Titel: Die Beanspruchung vorgespannter Schrauben durch Stöße.
Autor: Martin Krause
Fundstelle: Band 330, Jahrgang 1915, S. 30
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Die Beanspruchung vorgespannter Schrauben durch Stöße. Von Dipl.-Ing. Martin Krause in Berlin. KRAUSE: Die Beanspruchung vorgespannter Schrauben durch Stöße In seinem bekannten Werk Das Entwerfen und Berechnen der Verbrennungskraftmaschine (dritte Auflage) weist Güldener auf S. 184 ff. auf die sehr hohen Beanspruchungen hin, die in den Schraubenschäften in Schubstangenköpfen zu Stande kommen, wenn infolge Lagerspieles Stöße auftreten. Güldener geht dabei von folgender Vorstellung aus: Nimmt man einen bestimmten Spielraum zwischen Lager und Bolzen an, so läßt sich in bekannter Weise der Energieverlust e berechnen, der beim vollkommen unelastischen Stoß auftritt. Dieser Energieverlust setzt sich in Formänderungsarbeit um, und zwar berechnet Güldener die Beanspruchung zu \sigma=\sqrt{\frac{e\,.\,2\,.\,2000000}{f\,l}}, wobei f der Querschnitt der Schrauben zusammengenommen und l deren Länge ist. Hier ist also vorausgesetzt, daß die Schrauben vor dem Stoß spannungsfrei sind. Zu dieser Beanspruchung kommt nun nach Güldener noch diejenige durch die Massenkräfte und Kolbendrücke P, sowie diejenige durch die Vorspannung V der Schrauben. Diese Ausführungen müssen den Glauben erwecken, als ob die gesamte Zugspannung sich als Summe der Einzelspannungen ergibt, daß also \sigma=\frac{P}{f}+\frac{V}{f}+\sqrt{\frac{2\,e\,.\,2000000}{f\,l}} ist. Läßt P man den offenbar unrichtigen Summanden \frac{P}{f} weg, so wird \sigma=\frac{V}{f}+\sqrt{\frac{2\,e\,.\,2000000}{f\,l}} . . . . . . . . . . (1) Aber auch dieser Ausdruck ist nicht richtig. Im Nachstehenden wird eine elementare Näherungsrechnung angegeben, die für die Zwecke der Praxis ausreichen dürfte. Daß nicht alle in Frage kommenden Momente berücksichtigt sind, sei ausdrücklich gesagt. Um die Frage in größerer Allgemeinheit behandeln zu können, sei Folgendes angenommen: Der Deckel des Schubstangenkopfes schlage gegen den Kurbelzapfen, während die Schubstange durch die Kraft P gezogen wird. Die Schrauben, welche den Deckel mit dem Schaft verbinden, haben zusammen den Querschnitt f und besitzen eine Vorspannung von insgesamt V kg. Die beim Stoß verschwindende, d.h. in Formänderungsarbeit umzusetzende Energie, sei e cmkg. Ferner sei zunächst angenommen, daß der Deckel der Pleuelstange starr, also die ganze Formänderungsarbeit von den Schrauben aufzunehmen sei. Es sei α die Kraft, die angewandt werden muß, umdie Schrauben um 1 cm zu längen. Werden die Schrauben um x cm gelängt, so ist deren Spannkraft nach der Längung V + αx kg, und die Formänderungsarbeit x\,.\,\frac{1}{2}\,(V+\alpha\,x+V)=\frac{x}{2}\,(2\,V+x\,\alpha)\mbox{ cmkg}. Diese Formänderungsarbeit muß gleich dem Energieverlust e sein, zuzüglich der von der äußeren Kraft P während der Längung geleisteten Arbeit P . x. Demnach ist e+P\,x=\frac{x}{2}\,(2\,V+x\,\alpha), woraus            x=\frac{P-V}{\alpha}\,\pm\,\sqrt{\left(\frac{P-V}{\alpha}\right)\,2+\frac{2\,e}{\alpha}}. Von den beiden Vorzeichen vor der Wurzel kommt hier nur das positive in Betracht. Der Wert \frac{P-V}{\alpha} ist im allgemeinen negativ, da man die Vorspannung größer als die einwirkende Kraft zu wählen pflegt. Der Wurzelausdruck ist aber unter allen Umständen größer als \frac{P-V}{\alpha}, so daß x stets größer als Null ist. Der Deckel wird sich also von seiner Unterlage abheben, auch wenn die Vorspannung noch so groß ist. Die größte in den Schrauben auftretende Spannkraft ist: K=\alpha\,x+V=P+\sqrt{(P-V)^2+2\,\alpha\,e}. Sie ist also unter sonst gleichen Umständen am kleinsten, wenn V = P ist. Ist E der Elastizitätsmodul der Schrauben, so ist \alpha=\frac{f\,.\,E}{l} für zylindrische Schrauben und K=P+\sqrt{(P-V)^2+\frac{2\,f\,E}{l}}. Die maximale Zugbeanspruchung wird \sigma_{\mbox{max}}=\frac{K}{f}=\frac{P}{f}+\sqrt{\left(\frac{P-V}{f}\right)^2+\frac{2\,E}{f\,l}\,e} . (2) Zahlenbeispiel: f = 50 cm2, P = 20000 kg, V = 40000 kg, e = 5 mkg = 500 cmkg, l = 40 cm, E = 2000000 kg/cm. Die Spannung in den Schrauben ist bei Stoßfreiheit \sigma=\frac{40000}{50}=200\mbox{ kg}/\mbox{cm}^2, beim Stoß ist \sigma_{\mbox{max}}=\frac{20000}{50}+\sqrt{\left(\frac{2000}{50}\right)^2+\frac{2\,.\,2000000}{50\,.\,40}\,.\,500}=1480\mbox{ kg}/\mbox{cm}^2. Nach Formel (1) würde sich ergeben \sigma=\frac{40000}{50}+\sqrt{\frac{2\,.\,2000000\,.\,500}{50\,.\,40}}=1800\mbox{ kg}/\mbox{cm}^2. Die Formeln (1) und (2) gehen ineinander über, wenn man V = P wählt. Die Unterschiede zwischen beiden Formeln werden um so größer, je mehr V von P abweicht. Aehnliche Verhältnisse kommen auch bei andern Konstruktionsteilen vor, wo aber der den Stoß übertragende Teil, hier der Deckel, nicht als starr angesehen werden darf, z.B. bei einem auf zwei elastischen Stützen ruhendem Träger, auf den eine Last herabfällt. Im Nachstehenden soll die Elastizität des Deckels mit berücksichtigt werden. αD sei die in der Mitte auf den Deckel einwirkende Kraft, die ihn um 1 cm durchbiegt. Da die größte auf den Deckel einwirkende Kraft V + x . α ist, so erfährt er die Durchbiegung x_{\mbox{D}}=\frac{V+x\,.\,\alpha}{\alpha_{\mbox{D}}}, wobei die Formänderungsarbeit A_{\mbox{D}}=\frac{1}{2}\,\frac{(V+x\,\alpha)^2}{\alpha_{\mbox{D}}} ist. Der ganze Weg, den der Angriffspunkt der Kraft P zurücklegt, ist x+\frac{V+x\,\alpha}{\alpha_{\mbox{D}}}. Somit ist e+P\,\left(x+\frac{V+x\,\alpha}{\alpha_{\mbox{D}}}\right)=\frac{(V+x\,\alpha)^2}{2\,\alpha_{\mbox{D}}}+\frac{x}{2}\,(2\,V+x\,\alpha). Hieraus folgt x=\frac{P-V}{\alpha}+\sqrt{\left(\frac{P-V}{\alpha}\right)^2+\frac{2\,e\,.\,\alpha_{\mbox{D}}+2\,P\,V-V^2}{\alpha\,(\alpha+\alpha_{\mbox{D}})}}. Bei starrem Deckel, also αD = ∞, geht die Gleichung in die früher abgeleitete über. Die maximale Spannkraft in den Schrauben ergibt sich zu K=x\,\alpha+V=P+\sqrt{(P-V)^2+(2\,e\,\alpha_{\mbox{D}}+2\,P\,V-V^2)\,\frac{\alpha}{\alpha+\alpha_{\mbox{D}}}} (3) Auch dieser Ausdruck wird für P = V zu einem Minimum. Hier ist nicht unter allen Umständen x positiv. Es kann auch zu Null werden, wenn die Formänderungsarbeit allein vom Deckel geleistet wird, was durch Anwendung einer sehr großen Vorspannung erreicht werden kann. Aus der Gleichung 0=\frac{P-V}{\alpha}+\sqrt{\left(\frac{P-V}{\alpha}\right)^2+\frac{2\,e\,\alpha_{\mbox{D}}+2\,P\,V-V^2}{\alpha\,(\alpha+\alpha_{\mbox{D}})}} ergibt sich V=P+\sqrt{P^2+2\,e\,\alpha_{\mbox{D}}}. Man erkennt, daß die Vorspannung um so kleiner sein kann, je kleiner αD, also je biegsamer der Deckel, und auch je kleiner e ist. Aber auch bei e = 0 muß für diesen Fall V doppelt so groß sein als P.