Titel: | Beitrag zur Geschichte der Gleichstromdampfmaschine. |
Autor: | J. Stumpf |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 89 |
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Beitrag zur Geschichte der
Gleichstromdampfmaschine.
Von J. Stumpf.
STUMPF: Beitrag zur Geschichte der
Gleichstromdampfmaschine.
Unter Hinweis auf eine Besprechung auf der letztjährigen Hauptversammlung der
Schiffbautechnischen Gesellschaft veröffentlicht Prof. H. Dubbel in D. p. J. Bd. 330 S. 51 einen Auszug aus dem belgischen Patent
110187 vom 29. Mai 1894 des französischen Ingenieurs A. Rateau, wobei er zu dem irrtümlichen Ergebnis kommt, daß A. Rateau der Erfinder der Gleichstromdampfmaschine ist. Auf
letzteren hatte der Unterzeichnete selbst aufmerksam gemacht, welcher mit Prof. H.
Dubbel auch in dem Punkte einig geht, daß Ingenieur
Karl Schmidt in Landsberg a. W. die Erfinderschaft nicht
zuzusprechen ist.
„Meine Verbesserung bezieht sich nur auf die eigenartige Anordnung des
Auslasses“, sagt Rateau. Er lehnt es also ab, auf
die höchst wichtige besondere Ausbildung des Einlasses sowie die wichtigen
Beziehungen zwischen Einlaß, Auslaß, dem übrigen Zylinderteil und dem Kondensator
einzugehen. Demgemäß wird der Einlaßschieber seitlich am Zylinder mit mindestens 5
bis 6 v. H. schädlichen Raum angebracht. Im Jahre 1894 baute man nur
Sattdampfmaschinen, weshalb, um der Rateauschen
Patentschrift gerecht zu werden, diese Kritik unter diesem Gesichtswinkel abgefaßt
ist. Nimmt man ein Vakuum von gewöhnlichen Einspritzkondensationen zu etwa 95 v. H.
und im übrigen mittlere Verhältnisse an, so kann für 1 v. H. schädlichen Raum und 1
PSi/Std. mit einem Raumschaden von 0,2 K° also
bei 5 v. H. mit einem solchen von 1 K° gerechnet werden. Ferner ist das
Kompressionsgesetz, welches bei gegebenem mittleren Druck und gegebener
Kompressionslänge behufs weitgehendster Raumschadenverminderung Gleichheit des
Druckgefälles für Kompression und Expansion fordert, nicht berücksichtigt. Bei 5 v.
H. schädlichem Raum und 90 v. H. Kompressionslänge steigt die
Endkompressionsspannung auf etwa 1 at absolut, was zur Erfüllung des
Kompressionsgesetzes viel zu wenig ist. Nach den Nägelschen Versuchen wird diese ganze Kompression im feuchten Gebiet
verlaufen. Die zwecks Verminderung der Eintrittskondensation angestrebte
Zylindererwärmung ist ebenfalls viel zu gering. Von einer Kompression bis zur
Anfangsspannnung, wie es die Patentschrift behauptet,kann und darf gar keine
Rede sein. Das wäre nur möglich bei Auspuffmaschinen, wo dann aber wegen des dann
nötigen großen schädlichen Raumes von 15 bis 20 v. H. und der falschen Bemessung der
Kompression ein großer Raumschaden entsteht.
Der größte Fehler ist die grundsätzliche Weglassung jeglicher Zylinderheizung, welche
gerade bei Sattdampf und einstufigen Kondensationsmaschinen so außerordentlich
wichtig ist – letzteres wegen des Sattdampfes, des großen Heizgefälles, der großen
Heizflächen und des Gleichstroms. Alles ist hier vorhanden, um
die Heizwirkung auf einen Höchstwert zubringen undgerade hier umgeht Rateau die
Heizung in geradezu radikaler Weise (s. Abb.
1). Demgegenüber weist der Stumpfsche
Gleichstromzylinder nach Abb. 2 eine ausgiebige
Mantelung am Deckel und den Zylinderenden auf, wobei noch im Deckel strömender Dampf
zur Heizung benutzt wird. Nach den vorliegenden Versuchsergebnissen ist aus diesem
Grunde ein Unterschied von fast 2½ K° im Dampfverbrauch zu erwarten.
Im Rateau – Zylinder findet man keine Spur von dem großen
Gedanken, die Heizdampftemperatur der Arbeitsdampftemperatur anzupassen, und
gleichsam dem innern Gleichstrom einen äußern Gleichstrom an die Seite zu
stellen.
Im Gegensatz zum Rateau-Zylinder ist das Einlaßorgan beim
Stumpf-Zylinder im Deckel angeordnet, um gute
Deckelheizung, kleinen schädlichen Raum (etwa 1 bis 1½ v. H.) und kleine schädliche
Flächen zu erzielen. Jetzt sind Endkompressionsdrucke bis 5 bis 6 at und damit
Temperaturen von etwa 600 ° erzielbar. Daß solche Temperaturen – noch dazu in
Verbindung mit einer wirksamen Heizung – wohltuend auf die schädlichen Flächen und
die Eintrittskondensation einwirken müssen, ist klar. Auch ist beim Stumpf-Zylinder obiges Kompressionsgesetz wenigstens
angenähert erfüllt.
Man beachte ferner den großen Unterschied in der Größe der schädlichen Fläche
zwischen dem Rateau-Zylinder und dem Stumpf-
Zylinder.
Von der höchstwichtigen innigen Verbindung des Kondensators mit dem Gleichstromzylinder behufs
Herbeiführung eines vollständigen Druckausgleichs zwischen Zylinder und Kondensator
ist in der Rateauschen Patentschrift keine Spur zu
finden. Beträchtliche Diagrammverluste können die Folge sein.
Zieht man alle Verlustwerte zusammen, so ergibt sich beim Rateau-Zylinder ein Mehrdampfverbrauch von etwa 4 kg f. d. PSi/Std., ein Betrag, der gerade
genügt, die Rateausche Maschine im Wettbewerb mit
guten Verbund- und Dreifachexpansionsmaschinen unmöglich zu machen. Das
aber war doch das Ziel, welches mit der Stumpfschen
Gleichstromdampfmaschine sowohl bei Sattdampf wie bei Heißdampf voll und ganz
erreicht wurde.
Textabbildung Bd. 330, S. 89
Abb. 1.
Textabbildung Bd. 330, S. 89
Abb. 2.
Um nun die Gleichstromdampfmaschine industriell verwertbar zu machen, mußte eine
Einrichtung getroffen werden, welche den vorübergehenden Auspuffbetrieb gestattet.
Dies ist beim Stumpfschen Gleichstromzylinder in Gestalt
des Zuschaltraums ohne Zuwachs an schädlichem Raum und schädlicher Fläche während
des Kondensationsbetriebes ermöglicht.
Es fehlt also beim Rateau-Zylinder die zur Erzielung
geringsten Flächenschadens und Raumschadensnötige Unterbringung des
Einlaßorgans im Deckel, die hierdurch ermöglichte höchst wichtige Deckelheizung
durch strömenden Dampf, die ebenfalls sehr wichtige Heizung der Zylinderenden, die
Abstufung in der Heizung der Arbeitsdampftemperatur entsprechend, die innige
Verbindung mit dem Kondensator und der Zuschaltraum. Ueber das sehr wichtige
Einlaßorgan und alle damit im Zusammenhang stehende Fragen schweigt sich die
Patentschrift überhaupt aus. Es fehlt so ziemlich alles was der
Gleichstromdampfmaschine ihren Wert verleiht. Mit dem Schlitzauslaß allein, auf den sich die Rateausche Patentschrift ausdrücklich beschränkt, ist es nicht getan. Dieser
gefiel ihm wegen seiner Einfachheit. Der Schlitzauslaß findet sich aber schon im
englischen Patent Nr. 7301 vom Jahre 1885, in welchem W. Todd auch auf den
Gleichstrom und die dadurch erzielbaren Wärmegewinste aufmerksam macht, worauf Rateau mit keinem einzigen Wort eingeht. Freilich kann
auch die Toddsche Maschine nicht mit der neuzeitlichen
Verbundmaschine in Wettbewerb treten, da alle oben angeführten Fehler auch hier in
vollem Umfange vorhanden sind. Todd vergreift sich soweit, den Auspuffwulst anstatt
den Deckel zu heizen.
Aber auch den Schlitzauslaß begründet Rateau durchaus
nicht einwandfrei. Z.B. gibt er als Vorteil an: „Fortlassung jeglichen
beweglichen Organs für den Auslaß, welcher ein für allemal gemäß der Spannung im
Einlaßraum festgelegt ist“. Was der Schlitzauslaß mit der
Einlaßdampfspannung zu tun hat, ist geradezu unerfindlich. Weiter: „Obgleich die
Ausströmungsdauer relativ kurz ist, hat der Dampf doch Zeit, mit einem schnellen
Ruck auszutreten.“ Letzteres ist gar nicht erwünscht. Der Dampf soll
vielmehr zwecks Erzielung kleinsten Auspuffdrosselverlustes tunlichst während der
ganzen Eröffnungszeit austreten, so daß erst beim Auslaßschluß völliger
Druckausgleich eintritt. Weiter: „Durch die während des ganzen Hubes andauernde
Kompression wird der Zylinder erwärmt und die Eintrittskondensation
verringert.“ Das gilt ebenso von jeder Kompression jeder anderen
Dampfmaschine. Weiter: „Sodann wird das Arbeitsmittel bis auf die Einlaßspannung
komprimiert.“ Oben wird eine Kompression nur auf 1 at abs. nachgewiesen.
Eine Kompression bis auf die Einlaßspannung ist selbst bei der sehr günstigen
Anordnung eines Einlaßdoppelsitzventils im Deckel bei einigermaßen gutem Vakuum
ausgeschlossen, geschweige denn bei der ungünstigen Rateauschen Anordnung des Einlasses seitlich am Zylinder. Weiter: „Ein
anderer bedeutender Vorteil dieser vollständigen Kompression besteht darin, daß
der Kolben vor Hubende aufgehalten wird und daß der Wechsel der Lagerschalen von
Pleuelstange und Hauptwelle so bewerkstelligt wird, daß Stöße sehr gemildert
werden. Im Falle einfachwirkender Maschinen werden diese Stöße sogar vollständig
unterdrückt, weil die Kompression genügt, um die Trägheit des Kolbens während
des Rückhubes so zu überwiegen, daß die Lagerschalen stets an derselben Seite
anliegen.“ Der Unterzeichnete hat mehrere Hundert ausgeführte
Gleichstromdampfmaschinen seines Systems untersucht und dabei bei 500 mm Zylinderdurchmesser
einen höchsten Massendruck von 5 at, bei 900 mm Zylinderdurchmesser einen solchen
von 6,4 at und bei 1300 mm Zylinderdurchmesser einen solchen von 6,7 at im
Durchschnitt festgestellt. Da aber oben nur 1 at Endkompressionsdruck festgestellt
wurde, kann von einem Wechsel der Lagerschalen weit vor dem Totpunkt gar keine Rede
sein. Bei den meisten im Betrieb befindlichen Gleichstrommaschinen ist der größte
Massendruck größer als der Endkompressionsdruck und kleiner als der Anfangsdruck, so
daß der Druckwechsel in den Hubwechsel fällt. Bei der einfachwirkenden Maschine mit
und ohne Kondensation gibt es eine Reihe von Betriebsfällen, wo Druckwechsel im
Triebwerk eintritt. Weiter: „Die Austrittsöffnungen bleiben für die Dauer gleich
ein Fünftel derjenigen einer vollen Umdrehung frei.“ Die Austrittsöffnungen
sind nur im Totpunkte frei und in jedem anderen Punkt teilweise frei oder
geschlossen.
Schlußergebnis: Die Rateausche Patentschrift beschränkt
sich lediglich auf den damals schon bekannten
Schlitzauslaß, der zudem in sehr ungenügenderund unzutreffender Weise begründet
wird und nur einen bescheidenen Teil der neuzeitlichen mit den Verbund- und
Dreifachexpansionsmaschinen so erfolgreich in Wettbewerb tretenden
Gleichstromdampfmaschine ausmacht.
Weshalb ist denn der Rateausche Vorschlag vom Jahre 1894
gänzlich unbeachtet geblieben und nie in die Wirklichkeit übersetzt worden? Ein
Glück, daß letzteres nicht geschehen ist, denn eine kräftige Bremswirkung wäre die
Folge gewesen.
Zum Schluß sagt Prof. Dubbel: „Die sehr klaren Ausführungen dieser Patentschrift beantworten
endgültig die Frage nach der Priorität der Erfindung der
Gleichstrommaschine.“ Dem Unterzeichneten ist es klar, daß die sehr klaren
Ausführungen sehr unklar sind und das unabhängige Entstehen und die kräftige
Weiterentwicklung der Stumpfschen Gleichstrommaschine
nicht haben hindern können. Nicht einmal der unvollständige Grundgedanke in seiner
rohesten embryonalen Urform ist durchdacht, geschweige denn der beschwerliche Weg
beschritten, welcher von der fertigen Idee bis zum Kubus führt.