Titel: | Eine neuartige Schiffsmaschinenanlage. |
Autor: | Kraft |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 382 |
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Eine neuartige
Schiffsmaschinenanlage.
Von Dipl.-Ing. Kraft in
Berlin.
KRAFT: Eine neuartige Schiffsmaschinenanlage.
Der turbo-elektrische Schiffsantrieb, der bisher gegenüber anderen, indirekt
wirkenden Antriebssystemen wesentlich zurücktrat, gewinnt neuerdings merkbar an
Interesse. Ein deutlicher Beweis dafür ist die Tatsache, daß sich die amerikanische
Marine bei einem ihrer neuesten Linienschiffe für den elektrischen Propellerantrieb
entschieden hat. Ein besonders eigenartiges Beispiel einer turboelektrischen
Maschinenanlage zeigt der kürzlich von der Firma Lindholmens
Verksted in Gotenburg gebaute schwedische Dampfer
„Mjölnir“. Es ist dies ein für die Küstenfahrt bestimmter kleiner
Frachtdampfer von 2225 t Wasserverdrängung, der die folgenden Abmessungen hat:
Länge zwischen den Loten
68,6 m
Größte Breite
10,97 m
Tiefgang
4,5 m
Seine Konstruktionsgeschwindigkeit beträgt bei einer an die
Propellerwelle abgegebenen Leistung von oj> 900 WPS bei 90 Umläufen in der Minute 11
Knoten.
Bekanntlich setzt die Verwendung des indirekten Turbinenantriebes bei Frachtdampfern
mit Rücksicht auf die geringe Höhe der Maschinenleistung und die wünschenswerte
niedrige Propellerdrehzahl die Verwirklichung eines besonders hohen
Uebersetzungsverhältnisses zwischen Turbine und Propeller voraus. Der
Turbo-Transformatorantrieb scheidet deshalb bei Frachtdampferanlagen von vornherein
aus. Aber auch die Verwendung einer Turbinenanlage mit Rädergetriebe, die
versuchsweise bisher bei zwei Frachtdampfern zum Einbau gelangt ist, bietet, wenn
das Uebersetzungsverhältnis so groß gewählt werden soll, daß noch ein nennenswerter
wirtschaftlicher Gewinn gegenüber der Kolbenmaschine erreicht wird, recht große
praktische Schwierigkeiten. Sie sind um so größer, je geringer die Maschinenleistung
der Anlage ist., Bei ausgeführtenTurbinenanlagen mit Rädergetriebe kleiner
Leistung sind heute schon bei den größten Uebersetzungsverhältnissen – sie liegen
etwa zwischen 1 : 25 und 1 : 30 – Raddurchmesser von 3 bis 4 m erreicht worden. Eine
nennenswerte Steigerung des Uebersetzungsverhältnisses scheint mit Rücksicht auf die
Sicherung eines korrekten Eingriffes der Zahnräder nur unter Ueberwindung großer
konstruktiver Schwierigkeiten möglich, ganz abgesehen von der mit wachsendem
Durchmesser unverhältnismäßig rasch ansteigenden Gewichtszunahme derartiger
Getriebe. Auch die Umfangsgeschwindigkeit, die bei schnellaufenden Getrieben mit
kleinem Uebersetzungsverhältnis und mäßigem Raddurchmesser bis zu 30 bis 35 m/Sek.
steigt, dürfte sich bei höheren Uebersetzungsverhältnissen ohne Gefährdung der
Betriebssicherheit über die bisherige obere Grenze von etwa 15 m/Sek. hinaus kaum
wesentlich erhöhen lassen. Es bliebe also nur der Weg der Hintereinanderschaltung
mehrerer Getriebesätze offen. Ob diese Lösung gerade bei der Maschinenanlage eines
Frachtdampfers jemals in Frage kommt, ist ziemlich zweifelhaft.
Der turbo-elektrische Antrieb erscheint hiernach bei Anlagen, die ein extrem hohes
Uebersetzungsverhältnis fordern, allein zu erfolgreicher Verwendung berufen. Einmal
bietet die Verwirklichung höchster Drehzahlen, namentlich bei Verwendung von
Wechselstrommaschinen, praktisch keinerlei Schwierigkeiten. Andererseits läßt der
Antrieb der Propellerwelle mittels eines Elektromotors nicht nur eine einfache und
sichere Umsteuerung zu, sondern gewährleistet auch infolge der in gleicher Höhe wie
bei Vorwärtsgang zur Verfügung stehenden Rückwärtsleistung eine gute
Manövrierfähigkeit. Ist bei turboelektrischem Antrieb des Propellers das
Uebersetzungsverhältnis zwischen Turbogenerator und Propellermotor so groß, daß die Rücksicht
auf das Gewicht des langsamlaufenden Motors, wie ihn der Propeller eines
Frachtdampfers fordert, eine Erhöhung der Drehzahl des Motors wünschenswert macht,
so erscheint allerdings auch hier die Einschaltung eines besonderen Getriebes
zwischen Motor und Propellerwelle empfehlenswert. Zweckmäßig findet dann ein
Rädergetriebe Verwendung. Derartige Anlagen mit doppelter Uebersetzung kommen
natürlich nur für sehr kleine Maschinenleistungen in Frage. Da das Rädergetriebe nur
für ein verhältnismäßig niedriges Uebersetzungsverhältnis zu entwerfen ist, so
bietet sein Einbau weder konstruktive Schwierigkeiten, noch läßt er eine
Verringerung der nötigen Betriebssicherheit befürchten.
Die vorstehend gekennzeichneten Gesichtspunkte haben die Richtlinien für den Entwurf
der Maschinenanlage des Frachtdampfers „Mjölnir“ abgegeben. Er ist wie alle
Frachtdampfer ähnlicher Größe als Einschraubenschiff gebaut. Für den Antrieb des
Propellers dient eine turbo-elektrische Anlage mit Rädergetriebe zwischen
Elektromotor und Propellerwelle. Die elektrische Kraftanlage besteht aus zwei
Wechselstromgeneratoren mit einer Leistung von je 400 KW. Die beiden Generatoren
erhalten ihren gemeinsamen Antrieb von einer Dampfturbine der Bauart Ljungström. Sie arbeiten mit einer Drehzahl von 6000
Umdrehungen in der Min. und liefern bei einer Frequenz von 100 Perioden eine
Spannung von 500 Volt. Die zugehörige Erregermaschine ist außen auf einer der beiden
Generatorwellen angeordnet.
Die als Antriebsmaschine verwendete Ljungström-TurbineThe Ljungström
Steam-Turbine. Engineering 12./4. 12 u. flg. – Hoefer, Die
Ljungström-Dampfturbine. Zeitschr. f. d. ges. Turbinenwesen 30./7. 12 u.
flg. ist eine Radialturbine vom Ueberdrucktyp. Sie besteht nur
aus zwei gegenläufigen, fliegend auf ihren Wellen angeordneten Rädern. Jede der
beiden Turbinenwellen ist mit einem Generator gekuppelt. Die Turbinenräder tragen je
eine Reihe konzentrisch angeordneter, ineinander greifender Schaufelkränze, die
derart zusammenarbeiten, daß wechselseitig je ein Schaufelkranz des einen Rades als
Leitapparat des in radialer Richtung nach außen folgenden Schaufelkranzes des
zweiten Rades dient. Dainfolge der Gegenläufigkeit der beiden Räder ihre
relative Umfangsgeschwindigkeit den doppelten Betrag eines gleich großen Rades
gleicher Drehzahl mit feststehendem Leitapparat erreicht, so ist es bei der Ljungström-Turbine möglich, bei gleichem Wirkungsgrade in
jeder Stufe ein wesentlich größeres Wärmegefälle auszunutzen, als es die normale
Ueberdruckturbine der Parsons-Bauart vermag. Die Folge
ist eine erhebliche Verringerung der Stufenzahl, eine Verminderung der Verluste,
also eine Verbesserung des Wirkungsgrades, und eine wesentlich gedrängtere und
leichtere Bauart. Einen Einblick in die Konstruktion der eigenartigen Turbine geben
die angefügten Abbildungen eines 1000 KW-Turbogenerators der Ljungström-Bauart (Abb. 1 und 2).
Textabbildung Bd. 330, S. 382
Abb. 1. 1000 KW-Turbo-Generator Bauart Ljungström.
Die Ljungström-Turbine ist ihren besonderen
Konstruktionsverhältnissen nach für die Ausnutzung hochüberhitzten Dampfes ganz
besonders geeignet. Bei der Maschinenanlage des Dampfers „Mjölnir“ ist
dementsprechend eine Ueberhitzung von 150° zugrunde gelegt. Der Dampfüberdruck am
Kessel beträgt 15,5 at. Für die Dampferzeugung dienen zwei Einender-Zylinderkessel
mit einer Gesamtheizfläche von 180 m2, die mit
künstlichem Zug nach System Howden arbeiten.
Die Propellerwelle, die bei normaler Leistung 90 Umläufe i. d. Min. macht, wird, wie
bereits erwähnt, unter Verwendung eines Zahnrädergetriebes indirekt elektrisch
angetrieben. Das Getriebe hat ein Uebersetzungsverhältnis 1 : 10. Mit dem auf die
Schraubenwelle aufgekeilten Rade stehen zwei Ritzel im Eingriff, deren Wellen von je
einem Asynchronmotor angetrieben werden. Die Motoren arbeiten bei dem gewählten
Uebersetzungsverhältnis unter normalen Verhältnissen also mit 900 Umdrehungen in der
Minute. Das gesamte Uebersetzungsverhältnis zwischen Propeller und Turbine berechnet
sich mit Rücksicht darauf, daß infolge der Gegenläufigkeit ihrer beiden Laufräder
die Turbine selbst ein Uebersetzungsverhältnis von 1 : 2 liefert, zu 90 : 2 . 6000 =
1 : 133,3. Die Verwirklichung eines derartig hohen Verhältnisses zwischen Propeller-
und Turbinendrehzahl ist natürlich bei anderen Antriebssystemen praktisch
ausgeschlossen.
Dem hohen Uebersetzungsverhältnis und der Höhe der Ueberhitzung entsprechend ist bei der
„Mjölnir“-Anlage ein relativ niedriger Dampfverbrauch zu erwarten, der
jedenfalls weitaus niedriger ist als bei Kolbenmaschinenanlagen. Irgendwelche
Dampfverbrauchswerte sind von der neuen Anlage bisher nicht bekannt ge worden. Zieht
man indessen die bei ausgeführten Ljungström-Turbogeneratoren ermittelten Meßwerte
zum Vergleich heran, so scheint die Gewährleistung eines Dampfverbrauchs von
höchstens 4,5 kg/WPS-Std., bezogen auf die an die Propellerwelle abgegebene
Leistung, nicht ausgeschlossen.
Textabbildung Bd. 330, S. 383
Abb. 2. Schnitt durch die Ljungström-Ueberdruckturbine.
A Zudampfrohrleitungen; B
Dampfeintrittskammer; C Eintrittsöffnungen (mehrere im Kreise angeordnete
Durchbohrungen der Räder; D Turbinenräder mit gegenläufigen,
ineinandergreifenden Schaufelkränzen; E Diffusor; F Labyrinthdichtung an der
Welle; G Labyrinthdichtung am Gehäuse; H Dampfeintrittskammer für Ueberlastung;
K Dampfeintrittskanal für Ueberlastung; L Hohle Turbinenwelle, m. Generatorw.
gekuppelt.
Eine Unterstützung findet dieser Schätzwert in einigen Angaben über den
Kohlenverbrauch der neuen Anlage. Bei einer mehrstündigen Vergleichsfahrt, die von
dem Dampfer „Mjölnir“ und seinem mit einer Dreifachexpansionsmaschine
ausgerüsteten Schwesterschiff „Mimer“ ausgeführt wurde, ergab sich für den
Dampfer mit indirektem Propellerantrieb gegenüber dem Kolbenmaschinenschiff ein
Minderverbrauch von nicht weniger als 35 v. H. Gewährleistetwar eine
Verringerung des Kohlen Verbrauchs von 30 v. H. Da der auf die effektive elektrische
Leistung bezogene Kohlenverbrauch der „Mjölnir“-Anlage zu 0,4 kg/PSe-Std. ermittelt wurde, wird man ihn für die an die
Propellerwelle abgegebene Leistung etwa auf 0,48 kg/WPS-Std. schätzen können.
Rechnet man im Höchstfalle mit einer neunfachen Verdampfung der Kesselanlage, so
ergibt sich hiernach ein Dampfverbrauch von etwa 4,3 kg/WPS-Std., ein Wert, der also
noch unter dem obengenannten Schätzwert bleibt.
Jedenfalls zeigt die Maschinenanlage des Frachtdampfers „Mjölnir“, daß der
turbo-elektrische Antrieb mit gewissen Modifikationen auch bei langsamlaufenden
Schiffen wirtschaftlich zu sehr beachtenswerten Ergebnissen führt. Wieweit eine
derartige hochwertige Maschinenanlage sich den sonstigen Forderungen des
Bordbetriebes gerade bei Frachtdampfern anpaßt, bedarf natürlich weiterer
Erfahrungen.