Titel: Zuschrift an die Redaktion.
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 510
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Zuschrift an die Redaktion. (Ohne Verantwortung der Redaktion.) Zuschrift an die Redaktion. Die Kreise, welche Herrn Kammerer 1902 so überaus reiche Mittel zur Verfügung gestellt hatten, erwarteten sicher von ihm eine Förderung und keine Hemmung der Erkenntnis. Sein Eingeständnis (vergl. Heft 31 S. 496 d. Bd.), daß die vor fünf Jahren (Z. d. V. d. I. 1908, S. 1819) von ihm als grundfalsch bekämpfte Hennigsche Betrachtung nun doch „theoretisch vollkommen richtig“ ist, dürfte also einiges Aufsehen erregen. Diese Wirkung vermögen die weiteren Ausführungen des Herrn Kammerer kaum abzuschwächen. Er sucht darin – abgesehen von einigen Bemerkungen zu dem von Herrn Stephan erwähnten Modell, die eine Reihe für die Allgemeinheit unschädlicher Irrtümer enthalten – einerseits nachzuweisen, daß die Hennigschen Betrachtungen zu einer quantitativen Erklärung der Charlottenburger Versuchsergebnisse nicht ausreichen, und lehnt andererseits Kritiker, die ihm nicht diese restlose Erklärung seiner eigenen Versuche mitbringen, als unzuständig ab. Man sieht leicht ein, daß dieses Verfahren eine gewisse Immunität gerade der unzuverlässigsten Experimentaluntersuchungen begründen würde. Herrn Hennigs Betrachtung erklärt, wie Herr Duffing bestätigt, praktisch vollkommen Herrn Kammerers Leerlaufdiagramm 71 für Seile, also gerade ein Diagramm mit großen Abweichungen gegenüber Grashof, die Herr Kammerer erfolglos zu deuten gesucht hatte (s. S. 49 seines Versuchsberichtes 1908). Bei Leerlaufversuchen mit Riemen dagegen hatte Herr Kämmerer damals Uebereinstimmung mit Grashof „innerhalb der Fehlergrenzen der Messung“ behauptet (ebenda S. 46), so daß hier überhaupt keine von Herrn Kammerer bemerkte Unstimmigkeit, sondern im Gegenteil der Umstand aufzuklären war, daß Herr Kammerer keine Unstimmigkeit bemerkt hatte. Ich habe das in meinem Januarvortrag getan, indem ich Herrn Kammerers Riemenleerlaufversuche (Abb. 67 des Versuchsberichtes) „nach Ausdehnung und Genauigkeit unzureichend“ nannte, und Herr Duffing schließt sich dem vollständig an, indem er sagt: „die scheinbare Uebereinstimmung bei Herrn Kammerer ergab sich nur, weil er die Geschwindigkeit nicht hoch genug getrieben hatte“. Wenn Herr Kammerer, der nach Vorstehendem 1908 irrtümlich volle Uebereinstimmung seiner Riemenleerlaufversuche mit der Grashofschen Theorie behauptet hatte, jetzt in seiner Zuschrift Herrn Hennigs Betrachtungen umgekehrt als unzulänglich hinstellt, die „durchweg bedeutenden“ Ueberschreitungen der Grashofschen Achsdruckwerte zu erklären, so wird er es billig keinem Leser verübeln können, der vor solchem Widerspruch ratlos stände. Da man aber vielleicht noch annehmen könnte, daß ein geschärfter Blick wirklich „durchweg bedeutende“ Ueberschreitungen erkennt, wo Herr Kammerer vor fünf Jahren befriedigende Uebereinstimmung sah, so sei es gestattet, einige Zahlen aus dem Versuchsbericht 1908 hier anzuführen. Herr Kammerer hatte damals, wie er auf S. 52 erläutert, vor jeder Versuchsgruppe nicht nur die Vorspannung im Stillstand, sondern auch die Achsspannung bei Leerlauf gemessen, und da diese Achsspannungen in die axonometrischen Schaubilder eingeschrieben sind, so steht ein reiches Material von etwa 70 Achsdruckmessungen an leerlaufenden Riementrieben zur Verfügung. Ich greife die vier Messungen der Hauptgruppe IV auf S. 68 und die vier Messungen der Hauptgruppe VII auf S. 72 heraus und finde bei einerVorspannung desRiemens vonkg/cm Achsdruckim Leerlauf vonKammerer gemessenkg Achsdruckim Leerlauf nachGrashof berechnetkg   3,8   142   114   4,8   181   189   5,4   216   232   6,0   222   278 11,3   840   816 12,3   906   896 13,6 1004 1000 15,0 1090 1112 Wo sind nun hier bei der zweiten Hauptgruppe die. bedeutenden Abweichungen? Oder wie kann man bei der ersten Hauptgruppe, wo es an Abweichungen nicht fehlt, behaupten, daß „der gemessene Achsdruck bei allen Versuchen stets weit über dem rechnungsmäßigen Achsdruck lag“ (Versuchsbericht 1913 S. 4)? Der Riemen LR 14 war bei Versuch 10, der eine in obiger Zuschrift genannte „Ueberschußspannung“ von 23 kg/cm geliefert haben soll, mit 67,1 kg/cm oder bei 5 mm Dicke mit 134,2 kg/qcm (!) belastet. Solche Versuche zur Prüfung unserer Riementheorie zu verwenden, ist ebenso verkehrt, wie wenn man das Ergebnis einer Kaltbiegeprobe gegen die Naviersche Stabtheorie ausspielen wollte. Als einziges Beweisstück für die Unzulänglichkeit der Hennigschen Erklärung bleibt also Herrn Duffings Abb. 10 übrig, welche sowohl eine Achsdrucklinie nach Hennig-Duffing, wie die gemessenen Achsdruckwerte aus Abb. 68 des Versuchsberichtes zeigt, und zu der Herr Duffing anmerkt: „Meßfehler von der Größe der Abweichung sind nach der guten Uebereinstimmung von Abb. 7 mit Abb. 71 des Versuchsberichtes 1908 nicht wohl anzunehmen“. Nun stehen neben dem Leerlaufdiagramm (Abb. 71) für Seile in Herrn Kammerers erstem Versuchsbericht wie oben erwähnt, noch 70 Achsdruckmessungen an leerlaufenden Riementrieben zur Verfügung, und ich habe oben in Hauptgruppe IV eine Versuchsreihe herausgegriffen, bei der von einer guten Uebereinstimmung nicht die Rede ist. Herr Duffing wird also zunächst die Unterscheidung aufgeben müssen, als ob Herrn Kammerers Leerlaufversuche mit der Theorie übereinstimmten und nur die Versuche bei Belastung erhebliche Unstimmigkeiten zeigten. Er steht dann vor der Wahl, auch für die zahlreichen Leerlaufversuche des Herrn Kammerer neue Hypothesen zu suchen oder aber sein Vertrauen zu den wenigen Achsdruckmessungen, die Herr Kammerer an belasteten Riemen gemacht und in Abb. 68 wiedergegeben hat, erheblich einzuschränken. Daß er hiermit das Richtige treffen würde, bezweifle ich um so weniger, als ich bei eigenen Versuchen, die bis zu sehr hohen Werten des Spannungsverhältnisses getrieben wurden, eine ganz leidliche Uebereinstimmung mit Dehnungsberechnungen im Sinne des Herrn Hennig gefunden habe.Versuche über den Einfluß der Oberflächenbeschaffenheit gußeiserner Riemenscheiben auf die übertragbare Leistung, Dortmund 1911 und 1912. Ich meinerseits stehe den Rätseln, die Herr Kammerer uns seit einigen Jahren aufgibt, erheblich anders gegenüber, als er zu glauben scheint. Ich halte das ganze ungeheuere Charlottenburger Versuchsmaterial infolge zahlloser Fehler, die bei der Vorbereitung und Ausführung, bei der Auswertung und Wiedergabe der Versuche untergelaufen sind, für den denkbar ungeeignetsten Prüfstein einer Theorie und bewundere nur, daß Herr Hennig daraus doch wenigstens eine fruchtbare Anregung gewinnen konnte. Meiner Auffassung hat sich übrigens, so viel mir bekannt ist, auch der „Wissenschaftliche Beirat des Vereines deutscher Ingenieure“ bereits in seiner Januarsitzung angeschlossen. Waidbruck, den 28. Juli 1913. R. Skutsch.