Titel: Kritische Bemerkungen zu dem Kapitel der Maschinenversicherungen.
Autor: B. Preu
Fundstelle: Band 329, Jahrgang 1914, S. 673
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Kritische Bemerkungen zu dem Kapitel der Maschinenversicherungen. Von Oberingenieur B. Preu in Stuttgart-Cannstatt. PREU: Kritische Bemerkungen zu dem Kapitel der Maschinenversicherungen. Seit mehreren Jahren bestehen die sogenannten Maschinenversicherungen, durch welche die Versicherten gegen Zahlung einer bestimmten Jahresprämie, deren Höhe sich nach der Art und dem Preiswert der versicherten Gegenstände richtet, gegen plötzlich von außen eintretende Unfälle versichert sind in der Weise, daß die durch den Unfall entstandenen Schäden ganz oder teilweise ersetzt werden. Es ist natürlich Sache des Versicherten, in jedem Einzelfalle nachzuweisen, daß in der Tat der Schaden durch die gekennzeichnete Art und Weise entstanden ist und nicht vielmehr durch natürliche Abnutzung oder durch Konstruktionsfehler und Reparaturen, die nicht ersatzpflichtig sind, oder durch grobe Fahrlässigkeit des Besitzers oder der verantwortlichen Betriebsleitung, und es ist leider auch für den erfahrensten Sachverständigen sehr häufig außerordentlich schwierig, in gewissenhafter Weise zu entscheiden, welche Partei die Reparaturen oder Neuanschaffung zu tragen hat. Die Folge davon ist, daß sich aus diesem Streite, in der beide Teile die Ueberzeugung von ihrem Rechte haben – der Versicherte von dem Rechte, Entschädigung zu fordern, die Gesellschaft, diese abzulehnen – langwierige Prozesse entwickeln, die dem Unterliegenden die schwerstwiegenden Opfer auferlegen. Zu den interessantesten Fällen solcher Art gehört nun ein Prozeß der jüngsten Zeit, der in drei Instanzen zn Gunsten des Versicherten entschieden wurde, obwohl von dem technischen Sachverständigen der Versicherungsgesellschaft an der Hand von Zeichnungen nachgewiesen wurde, daß in diesem Falle unmöglich ein plötzlich von außen eintretender Unfall den Schaden, der in dem Bruche eines Zylinders eines 1200 PS-Dieselmotors bestand, bewirkt haben könne. Da wir der Ansicht sind, daß dem Urteil der beiden oberen Instanzen, des Oberlandesgerichts und des Reichsgerichts, lediglich eine mißverständliche Auslegung des Sachverständigengutachtens zu Grunde liegt, möchten wir den Verlauf des Prozesses der Ansicht weiterer Ingenieurkreise vorlegen. Die Beschädigung des Zylinders bestand in einer größeren Anzahl von Rissen verschiedener Größe, deren stärkster allmählich eine Ausdehnung von etwa 600 mm Länge erreicht hatte, durch den nun Kühlwasser aus dem Mantel in den Innenraum des Zylinders eintrat, so daß dessen Weiterverwendung natürlich unmöglich wurde. Die erste Annahme, daß Materialfehler diese Rißbildung herbeigeführt hatten, hatte sich nach allen darüber vorliegenden Befunden nicht bestätigt. Die Ursache dieser Risse war vielmehr darin zu suchen, daß sich in den Kühlräumen des Zylinders im Laufe der Zeit Kesselstein in der Stärke bis zu 12 mm abgesetzt hatte. Am stärksten war diese Ablagerung an den Halsstücken der Ventilzwiebeln, das ist in den Uebergangsstellen vom inneren Laufzylinder zu den Ventilstutzen, wie in beifolgender Zeichnung dargestellt ist. Es galt nun, nach der Forderung der Versicherten vor Gericht zu entscheiden, ob es bei der Form des Zylinders überhaupt möglich war, den Kesselstein genügend zu entfernen, und ob das zur Reinigung beauftragte Personal dabei seine volle Pflicht und Schuldigkeit getan hatte. Das Gutachten einer von der Versicherten herangezogenen Autorität auf dem Gebiete der Dieselmotoren kam zu dem Ergebnis, daß die Entfernung des Schlammes aus den in Frage stehenden Stellen möglich gewesen wäre, und daß das mit der Reinigung beauftragte Personal seine Instruktionen durch die Betriebsleitung nicht befolgt habe. Trotz gegenteiliger Nachweise, die im Folgenden ausführlich wiedergegeben werden, verurteilte die erste Instanz die Versicherungsgesellschaft zur vollen Entschädigung der Versicherten mit der Begründung, daß das Auftreten eines „plötzlich entstandenen Unfalles“ erwiesen sei. Dieser Begründung schlössen sich das Oberlandesgericht und das Reichsgericht an. Die von der Versicherungsgesellschaft herangezogenen Ingenieure hatten das Gutachten der erwähnten Autorität folgendermaßen bekämpft. Nach dem übereinstimmenden Urteil sämtlicher in dieser Sache zugezogenen Sachverständigen rührt die Entstehung des zum Zylinderbruch führenden etwa 600 mm langen Risses an den Uebergangsstellen vom innern Laufzylinder zu den Ventilstutzen von der Ablagerung von 8 bis 12 mm starken Kesselsteinschichten in den Ventilhälsen her. Um diese in ihren Folgeerscheinungen überaus gefährlichen Kesselsteinbildungen zu verhüten, wurden überall dort, wo hartes Wasser zur Kühlung verwendet werden muß, Rückkühlwerke eingerichtet, die das von Kesselstein befreite, aber hoch erwärmte Wasser rückkühlten und dadurch zur Kühlung wieder benutzbar machten. Diese Einrichtung wurde allerdings auch von der Versicherten getroffen, aber es wurde übersehen, daß stets bedeutende Mengen von Zusatzwasser zur Kühlung erforderlich waren, die natürlich wieder zu Kesselsteinbildungen Anlaß gaben. Um auch dies zu vermeiden, mußte, was bei dem gegenwärtigen Stand des Gasmaschinen- und Oelmotorenbetriebes allbekannt ist und von jedem vorsichtigen Fabrikbesitzer eingeführt wird, eine Reinigungsanlage zur Enthärtung des Wassers aufgestellt werden. Diese unerläßliche Vorsicht wurde von der Versicherten außer Acht gelassen, was einer Fahrlässigkeit im vorliegenden Falle gleichkommt. Denn der Besitzer war durch frühere Schäden infolge von Kesselsteinbildungen aus eigenen Erfahrungen und bestimmt auch durch gleiche Vorkommnisse auf anderen Werken gewarnt. Daß nun aber die Gefährlichkeit der Kesselsteinbildungen besonders an den bezeichneten Stellen in dem Werke der Versicherten gut bekannt war, geht aus dem Erlaß von Vorschriften hervor, die das Entfernen des Schlammes alle 14 Tage befehlen. Auch seien, wie das Gutachten der Autorität hervorhebt, Schau- und Putzlöcher in genügender Menge vorhanden gewesen, durch welche die Schlammbildungen erkannt und entfernt wereen konnten. Da trotzdem bei der Besichtigung des Objektes durch den Sachverständigen starke Kesselsteinbildungen vorgefunden wurden, so geht derselbe Gutachter so weit, zu behaupten, daß das mit der Reinigung beauftragte Personal seine Instruktionen nicht befolgt habe, die von Seiten der Versicherten in vollständig genügendem Umfange getroffen worden seien, um einen störungsfreien Betrieb erwarten zu dürfen. Diese Behauptung ist an der Hand von Tatsachen und der Zylinderkonstruktion widerlegt worden. Bevor ich aber dazu übergehe, muß auf einen Irrtum in den Gründen der zweiten Instanz, der auf einer unrichtigen Interpretation eines früheren Gutachtens von Seite der Versicherung beruht, hinweisen. Es wird behauptet, daß in diesem Gutachten nicht die Möglichkeit in Abrede gezogen worden sei, den Kesselsteinansatz an den kritischen Stellen (der Ventilzwiebelhälse) mit geeigneten Werkzeugen wenigstens insoweit zu entfernen, daß die Kühlung des Zylinders nicht wesentlich notleidet. Davon ist aber in diesem Gutachten auch nicht ein Wort zu finden, vielmehr heißt es ausdrücklich: „Die Stärke des Kesselsteinansatzes an jenen schwerer zugänglichen Stellen sei von außen nicht erkennbar gewesen.“ Hier liegt offenbar zu Ungunsten der Beklagten eine Verwechslung der beiden Gutachten vor. Ich komme nun nach dieser Abschweifung zur Widerlegung der Behauptung des Gutachtens der Versicherten. Textabbildung Bd. 329, S. 674 Wie aus den eidlichen Zeugenaussagen von Maschinisten der Versicherten hervorgeht, wurden alle 14 Tage die Zylinder mit dem Wasserschlauch ausgespritzt, wo man mit Eisenstangen hinlangen kann, wird der Kesselstein mit dem Eisen weggeschlagen“. In einer anderen Aussage heißt es: „Ich kann bestätigen, daß der Zylinder der Großgasmaschine stets in Ordnung gehalten wurde, soweit eben die normalen Betriebsverhältnisse dies gestatten.“ Ich habe nun auf Grund der vorliegenden Pläne und Photographien des gebrochenen Zylinders, beiliegende Zeichnung entworfen, aus welcher klar ersichtlich ist, wohin man sehen und mit Eisenstangen gelangen kann, und wie weit die Vorrichtungen dies gestatten. Durch die Schaulinien D E sind nur vereinzelte Partien des Kesselsteines ersichtlich. Die Hauptablagerungen konnten nur in tangentieller Richtung erschaut werden. Dazu kommt aber noch, daß natürlich im Innern volle Dunkelheit herrscht, was das Sehen außerordentlich erschwert. Durch gerade Eisenstangen B, wie sie nach den Beschreibungen des Maschinenpersonals verwendet wurden, konnten die Hauptablagerungen ebenfalls ganz unmöglich erreicht und entfernt werden. Hierzu hätten eigens gekrümmtr Stangen A und doppeltgekrümmte mit Klauen versehene Stangen C genommen werden müssen. Und auch mit solchen Werkzeugen hätte man nicht überall hinlangen, also nicht alle Kesselsteinansätze entfernen können. Aus Vorstehendem ist ohne weiteres erkennbar, wie ungerechtfertigt der dem Bedienungspersonal zugeschobene Vorwurf mangelhafter Reinigung ist. Bei der von mir gekennzeichneten Zylinderkonstruktion ist es eben einfach ausgeschlossen, die Reinigung von Kesselsteinansätzen an den gefährdeten Stellen so vorzunehmen, wie es die Betriebssicherheit bedingt. Es ist mir anderwärts vorgekommen, daß eine eigene Gesellschaft für Reinigung der Zylinderflächen von Kesselstein zugezogen wurde, um die vollständige Reinigung von Kesselsteinansätzen durchzuführen. Diese Gesellschaft verwendete zu dem Zweck Säuren, welche allerdings den Kesselstein auflösten, aber auch die Eisenwandungen so stark angriffen, daß dort ganze dünne Stellen entstanden, die nun nach der Inbetriebsetzung ebenfalls rissen. Ich komme zu dem Schluß, daß alle Besitzer von Gasmaschinen- und Oelmotoren, denen nur hartes Wasser zur Kühlung zur Verfügung steht, außer einer Rückkühlanlage eine Wasserreinigung einführen müssen, um sich den Nachweis grober Fahrlässigkeit zu sparen. Wo dies versäumt wird, besteht für die Versicherungsgesellschaft keine rechtliche Verpflichtung zum Schadenersatz. Obwohl nun diese Gutachten samt der klaren Zeichnung, die auch dem Juristen verständlich sein sollte, dem Reichsgericht vorlag, wurde doch das Urteil der ersten und zweiten Instanz bestätigt, daß das Bedienungspersonal die bestehenden Instruktionen nicht befolgt und die Reininigung von Kesselstein nicht vollständig und nicht mit der erforderlichen Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit durchgeführt habe. Die Beschädigung sei also durch Verschulden der Arbeiter und nicht durch das des Besitzers oder seiner Beamten entstanden. Hätten im gegebenen Fall die Arbeiter und die aufsichtführenden Personen ihre Schuldigkeit getan, so wäre es zur Bildung des Kesselsteins in dem schädlich gewordenen Umfang nicht gekommen. Es wird also ganz unbegreiflicherweise den eidlichen Zeugenaussagen, daß der Arbeiter und der Aufseher ihre volle Schuldigkeit getan haben, kein Glauben geschenkt. Es wird eben der Tatsache keinerlei Berücksichtigung zuteil, daß der Kesselstein infolge der Zylinderkonstruktion, wie aus der dem Reichsgericht vorgelegenen Zeichnung klar hervorgeht, bei aller Geschicklichkeit, Umsicht und Gewissenhaftigkeit des Arbeiters nicht entfernt werden konnte. Der Arbeiter muß nach der Ansicht des Reichsgerichts die beinahe übernatürliche Geschicklichkeit besitzen, den Kesselstein auch von der Stelle, wo er mit keiner Stange und keinem Werkzeug hingelangen kann, zu entfernen. Also der Arbeiter trägt die Schuld, und die Gesellschaft muß bezahlen. Und doch wäre es für den Versicherten so leicht gewesen, den Schaden zu vermeiden, wenn er, wozu ihm bei früheren ähnlichen Unfällen dringendst geraten wurde, außer der Rückkühlanlage eine Reinigung des Zusatzwassers eingeführt hätte. Dann hätte sich kein Kesselstein an den gefährdeten, unzugänglichen Stellen absetzen können, und die Risse und damit der Zylinderbruch wären nicht entstanden. Auf Grund des Vorstehenden bin ich der festen Ueberzeugung, daß schon die zweite Instanz das Urteil der ersten Instanz aufgehoben hätte, wenn ein technischer Sachverständiger zu jener Sitzung zugezogen worden wäre. Denn ein solcher hätte die mißverständliche Auffassung der Richter über Gutachten und Zeichnung der Versicherungspartei mit Leichtigkeit aufklären können. Auch die oberen Instanzen hätten dadurch zu der Ueberzeugung kommen müssen, daß kein Verschulden des Arbeits- und Aufsichtspersonals vorliegt, sondern daß lediglich mangelhafte Betriebseinrichtungen den Unfall verursacht haben. Der Jurist sollte eben in solchen technischen Angelegenheiten nie und in keiner Instanz der Untersuchung und Aufklärung des Ingenieurs entbehren.