Titel: Flüssige Luft als Sprengmittel im Bergbau.
Autor: Wüster
Fundstelle: Band 330, Jahrgang 1915, S. 201
Download: XML
Flüssige Luft als Sprengmittel im Bergbau. Von Bergreferendar Wüster in Berlin. WUESTER: Flüssige Luft als Sprengmittel im Bergbau. Der fast normale Bergwerksbetrieb im Deutschen Reiche ist eine der Grundlagen unserer Kraft. Zum großen Teile hängt dieser regelmäßige Betrieb – abgesehen natürlich von den in erster Linie in Frage kommenden nötigen Arbeitskräften – von dem Vorhandensein der wichtigen Sprengmittel ab. Zur Herstellung der wichtigsten Sprengstoffe werden hauptsächlich Chilesalpeter (Pulver, Sicherheitssprengstoffe u.a.) und Glycerin (Nitroglycerin enthaltende Sprengstoffe, z.B. Dynamit) in großen Mengen gebraucht, Stoffe, deren Einfuhr durch den Krieg unterbunden ist. Wenn auch trotz der weitgehenden Versorgung der Heeres- und Marineverwaltung mit dem nötigen Sprengstoffmaterial noch gewisse und zum Glück nicht unbedeutende Bestände der Industrie zur Verfügung stehen, so muss sie sich doch im Verbrauch von nitroglycerinhaltigen und Sicherheitssprengstoffen Beschränkungen auferlegen, die sich auch wahrscheinlich noch längere Zeit nach erfolgtem Friedensschluss fühlbar machen werden. Die in allerneuester Zeit zum Abschluss gelangten Arbeiten und Versuche, die flüssige Luft zum Sprengen von Gestein zu verwenden, rufen deshalb gerade in dieser Zeit berechtigtes Interesse hervor. In der „Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im Preußischen Staate“ finden wir Angaben über Versuche mit dem Sprengverfahren mit flüssiger Luft nach dem Patente von Kowatsch-Baldus (D. R. P. 244036, 254647, 265067, 277697, 273401). Ferner gibt die Marsit-Gesellschaft, Charlottenburg (Flüssige-Luft-Sprengverfahren „Marsit“) einige sehr interessante Ergebnisse über Versuche mit ihrem zu deutschen und ausländischen Patenten angemeldeten Verfahren bekannt. Bei dem Verfahren von Kowatsch-Baldus bestehen die zur Anwendung kommenden Patronen, die erst in der Grube durch Uebersättigung mit flüssiger Luft sprengfähig gemacht werden, aus einer Papphülse, die mit dem Kohlenstoffträger gefüllt ist, d.h. mit feinstückiger Holzkohle, Korkkohle oder Kieselgur mit Erdöl im Verhältnis 60 : 40 getränkt. Die Patrone ist mit Korkstopfen verschlossen. Durch einen der Stopfen werden zwei Pappröhrchen gesteckt, die, wenn die Patrone in das Bohrloch eingeführt ist, ein Stückchen aus der Oeffnung hervorragen; das eine dient zum Einfüllen der Schießluft, das andere als Abzug für die verdunstende flüssige Luft. Zum Besetzen steckt man in die Röhrchen je eine Räumnadel; man kann sodann auf gewöhnliche Art und Weise besetzen. Die Tränkung der so vorbereiteten Patrone, die also im Bohrloch selbst vor sich geht und die bis zur Uebersättigung getrieben werden muß (wegen der Verdunstung der Schießluft in der Zeit zwischen dem Einfüllen und dem Abschießen), geschieht in der Weise, daß man das Füllröhrchen mit einer Füllflasche verbindet, und dann die letztere etwas umlegt. Es verdunstet dadurch in der Flasche ein geringer Teil der flüssigen Luft, und der dadurch hervorgerufene Ueberdruck drückt die Schießluft durch das Füllröhrchen in die im Bohrloch steckende Patrone. Zum Abtun der Schüsse verwendet man Zeit- und Momentzünder ohne Sprengkapseln. Sie werden in der gewöhnlichen Weise durch elektrische Zündmaschinen in Tätigkeit gesetzt. Versuche mit guten Ergebnissen im festen Sandstein sowohl als auch in der Kohle wurden auf der Schachtanlage Westhofen der Gewerkschaft Rhein I zu Hamborn ausgeführt. Die flüssige Luft wurde in einer besonderen Luftverflüssigungsanlage (Maschinenfabrik Sürth-Köln) hergestellt. Die flüssige Luft kann aus einem Sammelbehälter in eiserne Füllflaschen, die drehbar in einem Bügel verlagert sind, um eine stets senkrechte Stellung der Flasche zu gewährleisten, abgefüllt werden. In diesen Flaschen wird sie dann in die Grube gebracht. Das Verfahren der Marsit-Gesellschaft unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von dem vorigen. Auch hier sind die Patronen zunächst nicht sprengfähig. Bei dem Marsitverfahren werden sie aber nicht im Bohrloch selbst zu Sprengpatronen gemacht, sondern außerhalb desselben. Man hat hier u.a. wichtig erscheinenden Punkten hauptsächlich die großen Temperaturunterschiede zwischen der jeweiligen Wärme der Grubenluft des Gesteins, also auch des zur Füllung der Patronen dienenden Vorproduktes (Kohlenstoffträger) einerseits und der flüssigen Luft (rund – 180°) andererseits Rechnung getragen. Man kühlt nämlich die Patronen, bevor man sie mit der Schießluft lädt, in besonderen patentierten Apparaten bis auf die Temperatur der flüssigen Luft ab, ausgehend von dem Gedanken, daß der Kohlenstoffträger so zur Aufnahme und zum Festhalten der Schießluft geeigneter sein müsse. Die eigentliche Ladung der so gekühlten Patronen erfolgt dann in weiteren – ebenfalls patentierten – Tauchapparaten, in die die Patronen gelegt werden; Man erhält auf diese Weise dann Patronen, die genau wie die dem Bergmann vertrauten Dynamitpatronen zu behandeln sind; d.h. die Patronen sind, wie die Dynamitpatronen, plastisch, können hintereinander in das Bohrloch eingeschoben werden usw. Sie zeichnen sich auch dadurch aus, daß sie bei etwaigem längerem Stehenlassen vor dem Abschießen die Luft gut festhalten. Die Ladedichte der Marsitsprengkörper, d.h. die Gewichtseinheiten des Sprengstoffes, die sich in der Raumeinheit unterbringen lassen, beträgt etwa 1,6; sie entspricht also sogar der des wirksamsten brisanten Sprengmittels, des Dynamits. Die Wirkung der Marsitsprengmittel kann außerdem durch geeignete Zusammensetzung des Vorproduktes zu höherer oder geringerer Brisanz abgestuft werden. Das Wegtun der auf gewöhnliche Art, am besten mit Letten, zu besetzenden Schüsse kann durch elektrische Zündung sowohl als auch durch Zündschnur (ohne Sprengkapseln) geschehen. Die auch hier erforderlichen Luftverflüssigungsanlagen mit patentiertem „Verflüssigungs-Apparat“ liefern nach Angaben der Gesellschaft schon nach 10 Minuten Anfahrtszeit die flüssige Luft im Ausmaß der stündlichen Leistung der Anlage. Andrerseits sind der Gesellschaft auch besonders konstruierte Metallgefässe zur Aufbewahrung und zum Versand von flüssiger Luft patentiert, die ein großes Isolationsvermögen besitzen und gefahrlos zum Verschicken von Schießluft verwendet werden können, falls eine besondere Verflüssigungsanlage nicht besteht. Versuche mit diesem Verfahren sind unter andern angestellt worden: 1. Steinkohlenwerke: Gleiwitzer konsolidierte Steinkohlengrube (Oberschl. Kokswerke und Chem. Fabriken); Römergrube der Rybniker Steinkohlen-Gewerkschaft. 2. Erzbergwerke: Roteisensteingruben der Kgl. Berginsp. zu Dillenburg; Spateisensteingrube Eisenzecher Zug, Eisen- und Stahlwerk Hoesch; Brauneisensteingruben der Ilseder Hütte zu Peine b. Hannover. 3. Kaliwerke: Kaliwerke Salzdethfurt, A.-G. Bei einem Versuch im Ost-Querschlag der 185 m Sohle der Gleiwitzer Grube ergaben sich die Lademengen von Dynamit und Marsitsprengstoff, die den Querschlag je um rd. 1,25 m (5,625 cbm Gestein) vorwärtsbrachten, 16 Bohrlöcher, zu: Dynamit 10,24 kg Marsitsprengstoff 4,60 kg Die Kosten für 10,24 kg Dynamit (kg 1,40 M) betragen 14,33 M, während die Kosten für den Marsitsprengstoff sich belaufen auf 3,18 M. Es wäre dies also eine recht erhebliche Ersparnis. Zu bemerken ist noch, daß dieser Berechnung eine Luftverflüssigungsanlage mittlerer Größe zu Grunde gelegt ist. Ein kritischer Vergleich zwischen den bisher angewandten Sprengmitteln einerseits und der Flüssigen-Luftsprengtechnik andererseits, sowie ein Urteil über die beiden oben beschriebenen Verfahren dürfte heute noch verfrüht sein. Jedoch kann man schon jetzt einige Vor- und Nachteile der Verfahren mit flüssiger Luft anführen. Als Vorteile dürften gelten: 1. Die Explosionsgefahr bei der Beförderung auf der Bahn und auf dem Landwege, die die Dynamite usw. in so hohem Grade gefährlich macht, fällt fort, da ja die an sich völlig ungefährlichen Kohlenstoffpatronen erst unmittelbar vor Gebrauch sprengfähig gemacht werden. 2. Aus demselben Grunde besteht auch beim Lagern der Patronenvorräte keinerlei Gefahr. 3. Unfälle, hervorgerufen durch nachträgliches Explodieren der Schüsse sind so gut wie ausgeschlossen, da die Patronen schon nach kurzer Zeit ihre Sprengkraft wieder verlieren. 4. Hinsichtlich der Kosten läßt sich sagen, daß trotz des hohen Preises der Luftverflüssigungsanlage (einschließlich der Aufbewahrungs-, Beförderungs- und Kühlgefäße) die Kosten beim Sprengen mit flüssiger Luft jedenfalls nicht höher sein werden als beim Arbeiten mit Dynamit oder Sicherheitssprengstoffen; wahrscheinlich aber wird man mit einer erheblichen Verbilligung rechnen können. Demgegenüber möge auf folgende Nachteile hingewiesen werden: 1. Es können immer nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Schüssen an einem Arbeitspunkte gleichzeitig abgetan werden, wegen der sofort nach Füllung der Patronen einsetzenden Verdunstung der flüssigen Luft. Es scheint deshalb die Verwendungsmöglichkeit beim Schachtabteufen und sonstigen Arbeiten, die ein gleichzeitiges Abtun vieler Schüsse verlangen, in der bisherigen Form noch nicht möglich zu sein. 2. Das schnelle Verdunsten der Schießluft im Bohrloch verlangt eine äußert geschickte und vor allem schnelle Handhabung beim Besetzen, ein Uebelstand, der nur durch Verwendung besonders geschulten und geeigneten Arbeitermaterials zu beseitigen wäre. 3. Die Sprengladung kann, ebenfalls aus dem Grunde, daß die Luft so schnell verdunstet, nicht genau abgemessen werden. 4. Die Herstellung einer größeren Vorratsmenge ist nicht möglich, vielmehr muß jedesmal bei Bedarf die Luftverflüssigungsanlage in Betrieb gesetzt werden. Alle diese Nachteile werden um so größer, je länger der Zeitraum zwischen dem Besetzen und dem Abschießen ist; d.h. von dieser Seite aus betrachtet bietet das Verfahren von Kowatsch-Baldus insofern einen Vorteil gegenüber dem Marsitverfahren, als bei ihm das Besetzen früher geschieht als das Laden mit Schießluft, während beim Marsitverfahren erst nach Einführung der sprengfähig gemachten Patronen besetzt werden kann. Andererseits verdient beim Marsitverfahren als nicht zu unterschätzender Vorteil hervorgehoben zu werden, daß die Durchtränkung des Kohlenstoffträgers mit flüssiger Luft eine bessere ist (Vorkühlung) und daß hiermit auch ein geringerer Verdampfungsverlust verbunden ist. Weitere Aufsätze über flüssige Luft als Sprengmittel: Schulz. „Die Benutzung der flüssigen Luft zur Darstellung von Sprengstoffen.“ Glückauf 1898 S. 341. Sieder. „Ueber die Verflüssigung der Luft.“ Vortrag im Rhein. Bez.-Verb. Deutscher Chemiker. Ref. in Glückauf 1898 S. 341. Heise. „Oxiliquit.“ Glückauf 1898 S. 92. Heise. „Ueber die Verflüssigung der Luft.“ Ref. in Glückauf 1899 S. 492. Heise. „Sprengstoffe und Zündung der Sprengschüsse.“ Berlin 1904 S. 119 bis 120 über Oxiliquit. Sieder. „Oxiliquit.“ Zeitschr. f. d. ges. Schieß- und Sprengstoffwesen 1906 Nr. 6. Henniger. „Die Nutzbarmachung der atmosphärischenLuft.“ Monatshefte f. d. naturw. Unterricht 1908 I 440. Kolbe. „Die Verwendung der flüssigen Luft zu Sprengzwecken.“ Zeitschr. f. Sauerstoff- und Stickstoff- Ind. 1912 S. 237. A. Troller. „Les explosifs à oxygène liquide.“ La Nature 1912 S. 390. Kolbe. „Sprengstoffe aus flüssigem Sauerstoff.“ Ztschr. für Sauerstoff- und Stickstoff-Ind. 1913 S. 65. Rußwurm. „Die Verwendung flüssiger Luft zu Sprengzwecken.“ Dinglers pol. Journal Bd. 328 (1913) S. 159. Przyborski. „Verwendung flüssiger Luft als Sprengmittel.“ Montanistische Rundschau 1915 Nr. 5. „Verwendung flüssiger Luft zu Sprengzwecken.“ Bergbau 1915 Nr. 3. Liesegang. „Die Verwendung von flüssiger Luft als Sprengstoff für bergmännische Zwecke.“ Bergbau 1915 Nr. 17. Spielmann. „Krieg und Sprengstoffe.“ Zeitschrift f. d. Steinbruchs-Ber.-Gen. 1915 Nr. 4. Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preußischen Staate 1915 Heft 1: Versuche und Verbesserungen beim Bergwerksbetriebe in Preußen im Jahre 1914. Kurze Notizen finden sich ferner in nachgenannten Aufsätzen und Zeitschriften: Treptow. Grundzüge der Bergbaukunde 1907 S. 143. Lindeholz. Ref. über den Aufsatz in der Deutschen Warte in der Zeitschr. f. d. ges. Schieß- u. Sprengstoffwesen 1907 S. 118. „Flüssige Luft als Sprengstoff“ in Nordengland. Aufsatz in der Münchener Zeitung, Ref. in der Zeitschrift f. d. ges. Schieß- u. Sprengstoffwesen 1907 S. 218. Pestalozzi. „Die Bauarbeiten am Simplon-Tunnel.“ Sonderdruck der Schweizerischen Bauzeitung, Zürich 1904.