Titel: Frederick Winslow Taylor.
Autor: W. Speiser
Fundstelle: Band 330, Jahrgang 1915, S. 301
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Frederick Winslow Taylor. Von Dipl.-Ing. W. Speiser in Spandau. SPEISER: Frederick Winslow Taylor. Am 21. März ist in Philadelphia Frederick W. Taylor im Alter von 59 Jahren gestorben. Kaum ein Name ist wie seiner in den weitesten Kreisen der Techniker und der Volkswirte genannt worden, nicht oft hat eine neue Lehre auf industriell-sozialem Gebiet die Gemüter so erregt wie der „Taylorismus“. 1856 in Germanstown in Pennsylvania geboren, wurde Taylor nicht nur in amerikanischen Schulen, sondern auch in Frankreich und Deutschland erzogen und trat mit 18 Jahren als Lehrling in die Modelltischlerei einer kleinen Pumpenfabrik in Philadelphia ein. Nach Beendigung seiner Lehrzeit kam er als einfacher Arbeiter in die Maschinenfabrik der Midvale Steel Co. und errang sich hier in kaum sechsjähriger Arbeit die Stellung eines Oberingenieurs und Betriebsleiters, nachdem er durch den Besuch von Abendvorlesungen des Stevens-Instituts seine theoretischen Kenntnisse vervollständigt und den akademischen Grad eines Mechanical Engineer (M. E.) erworben hatte. Nach zwölfjähriger Tätigkeit bei der Midvale Steel Co. und dreijähriger Stellung als Generaldirektor der Manufacturing Investment Co. ließ Taylor sich dann als beratender Ingenieur in Philadelphia nieder. Seine fernere Tätigkeit ist eng verquickt mit der Bethlehem Steel Co., die seinen Studien rege Anteilnahme entgegenbrachte und ihm die Durchführung von Versuchen in großem Maßstabe ermöglichte. Seine Fachgenossen ehrten ihn durch die Wahl zum Vorsitzenden und alsdann zum Ehrenvorsitzenden der Am. Society of Mechanical Engineers, eines der bedeutendsten Ingenieurvereine der Vereinigten Staaten. Auf diesem Lebenswege durch alle Teile und alle Stellungen des Werkstättenbetriebes begann Taylor frühzeitig über Verbesserungen im Betriebe nachzudenken. Als Werkzeugmacher beschäftigte ihn schon die Frage nach der günstigsten Form und der zweckmäßigsten Zusammensetzung und Behandlung der Werkzeugstähle, als Meister begann er sofort, die Arbeitsweise seiner bisherigen Arbeitskameraden nach seinen Anschauungen zuverbessern. Er erzählt selbst, welchen Schwierigkeiten, welchem Mißtrauen und Uebelwollen er dabei begegnete. Mit starker Willenskraft und zäher Ausdauer hat er dann zur Durchführung seiner Gedanken den Weg verfolgt, den er auf Grund rein gedanklicher Ueberlegung für den allein erfolgversprechenden hielt, den Weg streng wissenschaftlicher Forschung und planmäßiger Versuchsreihen. Dieser Weg hat ihn in jahrelanger mühsamer Arbeit von Erfolg zu Erfolg geführt. Teilerfolge, von denen kein besonderes Aufsehen gemacht wurde, weil sie noch nicht das Ziel erkennen ließen, auf das die ganze Entwicklung dieses in seltener Weise logisch aufgebauten Gedankenganges hineilte, andere, die auch „nur“ auf dieser Bahn sich als nahezu notwendige Ergebnisse gewissermaßen nebenher fanden, und die doch umwälzend auf weiten Gebieten der Technik wurden. Einer der größten und wichtigsten dieser Teilerfolge war die Erfindung des Schnellarbeitstahles zusammen mit White, dem Leiter der Versuchsanstalt der Bethlehem Steel Co., im Jahre 1894. Sie hat weite Gebiete der Metallbearbeitung von Grund aus umgestaltet. Die Versuche Taylors zur Erforschung der Vorgänge beim Drehen von Eisen und Stahl, die er mit seinen Mitarbeitern Sincler, Gantt und White gemeinsam anstellte, reichen bis in das Jahr 1881 zurück. Ganz planmäßig wurden zunächst die einzelnen Faktoren ausgesondert, die auf den Vorgang der Dreharbeit überhaupt Einfluß haben können, und dann unter gleichmäßiger Beibehaltung aller anderen ein einziger davon in allmählicher Abstufung verändert. Schier endlose Versuchsreihen entstanden dadurch; der Erfolg aber, der von Taylor in dem grundlegenden Buch „On the art of cutting metals“ zusammengefaßt ist,1907, deutsch von Wallichs unter dem Titel „Dreharbeit und Werkzeugstähle“, Berlin 1908. war eine genaue Kenntnis der für die Schneidarbeit maßgebenden Faktoren, insbesondere die Festlegung der vorteilhaftesten Form des Drehstahls und seiner Zusammensetzung. Der Verfolg dieser Versuchsreihen brachte dann – zunächst zur eigenen Ueberraschung der Versuchsleiter – in den Jahren 1898 bis 1900 „die Entdeckung, daß die Chrom-Wolfram-Stähle, beim Härten bis an den Schmelzpunkt erhitzt, zwei- bis viermal so große Leistung aufwiesen als bisher. Dies war die Entdeckung des „modernen Schnellarbeitstahls“. Diese Entdeckung – es ist bezeichnend, daß Taylor selbst sie nicht eine Erfindung nennt – hat eine umgestaltende Wirkung auf das ganze Feld der Metallbearbeitung gehabt. Schnittgeschwindigkeiten, wie man sie bis dahin nicht für möglich gehalten hatte, Spanleistungen, die die Welt in Erstaunen setzten, ermöglichten eine ungeahnte Ausnutzung der Werkzeugmaschinen und Werkzeuge. Mit der Möglichkeit der Arbeitsleistung wuchs das Bedürfnis, die früher hergestellten Arbeitsmaschinen erwiesen sich zu schwach, um die gewaltigen, mit den Schnellarbeitstählen erzielbaren Arbeitsleistungen aufzunehmen. Neue Formen wurden notwendig, ein neues Geschlecht von Werkzeugmaschinen erstand, Riesen an Kraft und Wuchs, mit ihm eine Zeit glänzender Entwicklung des Werkzeugmaschinenbaues. Die deutsche Industrie hat reichen Anteil an dieser Entwicklung. Um so mehr als das Beispiel des Taylorschen Vorgehens naturgemäß gerade in Deutschland auf besonders fruchtbaren Boden fiel. Viel mehr als dem Amerikaner, dem Mann des praktischen Probierens, liegt dem Deutschen das wissenschaftliche Untersuchen. So wurden die Arbeiten Taylors in Deutschland mit Interesse aufgenommen, mit deutscher Gründlichkeit wissenschaftlich durchgearbeitet das, was Taylor zunächst ohne Kenntnis der inneren Zusammenhänge „entdeckt“ hatte, auf Grund der wissenschaftlichen Erkenntnis der Zusammenhänge immer neue Stahlzusammensetzungen von märchenhafter Leistungsfähigkeit geschaffen. Viel weiter getragen aber als diese immerhin auf ein Einzelgebiet der Technik beschränkten Ergebnisse hat den Namen Taylors jene Gedankenreihe, die unter der allgemein gewordenen Bezeichnung „wissenschaftliche Betriebsführung“ die weitesten Kreise der Industrie und der Sozialpolitik, der Arbeitgeber und der Arbeiter nicht nur interessiert, sondern in beispielloser Weise erregt hat und in noch längst nicht abgeschlossenem. Für und Wider erhält. Lange Zeit ist dem Amerikaner die arbeitsparende Maschine alles gewesen. Mit raffiniertem Scharfsinn wurden die Maschinen und Vorrichtungen aller Art durchgeklügelt, um hier und da den Arbeitsvorgang um eine Kleinigkeit zu vereinfachen, Arbeit und Arbeitzeit zu sparen. Erst Taylor hat mit Bewußtsein seine Untersuchungen auch auf das arbeitsparende Verfahren ausgedehnt, er hat zuerst planmäßig die mechanische Leistung des Menschen auf ihre Zweckmäßigkeit und die Möglichkeit ihrer Vereinfachung untersucht. Vielleicht trifft man nicht das Richtige, wenn man sagt, daß ihn dazu nur die Absicht veranlaßte, möglichst rationell zu fabrizieren, den Arbeitsvorgang zu vereinfachen und abzukürzen, um ihn zu verbilligen. Wahrscheinlich liegt der Kern seines Wesens tiefer, wahrscheinlich steht überdem verstandesmäßig rechnenden Geist dieses Mannes ein stark ausgeprägtes Gefühl für die Sünde, menschliche Energie zu vergeuden. Den Ostwaldschen energetischen Imperativ, dessen Formel er nicht kennen konnte, weil sie erst nach der Durchführung seiner Arbeiten von Ostwald ausgesprochen worden ist, hat er, diesem Gefühl folgend, „kategorisch“ in die Wirklichkeit umgesetzt. Das Grundsätzliche an den Bestrebungen Taylors klingt so einfach, so selbstverständlich, daß es zunächst schwer begreiflich erscheint, wie überhaupt eine Erörterung über ihre Berechtigung möglich ist. Sparsamkeit mit dem kostbarsten Betriebsmittel im heutigen Fabrikbetrieb, der menschlichen Arbeitskraft, ein planmäßiges Aufsuchen und Ausarbeiten aller Möglichkeiten, einer Vergeudung dieses unersetzlichen Gutes zu steuern, können anscheinend keinen Vorwurf auf sich ziehen. Wir werden sehen, welche Gefahren und Schädlichkeiten trotzdem dem System mit Recht oder Unrecht nachgesagt werden. Zunächst die Durchführung selbst. Auch sie ist im Grunde so einfach wie in der Ausführung verwickelt. Drei Maßnahmen kennzeichnen das Taylorsche Vorgehen: Die Zerlegung jedes Arbeitsvorganges in seine kleinsten Einzelverrichtungen, die Untersuchung jeder dieser Einzelverrichtungen in bezug auf die erforderten Bewegungen und deren Zeitverbrauch zur Feststellung möglicher Ersparnisse, und endlich auf Grund dieser Einzelbeobachtungen der Aufbau eines Arbeitsverfahrens das nunmehr allein Anspruch machen kann auf beste Wirtschaftlichkeit, weil es eben in seinen Teilen und im Zusammenwirken dieser auf Zweckmäßigkeit geprüft ist. Alles übrige ist Beiwerk: Wie die Auswertung der gefundenen Arbeitselemente geschieht, wie die Festlegung der günstigsten Arbeitsausführung durch rechenschieberähnliche Vorrichtungen erleichtert werden kann, ist nebensächlich. Ebenso die Art, wie der Arbeiter gezwungen wird, das für ihn ausgemittelte Arbeitsverfahren auch wirklich durchzuführen. Lohnsysteme und Durchschreibezettel, die so oft als wesentliches Merkmal für das Taylorsystem genannt werden, haben nichts zu tun mit dem Grundsätzlichen, das dem ganzen Verfahren den Namen des Wissenschaftlichen wohl verdient. Natürlich ist es lächerlich von einer „Wissenschaft des Mauerns“, von einer „Wissenschaft des Roheisenverladens“ zu reden, auch die Ausführung der schwierigsten Dreharbeiten wird man nicht als Wissenschaft ansprechen. Wohl aber liegt in der Methode, mit der Taylor an die Handhabung des Werkstättenbetriebes herangegangen ist, etwas wissenschaftliches, und im Sinne dieser ernsten Forschung, die die Ergebnisse menschlichen Wissens und Könnens auf ein neues Gebiet anzuwenden und in diesem zu vertiefen bestrebt ist, kann man wohl von einer Betriebswissenschaft und einer wissenschaftlichen Betriebsführung sprechen. Uebertragung der Geschicklichkeit nennt Taylor diese durch die drei Punkte: Zerlegung, Zeit- und Bewegungsstudium und Arbeitsanleitung gewonnene Förderung des persönlichen Arbeitsertrages. Bei jeder Erörterung der Vorteile und Nachteile des Taylor-Systems sollte man im Auge halten, daß sein Ausbau durchaus im Sinne der bisherigen Entwicklung lag. Naturnotwendig mußte der Fabrikbetrieb auf immer weitere Rationalisierung der Arbeitsvorgänge sinnen. Taylors Gedankengang sucht nur ganz folgerichtig diesen Gedankengang mit allen zu gebot stehenden Mitteln zu fördern. Betrachtet man fern von der Parteien Gunst und Haß die Erfolge des Taylor-Systems, so erscheint zunächst ein freundliches, friedliches Bild. Dem schwer in seinem Beruf arbeitenden Werkmann werden Mittel in die Hand gegeben, seine Arbeit schneller und mit weniger Anstrengung auszuführen, weil er gelehrt wird, überflüssige Handgriffe zu vermeiden und die Reihenfolge seiner Handgriffe in der vorteilhaftesten Weise zu gestalten. Gleiche Arbeitleistung, aber weniger anstrengend und kürzere Arbeitzeit! Aber schon droht mit eherner Faust ein altes Gesetz: Brotneid sorgt dafür, daß die geleistete Arbeit nun auch geringer bezahlt wird. Sein Leben zu fristen, ist der Arbeiter doch gezwungen, seine ganze Kraft, seine ganze Zeit in den Dienst des Broterwerbs zu stellen; ist die Arbeit leichter geworden, so muß ihrer mehr geleistet werden. Die Akkordlöhne werden herabgesetzt, und der Mann, der früher seine neun Stunden arbeitete, muß heute seine neun Stunden arbeiten, um auf den gleichen oder nur wenig höheren Verdienst zu kommen. Trotzdem er dabei das Doppelte, vielleicht ein Vielfaches leisten mag. Hier liegt der Fluch einer immer wieder von den Nächstbeteiligten, den Arbeitern, gefühlten Ungerechtigkeit, aber es darf nicht übersehen werden, daß dies mit dem Taylor-System als solchem nichts mehr zu tun hat. Ueberdies ist auch die Ungerechtigkeit nicht so groß, wie sie im ersten Augenblick scheinen mag. Die Mehrleistung des Arbeiters wird ihm ermöglicht durch einen sehr kostspieligen Apparat, der mit Einrichtungen und Beamten vom Arbeitgeber bezahlt werden muß und die Kosten des Geschäftsbetriebes wesentlich erhöht. Es ist daher durchaus richtig, wenn dem Arbeitgeber auch der Hauptanteil der Früchte dieses Vorgehens zufällt. Denn – und das wird nicht nur häufig übersehen, sondern oft genug mit Gehässigkeit in das Gegenteil verkehrt – es liegt ja gerade im System Taylors, daß die Anstrengung des Arbeiters verringert wird. Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft, nicht Ausbeutung wird angestrebt. Immer wieder findet sich in den SchriftenTaylors der Satz, daß eine Uebermüdung des Arbeiters unbedingt zu vermeiden sei, nur dann könne er auf die Dauer mit gutem Erfolge arbeiten. Es ist falsch und gedankenlos, wenn nicht boshaft, zu behaupten, daß der Arbeiter, der vermöge verbesserter Arbeitsbedingungen und Verfahren am Tage die dreifache Arbeit leisten kann, auch die dreifache Ermüdung spüren muß. Es würde viel zu weit führen, hier auf alle Vorwürfe und Einwände einzugehen, die von interessierter und neutraler Seite gegen das Taylor-System erhoben worden sind. Diese Einwände stammen aus dem Lager der Arbeitgeber wie der Arbeiter und aus der weiteren Oeffentlichkeit. Als im Sommer des Jahres 1913 amerikanische Ingenieure Gäste des Vereins deutscher Ingenieure waren, wurde das Thema „Betriebsführung und Betriebswissenschaft“ ausführlich erörtert (T. u. W. 1913 S. 501); die Ausführungen der verschiedenen Redner sind sehr lesenswert. Eine täglich lawinenartig anschwellende Literatur betrachtet von allen Seiten das Für und Wider und zeigt recht eigentlich die außerordentliche Bedeutung dieser Geistesschöpfung Taylors. Von Taylors eigenen Arbeiten auf diesem Gebiete sind am bekanntesten: „Principles of scientific management“1903, deutsch von Wallichs unter dem Titel „Die Betriebsleitung“, Berlin, 3. Auflage 1914. und „Shop management“1911, deutsch von Rösler, „Die Grundsätze der wissenschaftlichen Betriebsführung“, München 1913.. Eine ausführliche, wohl wenig bekannte Zusammenstellung der amerikanischen Literatur über wissenschaftliche Betriebsführung findet sich in der „Rundschau für Technik und Wirtschaft“ (Wien, Prag, Berlin 1914, Heft 21 bis 24). Wenig mehr als ein Jahrzehnt ist verflossen, seit Taylor zum ersten Male mit seinen Grundsätzen einer wissenschaftlichen Betriebsführung vor die Oeffentlichkeit trat. Mit seltenem Anteil hat die ganze technische Welt von seiner Arbeit Kenntnis genommen und Nutzen daraus gezogen. Noch ist auch nur ihre nächste Entwicklung bei weitem nicht abgeschlossen. Der Techniker wird gemeinsam mit den Physiologen und Psychologen die Methoden der „Uebertragung der Geschicklichkeit“ weiter auszubilden haben, der Kaufmann und Volkswirt dafür zu sorgen, daß die Umwälzung, die die Lebensarbeit Taylors im ganzen Industriearbeitsbetrieb hervorgerufen hat, nicht nur der Industrie und dem Unternehmertum nutzbar werde, sondern ihre fruchtbaren Möglichkeiten auch auf den Arbeiter erstrecke zum Segen der gesamten Volkswirtschaft.