Titel: | Ueber Reorganisationen. |
Autor: | Bruno Leinweber |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 84 |
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Ueber Reorganisationen.
Von Oberingenieur Bruno Leinweber in
Wien.
LEINWEBER: Ueber Reorganisationen.
Die industrielle Entwicklungsepoche, in der wir uns gegenwärtig befinden, ist
auf dem Gebiete der Produktion nicht so sehr durch große technische Umwälzungen auf
Grund epochaler neuer Erfindungen, als vielmehr durch eine eifrige Tätigkeit auf dem
Gebiete der Organisation gekennzeichnet, eine Tätigkeit, die sich naturgemäß
besonders in der Reorganisation und Modernisierung bereits bestehender alter
Unternehmungen äußert.
Den großen finanziellen Reorganisationen wie: Umwandlung in Aktiengesellschaften,
Zusammenlegung von Unternehmungen, Bildung, von Interessengruppen, Verbänden,
Kartellen und Trusts reihen sich ebenbürtig in ihrer Wichtigkeit die umfassenden
Reorganisationen des eigentlichen Betriebes der Unternehmungen an.
„Modernisierung des Betriebes“ ist das am häufigsten gehörte
Schlagwort.
Verfolgt man aber die geschäftlichen Berichte aus der Industrie, so wird man bei
aller Anerkennung der Wichtigkeit und Notwendigkeit der Modernisierung der Betriebe
unwillkürlich stutzig, wenn man sieht, wie häufig den Reorganisationen und
Modernisierungen schon nach kurzer Zeit Zusammenlegungen und Abstempelungen der
Aktien folgen. Die Reorganisation und Modernisierung der Betriebe ist nicht nur
technisch, sondern auch geschäftlich zweifellos richtig und gut; die so auffallend
häufigen finanziellen Schwierigkeiten reorganisierter Unternehmungen sind aber auch
eine Tatsache, die sich nicht wegleugnen läßt.
Dem Zwange der Logik hält diesen sich widersprechenden Tatsachen gegenüber nur
die Erklärung stand, daß: Wenn Reorganisationen und
Modernisierungen des Betriebes zu finanziellen Mißerfolgen führen, die Art der
Durchführung der an sich notwendigen und zweckmäßigen Reorganisationen eine
prinzipiell falsche war.
Zahlreiche Beobachtungen und Erfahrungen brachten mich zur Ueberzeugung, daß vor
allem in der Art der Einführung und Durchführung von Reorganisationen, in der Art
und Weise, wie die Reorganisierung angepackt wird, die Fehler zu suchen sind, die so
häufig zu empfindlichen Kapitalsverlusten führen, und daß es eine Reihe bestimmter
grundsätzlicher Fehler gibt, welche mit besonderer Vorliebe begangen werden.
Denn an sich ist das Werkzeug gut; man muß es nur auch richtig handhaben.
Ein Fehler in der Durchführung von Reorganisationen wird besonders häufig gemacht und
hat geschäftlich derart unangenehme Folgen, daß er geradezu der Hauptfehler genannt
werden könnte.
Dieser Fehler besteht darin, daß man häufig bei Reorganisationen die zweckmäßige
Ausgestaltung der Verkaufsorganisation und der Organisation des kaufmännischen
Dienstes gar nicht oder erst lange nach der technischen Reorganisation des Betriebes
berücksichtigt, während sie in Wirklichkeit der technischen Reorganisation in der
Regel möglichst voraus zu gehen hätte, schon deshalb, weil häufig gerade in der
Verkaufsorganisation und im kaufmännischen Betriebe die empfindlichsten Mängel
stecken, die in erster Linie behoben werden müssen.
Es sollte daher jeder technischen Reorganisation vor allem eine gründliche
Ueberprüfung und Reorganisation des geschäftlichen Dienstes und des
Verkaufsapparates vorausgehen.
Die Richtigkeit dieser Forderung läßt sich leicht nachweisen. Verkaufsapparat und
kaufmännischer Betrieb müssen nicht nur den eigenen Fabrikationsverhältnissen,
sondern auch in besonderem Maße den Konkurrenzverhältnissen Rechnung tragen, die
sich aber in gar nicht großen Zeitspannen fortwährend ändern, in der Regel
verschärfen, und denen daher die eigene kaufmännische Organisation von Zeit zu Zeit
neuerdings angepaßt werden muß. Außerdem zeigt gerade der kaufmännische Betrieb die
Neigung, nach einiger Zeit in eine schablonenhafte Erledigung seiner Agenden zu
verfallen, die, so notwendig sie für die Buchhaltung ist, doch in der eigentlichen
geschäftlichen Führung leicht zum Zurückbleiben hinter der Konkurrenz führen kann,
eine Erfahrung, die wohl schon viele Vertreter und Reiseingenieure alter
Unternehmungen mit ihren Zentralen gemacht haben werden. Wenn diese Ueberprüfung und
Reorganisation, so wenig einschneidend letztere auch sein mag, nichts anderes
erreicht, als daß in den kaufmännischen Betrieb auch ohne wesentliche
organisatorische Aenderungen ein frischer Zug hinein kommt, wird sie schon eine
sehrwichtige und nützliche Wirkung haben. Und diesen frischen Zug tragen solche
Ueberprüfungen und kleine organisatorische Vervollkommnungen stets in den Betrieb
hinein, da sie dem Personale zum Bewußtstein bringen, daß die Direktion gerade auf
diese Angelegenheiten großes Gewicht legt und sie auf ihre flotte und zweckmäßige
Erledigung kontrolliert.
Diese von Zeit zu Zeit vorzunehmenden Ueberprüfungen und Ausgestaltungen des
kaufmännischen Betriebes und des Verkaufsapparates, die stets dem ganzen Unternehmen
neuerlich einen fördernden Impuls geben, verursachen dabei keine oder wenigstens
nicht nennenswerte Inwestitionskosten, während bei den technischen Reorganisationen
gerade das Gegenteil, und zwar in sehr bedeutendem Maße, der Fall ist; letztere
gehen bekanntlich sehr stark „ins Geld“. Ein weiterer Vorteil der
kaufmännischen Reorganisation liegt darin, daß sie meist keine großen Umwälzungen
erfordert, daher sofort betriebsfähig ist und in kürzester Frist zur Wirkung kommt,
während die technischen Reorganisationen sehr lange Zeit, oft Jahre benötigen, bis
sie durchgeführt sind und Früchte tragen.
Natürlich muß man, wenn das Unternehmen zur Gänze, also kaufmännisch und technisch,
reorganisiert werden soll, auch dann, wenn mit der kaufmännischen Reorganisation
zuerst vorgegangen wird, der zukünftigen technischen Ausgestaltung und
Modernisierung Rechnung tragen, und die kaufmännische Organisation so anlegen, daß
sie sich leicht den Forderungen, die an sie nach der technischen Reorganisation
herantreten, anpassen läßt, und muß ferner dahin streben, daß diese Anpassung
möglichst selbsttätig mit dem Ausbau der technischen Reorganisation von selbst
erfolge.
Allgemeine Regeln lassen sich für die Durchführung von Reorganisationen natürlich bei
der großen Verschiedenheit der technischen Betriebe nicht aufstellen, wohl aber
„Leitmotive“, die je nach der Natur der Unternehmung spezialisiert
anzuwenden wären. Solche Leitmotive für den kaufmännischen Betrieb wären z.B.: Vor
Beginn der technischen Reorganisation Kontrolle und Ausgestaltung der raschen und
richtigen Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten in der Zentrale und der
auswärtigen Kanzleien, also: Umgehende Beantwortung von Anfragen, rasche und genaue
Auskunftserteilung an den Interessenten, die eigenen Vertreter und Reiseingenieure,
dazu zweckmäßige Prospekte und Handbücher, übersichtliche Organisation der
Geschäftskorrespondenz und Registratur, nachhaltige Verfolgung von eingeleiteten
geschäftlichen Verbindungen, kurz, Raschheit, Zuverlässigkeit und Zwekmäßigkeit in
der ganzen geschäftlichen Korrespondenz.Bei der
Abfassung dieses Aufsatzes habe ich zwar in erster Linie österreichische
Verhältnisse im Auge, doch kann das hier Gesagte auch für manche deutsche
Firma gelten.
Ständige Verbindung zwischen Vertretung und Zentrale, gegenseitiges Berichten über
Wahrnehmungen technischer und geschäftlicher Natur, besonders über an der Konkurrenz
gemachte Beobachtungen.
Ausbreitung des Vertretungsnetzes, vom Großen, dem Vertretungsbureau, ins Kleine
und Kleinste gehend, vom Provinzvertreter zum Bezirksvertreter, Distriktsagenten und
Platzagenten, in der Weise, daß ein möglichst dichtes Netz von Informationsagenten
(gegen kleine Provision) über das ganze Absatzgebiet gelegt wird; Ausgestaltung der
Preislisten, Prospekte und Drucksorten, Anlegung von Adressenlisten, und
reichlichste Verbreitung des Propagandamaterials; je nach dem Fabrikationszweig
entsprechende Organisation der Beschickung von Provinzial- und
Regionalausstellungen, Jahrmärkten, Kirchenfesten usw. Benutzung jeder geeigneten
Gelegenheit, wo größere Menschenmassen zusammenkommen, um die Firma in Erscheinung
treten zu lassen. Auch mit Plakaten, Annonzen und anderen Mitteln der Reklame muß
natürlich gearbeitet werden, doch ist da eine sorgfältige Auswahl erforderlich, da
eine derartige Reklame mit erheblichen Kosten verbunden ist.
Besonderes Gewicht muß auf die Organisation der Kalkulation gelegt werden, die bei
richtiger Anlage auch eine besonders wirksame Kontrolle des ganzen Betriebes ohne
umständlichen gesonderten Apparat und in zeitsparender, übersichtlicher Weise
ermöglicht.
Dies wären einige der wichtigsten Gesichtspunkte für die Reorganisation, oder
vielleicht hesser gesagt: die Auffrischung des geschäftlichen Betriebes.
Daß diese, wie bereits gesagt, der technischen Reorganisation vorausgehen soll,
ergibt sich ferner aus der Erwägung, daß die technische Reorganisation in der Regel
die Erzeugung nur dann verbilligt, wenn sie voll oder nahezu voll ausgenutzt werden
kann. Die technischen Reorganisationen beziehen sich aber nicht nur auf die
Handhabung des technischen Dienstes, sondern auch auf die Modernisierung der
technischen Einrichtungen, ja, diese letztere spielt meistens die Hauptrolle, obwohl
sie ohne rationelle Organisation des kaufmännischen Betriebes und des technischen
Dienstes sogar wertlos werden, kapitalfressend wirken und dadurch schließlich das
Unternehmen in arge Bedrängnis bringen kann.
Die technische Reorganisation steigert stets die Leistungsfähigkeit des Unternehmens
ganz bedeutend. Wenn man bei der Reorganisation verabsäumt hat, durch vorherige
rechtzeitige Organisation des geschäftlichen Dienstes entsprechende
Absatzmöglichkeiten zu schaffen, kann es unmöglich werden, die gesteigerte
Leistungsfähigkeit und die großen Investitionen rasch genug ausreichend auszunutzen,
das Unternehmen ist nicht voll beschäftigt, die technische Reorganisation beginnt
kapitalfressend zu wirken und der finanzielle Erfolg der Reorganisation wird
negativ, eine Erscheinung, die häufig und in großem Stile beobachtet werden
kann.
Eine gute geschäftliche Organisation wird sich oft nutzbringender erweisen als das
raffinierteste Taylor-System. Daher nochmals: Erst die
geschäftlichen Betriebe organisieren, dann die Handhabung des technischen Betriebes
ordnen, und dann erst die teueren Investitionen vornehmen.
Natürlich müssen aber schon bei der Reorganisationdes geschäftlichen und des
technischen Betriebes dem Investitionsprojekt Rechnung getragen werden, so daß sie
sich möglichst-selbsttätig und reibungslos den Wirkungen der technischen Neuerungen
in dem Maße, wie diese in Betrieb kommen, anpassen können.
Wenn auch die Handhabung des technischen Dienstes mit der technischen Einrichtung des
Unternehmens sehr eng zusammenhängt, so wird es doch häufig möglich und zweckmäßig
sein, noch vor der Durchführung des Investitionsprogrammes auch den technischen
Dienst im Sinne der Normalisierung, Einfachheit, Präzision und Kontrolle zu
reorganisieren, wobei man natürlich im be- | besonderen Maße darauf achten muß, daß
diese Reorganisation schon dem Betriebe, wie er sich nach Durchführung der
Investitionen gestalten wird, angenähert und leicht anpassungsfähig sei.
Erst wenn die Reorganisation des kaufmännischen Betriebes eine intensive
Verkaufstätigkeit vorbereitet, die Reorganisation des technischen Dienstes die
präzise und flotte Verwendung der Investitionen gewährleistet hat, dann erst sollen
die letzteren effektiv durchgeführt werden.
Das Programm selber aber darf nicht gelegentlich zusammengestelltes Stückwerk sein,
sondern muß in allen drei Richtungen ein voll durchgearbeitetes Ganzes bilden.
Selbstverständlich sollen diese Grundsätze nicht starre, krampfhaft festzuhaltende
Grenzen darstellen und zu einer scharfen Trennung einer Aktion von der anderen
ausarten; ein gewisses Ineinanderfließen der Aktionen ist weder zu vermeiden, noch
zu verwerfen. Die Gruppierung der Aktionen sollte aber stets in der geschilderten
Reihenfolge vor sich gehen.
Nun wäre noch ein Fehler besonders hervorzuheben, der sehr oft gemacht wird und den
man vielleicht am besten durch das Sprichwort: „Neue Besen kehren gut“ zum
Ausdruck bringen kann.
Der meist von auswärts gekommene Reorganisator will sich betätigen und seine Kunst
zeigen, findet alles Bestehende schlecht und kehrt das Unterste zu oberst. Wie viele
Reorganisationen und Modernisierungen enden mit schweren finanziellen Mißerfolgen,
nur weil der Reorganisator in seinem Eifer und seiner Unfehlbarkeit alles
umgestülpt, keinen Stein auf dem anderen gelassen und keiner der vielen einzelnen
Organisationspflanzen, aus denen sich eine große Reorganisation zusammensetzt, Zeit
gelassen hat, Wurzeln zu fassen. Schlußeffekt: Zusammenlegung des Aktienkapitals von
14 Millionen auf 3,5 Millionen, Verlust 10,5 Millionen, Abstempelung auf 25 v.
H.
Diese typische Fehlreorganisierung wurde lediglich durch falsche Durchführung an sich
guter Reorganisationsideen herbeigeführt.
Aufgezäumt wurde der Gaul beim Schwanz und mit dem Umbau der Werkstätten und dem
Ersatz der alten Werkzeugmaschinen begonnen, anstatt mit der kaufmännischen
Organisation. Der Umbau wurde aber gleich so radikal und überstürzt durchgeführt,
daß so ziemlich alle Werkstätten auf einmal innerhalb kurzer Frist auf den Kopf
gestellt waren, anstatt daß ein Stück des weitverzweigten Unternehmens nach dem
anderen nach einem einheitlichen Plan vorgenommen worden wäre, das nächste erst,
nachdem das erste wieder richtig in geregeltem Betriebe war usw. Was das für
Betriebsschwierigkeiten und Betriebsstörungen, und was für vermeidbare Auslagen
ergeben hat, kann sich jeder, der einen Fabrikbetrieb näher kennen gelernt hat,
leicht selber ausmalen.
Die älteren Beamten und Ingenieure wurden aus ihren gewohnten Geleisen in den
allgemeinen Wirbel mit hineingerissen, sträubten sich naturgemäß gegen diesen
radikalen Umsturz, verließen die Firma selber oder wurden gar von dem Chef entfernt,
neue Kräfte, die das Unternehmen nicht kannten und die der Chef nicht kannte,
eingestellt und damit das Chaos nur noch vergrößert.
Man kann freilich bei dem heutigen Arbeitsangebot leicht neue Kräfte bekommen; aber
alte, an der Firma hängende, mit den inneren und äußeren Fäden genau vertraute Leute
können sie nicht sofort ersetzen, abgesehen von der nichts weniger als vorteilhaften
Stimmung, die so etwas in ein Unternehmen hineinträgt.
Alt eingesessene Beamte sträuben sich ja im Anfange gern etwas gegen ungewohnte
Neuerungen. Aber einerseits lassen sie sich, wenn man die Reorganisation mit Ruhe
und Maß durchführt, bald zum Neuen hinüberführen, so daß dem Unternehmen der große
Wert altgedienten Personals unbeschadet der Vorteile der Neuerungen erhalten bleibt,
andererseits verhindert der zögernde und bedächtige Anschluß des alten Personales
gar manche Ueberstürzung.
Man muß eben nicht nur den einzelnen Neuerungen, sondern auch den Beamten Zeit
lassen, sich anzupassen und einzuleben.
Daß doch die Reorganisatoren gerade in der Behandlung und Verwendung des lebenden
Inventars so häufige und so große Fehler machen!
Die Ratschläge zur Vermeidung finanzieller Mißerfolge möchte ich, das vorstehend
Gesagte kurz zusammenfassend, in folgende Sätze kleiden:
1. Vor allem den alten Betrieb genau studieren.
2. Einheitlichen Reorganisationsplan aufstellen.
3. Zeit lassen.
4. Eines nach dem Andern.
5. Jede Neuerung erst sich einleben lassen, bevor die nächste in Angriff genommen
wird.
6. Dem Personal Zeit zur Anpassung lassen.
7. Mit der kaufmännischen Organisation beginnen.
8. Mit der Handhabung des technischen Betriebes fortsetzen.
9. Mit der Durchführung der Neuinvestitionen schließen.
10. Nichts Altes abschaffen und niederreißen, bevor nicht das Neue betriebsfähig
ist.
11. Das in jedem Betrieb vorhandene brauchbare Alte für die Neuorganisation
erhalten.
Nicht Revolution, sondern Evolution soll das Leitmotiv jeder
Reorganisation sein.