Titel: Zur Frage der Erfinderschaft der Gleichstrommaschine.
Autor: Karl Schmid
Fundstelle: Band 330, Jahrgang 1915, S. 141
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Zur Frage der Erfinderschaft der Gleichstrommaschine. Offener Brief an Herrn Professor J. Stumpf, Charlottenburg. STUMPF: Zur Frage der Erfinderschaft der Gleichstrommaschine. Sehr geehrter Herr Geheimrat! Die Ausführungen des Herrn H. Dubbel und dessen Stellungnahme für Rateau (Heft 3, 6. Februar 1915) geben Ihnen Veranlassung, unter der Spitzmarke: „Beitrag zur Geschichte der Gleichstromdampfmaschine“ Ihrerseits die Rateausche Erfindung vom Jahre 1894 einer Besprechung zu unterziehen (Heft 5). Es sei nun auch mir gestattet zu der Angelegenheit das Wort zu ergreifen, zumal mein Vortrag auf der Hauptversammlung der Schiffbautechnischen Gesellschaft die Anregung zu der erneuten Diskussion bezüglich der Gleichstrommaschine bzw. ihrer Erfindung geführt hat. Von meinem Standpunkt aus begrüße ich es mit Dank, wenn Herr Dubbel die Frage der Priorität erneut anschneidet. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich ferner der Ansicht, daß die Nichtausführung der Rateauschen Maschine Mitte der 90 er Jahre sehr bedauerlich ist. Der Erfolg wäre doch unzweifelhaft der gewesen, daß zunächst gegenüber einer gleichwertigen Wechselstrommaschine eine ganz außerordentliche Dampfersparnis erzielt worden wäre. Es hätte sich dann schon von selber herausgestellt, daß man durch die Anordnung des Schlitzauslasses (und somit durch feuchte Dampfabfuhr), ob gewollt oder ungewollt, ein neues Arbeitsprinzip gefunden habe, alles weitere, insbesondere der Ausbau der Maschine bezüglich ihrer konstruktiven Einzelheiten hätte sich dann von selbst ergeben. Die Rateau-Maschine ist zweifellos eine Gleichstrommaschine, was Sie wohl selber nicht in Abrede stellen wollen. Ob aber Rateau die Konstruktion zur Durchführung eines als rationell erkannten Arbeitsverfahrens geschaffen hat, geht zum mindesten aus dem Text der Patentansprüche nicht hervor. Allerdings sagtRateau unter 3, daß die während des ganzen Hubes andauernde Kompression einen ausgezeichneten Einfluß auf den Wirkungsgrad habe und die Eintrittskondensation vermindere. Das gleiche gilt aber bekanntlich von der Kompression auch in jeder Wechselstrommaschine. Rateau fängt seine Beschreibung jedoch damit an, daß er sagt „die hier in Frage stehende Verbesserung bezieht sich auf die Steuerung von Dampf- und Druckluftmaschinen. Letzteres legt die Vermutung nahe, daß es sich bei Rateau in erster Linie um eine Vereinfachung der Steuerung handelte, ohne daß der Erfinder über die thermischen Vorteile der neuen Maschine sich klar geworden wäre oder gar diese bezweckt hätte. Der Zweck meines offenen Briefes an Sie ist jedoch nun weniger der, für oder gegen die Rateausche Erfindung Stellung zu nehmen, sondern in erster Linie der, öffentlich und energisch gegen die Form der Abwehr zu protestieren, welche Sie in jedem Falle für angebracht halten, sobald die Prioritätsfrage der Gleichstrommaschine angeschnitten wird. So scheinen Sie es zunächst für durchaus zulässig zu halten, der Rateauschen Patentzeichnung Ihrerseits eine Konstruktionszeichnung (mit Zylinderdurchmesser, Hub und Drehzahl) gegenüber zu stellen. Sie weisen dann auf Grund dieser vollständig ungleichen Unterlagen nach, daß der Rateau-Zylinder weder Dampfstromdeckel, noch elastische Ventile, noch zusätzliche schädliche Räume, noch abgestuften Heizmantel besitze. Wenn Sie dann ferner Ihre abgestufte Heizung als „Großen Gedanken“ bezeichnen, so kann man hierüber jedenfalls verschiedener Meinung sein. Wenn Sie freundlichst Ihre eigenen Patentzeichnungen aus den Anfangen der ganzen Bewegung betrachten wollten, so werden Sie finden, daß auch diese in konstruktiver Hinsicht alles zu wünschen übrig lassen, und es ist ja auch tatsächlich Aufgabe der Patentzeichnung, möglichst nur das zu zeigen, was sich auf den Erfindungsgedanken bezieht. Ihre großen Verdienste um die Entwicklung der Konstruktionseinzelheiten der Gleichstrommaschine kann und will Ihnen niemand bestreiten. Es dreht sich bei der ganzen Angelegenheit aber doch garnicht um die Entwicklung der Konstruktionseinzelheiten, sondern lediglich um die Frage: Wer hat zuerst das heute unter dem Namen Gleichstrom bei Dampfmaschinen bekannte Arbeitsverfahren erkannt und somit erfunden.“ Textabbildung Bd. 330, S. 142 Wollte man eine Erfindung demjenigen zusprechen, welcher sich um die Entwicklung verdient gemacht hat, so dürften z.B. James Watt, Gutenberg und von den neueren Erfindern Rudolf Diesel nicht als Erfinder der Dampfmaschine, der Druckschrift und des Dieselmotors genannt werden. Der Weg der fertigen Idee bis zum Kubus (eines ihrer gangbaren Schlagworte) ist eben zu jeder Zeit und immer beschwerlich gewesen, nur daß der Kubus ohne die Idee überhaupt nicht möglich ist. Im allgemeinen bin ich jedoch der Ansicht, daß eine so energische Abwehr Ihrerseits gegen Rateau zunächst garnicht erforderlich war. Bekanntlich nehme ichdie Erfindung der Gleichstrommaschine mit fünfjähriger Priorität vor Ihnen in Anspruch (siehe Patentschrift Klasse 14a 164956 resp. 958 vom 20. Juni 1903 resp. vom 24. Januar 1904) und darf daher erwarten, die Frage zunächst zwischen uns beiden klargestellt zu sehen, wobei es dann dem obsiegenden Teil überlassen bleiben kann, sich seiner weiteren Vordermänner zu erwehren. Unter dem 17. August 1909 beehrte ich mich Ihnen durch eingeschriebenen Brief meine Ansprüche bekannt zu geben. Meine Patentschriften aus dem Jahre 1903/4 müssen Ihnen im Patentverfahren unbedingt bekannt geworden sein. Trotzdem haben Sie es nicht für nötig gehalten, mir auf meinen Brief zu antworten oder auch nur meine in erster Linie in Frage kommende Konstruktion im Vorwort Ihres Werkes die „Gleichstromdampfmaschine“ zu erwähnen. Ich habe Sie im Jahre 1912 erneut darauf hingewiesen und Ihnen erklärt, ich wolle mich bescheiden, falls Sie mir einen einzigen, die thermischen Vorgänge betreffenden neuen Gedanken in Ihrem Werke „die Gleichstromdampfmaschine“ nachweisen könnten, welcher nicht schon in den aus dem Jahre 1903/4 stammenden und Ihnen bekannten Schriftsätzen, Zeichnungen und Diagrammen enthalten sei. Hierauf sind Sie mir bis heute die Antwort schuldig geblieben. Sie haben ferner in unserer Diskussion am 19. November 1914 ebenso wie in Ihrer Besprechung der Rateauschen Maschine zum Ausdruck gebracht, daß Sie es als ganz außerordentliches Glück empfänden, weder von der Schmid'schen noch von der Rateau'schen Maschine gewußt zu haben, anderenfalls wäre eine „Totgeburt“ die unausbleibliche Folge gewesen. Ihre Erfolge mit stationären Anlagen in allen Ehren, soviel steht aber fest: Eine Verbindung zwischen uns zwecks Konstruktion von Gleichstrom schiffs maschinen hätte jedenfalls die von Ihnen befürchtete „Totgeburt“ nicht gezeitigt. Vielmehr wäre die heute in den weitesten Kreisen als „Mißgeburt“ (ich bleibe nur in Ihrem Bilde) bezeichnete Schiffsmaschinenkonstruktion vermieden worden, welche wenigstens auf diesem Zweige des Gleichstrom -Dampfmaschinenbaues die von Ihnen so befürchtete „Bremswirkung“ auch heute noch fühlbar macht. Lediglich um den nicht orientierten Lesern einen Ueberblick zu geben, sei mir gestattet, an dieser Stelle die Abbildungen meiner Originalkonstruktionen 1903/4 (Rationeller Dampfmotor) resp. 1913/14 zu bringen (Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 1914). Besonders erstere ist in mancher Hinsicht interessant, und ich möchte glauben, daß besonders die Verbindung des Kondensators mit dem Auspuffwulst Ihre Zustimmung finden wird. Sollte Ihnen, sehr geehrter Herr Geheimrat, nach diesem an einer Klarstellung der Frage der Erfinderschaft der Gleichstrommaschine noch gelegen sein, so werden sich jedenfalls sehr wohl unbefangene Schiedsrichter finden lassen, denen wir unser gegenseitiges Material unterbreiten können. Herr Dubbel wird gewiß gern die Vertretung der Rateauschen Interessen übernehmen,auch Mister Todd einen objektiven Vertreter finden. Ich bin durchaus bereit, meine Sache der Beurteilung durch ein derartiges Schiedsgericht unterziehen zu lassen und kann nur annehmen, daß auch Ihnen hiermit gedient wäre. Textabbildung Bd. 330, S. 143 Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Ergebenheit zeichne ich. Landsberg a. W., März 1915. Karl Schmid.