Titel: Neuere Industriebahn-Lokomotiven.
Autor: M.Erb
Fundstelle: Band 323, Jahrgang 1908, S. 721
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Neuere Industriebahn-Lokomotiven. Von Dipl.-Ing. Dr. M.Erb, Frankfurt a. M. Neuere Industriebahn-Lokomotiven. Wie der Dampf- und animalische Betrieb von Straßenbahnen durch die elektrische Traktion nahezu vollständig verdrängt wurde, wird dies auch bei den verschiedenen Industriebahnen, namentlich aber bei Bergwerkbahnen in nicht allzu langer Zeit der Fall sein. Während für Straßenbahnen ausschließlich Motorwagen verwendet werden, bedingt die Verschiedenheit der zu befördernden Güter und zu verwendenden Transportwagen für Industriebahnen ausschließlich die Anwendung elektrischer Lokomotiven. Während man früher auf dem Gebiete des elektrischen Kleinlokomotivbaues die mannigfachsten Formen und Ausführungsarten beobachten konnte, entwickelten sich in den letzten Jahren gewisse Normaltypen, die man bei den neueren Ausführungen mit den den jeweiligen Betriebsverhältnissen entsprechenden, jedoch meist nur geringfügigen Abänderungen immer wieder antrifft. Im folgenden sollen einige solche typische Industriebahn-Lokomotiven beschrieben werden. Die Fig. 1 u. 2 zeigen eine Schmalspurlokomotive von 750 mm Spurweite, die auf den Gütern des Herrn Rittmeisters a. D. Oppenheim in Rüdersdorf bei Berlin Verwendung findet. Sie schleppt bei einem Eigengewichte von 6 t eine Zuglast von 44 t auf einer Steigung von 12,5 v. T. mit einer Geschwindigkeit von 3,33 m/Sek. Die motorische Ausrüstung besteht aus zwei Motoren von je 20 PS Normalleistung bei 475 Volt Spannung. Die Motoren sind auf der einen Seite auf den Achsen gelagert und auf der anderen mittels Traverse federnd an zwei Augen des Untergestells aufgehängt. Das Gewicht der Lokomotive verteilt sich zu 4 t auf den mechanischen und zu 2 t auf den elektrischen Teil. Von dem mechanischen Teile sind 3,5 t als Konstruktionsgewicht, 0,5 t als Ballast ausgeführt. Das Untergestell besteht aus zwei kräftigen U-Eisen, desgleichen die Pufferbohlen. Als Führung für die Achsenlager dienen Achsgabelhalter aus starken Blechen. Der Radstand beträgt 1450 mm, der Raddurchmesser 700 mm. Die Länge der Lokomotive über die Puffer gemessen ist 4200 mm, die Breite 1400 mm, und die Höhe über Schienenoberkante 2400 mm. Die geringe Höhe der Lokomotive von nur 2,4 m war durch das Profil des lichten Raumes bedingt, welches an einzelnen Stellen (bei Wegunterführungen) nur eine Höhe von 3 m aufweist. Der Führerstand ist infolgedessen versenkt angeordnet, um die erforderliche Höhe von 1900 mm vom Fußboden des Führerhauses bis zum Dache zu erzielen. Textabbildung Bd. 323, S. 721 Fig. 1. Das Führerhaus ist nicht durch Türen verschließbar, sondern offen. Eine Inbetriebsetzung der Lokomotive von unbefugter Hand ist aber trotzdem ausgeschlossen, da der Kontroller, ein Serien-Parallel-Kontroller mit Reversiervorrichtung und Kurzschlußbremsung, derart eingerichtet ist, daß nach Abziehen des Umschalthebels die Fahrkurbel in der Nullstellung gesperrt ist. Die Lokomotive ist mit folgenden Apparaten ausgerüstet: Ein Maximalausschalter, der gleichzeitig als Handausschalter dient, ein Hauptausschalter, beide mit magnetischer Funkenlöschung, ein Hörnerblitzableiter mit Induktionsspule auf dem Dache des Führerhauses, eine Lichtsicherung und ein Lichtausschalter. Maximalausschalter und Hauptsicherung sind gegen Eindringen von Feuchtigkeit durch Zinkblechkästen geschützt. Die Stromabnahme erfolgt durch einen Bügelstromabnehmer, dessen Aluminiumschleifstück V-förmigen Querschnitt besitzt. Die normale Fahrdrahthöhe beträgt 4,5 m. In den abgeschrägten Endkästen zu beiden Seiten des Führerhauses sind Klappen angebracht, durch welche die Motoren nach oben herausgenommen werden können. Die Beleuchtung besteht aus drei Lampen, von denen eine mit Blende versehene im Führerhause, und zwei in den Laternen an den Kopfseiten der Lokomotive untergebracht sind. Die Laternen sind abnehmbar, und die Leitungsverbindungen dementsprechend leicht lösbar eingerichtet. Textabbildung Bd. 323, S. 722 Fig. 2. Die Widerstände sind in vier einzelnen Kästen enthalten, welche zu je zweien in den Stirnseiten der Lokomotive untergebracht und durch Aussparungen in den Kästen, die mit Drahtgaze verschlossen sind, ausreichend ventiliert sind. Die Ausrüstung mit Spindelbremse, Sandstreuern und Bahnräumern geht aus der Zeichnung hervor. Die in Fig. 3 dargestellte Lokomotive dient zur Abraumförderung auf dem Braunkohlentagebau der Clarenberg A.-G. für Kohlen- und Tonindustrie, Frechen bei Köln a. Rh. Sie schleppt bei einem Eigengewichte von etwa 7,5 t 20 mit lockerem Abraum beladene Muldenkipper im Gesamtgewichte von etwa 78 t. Diese Lokomotive ist, obgleich ausschließlich über Tag fahrend, in der Ausführung ähnlich einer Grubenlokomotive gehalten. Sie besteht aus einem vierteiligen gußeisernen Rahmen mit zwei Längs- und vier Querankern, der auf zwei Achsen von 1066 mm Länge, 1000/90/80 mm Durchm. ruht. Die Lokomotive hat einen Radstand von 1000 mm; die gußeisernen Laufräder haben einen Durchmesser im Laufkreise von 680 mm und sind mit Bandagen aus Siemens-Martin-Stahl ausgeführt. Der Führerstand ist in der Mitte der Lokomotive angeordnet und im Oberteile aus Blech ausgeführt. In die Lokomotive sind zwei wasserdicht geschlossene Hauptstrommotoren von je 14 PS Leistung bei 550 Umdr. i. d. Minute eingebaut, die mit 220 Volt Spannung betrieben werden und mittels einfachen Rädervorgeleges mit einer Uebersetzung von 1: 6,5 die Laufräder antreiben. Die Lokomotive wird mittels Serien-Parallel-Kontrollers mit Kurzschlußbremsung gesteuert. An Apparaten sind auf der Lokomotive die üblichen Maximalausschalter, Hauptsicherung, beide mit magnetischer Funkenlöschung, Lichtsicherung und Lichtschalter, sowie ein auf dem Dache montierter Hörnerblitzableiter mit Drosselspule angeordnet. Ferner sind für die Lokomotive zwei Laternen, zwei Sandstreukästen und eine Signalglocke mit Tretvorrichtung vorgesehen. Textabbildung Bd. 323, S. 722 Fig. 3. Besonders hervorzuheben ist die Ausrüstung der Lokomotive mit drei Stromabnehmern, einem selbsttätig umlegbaren Bügelstromabnehmer mit Aluminiumschleifstück in der Mitte, und je einem an den Seitenwänden des Führerhauses angeordneten Rollen-Stromabnehmer. Die Anordnung dreier Stromabnehmer ergab sich aus folgenden Gründen: Wie aus der Fig. 4 ersichtlich ist, laufen die Gleise des den Abraum fördernden Baggers mit denen der Lokomotive auf einer gewissen Strecke parallel. Hier ragt die Schüttrinne des Baggers so weit in das Profil hinein, daß der Fahrdraht über Mitte Gleis nicht mehr verlegt werden konnte, und der Bügelstromabnehmer abgezogen werden muß, um nicht mit der Schüttrinne zu kollidieren. Für die Stromentnahme aus dem 800 mm seitlich von Mitte Gleis verlegten Fahrdrahte konnten nur Rollenstromabnehmer in Betracht kommen, weil von demselben Fahrdrahte auch der zum Betriebe des Baggers dienende Motor gespeist wird. Es war hierbei die Aufgabe zu lösen, eine gleichzeitige Stromabnahme der beiden einander begegnenden und sich kreuzenden Fahrzeuge von demselben Fahrdrahte zu ermöglichen, ohne den Stromabnehmer des einen oder des anderen Fahrzeuges abnehmen und dieses hierdurch stillsetzen zu müssen. Die Anordnung wurde derart getroffen, daß der Stromabnehmer des Baggers als Gleitschuh ausgeführt wurde, unter den der Stromabnehmer der Lokomotive beim Kreuzen hinweggleiten kann. Textabbildung Bd. 323, S. 723 Fig. 4. Fig. 5 zeigt die Konstruktion des Bagger-Stromabnehmers, der in seinem oberen Teile mit drei tangential an den Fahrdraht verlaufenden Rippen ausgebildet ist, während die Formgebung des unteren Teiles derart erfolgte, daß die Rolle des Lokomotivstromabnehmers stoßfrei und ohne Stromunterbrechung unter den Gleitschuh hinweglaufen kann. Der aus Kupferbronze bestehende Stromabnehmer des Baggers ist mit einem biegsamen Kabel verbunden, das an einer beweglichen Stange aus Eichenholz geführt ist und die Stromzuführung zum Baggermotor vermittelt. Der erforderliche Anpressungsdruck des Gleitschuhes an die Fahrleitung wird mittels eines über Rollen geführten Gewichtes erzeugt (vergl. auch Fig. 4). Die Anordnung von zwei Rollenstromabnehmern erfolgte, weil der Lokomotivverkehr nicht als einfacher Pendelverkehr vor sich geht, sondern eine Schleife vorgesehen ist. Man ist so in der Lage, den Strom bei jeder Stellung der Lokomotive aus dem seitlich verlegten Fahrdrahte entnehmen zu können. Der mechanische Teil der Lokomotive ist von der Karlshütte A.-G. Altwasser ausgeführt. Textabbildung Bd. 323, S. 723 Fig. 5. Textabbildung Bd. 323, S. 723 Fig. 6. Die in Fig. 6 dargestellte Lokomotive ist für eine in Brasilien gelegene Grube der St. John del Rey Mining Co. Ltd. bestimmt. Sie ist zweiachsig in starkem Eisenblech mit Federung ausgeführt und mit zwei Serien-Gleichstrommotoren à 11 PS Stundenleistung bei 500 Volt Betriebspannung ausgerüstet. Die Spurweite dieser Lokomotive beträgt 660 mm, ihr Radstand 700 mm, das betriebfertige Gewicht 4 t. Diese Lokomotive hat eine normale Zugkraft von 600 kg und eine Geschwindigkeit von etwa 9,65 km i. d. Stunde. Sie ist imstande, eine Gesamtlast von 28 t auf ebener Strecke, und von 15 t bei einer Steigung von 1: 10 zu ziehen. Der kleinste Kurvenradius der zu befahrenden Strecke beträgt etwa 3,8 m. Zur Stromentnahme dient ein Rollenstromabnehmer von etwa 3 m Länge für eine Fahrdrahthöhe, die zwischen 3,6 m und 1,6 m über Schienenoberkante wechselt. Die Lokomotive hat einseitig gedeckten Führerstand und ist außerordentlich gedrängt gebaut, da die Abmessungen in der Länge 2300 mm, in der Breite 920 mm und in der Höhe 1500 mm nicht überschreiten durften. Es war daher nicht möglich, die Widerstände im Innern der Lokomotive unterzubringen, diese wurden vielmehr oben auf der Abdeckung der Lokomotive aufgesetzt. Der Führerstand ist aus den oben angeführten Gründen räumlich nur beschränkt ausgeführt, nimmt aber trotzdem noch einen Ausschalter, Sicherung, Doppelmeßinstrument mit Shunt und Verschaltwiderständen, Sandstreuer usw. auf. (Schluß folgt.)