Titel: Von der diesjährigen Sommerversammlung der Institution of Naval Architects vom 23. bis 25. Juni.
Autor: Carl Kielhorn
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 465
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Von der diesjährigen Sommerversammlung der Institution of Naval Architects vom 23. bis 25. Juni. Von Konstruktionsingenieur Carl Kielhorn in Zehlendorf. [KIELHORN: Von der diesjährigen Sommerversammlung der Institution of Naval Architects vom 23. bis 25. Juni] A) Eine englische Stimme über die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Werften. Auf der diesjährigen Sommerversammlung der britischen Schiffbautechnischen Gesellschaft in Glasgow wurde eine Reihe von Vorträgen gehalten, welche zum großen Teil auch für unsern deutschen Schiffbau von Interesse sind. Der erste Vortrag über „Schiffbau-Kontrakte“ von L. Peskett behandelte ein rein kaufmännisches Thema, Welches aber auch für unsere heimischen Werften von Bedeutung ist. Beim Bau großer Schiffe, namentlich der Passagierdampfer mit Einrichtungen für mehrere Tausend Passagiere, mit Gesellschafts- und Prunkräumen der verschiedensten Art und für die verschiedenen Klassen ist es für die Bauwerft sehr schwierig, in der kurzen Zeit von wenigen Wochen eine genaue Berechnung aufzustellen, um den Gesamtpreis endgültig festlegen zu können, zumal während der Bauzeit infolge von Preissteigerungen der Materialien sich große Unterschiede gegen die ursprüngliche Kalkulation ergeben können. Ist es jetzt auch allgemein üblich, daß die Ausstattung der Prunkräume von der Lieferung der Werft ausgenommen ist, so bilden doch die zahllosen anderen Anlagen, mit welchen die modernen Dampfer ausgestattet sind, der schwankenden Faktoren genug in dem Kostenanschlag, besonders weil vollständig ausgearbeitete Pläne, an die sich Reeder und Werft kontraktlich zu binden hätten, bei den großen Dampfern beim Vertragsabschluß meist nicht vorliegen, und manche der neuesten Einrichtungen erst während des Baues von der Reederei für das betreffende Schiff gefordert werden. Mit dem früher vielfach üblichen Grundsatz aber, daß die Nachtragsforderungen erst den eigentlichen Verdienst der Werft bilden, sind heute die Reedereien nicht mehr recht einverstanden. Peskett stellte nun ein Schema auf, nach welchem er die Bausumme in vier Teile zerlegte: 1. die baren Auslagen der Werft, 2. die Betriebskosten der Werft, 3. besonders spezifizierte Inventarlieferungen und 4. den Verdienst der Werft. Er wies dabei auf den Bau des großen Cunarddampfers „Franconia“ hin. Bei Festlegung der Bausumme soll der Werft von Swan & Hunter & Wigham Richardson Ltd. von der Cunard-Linie ein Maximalpreis zugestanden worden sein, der nicht überschritten werden durfte; wenn sich bei der Bauausführung Erleichterungen ergeben sollten, so sollte eine entsprechende Summe in Abzug kommen. Nach Fertigstellung des Schiffes hätten die Erbauer der Cunardlinie einen Rabatt von 400000 M gewährt für Ersparnis an Material und Arbeit, die sich die Parteien während des Baues gegenseitig zugestanden hätten. In ähnlicher Weise wollte er die Punkte 1 bis 3 seines Kontraktschemas von Werft und Reederei behandeln und schließlich nach dem Endergebnis die Verdienstquote regulieren. Die Diskussion gestaltete sich sehr interessant, indem die meisten Redner ihre Bedenken gegen einzelne Punkte des Systems durch Beispiele erläuterten. Ihre Wiedergabe würde natürlich zu weit führen. Größere Aufmerksamkeit dürfte man indessen den Ausführungen schenken, die hierbei Dr. jr. John Inglis, der Vertreter der Institution of Naval Architects im Lloyd's Committee über den Wettbewerb der englischen Werften mit den deutschen machte. Er führte aus, er kenne aus den letzten beiden Jahren ein gutes Teil Offerten englischer Werften für Reedereien auf dem Kontinent (Deutschland), und er wüßte nicht, daß auch nur eine dieser englischen Offerten Erfolg gehabt hätte. Die sämtlichen angefragten Schiffe seien außerhalb Englands in Auftrag gegeben worden, und die Offerten welche den Zuschlag erhalten hätten, seien 15 bis 20 v. H. unter den niedrigsten englischen Offerten gewesen In einem Falle sei der erfolgreiche Konkurrent 50 v. H. unter dem Höchstpreis geblieben. Die Werften in Deutschland und Holland könnten billiger arbeiten, weil die Löhne niedriger seien und die Arbeiter bei geringeren Löhnen eine längere Arbeitszeit hätten. (Von den sozialen Lasten der Alters- und Invaliditätsversicherung und den sonstigen Beiträgen, welche nur die deutschen Werften zu leisten haben, von denen man aber weder in England noch in Holland etwas weiß, schweigt der Brite.) Dann aber fährt er fort: „Wenn die Beschäftigung in der Schiffbauindustrie weniger lebhaft werde, als sie zurzeit sei, dann dürften manche der Werften auf dem Kontinent (d.h. die deutschen) sich als sehr gefährliche Konkurrenten bei Aufträgen von britischen Reedereien erweisen.“ Dies ist das Urteil eines der führenden Männer in der englischen Schiffbauindustrie über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Werften auf dem Weltmarkt. Wir haben wiederholt in dieser Zeitschrift Gelegenheit genommen darauf hinzuweisen, daß der deutschen Schiffbauindustrie der Auslandmarkt völlig fehlt. Der deutsche Schiffbau steigt und sinkt mit dem Steigen und Fallen des deutschen Reedereigeschäfts, ihm fehlt wie gesagt, die ausgleichende Beteiligung auf dem Weltmarkt zurzeit noch fast völlig. Was Dr. John Inglis als Konditionalsatz aufgestellt hat (When the shipbuilding industry became less brisk), ist zurzeit für den deutschen Schiffbaumarkt Tatsache geworden. Die Beschäftigung beginnt auf den deutschen Werften nachzulassen, einstweilen aber hören wir nur, daß französische Werften namhafte Aufträge für englische Reedereien erhalten haben. (Vergl. D. p. J. Heft 21, S. 322 d. Bd.) Neuerdings verlautet, daß allein nach Antwerpen bzw. Hoboken über 60000 B.-R.-T. für englische Reeder in Auftrag gegeben wurden. Dabei baut Belgien zurzeit nur ein Drittel der Handelsschiffe für belgische Rechnung im eigenen Lande, während zwei Drittel für belgische Rechnung im Ausland im Bau sind. Deutschland bleibt also zunächst noch vom Weltmarkt ausgeschlossen. Unsere deutsche Handelsflotte wies am 1. Mai dieses Jahres einen Bestand von 3911 Schiffen mit zusammen 5321715 B.-R.-T. auf, davon waren 1160 Schiffe mit 1603 269 B.-R.-T. oder volle 30,2 v. H. in England gebaut, d.h. also: für mindestens ein drittel Milliarde Mark deutsches Kapital war für den Bau deutscher Handelsschiffe an die englische Schiffbauindustrie gezahlt worden. Wach' auf Germania!