Titel: DER DEUTSCHE TECHNIKER IN NORDAMERIKA.
Autor: W. Lehrmann
Fundstelle: Band 327, Jahrgang 1912, S. 443
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DER DEUTSCHE TECHNIKER IN NORDAMERIKA. Von W. Lehrmann, Ingenieur. LEHRMANN: Der deutsche Techniker in Nordamerika. Inhaltsübersicht. Einleitung – Stellungserhalt – Gehaltsansprüche – Gehaltszahlung – Arbeitszeit – Kündigung – Verhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer – Bureaus und deren Einrichtungen – Organisation derselben – Das Arbeiten in den Vereinigten Staaten – Aufnahme des Deutschen in den Vereinigten Staaten – Lebensverhältnisse – Reisen – Winke für Neuankömmlinge. –––––––––– Amerika steht bei uns Deutschen noch immer in der Mitte des allgemeinen Interesses, auch schließlich nicht mit Unrecht, obwohl etwas vorsichtigere Beurteilung in dieser Beziehung am Platze wäre. Die große Begeisterung, welche bei vielen Deutschen für Amerika und für alles was amerikanisch ist, zu finden ist, kann man wohl hauptsächlich den Leistungen des Amerikaners zuschreiben, teils aber auch dem, den Deutschen eigenen Hang zu allem fremdländischen. In verhältnismäßig kurzer Zeit hat sich aus einem Lande mit unzivilisierten Bewohnern ein riesiger Kulturstaat entwickelt; wo einst dichte Urwälder waren, stehen heute Millionenstädte mit riesigen, imposanten Bauten, mit allen modernen Verkehrs- und anderen Einrichtungen. Millionen von Menschen eilen täglich geschäftig hin und her, und dem stillen Beschauer bietet sich ein interessantes Bild rührigen Lebens und Treibens. Die einzelnen Städte, in denen sich dieses geschäftige Leben hauptsächlich abspielt und die für Handel und Industrie auch nur in Frage kommen, sind wiederum durch moderne Verkehrsmittel miteinander verbunden. Selbst die größten Entfernungen und schwierigsten Terrainverhältnisse sind überwunden worden. Von den Entfernungen in den Vereinigten Staaten hat man merkwürdigerweise diesseits des Ozeans zum Teil noch einen falschen Begriff. Wie mancher staunt, wenn er erfährt, daß ein Schnellzug von New York nach San Francisco etwa sechs Tage läuft, bei fast ununterbrochener Tag- und Nachtfahrt, oder wenn er hört, daß die Vereinigten Staaten über siebzehnmal so groß sind als Deutschland. Stellt man sich Nordamerika in seinem Urzustände vor, vergleicht es mit dem heutigen Bilde des Landes und zieht die Zeit in Betracht, in der sich diese Wandlung vollzogen hat, so muß man unbedingt zu dem Resultat kommen, daß Amerika Großes geleistet hat, wobei die ungeheuer reichen natürlichen Hilfsquellen, die in ausgiebigster, ja sogar rücksichtslosester Weise ausgenutzt wurden, dem Lande große Dienste geleistet haben. Durch geeignete Reklame und teils auch durch viel sogen. „Bluff“ hat der Amerikaner es ferner verstanden, die übrige Welt, besonders Europa, in Erstaunen zu versetzen, wodurch hier zuweilen ganz falsche Vorstellungen von dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten herrschen und dann mehr Bewunderung vorhanden ist, als nötig wäre. Das vorher Gesagte, sowie die Tatsache, daß die amerikanische Maschinenindustrie auf einer sehr hohen Stufe steht, haben schon manchen Techniker veranlaßt, nach „drüben“ zu gehen, und heute noch ist die Zahl der nach Amerika fahrenden technisch gebildeten Deutschen eine immerhin recht bedeutende. Die meisten von denen, die beabsichtigen nach den Vereinigten Staaten zu wandern, sei es, um sich dort dauernd niederzulassen, oder nur vorübergehend, um die dortigen Verhältnisse kennen zu lernen, oder aus sonst welchen Gründen, haben recht wenig Kenntnisse von der Lage des Angestellten, von den Gehältern, den Dienstverhältnissen, wenn man von solchen reden will, von der dortigen Lebensweise und den Kosten derselben, Etwas Aufklärung in dieser Beziehung dürfte daher angebracht sein und will ich versuchen, dem auswandernden, reisenden oder sonstwie interessierten Techniker ein möglichst klares Bild über Anstellungsarten, Bezahlung und Beschäftigungsart, sowie über das Verhältnis zwischen Prinzipal und den technischen Angestellten zu geben und im Anschluß daran kurz über die Lebensverhältnisse berichten. Wie erhält man Stellung in den Vereinigten Staaten? Von Deutschland aus eine solche nach dort zu erhalten, ist äußerst schwierig und, wo es sich nicht gerade um bevorzugte Posten handelt, überhaupt unmöglich. Einmal sind nämlich genügend technische Kräfte im Lande, so daß der Arbeitgeber nicht erst „in die Ferne zu schweifen braucht“, und zweitens ist ein sogen. „Herüber-Engagieren“ den amerikanischen Gesetzen zuwiderlaufend. Jedem Neuankömmling in den Vereinigten Staaten (Künstler ausgeschlossen), dem nachgewiesen werden kann, daß er bereits ein Engagement von Europa aus angenommen hat, kann die Einwanderung untersagt werden, ja er kann sogar noch zwei Jahre lang nach bereits stattgehabter Landung des Landes verwiesen werden, wenn es sich während dieser Zeit herausstellen sollte, daß er gegen das eben erwähnte Gesetz verstoßen hat. Im allgemeinen werden Techniker also aufs Geradewohl nach Amerika fahren und sich dort eine Stellung suchen müssen. Zu diesem Zweck tut man gut, sich vorher mit den Namen und Adressen der in Frage kommenden Häuser, also mit den Firmen seiner betreffenden Branche bekannt zu machen und wendet sich nach Ankunft sofort schriftlich, oder falls möglich, mündlich an diese. Bei den Firmen der Stadt des jeweiligen Aufenthaltes stellt man sich am besten persönlich vor und fragt nach einem Engagement. Mit den übrigen erledigt man dasselbe auf schriftlichem Wege. In allen Fällen beherzige man im geschäftlichen Verkehr mit den Amerikanern das alte englische Sprichwort „Time is money“ und fasse sich schriftlich, sowohl wie auch mündlich, so kurz als möglich. Bei persönlicher Vorstellung fragt man nach dem Chief Engineer oder Chief Draughtsman und in den meisten Fällen sind die maßgebenden Herren ohne weiteres zu sprechen. Bei einigen sehr großen Firmen liegen beim Portier gedruckte Fragebogen aus, die man auszufüllen hat und die darauf dem Oberingenieur sogleich zugestellt werden, worauf der Bescheid eintrifft, ob eine Vorstellung erwünscht ist oder nicht. Spricht man mit dem technischen Chef oder dessen Vertreter, so trage man ganz kurz einiges über Studiengang und Praxis vor; hat man mit einer Spezialfirma seiner eigenen Branche zu tun, so hebe man die auf diesem Gebiete gemachten Erfahrungen besonders hervor. In wenigen Minuten ist gewöhnlich eine derartige Verhandlung erledigt. Kommt ein Engagement zustande, so hat der Antritt oft schon sofort, d.h. am folgenden Tage, zuweilen auch unmittelbar zu erfolgen. Im anderen Falle erhält man entweder sogleich eine ablehnende Antwort oder die Entscheidung wird hinausgeschoben, man soll Nachricht erhalten, sobald eine Vakanz eintritt; für diesen Fall habe man fertige Adreßkarten zur Hand, um eine solche sofort überreichen zu können, und ist als sicher anzunehmen, daß die Firmen bei eventl. Bedarf von derselben Gebrauch machen werden. Die erwähnten Karten erhält man in Druckereien oder in diesbezüglichen Abteilungen der großen Warenhäuser für etwa 25 bis 35 Cents in etwa 50 bis 60 Minuten nach Bestellung angefertigt. Bei schriftlicher Anfrage nach Vakanz tut man gut, die Bewerbung derart kurz abzufassen, daß sie nicht mehr als eine Quartseite einnimmt, da sie sonst eventl. ungelesen in den Papierkorb wandern könnte. Eine Bewerbung enthält Angaben über Alter, Studiengang, abgelegte Examina, Praxis mit Angabe der Firmen, Gehaltsforderung und eventl. Eintrittstermin, doch alles in kürzester Form. Daß ein direkt an eine Firma gerichtetes Bewerbungsschreiben, gleichgültig ob es mit bezug auf ein Inserat oder aus freien Stücken, also gewissermaßen als Anfrage nach Vakanz geschrieben ist, unbeantwortet bleibt, kommt äußerst selten vor. Firmen mit mehreren Werken, bezw. mehreren größeren Bureaus im Inlande, was in Amerika nichts Seltenes ist, geben Angebote von geeigneten Arbeitskräften oft noch an ihre Schwesteranstalten weiter, falls sie selber keine Verwendung haben sollten. Man kann sich also außer mit bezug auf eine Annonce auch aufs geratewohl bei einer Firma bewerben. Dieses wird im allgemeinen nur dann geschehen, wenn man ein besonderes Interesse für die Firma oder günstige Aussichten, engagiert zu werden, hat, also z.B. bei Spezialfirmen der Branche, in der man längere Erfahrungen nachweisen kann. Stellenangebote sind im Inseratenteil der meisten technischen Zeitschriften zu finden, z.B. im „American Machinist“, „Engineering News“, „Engineering and Mining Journal“ u.a.; die letztere kommt hauptsächlich für Bergwerks- und Bergwerksmaschinen-Ingenieure in Betracht. Ferner werden geeignete Stellungen in den führenden Tageszeitungen aller größeren Städte ausgeschrieben. Selbst zu annoncieren ist ebenfalls ratsam und oft von Erfolg. Die bis jetzt beschriebenen Methoden zur Erlangung einer Stellung sind die in Deutschland ebenfalls üblichen. In den Vereinigten Staaten gliedert sich diesen doch noch eine weitere an, der wir deutschen Techniker allerdings etwas pessimistisch gegenüberstehen, nämlich die der Vermittlung durch einen Agenten. Solcher Agenturen gibt es drüben verschiedene von Bedeutung; einige von ihnen befassen sich ausschließlich mit der Vermittlung von technischen Kräften bezw. Posten. Ihre Adressen kann man dem Inseratenteil der technischen Zeitschriften entnehmen. Die größeren derartigen Unternehmungen arbeiten meines Wissens zuverlässig und reell, und sind mir Firmen bekannt, die sich einer bestimmten Agentur verpflichtet haben, ihre Arbeitskräfte ausschließlich durch sie zu engagieren, dafür als Gegenleistung stets mit geeignetem Personal versorgt werden. Die Arbeitsweise einer solchen Agentur ist etwa folgende: Der Stellungsuchende erwirbt durch Anmeldung (welcher genaue Angaben über Alter, Praxis, Studiengang, Gehaltsforderung und besondere Wünsche beizufügen sind) und Vorauszahlung eines geringen jährlichen Beitrages die Mitgliedschaft einer Agentur und erhält dafür, wenn er im Laufe des Mitgliedsjahres auf der Suche nach Stellung ist, die Vakanzenliste zugesandt. Auf ihm konvenierende Stellungsangebote bewirbt er sich durch die Agentur. In Fällen, die eine schnelle Erledigung erfordern, erfolgt zuweilen eine Placierung unter Ausschaltung der erwähnten Vakanzenliste, indem der Posten von der Agentur direkt einer geeigneten Kraft zugewiesen wird und der Engagementsabschluß dann von der Zustimmung des Arbeitgebers und -Nehmers abhängt. Ist das Engagement zustande gekommen, so hat der Angestellte noch eine Provision an die Agentur zu zahlen. Die Zahlung dieser Provision geschieht in der Weise, daß der Angestellte während der ersten sechs Monate in seiner neuen Tätigkeit einen gewissen Prozentsatz seines Gehalts an die Agentur abzuführen hat. Die Höhe dieses Satzes ist verschieden und steigt mit der Höhe des Gehalts. Wird die Stellung aus irgend einem Grunde vor Ablauf der Provisionszahlungspflicht aufgegeben, so erlischt natürlich mit dem Gehaltsbezug die Pflicht zur weiteren Zahlung. Die in Amerika zu stellenden Gehaltsansprüche richten sich natürlich nach der bisherigen Praxis, dem Bildungsgange, der Praxis im Lande, also in den Vereinigten Staaten und hängen zum großen Teil davon ab, ob man gut englisch spricht, so daß man mit Leichtigkeit eine Konversation führen kann. Genaue Angaben über Gehaltshöhen lassen sich schwerlich machen; junge Leute ohne Praxis im Lande, also Neuankömmlinge, beziehen im allgemeinen anfangs 10 bis 14 Dollars für die Woche, vorausgesetzt, daß sie eine gute technische Ausbildung genossen und zwei bis drei Jahre Bureaupraxis haben. Technische Angestellte mit bereits mehreren Jahren Amerikapraxis, die ferner mit der englischen Sprache, auch technisch, sowie mit den dortigen Arbeitsweisen usw. vollkommen vertraut sind, werden durchschnittlich mit 20 bis 30 Dollars für die Woche bezahlt, abermals eine gute Ausbildung und Praxis vorausgesetzt. Obige Angaben sind nur ganz ungefähre, die Höhe des Gehalts wird auch von der Konjunktur beeinflußt und ist außerdem in den verschiedenen Gegenden der Vereinigten Staaten abermals verschieden. Die Auszahlung des Gehalts erfolgt meistens wöchentlich; in einigen Staaten ist eine solche Zahlungsweise sogar gesetzlich vorgeschrieben. Halbmonatliche und monatliche Zahlungen kommen im Westen und Süden des Landes, besonders in kleineren Städten häufig vor. Angestellte in höheren Positionen erhalten dagegen allgemein monatliches Gehalt. Was die Verrechnung des Gehalts, das oftmals richtiger mit Lohn bezeichnet wird, anbelangt, so dürfte bereits bekannt sein, daß diese vielerorts nach der tatsächlich absolvierten Stundenzahl erfolgt. Natürlich müßte eine solche Zahlungsweise bei Engagementsabschluß bekannt gegeben werden. Auch findet man sie meist nur bei großen Werken und für solche Angestellte, die gegen Wochenlohn, wenn ich so sagen darf, engagiert sind. Die Berechnung geschieht etwa folgendermaßen: Das wöchentliche Gehalt wird durch 45–48 (letztere Zahl kommt hauptsächlich für den sogen. Mittelwesten des Landes in Betracht) dividiert, wodurch man das Stundengehalt erhält, welches dann mit der im Laufe der Woche als anwesend notierten Stunden- bezw. Minutenzahl entsprechend multipliziert wird. Z.B. ein Angestellter würde morgens 8 Uhr 10 das Werk bezw. das Bureau betreten, um 12 Uhr fortgehen und dann wieder von 1 Uhr bis 5 Uhr 20 arbeiten, so würde er für 3⅚ + 42/6 = 8⅙ Stunden Gehalt beziehen. Die Kontrolle der Zeit geschieht hauptsächlich durch die bekannten Registrieruhren. Die oben beschriebene Zahlungs- und Kontrollmethode mag bei den Deutschen unwillkürlich ein Mißfallen oder gar Entrüstung hervorrufen, sie ist auch für deutsche Verhältnisse nicht geeignet; wer jedoch die amerikanischen Verhältnisse genau kennt, wird ihnen nicht mehr so unsympathisch gegenüberstehen und solche Maßnahmen für Amerika und den amerikanischen Techniker gutheißen. Auch sind die beschriebenen Zahlungsweisen, wie schon gesagt, im allgemeinen nur bei großen Firmen zu finden und auch dort nicht überall; es sind auch drüben den deutschen Verhältnissen ähnliche anzutreffen, unter denen die durch Krankheit oder sonstigen Umständen versäumte Zeit nicht in Abzug gebracht, vielmehr das volle Wochen- bezw. Monatsgehalt ausgezahlt wird. Für letzteres, also für monatliche Gehaltszahlung kommt überhaupt nur selten Stundenrechnung in Frage. Ueberstunden werden meist mit 30 bis 50 v. H. Aufschlag bezahlt und kommen hauptsächlich für die gegen Stundenverrechnung angestellten Techniker in Frage, doch wird stellenweise auch den mit festem Monatsgehalt bezahlten Kräften die Extravergütung der Ueberstunden zuteil. Wie überall, so gibt es auch in Amerika sowohl rigorose als auch kulante Firmen, und sind mir größere Werke bekannt, die ihren gegen Wochengehalt angestellten Technikern stets den vollen Betrag auszahlen und versäumte Stunden bezw. Tage nicht in Abzug bringen, dagegen Ueberstunden mit 30 bis 50 v. H. extra zahlen. Hierbei setzt der Arbeitgeber natürlich voraus, daß die Arbeitszeit nach Möglichkeit eingehalten wird und Versäumnisse nur bei Krankheit, Unwetter oder aus anderen wirklich triftigen Gründen vorkommen. Eine gesetzliche Pflicht zu einer derartigen Bezahlung besteht nicht. Das Erwähnen von Unwetter als Störung mag demjenigen, der amerikanische Verhältnisse nicht kennt, aufgefallen sein; doch kommen große Verspätungen bezw. Versäumnisse infolge Unwetters im Winter oft genug vor. Hat über Nacht ein sogen. Blizzard, ein heftiger Schneesturm gewütet, und liegt der Schnee des Morgens ein Meter oder noch höher, so sind infolge der vielen Verkehrsstockungen, besonders in großen Städten mit großen Entfernungen, Verspätungen von ein bis zwei Stunden nichts Seltenes. Diese werden, wie erwähnt, von manchen Firmen, nicht als Versäumnisse angerechnet und werden bei derartigem Wetter, wenn der Verkehr der Straßenbahn usw. nicht aufrecht erhalten werden kann, die Arbeitsstätten zuweilen noch eine Stunde früher geschlossen, um hierdurch den Angestellten Gelegenheit zu geben, einigermaßen rechtzeitig nach Hause zu kommen. (Schluß folgt.)