Titel: Der heutige Stand der Unipolarmaschine.
Autor: C. Trettin
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 129
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Der heutige Stand der Unipolarmaschine. Von C. Trettin, Berlin. TRETTIN: Der heutige Stand der Unipolarmaschine. Inhaltsübersicht. Die Großunipolarmaschine für Dampfturbinenantrieb, deren Entwicklung in Amerika durch Noeggerath und Lamme begründet worden ist, konnte sich trotz mancher Mängel in ihren ersten Ausführungsformen behaupten, da gleichwertige Gleichstrom-Turbogeneratoren mit Kommutator in der Anfangszeit recht betriebsunsicher oder – wie in Amerika – gar nicht vorhanden waren. Die schnelle Entwicklung der Dampfturbine, die heute bei 3000 Umdrehungen 8000 PS sicher beherrscht, stellt jedoch an die Leistungsfähigkeit eines modernen Turbogenerators so hohe Anforderungen, daß die Unipolarmaschine nur auf dem Sondergebiet der Starkstromerzeugung mit der kommutierenden Gleichstrommaschine erfolgreich den Wettbewerb aufnehmen kann. (Letztere ist bereits bis 900 KW bei 3000 Umdrehungen betriebssicher durchgebildet.) Die beim Bau von hochausgenutzten Unipolarmaschinen auftretenden Schwierigkeiten werden in dem Aufsatz in solche elektrischer Natur (Rückwirkung, Wirbelströme) und solche mechanischer Natur (Festigkeit, Fliehkräfte) eingeteilt und näher erläutert, wobei auf eine neuere Veröffentlichung von Lamme (Proceedings 1912) sowie auf die neuesten Entwürfe der S. S. W. Bezug genommen ist. Es wird darauf hingewiesen, daß die Zukunft der Unipolarmaschine in letzter Linie vom Material der Schleifringe abhängt, die folgenden Bedingungen genügen müssen. 1. Geringste Permeabilität zur Vermeidung von Wirbelströmen; 2 geringer Spannungsabfall unter den Bürsten; 3. große Festigkeit; 4. gute Polierfähigkeit bei hohen Stromdichten unter den Metallbürsten. Zum Schluß wird, unter der durchaus wahrscheinlichen Annahme, daß ein geeignetes Material (Bronze) geschaffen werden wird, eine Zusammenstellung der zukünftigen, mit Unipolarmaschinen erreichbaren Leistungen aufgestellt und ein kritischer Vergleich zwischen dieser und der kommutierenden Maschine gezogen. –––––––––– Das Interesse an einer Gleichstrommaschine, die ohne Kommutator und ohne Stromwendung arbeitet und wirklich kontinuierlichen, an Schleifringen abzunehmenden Gleichstrom liefert, ist trotz aller Fortschritte im Bau kommutierender Maschinen stets wach geblieben und hat im Laufe der Jahre zahllose Entwürfe gezeitigt. Die überwiegende Mehrzahl dieser Unipolarmaschinen, wie wir die kommutatorlose Gleichstrommaschine, dem üblichen Sprachgebrauch folgend, kurz nennen wollen, ist allerdings über das Stadium von Anregungen und Patentansprüchen niemals hinausgekommen, offenbar deshalb, weil die praktische Ausführung der jeweiligen, scheinbar so naheliegenden Idee bedeutend schwieriger war, als die einfache Theorie vermuten ließ. Außerdem war zu einer Zeit, als im Dynamobau eine Umfangsgeschwindigkeit von 20 m/Sek. als normal und 30 m/Sek. schon als hoch galt, d.h. noch bis vor etwa 8 bis 10 Jahren, das Bedürfnis nach einer Gleichstrommaschine für große Ströme bei kleiner Spannung recht gering; sie hätte höchstens für Sonderzwecke, wie z.B. für Apparateprüffelder und ähnliche Betriebe, Verwendung finden können. Erst mit dem Siegeslauf der Dampfturbine, die der Elektrotechnik Umfangsgeschwindigkeiten von 100 m/Sek. und mehr aufzwang und den Ingenieur an früher nie geahnte Beanspruchungen mechanischer und elektrischer Natur gewöhnte, wuchsen auch die Aussichten des unipolaren Generators, dem sich nunmehr ein weites Verwendungsgebiet zu eröffnen schien. Eine Zeitlang galt er sogar als ein ernsthafter Rivale des kommutierenden Turbogenerators, als dieser nämlich noch seine Kinderkrankheiten nicht überwunden hatte und vielfach als rechtes Schmerzenskind der Industrie angesehen wurde. Das hat sich nun allerdings im Laufe der Jahre wesentlich geändert. Einerseits ist der Gleichstromturbogenerator zu einem hohen Grade von Betriebssicherheit und Leistungsfähigkeit gediehen, andererseits haben sich beim Bau großer Unipolarmaschinen für Dampfturbinenantrieb derartige Schwierigkeiten herausgestellt, daß vorläufig von einem wirklichen Wettbewerb zwischen beiden Maschinengattungen nicht mehr gesprochen werden kann. Wohl aber können wir die Unipolarmaschine schon in ihrem heutigen Zustande als willkommene Ergänzung der schnellaufenden Kommutatormaschine betrachten. Denn für das Sondergebiet der Starkstromerzeugung bei geringer Spannung eignet sie sich wie keine andere Maschinengattung und scheint dafür in der Tat berufen, alle anderen Stromquellen zu verdrängen. Textabbildung Bd. 328, S. 130 Abb. 1. Die Hoffnungen, die zu Anfang der Entwicklung an das unipolare System geknüpft wurden, gingen allerdings wesentlich weiter. Es sollte nicht nur eine Niederspannungsmaschine, also eine Spezialmaschine, geschaffen werden, sondern ein für alle Spannungen und Leistungen brauchbarer, durchaus konkurrenzfähiger Gleichstrom-Turbogenerator. Es ist bekannt, daß es dazu nicht gekommen ist, weniger bekannt dürften aber die Ursachen sein, die die Entwicklung bisher gehemmt haben. Ich hoffe daher das Interesse der Leser zu finden, wenn ich im Verlaufe dieser Abhandlung auch auf die Geschichte der heutigen Großunipolarmaschine etwas näher eingehe. Textabbildung Bd. 328, S. 130 Ihr Geburtsland ist Amerika, und ihr Pionier ist Noeggerath, der sich seit 1903 mit dem Problem beschäftigt hat. Er ist unstreitig der erste, der planmäßig die Stromabnahme durch Gleitkontakte bei hohen Umfangsgeschwindigkeiten studierte und eine lebensfähige Unipolarmaschine für Dampfturbinenantrieb schuf. Nach seinen Entwürfen hat die General Electric Co. in den darauffolgenden Jahren eine Reihe von Maschinen bis zu 2000 KW Leistung gebaut, über die vielfach in der FachliteraturProceedings of the American Institute of Electrical Engineers 1905 S. 1 u. f. Elektrische Bahnen und Betriebe 1905 S. 233 u. f. Elektrotechnische Zeitschrift 1905 S. 831 u. f. Electrical World 1905 S. 233 u. f., 1908 S. 574 u. f. Elektrische Kraftbetriebe und Bahnen 1908 S.563 u. f., 1911 S.810 u. f. Ueber die Stromabnahme mit besonderer Berücksichtigung usw. Dissertation von Noeggerath 1911. berichtet worden ist. Dasselbe System haben neuerdings die Siemens-Schuckertwerke angenommen und auf Grund der inzwischen gemachten Erfahrungen in Materialien und Fabrikation weiter entwickelt. Im Jahre 1906 nahm auch die Westinghouse Mfg. Co. den Bau von Unipolarmaschinen auf. Ueber die Schicksale des ersten derartigen Generators (Abb. 1) berichtete kürzlich ihr Konstrukteur Lamme in einem Vortrag vor dem American Institute of Electrical Engineers.Veröffentlicht in Proceedings vom 28. Juni 1912. Diese Lebens- und Leidensgeschichte ist wegen der Offenheit, mit der jeder Mißgriff und Fehlschlag eingestanden wird, außerordentlich anerkennenswert. Der Artikel ist aber auch in anderer Hinsicht lehrreich, insofern nämlich, als die vielen, ganz überraschend aufgetretenen Schwierigkeiten charakteristisch für die Fabrikation von Unipolarmaschinen überhaupt sind. Das jeweils gewählte System spielt dabei, wie wir sehen werden, nur eine untergeordnete Rolle, die wahre Quelle ist das Zusammentreffen hoher elektrischer und hoher mechanischer Beanspruchungen, nämlich von Isolationsfestigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Fliehkräfte bei wechselnder Temperatur. Das aber ist allen Systemen gemeinsam. Textabbildung Bd. 328, S. 130 Abb. 4. Obwohl ich das Wesen und die Wirkungsweise der Unipolarmaschine als bekannt voraussetzen darf, möchte ich doch kurz den Aufbau der modernen, für Dampfturbinenantrieb geschaffenen Maschine amerikanischer Bauart schildern, um das Verständnis des Folgenden zu erleichtern. Abb. 2 gibt den Längsschnitt und Abb. 3 den Querschnitt einer Noeggerath-Maschine, mit der die Lammesche in den Grundzügen übereinstimmt. Auf die Unterschiede im einzelnen gehe ich später ein. Charakteristisch für die Type ist die Ausführung des rotierenden Teils, des Ankers, in Zylinderform, weil nur so die genügende Stromabgabefläche zu erzielen ist. Sie besteht aus einzelnen, voneinander und vom Zylinderkörper A isolierten Schleifringen B, an die nach bestimmten, durch die Maschinenleistung vorgeschriebenen Gesetzen die Stäbe C angeschlossen sind. Jeder Schleifring der einen Ankerseite ist mit dem entsprechenden Ring der anderen Seite durch einen oder mehrere Stäbe verbunden (vergl. auch Abb. 4, die ein Schema der „Wicklung“ darstellt). Der feststehende Teil D besteht aus einem den Anker umschließenden Hohlzylinder, dessen Aussparungen im ganzen drei Vorsprünge, „die Polringe“, heraustreten lassen. Da zur Beobachtung und Bedienung der Schleifringe unbedingt Zugänge vorhanden sein müssen, so stellt sich das Gehäuse mit seinen Bedienungsfenstern auf jeder Seite als ein durch Arme verbundenes System dreier Polringe dar. Die in den Aussparungen untergebrachten Erregerspulen EE, die den Rotor konzentrisch umschließen, erzeugen zwei Kraftliniensysteme, deren Richtungen durch die punktierten Pfeile angedeutet sind. Die ausgezogenen Pfeile geben die Richtungen der erzeugten elektromotorischen Kraft an, die stets senkrecht zur Kraftlinien- und Drehrichtung stehen. R sind die feststehenden Leiter, die die Bürsten unter sich verbinden. Sie können entweder außen herum oder dicht an der inneren Bohrung durch die Löcher (Nuten) des mittleren Ringes (Abb. 5 und 6) geführt werden. Jedenfalls sind sie nicht entbehrlich, da die elektromotorische Kraft eines Schleifringpaares, d.h. die im Rotorkörper allein erzeugte elektromotorische Kraft für die praktisch in Frage kommenden Netzspannungen nicht ausreicht. Dies wird sofort durch ein einfaches Beispiel klar werden, wenn wir die der modernen Technik entsprechenden Zahlen zugrunde legen. Es sei gegeben: n = die Drehzahl des Generators = 3000 i. d. Min., va = die Umfangsgeschwindigkeit des Generators    = 100 m/Sek. Daraus folgt der Durchmesser des Ankers mit Da = 636 mm. Die in einer Mantellinie bzw. in einem Wicklungsstab erzeugte elektromotorische Kraft ist nach dem Induktionsgesetze E=\frakfamily{B}\,l\,v_a\,.\,0^{-8} Volt . . . . (1) wo \frakfamily{B}= die Induktion im Luftraum in CGS-Einheiten,       l = die Leiterlänge in cm,      va = die Leitergeschwindigkeit in cm/Sek. ist. Setzen wir hierin v_a=\frac{D_a\,\pi\,n}{60} und beachten, daß die gesamten, in den Zylindermantel eintretenden Kraftlinien 2\,\Phi=\frakfamily{B}\,.\,D_a\,\pi\,l durch die Zylinderquerschnitte unter den Ringen hindurchmüssen, wobei die Sättigung eine bestimmte Grenze \frakfamily{B}_i nicht überschreiten darf, so erhalten wir E=\frakfamily{B}\,D_a\,\pi\,l\,\frac{n}{60}\,\times\,10{-8} oder E=2\,\Theta\,\frac{n}{60}\,.\,10^{-8} . . . . . (2) wenn wir \frakfamily{B}\,D_a\,\pi\,l=2\,\Phi setzen, und E=2\,.\,\frakfamily{B}_i\,{D_i}^2\,\frac{\pi}{4}\,\frac{n}{60}\,\times\,10^{-8}\mbox{ Volt} . . (2a) Es sei nun \frakfamily{B}_i=14000, \frakfamily{D}_i=520 mm (nach Abzug der isolierten Ringe), dann ist E = 30 Volt. Das ist ein Wert, der bei großen Leistungen von etwa 500 bis 700 KW auch nicht einmal für chemische Betriebe brauchbar ist. Heutzutage werden mindestens 60 bis 80 Volt dafür verlangt. Daß dies aber mit einer Unipolarmaschine von 3000 Umdrehungen nicht ohne Hintereinanderschaltung von mehreren Leitern zu erreichen ist, zeigt unser Zahlenbeispiel genügend deutlich. Wir erkennen aber auch gleichzeitig die Grenzen der überhaupt erreichbaren Spannung bei 3000 Umdrehungen: \frakfamily{B}_i, die Eisensättigung unter den Schleifringen, läßt sich kaum mehr als einige Prozent höher treiben, wenn man nicht jede Reserve in der Erregung aufgeben will; va, die Umfangsgeschwindigkeit, ist vielleicht noch steigerungsfähig (die Zahl von 100 m/Sek. stellt einen öfter überschrittenen Mittelwert dar). Es ist aber zu beachten, daß damit nicht nur die Schwierigkeiten der Stromabnahme wachsen, sondern daß auch die Luftreibungsverluste stark zunehmen, der Wirkungsgrad also schnell sinkt. Eine Spannung von 40 Volt für ein Schleifringpaar dürfte daher das äußerste sein, was aus einer wirtschaftlich arbeitenden Maschine zu gewinnen ist. Dies gilt natürlich nur für eine Drehzahl von 3000 i. d. Min. Bei der halben Drehzahl und gleicher Umfangsgeschwindigkeit ist die erreichbare elektromotorische Kraft für einen Stab doppelt so groß. Ich habe aber absichtlich diesen Wert gewählt, weil bei dem heutigen Stande der Technik eine niedrigere Umlaufszahl keine konkurrenzfähige Maschine mehr erlaubt.Eine auf ganz anderem Wege angestrebte Lösung, nämlich die Scheibenmaschine von v. Ugrimoff, habe ich deshalb nicht erwähnt, weil sie mit Quecksilberkontakten arbeitet und eine Umfangsgeschwindigkeit von 250 m/Sek. (bei 8000 Umdrehungen i. d. Min.) verlangt. So wertvoll sie als Versuch erscheint, kommt sie für industrielle Zwecke bei großen Leistungen vorläufig kaum in Frage. Interessenten finden ihre Entwicklungsgeschichte, Theorie und Meßresultate in der lesenswerten Schrift: v. Ugrimoff: Die unipolare Gleichstrommaschine. Textabbildung Bd. 328, S. 131 Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß bei geringerer Umlaufzahl nicht nur das Gewicht und der Preis des Generators wächst, sondern auch der Preis der, Dampfturbine. Diese ist aber jetzt schon für Leistungen bis zu 6000 KW bei 3000 Umdrehungen so betriebssicher durchgebildet, daß sie den Elektromaschinenbau mehr und mehr auf diese hohe Drehzahl konzentriert und auch den Gleichstromgenerator zwingt, so gut es geht, Schritt zu halten. Allerdings bleibt er dabei hinter dem Wechselstromgenerator noch weit zurück. Denn bei kommutierenden Maschinen sind 900 KW als Typenleistung wohl zurzeit die Grenze für 3000 Umdrehungen (ein derartiger, von den Siemens-Schuckertwerken gebauter Generator ist seit einigen Monaten im Betrieb, ein zweiter Generator für die gleiche Leistung ist in Arbeit), für die Unipolarmaschine dürfte sie heute auch kaum so hoch liegen. Dies scheint auf den ersten Blick verwunderlich, denn von jeher war man gewohnt, in der Unipolarmaschine, die keine Kommutierung und keine komplizierte Wicklung besitzt, eine Quelle für unbegrenzte Stromstärken zu sehen. Dies ist aber, wie die Praxis gelehrt hat, ein großer Irrtum gewesen. Das scheinbar so einfache System enthält in Wirklichkeit ganz außerordentliche Schwierigkeiten, die eine ziemlich scharfe Grenze für die Leistung bei einer gegebenen Drehzahl bilden. Die eine Gruppe davon ist elektrischer Natur, wir wollen sie mit Noeggerath, der sich um ihre Aufhellung sehr verdient gemacht hat, unter dem Namen Rückwirkung zusammenfassen. Die zweite Gruppe der Schwierigkeiten ist mechanischer Natur und gipfelt in der auch heute noch nicht vollständig gelösten Frage der Materialbeanspruchung. (Schluß folgt.)