Titel: Rudolf Diesel.
Autor: H. Meuth
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 705
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Rudolf Diesel. Von Dr.-Ing. H. Meuth in Stuttgart. MEUTH: Rudolf Diesel. Durch ein trauriges Geschick ist Ende September einer unserer bekanntesten deutschen Ingenieure, Dr. Rudolf Diesel, ein Mann, dessen Name Weltruf hatte, aus dem Leben geschieden. Auf der Fahrt von Harwich nach London ist er vom Dampfer Dresden spurlos verschwunden. Einige Tage nach dieser überraschenden, fast unglaublichen Nachricht wurde sein Leichnam ans Land gespült. Ein Leben von kühner, zäher Arbeit, das für die industrielle Welt von außerordentlicher Bedeutung geworden ist, hatte damit vorzeitig ein tragisches Ende gefunden. Geboren 1858 zu Paris kam Diesel nach Ausbruch des Krieges von 1870 nach Augsburg, wo er zur Vorbereitung für den technischen Beruf die dortige Industrieschule besuchte. Seine weiteren Studien machte er an der Technischen Hochschule München. Hier waren es vor allem die Vorträge Lindes, welche den Grund zu seinen späteren Arbeiten legten, und der Geist Zeuners, der durch Vermittlung des berühmten Kältetechnikers und späterhin durch Prof. Schröters lebendige und ausgezeichnete Darstellung der wärmetheoretischen Fragen auf einen für alles Große und Schöne begeisterten jungen Mann anregend wirken mußte. Die Tatsache, daß die damals bekannten Wärmekraftmaschinen, in erster Linie die Dampfmaschine, auch in ihrer hochentwickelten Ausführung nur einen trostlos kleinen Bruchteil der in dem Brennstoff enthaltenen Energie ausnutzt, konnte keinen erfinderischen Kopf auf die Dauer in Ruhe lassen. Wohl war der Weg, auf dem theoretisch eine höhere, ja die höchst mögliche Ausnutzung erreicht werden kann, von Carnot in klarer Weise vorgezeichnet; es blieb aber bei einer schönen theoretischen Erörterung in den Büchern und Vorlesungen über Wärmemechanik. Die Verwirklichung des Idealprozesses machte allerdings wegen der hohen Drucke und Temperaturen außerordentliche Schwierigkeiten. Es fehlte ja nicht an Vorschlägen, die aber praktisch nicht durchführbar waren, wenigstens sich für die Krafterzeugung im großen nicht eigneten. Diese Gedanken beschäftigten den jungen Diesel während seiner weiteren Betätigung in der Praxis, die er nach Abschluß einer Assistententätigkeit bei Prof. Linde zunächst bei Gebr. Sulzer in Winterthur und darauf im Dienste der Gesellschaft für Lindes Eismaschinen fand, deren Vertreter er zuerst in Paris, dann in Berlin war. Im Jahre 1893 hat Diesel seine Idee eines „neuen rationellen Wärmemotors zum Ersatz der Dampfmaschinen und der heute bekannten Verbrennungsmotoren“ den Fachleuten in einer kleinen Schrift zur Kenntnis gebracht. Er gab darin nicht bloß eine eingehende theoretische Begründung seines Vorschlags, sondern zeigte auch dessen praktische Durchführbarkeit in allen Einzelheiten. Er schlug vor, die Kompression der Verbrennungsluft so hoch zu treiben, daß diese über die Entzündungstemperatur des Brennstoffes erhitzt wird. Letzterer wird in gasförmigem oder flüssigem, nach der anfänglichen Absicht Diesels sogar in festem Zustand als Kohlenstaub in den Zylinder eingeblasen und vollkommen verbrannt, und zwar sollte dies in demselben Maß geschehen, als bei fortschreitendem Kolben durch die Expansion der Verbrennungsprodukte Arbeit geleistet wird, so daß, wie Carnot es verlangt, die Temperatur in diesem Teil des Prozesses unverändert bleibt. Die Verdichtung konnte eben bei reiner Luft (und auch bei Mischung mit dem Rest der Verbrennungsgase) ohne den Nachteil einer Frühzündung wie bei anderen Verbrennungsmotoren sehr hoch getrieben werden (auf 30 bis 60 at je nach der Entzündungstemperatur des verwendeten Brennstoffes). Nach Unterbrechung der Brennstoffzufuhr und der Verbrennung erfolgt die weitere Expansion und Arbeitsleistung, das Ausstoßen der Verbrennungsgase sowie das Ansaugen frischer Luft wie bei den anderen Verbrennungsmotoren. Das Hauptmerkmal der Diesel-Maschine bleibt die hohe Vorverdichtung der Verbrennungsluft und die Einführung des Brennstoffs am Ende der Verdichtung. Die Absicht des Erfinders, damit dem idealen Carnot prozeß, welcher Wärmezuführung bei konstanter höchster Temperatur vorschreibt, nahe zu kommen, wurde allerdings bei der wirklichen Maschine nicht ganz erreicht. Es gelang auch späterhin nicht, die Verbrennung des eingespritzten Brennstoffes so zu regeln, daß eine isothermische Wärmezuführung zu Stande kam. Auf die zweite Forderung des Idealprozesses einer isothermischen Wärmeabführung verzichtete Diesel, um die Verdichtungsspannung in mäßigen Grenzen zu halten. Am ehesten konnte noch mit einem adiabatischen Verlauf der Expansion nach der Verbrennug wie der Kompression beider schlechten Wärmeleitung der Gase und der hohen Geschwindigkeit des Prozesses gerechnet werden. Diesels theoretische Entwicklungen fußten auf sicherer wissenschaftlicher Grundlage; die praktische Ausführbarkeit des Gedankens, Konstruktion und Betriebsfähigkeit der neuen Maschine boten für die damaligen Mittel der Maschinentechnik keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Nach der Veröffentlichung von Diesels Schrift fanden sich auch bald zahlreiche Fachmänner, welche der neuen Maschine eine aussichtsreiche Zukunft zusprachen. Lebhaft erinnere ich mich noch einer Vorlesung Prof. Schröters Mitte der neunziger Jahre, in der er seinem Auditorium an Hand von Originalzeichnungen Diesels die ersten Mitteilungen über die neue Maschine und über die ersten Versuche machte und einen Ausblick auf die Umwälzung gab, welcher der Kraftmaschinenbau entgegenging. Wir standen unter dem Eindruck eines wichtigen Erlebnisses in der Geschichte des Maschinenbaues. Dem lebhaften Eintreten Schröters für Diesels Ideen war es hauptsächlich zu verdanken, daß sich bald Firmen fanden, welche die Kosten für die praktische Durchführung bzw. für die Versuche zu übernehmen bereit waren. Vor allem ist hier Direktor Buz der Maschinenfabrik Augsburg zu nennen. In Augsburg wurde ein Laboratorium zum Studium der Dieselschen Ideen eingerichtet, das in der Folge bis zur betriebsfähigen Ausgestaltung der Maschine ein kleines Museum mißglückter Konstruktionen lieferte. Die Versuchsjahre brachten viele Enttäuschungen, welche den Glauben des Erfinders an die Richtigkeit seiner Idee wie die Opferwilligkeit der Augsburger Maschinenfabrik, mit der sich dann zur Durchführung der Versuche noch die Firma Fr. Krupp in Essen verbunden hatte, auf eine harte Probe stellten. Die ersten Indikatordiagramme aus dem Jähre 1893 zeigten noch keine positive Arbeitsfläche. Wegen der heftig auftretenden Explosionen waren die Versuche oft mit großer Gefahr verbunden, und man entschloß sich manchmal erst nach wochenlangem Zögern zur Erprobung einer neuen Vorrichtung. Im Jahre 1894 gelangte man so weit, daß der Motor wenigstens die Arbeit für seinen Leerlauf entwickelte. Die Versuche in den darauffolgenden Jahren ergaben endlich eine Nutzbarkeit und bald schon eine bessere Wärmeausnutzung als andere ähnliche Motoren. Nach vielen Fehlschlägen und langer aufregender Arbeit war nun der Erfolg gesichert; auch betriebstechnisch konnte die neue Maschine bald allen Anforderungen genügen. Zwar blieb nun der wirkliche Arbeitsprozeß, wie schon auseinandergesetzt, von dem idealen Prozeß Carnots ziemlich weit entfernt, ein Umstand, der neidische Konkurrenten veranlaßte, die Patentrechte Diesels anzufechten; was aber von dem ursprünglichen Gedanken übrig blieb, war Erfolg genug und bedeutete für die Kraftgewinnung aus den Brennstoffen einen außerordentlichen Fortschritt. In der Folgezeit übernahmen noch weitere Firmen den Bau von Dieselmotoren, und schon 1898 auf der II. Kraft- und Arbeitsmaschinen-Ausstellung in München waren vier Maschinen verschiedener Firmen ausgestellt, die, in einem besonderen Gebäude untergebracht, damals auf die Fachwelt einen großen Eindruck machten. Die weitere Entwicklung der Dieselmaschine gleicht einem Siegeslauf; hieran waren in der Hauptsache die großen Maschinenfabriken und ihre Konstrukteure beteiligt. Sie schufen die heutige betriebsichere Antriebsmaschine mit Leistungen von mehreren 100 PS in einem Zylinder. In die verschiedensten Betriebe führte sich die neue Maschine ein. Gegenüber den andern Verbrennungsmaschinen hatte sie den Vorteil, ohne Zündvorrichtung zu arbeiten, den eingeführten Brennstoff, auch schwer entzündliche Oele und Oelrückstände, die früher zum Maschinenbetrieb überhaupt nicht verwendet werden konnten, vollständig zu verbrennen und mit einem sehr hohen Wirkungsgrad in Arbeit umzusetzen. Die Ausnutzung in den besten Dampfmaschinen übertrifft sie um mehr als das dreifache, die in andern Verbrennungskraftmaschinen um mehr als die Hälfte. Heute sind Dieselmotoren mit einer Gesamtleistung von etwa 1 Mill. PS im Betrieb. Zahlreiche Firmen des In- und Auslandes haben den Bau aufgenommen, namentlich in den letzten Jahren, seit Diesels Patente freigeworden sind. Von München aus, wo Diesel seit 1895 seinen Wohnsitz genommen hatte, widmete er sich der weiteren Einführung seiner Maschine in die verschiedenen Anwendungsgebiete. So arbeitete er an der Entwicklung eines Kleinmotors. Ebenso nahm er an der Anwendung des Dieselmotors zum Schiffsantrieb und zum Antrieb von Landfahrzeugen lebhaften Anteil. Bis zu seinem Tode waren schon etwa 300 Schiffe mit Dieselmaschinen ausgerüstet, und in den letzten Monaten erlebte er es noch, daß die erste Diesellokomotive aus den Werkstätten von Gebrüder Sulzer in Winterthur nach Berlin übergeführt wurde, wobei die Lokomotive streckenweise einen Eilgüterzug einschließlich der Dampflokomotive zog und eine Geschwindigkeit von 70 km in der Stunde erreichte. Hier eröffnen sich neue Aussichten für die Schöpfung Diesels. Die Umwandlung des Dampflokomotivenbetriebes auf den Hauptbahnen in den elektrischen Betrieb wird ja voraussichtlich noch längere Zeit auf sich warten lassen, inzwischen wird uns vielleicht die Diesellokomotive von dem Qualm der Eisenbahnen befreien. Diesel wendete sein Interesse namentlich auch der Gewinnung und Verwendung neuer Brennstoffe für seinen Motor zu. Es war mit der zunehmenden Ausbreitung von Dieselmotoren und dem dafür hauptsächlich verwendeten Petroleum und Gasöl eine Sorge geworden, ob nicht mit eintretendem Mangel an diesem Brennstoff eines Tages eine schwere Krisis für die Industrie entstehen könnte. Nach der Meinung der Geologen ist diese Sorge nicht begründet. Etwas anderes ist es um unsere wirtschaftliche und auch politische Abhängigkeit vom Ausland, auf das wir beim Bezug von Petroleum hauptsächlich angewiesen sind. Zum Glück gibt es dafür einen Ersatz. In jenem ersten Laboratorium für Dieselmotoren in Augsburg wurden schon gleich nach der Fertigstellung der ersten brauchbaren Maschine Versuche gemacht, auch Steinkohlendestillationsprodukte, Teeröl und Benzol im Dieselmotor zu verbrennen. Nach Ueberwindung großer Schwierigkeiten bei Versuchen, die weiterhin an mehreren Stellen in Deutschland und Frankreich gemacht worden sind, ist heute die Verwendung von Stein- und Braunkohlenteer und Teerölen als Betriebsmittel von Dieselmotoren allgemein geworden, wodurch der Betrieb nun von den flüssigen Brennstoffen unabhängig geworden ist. Damit ist auch für Abfallprodukte aus Gasfabriken, Kokereien und chemischen Industrien ein gutes Absatzgebiet entstanden. Auch die Verwendung noch anderer brennbarer Stoffe als Betriebsmittel für unsere Krafterzeugung steht in Aussicht. Noch auf der vorjährigen Hauptversammlung des Vereins deutscher Ingenieure in Stuttgart gab Dr. Diesel die Anregung zur Verwendung des Dieselmotors als Betriebskraft in unsern Kolonien und zur Verwendung von Pflanzenölen, die in besonderen Kulturen dort gewonnen werden könnten, beim Mangel oder bei schwieriger Beschaffung anderer Brennstoffe. So hat Diesels Erfindungsgedanke eine große wirtschaftliche Bedeutung im heutigen industriellen Leben gewonnen und befruchtend in verschiedener Richtung gewirkt. Ein Beispiel eines echten Erfinders, der im festen Glauben an die Richtigkeit seiner Idee sich durch Schwierigkeiten und Fehlschläge nicht entmutigen, der sich auch nicht von der Aussicht auf große Reichtümer leiten ließ, sondern im Interesse des Fortschrittes arbeitete. Er bezeichnete es gelegentlich als eine Pflicht der Gesamtheit wie des Einzelnen, der heutigen Brennstoffverschwendung Einhalt zu tun. Die Technische Hochschule München hat seine Verdienste um die Maschinentechnik durch Ernennung zum Ehrendoktor im Jahre 1907 gewürdigt. Sein Name wird auch in der Zukunft im Dieselmotor fortleben.