Begehbarkeit
durch den Maschinisten über den Maschinen und Getrieben abgedeckt. Der ganze Wagen
ruhte auf drei Paar Laufrädern, deren teils durchgehende Achsen unnachgiebig am
Gestell gelagert waren.
Schon diese kurze Charakterisierung der ursprünglichen Gießwagenbauart dürfte deren
hauptsächlichste Schwächen erkennen und vermuten lassen, inwiefern die bessernde
Hand des Konstrukteurs den Entwicklungsgang des Gießwagens in den zwischenliegenden
Jahrzehnten nach und nach beeinflußt hat:
Die starre Schraubenverbindung der beiden Unterwagenhälften führte bei unebenen
Fahrbahnen leicht zu schädlichen Biegungsbeanspruchungen der Befestigungsorgane
sowie des gußeisernen Gestellmaterials und wurde durch eine gelenkige und
anpassungsfähige Zapfenverbindung ersetzt;
Bei der Anordnung der beiden Antriebsmaschinen ließ man sich in Zukunft mehr von der
Rücksicht auf gute Uebersichtlichkeit und leichte Zugänglichkeit derselben leiten
und stellte sie daher oben auf der Plattform des Unterwagens auf;
Mit dem Ersatz des stehenden Rauchröhrenkessels durch einen liegenden Kessel
kombinierten Flammrohrund Heizröhrensystems mit Dampfdom schaffte man außer einer im
allgemeinen niedrigen Bauhöhe noch eine leichtere Reinigungsmöglichkeit von
angesetztem Kesselstein;
Infolge der Zunahme von Pfannenlast und Auslegergröße fühlte man nicht nur für die
Schwenkbewegung einen besonderen Antrieb ein, sondern man baute wegen der
gesteigerten Betriebsanforderungen die verschiedenen Bewegungsmechanismen für die
Pfanne mit der Zeit sämtlich in von Elementarkraft betriebene aus;
Die aus dem vorgenannten Grunde beträchtlich erhöhten Gewichte des Auslegerwagens
stützte man künftig anstatt durch zwei durch drei Räderpaare ab und suchte eine
gleichmäßige Druckübertragung auf die Schienen durch Aufhängung zweier Paare an
Balanziers zu erreichen.
(Fortsetzung folgt.)