Titel: | Lokomotivbekohlung. |
Autor: | Lutz |
Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 724 |
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Lokomotivbekohlung.
Von Reg.-Baumeister Lutz,
Kiel.
(Fortsetzung von S. 709 d. Bd.)
Lokomotivbekohlung.
In sehr vielen Fällen, auch auf den meisten großen Bahnhöfen lassen sich die
Hochbehälter noch so groß oder so zahlreich anlegen, daß ihr Inhalt für etwa 10 bis
12 Stunden ausreicht, in denen der Bedarf unter dem Durchschnitt des ganzen Tages
(24 Stunden) liegt. Die ruhigen Stunden fallen größtenteils in die Nacht. Wenn dann
die Entnahmevorrichtungen der Behälter so eingerichtet sind, daß das
Lokomotivpersonal sie selbst bedienen kann, was z.B. bei Meßtrommeln mit
elektrischem Antrieb und verschlossenen Kontrolleinrichtungen der Fall ist, so sind
nachts überhaupt keine Arbeiter zum Verladen erforderlich. Dadurch lassen sich fast
allgemein bedeutende Ersparnisse an Löhnen erzielen, denn der Nachtbedarf kann ohne
wesentliche Vermehrung der am Tage so wie so erforderlichen Arbeiterzahl schon auf
den Abend in die Hochbehälter gefördert werden. Diese Ersparnis macht sich vor allem
fühlbar bei Verladeeinrichtungen, die durch besondere Maschinisten bedient werden.
Bei Tag- und Nachtbetrieb sind die Maschinistenlöhne ungefähr doppelt so hoch als
bei einschichtigem Betrieb. Eine weitere Ersparnis erwächst daraus, daß die
Güterwagen, in denen die Kohlen zugeführt werden, nicht so lange stehen müssen.
Dafür sind allerdings die Leistungen der Transporteinrichtungen und damit ihre
Anschaffungskosten wieder größer anzunehmen; sie erhöhen dadurch aber in den
allermeisten Fällen die Betriebskosten weit weniger, als es andererseits die
Mehrausgaben an Löhnen und das längere Stehen der Güterwagen tun, zumal auch die
jährlichen Abschreibungen geringer sein dürfen als bei Tag- und Nachtbetrieb. Die
Pausen können zu Reparaturen benutzt werden.
Textabbildung Bd. 323, S. 724
Fig. 13.
Textabbildung Bd. 323, S. 724
Fig. 14.
Abgesehen davon, daß man selbst bei angestrengtestem Betrieb nicht zu warten braucht,
bis die Kohlen zur Ladestelle herangeschafft sind, dauert auch das Verausgaben vom
Hochbehälter aus nur verhältnismäßig sehr kurze Zeit; auch wenn die Kohlen ein
Meßgefäß am Ausgang des Hochbehälters durchlaufen müssen, läßt sich die
Aufeinanderfolge der einzelnen abgemessenen Stufen in einer Kürze vornehmen, wie sie
mit bereit gestellten Schüttwagen oder etwa mit einem zwischen Güterwagen und Tender
spielenden Selbstgreifer nie zu erreichen ist. Ferner kann das Mischen verschiedener
Kohlensorten vom Hochbehälter aus bequem nach einem bestimmten Verhältnis beim
Eintritt in das Meßgefäß erfolgen (Fig. 13). Die von
J. Pohlig A.-G. in
Köln gebaute Hochbehälteranlage in AntwerpenOrgan f. d. Fortschr. d. Eisenbahnwesens 1901,
S. 9 u. f. besitzt Meßgefäße; in denen Fett- und Magerkohlen in
beliebigen Verhältnissen gemischt werden können. Auch das Getrennthalten mehrerer
Kohlensorten derart, daß sie auf dem Tender noch einigermaßen auseinander gehalten
werden können, läßt sich durch Nebeneinanderstellen zweier Hochbehälter (Fig. 14) bequem erreichen, ohne daß Verwirrung
entsteht und ohne daß die Lokomotive an zwei verschiedene Ladestellen zu fahren
braucht.
Textabbildung Bd. 323, S. 724
Fig. 15.
Textabbildung Bd. 323, S. 724
Fig. 16.
Tenderlokomotiven jeder Art können durch geeignete Auslauf schurren bekohlt werden.
Für die Behandlung der Kohlen bedeutet das Aufstellen von Hochbehältern einen
weiteren schädlichen Weg; es ist deshalb dafür zu sorgen, daß die Kohlen beim
Einschütten keine bedeutenden Höhen durchstürzen.
Textabbildung Bd. 323, S. 725
Fig. 17.
Wie bei der Bekohlungsanlage in Hannover (Fig. 1)
wurden schon früher auch in Nordamerika die Vorteile der Hochbehälter in
ausgedehntem Maße ausgenutzt. Sie gaben dort mangels weiterer Vorräte auf dem
Bahnhof zugleich auch eine Gelegenheit, kleine Unregelmäßigkeiten in der
Kohlenzufuhr auszugleichen, indem man sie für einige Hundert Tonnen Fassungsvermögen
baute, so daß sie mit ihrem Inhalt den Bedarf von noch 2 bis 3 Tagen decken konnten.
Durch Ueberdachung der Behälter werden die Kohlen gegen Wind geschützt.
Textabbildung Bd. 323, S. 725
Fig. 18.
Eine im Prinzip der Schüttanlage in Hannover ganz ähnliche ist die in Fig. 15 im Querschnitt schematisch dargestellte.
Anstatt die Lokomotivgleise tiefer zu legen, werden die Wagen, gewöhnliche
Güterwagen oder Selbstentlader mit Seitenklappen auf einer schiefen Rampe etwa 5 m
über Normal-S. O. geführt und unmittelbar in die Hochbehälter entleert, von wo die
Kohlen über auf- und niederklappbare Schurren nach Bedarf entnommen werden. Fig. 16 zeigt die entsprechende Anordnung für
Bodenentleerer. Diese Anlagen sind i in bezug auf Raum- und Ortsverhältnisse sehr
anpassungsfähig und unabhängig von der Lage des Grundwasserspiegels. Hinderlich ist
nur die schiefe Auffahrtsrampe, die auch dann, wenn zum Hochziehen der Wagen ein
Spill benutzt wird, noch sehr lang ausfällt. Das Bestreben, eine etwas größere
Kohlenmenge vorrätig zu halten, führte dazu, den Raum unter den Hochbehältern zum
Aufspeichern zu verwenden (Fig. 17). Das Fördern der
Kohlen aus den unteren Behältern in die oberen erfolgte anfänglich durch Hunde. Mit
Hilfe von Aufzügen wurden diese Hunde auf Gleise gehoben, von denen aus sie in die
Hochbehälter entleert werden konnten. Die Hunde und Aufzüge wurden später durch die
billiger arbeitende Becherkette (Fig. 18) ersetzt,
die in Amerika große Verbreitung für die Zwecke der Lokomotivbekohlung fand und zu
verschiedenen Ausführungsformen ganzer Anlagen führte.
Textabbildung Bd. 323, S. 725
Fig. 19.
Um das Hochschieben der Güterwagen auf erhöhte Gleise und damit die langen schiefen
Rampen zu vermeiden, werden sie entweder unmittelbar in die Becherkette
entladen,Zeitschr. d. Ver.
deutsch. Ing. 1900, S. 79. oder in trichterförmige Gräben unter
S. O.,Zeitschr. d. Ver.
deutsch. Ing. 1900, S. 82. sogen. Erdfüllrümpfe.
Die letztgenannte Ausführungsform wurde von J. Pohlig
A.-G. in Köln in Europa als sogen. Hunt sche
Lokomotivbekohlungsanlage eingeführt.Organ
f. d. Fortschr. d. Eisenbahnwesens 1901, S. 9 u. f. Derartige
Anlagen sind u.a. in Betrieb in Saarbrücken (seit 1898), in Antwerpen, München,
Wien, Koblenz. Die Fig. 19 und 20 geben einen schematischen Querschnitt bezw. eine Ansicht
der Saarbrücker Anlage.
Der Erdfüllrumpf in Antwerpen faßt 2000 t, in den übrigen Orten um 1000 t; die
Hochbehälter fassen 70, 100 bezw. 200 t Kohlen, so daß der Bedarf von etwa einer
Woche in den Bereich der Bekohlungsvorrichtung gebracht werden kann.
Textabbildung Bd. 323, S. 726
Fig. 20.
Bei der in Fig. 21 dargestellten Hochbehälteranlage
werden die Kohlen aus den Güterwagen in einen kleinen Trichter entladen, der
lediglich als Einlauf für einen Elevator mit festen Bechern dient. Eine von der
Königl. Eisenbahndirektion Berlin bei der Peniger
Maschinenfabrik
und Eisengießerei A.-G., Abteilung Unruh & Liebig in Leipzig bestellte Anlage dieser ArtGlasers Annalen
1906, Bd. 58, S. 187 u. ff. und S. 201 u. ff. ist seit 1904 auf
dem Rangierbahnhof Grunewald in Betrieb. Der Hochbehälter faßt 300 t Kohlen; der
Elevator vermag 30 t i. d. Stunde zu fördern und der tägliche Bedarf beläuft sich
auf 140 – 150 t.
Alle diese Hochbehälteranlagen mit Becherwerken sind bei geringem Raumbedarf sehr
leistungsfähig und lassen sich für jeden größeren, noch in Frage kommenden Bedarf
bauen. Die oben erwähnten, von den Hochbehältern gebotenen Vorteile sind
uneingeschränkt nutzbar. Die Bedienung erfordert nur ein bis zwei Mann. Bei
genügender Ausnutzung sind deshalb trotz des verhältnismäßig hohen
Anschaffungspreises die Betriebskosten für l t verausgabter Kohlen gering. Die
Becherkette der Saarbrücker Anlage vermag bei zehn- bis zwölfstündigem Betrieb 300 t
zu fördern, so daß allein bei einschichtigem Betrieb der Kette täglich über 100
Lokomotiven versorgt werden können.
Textabbildung Bd. 323, S. 727
Fig. 21.
Die jährlichen Kosten für Löhne, Materialien, Unterhaltung
sowie Verzinsung und Abschreibung von 98000 M. Anschaffungskosten betragen dort etwa
14000 M., also bei voller Ausnutzung der Anlage die
Betriebskosten für das Entladen der Güterwagen, Fördern der Kohlen in die
Hochbehälter und Verausgaben an die Lokomotiven
\frac{14000}{300\,\times\,365}=\mbox{rd.}\,0,13^{\mbox{
M.}}/_{\mbox{t.}} Die Wirtschaftlichkeit der Anlage liegt aber nicht
allein in der billigen und raschen Verausgabung der Kohlen, sondern auch im
billigen und raschen Entladen der Güterwagen. Abgesehen von der Verwendbarkeit von
Selbstentladern jeder Art unter Ausnutzung aller ihrer Vorteile können auch
gewöhnliche Güterwagen auf die bei Handbetrieb schnellste und bequemste Art entleert
werden: Die Kohlen brauchen nur mit der Schaufel ausgeschoben, nicht aber über die
Wagenwände gehoben, nicht in enge Behälter wie Körbe und Schüttwagen gelenkt oder
etwa von den Gleisen weggeschaufelt zu werden. Ebenso billig arbeitet bei voller
Ausnutzung die Bekohlungsanlage in Grunewald. Das Entleeren der Güterwagen erfolgt
durch einen Kipper, der dort vorteilhaft im Rahmen der Gesamtanordnung untergebracht
werden konnte.
Die Kohlen haben aber bei allen diesen Hochbehälteranlagen mit Becherwerken fünf
schädliche Bewegungsvorgänge durchzumachen: Stürzen aus dem Güterwagen, Rutschen und
Einlaufen in die Becher, Stürzen in die Hochbehälter, Rutschen in das Meßgefäß und
Stürzen auf den Tender, also wesentlich mehr schädliche Bewegungen als z.B. beim
Verladen mit Körben oder einem Selbstgreifer vom Güterwagen unmittelbar auf den
Tender. Viel Staub verursacht das Entleeren der Güterwagen in die Erdfüllrümpfe;
wenn auch durch Anfeuchten das Wegfliegen des Kohlenstaubes vermieden wird, so
bleibt doch die Grusbildung; im Winter kann das Anfeuchten wegen der Gefahr des
Zusammenfrierens der Kohlen nicht vorgenommen werden. Um große Sturzhöhen zu
vermeiden, ist im Erdrumpf stets an irgend einer Stelle ein bis an die Gleise
heraufreichender Haufen zu halten, auf dessen Abhänge geschüttet werden kann. Beim
Ausgießen der Becher in die leeren Hochbehälter kann tiefes senkrechtes Stürzen
durch Rutschen vermieden werden.
Das gleichzeitige Verausgaben von Kohlenziegeln durch diese Anlagen wird sich nur
selten lohnen; besonders dann nicht, wenn sie aus einem Stapel herangeholt werden
müssen; der einzige Vorteil wäre, daß das Versorgen einer Lokomotive nicht viel
länger dauerte, als bei gewöhnlichen Kohlen. Becherwerke und Hochbehälter würden dem
Transport von Kohlenziegeln wohl keine besonderen Hindernisse entgegensetzen.
(Fortsetzung folgt.)