Titel: | Spezifisch. |
Autor: | Karl Scheel |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 385 |
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Spezifisch.
Von Geheimem Regierungsrat Prof. Dr. Karl
Scheel in Berlin-Dahlem.
SCHEEL: Spezifisch.
Den Klagen des Herrn Vater,D. p. J. S. 306 d. Bd. daß mit dem
Gebrauch des Wortes „spezifisch“ in neuerer Zeit viel Unfug getrieben worden
ist, schließe ich mich voll und ganz an. Trotzdem möchte ich nicht so weit gehen wie
Herr Vater, der das Wort aus der Sprache der Physik und
Technik überhaupt ausmerzen will; auch seinen Vorschlägen für den Ersatz des Wortes
kann ich nicht unbedingt zustimmen.
Spezifisch wird meines Wissens zuerst in der Physik als terminus technicus in den
Wortverbindungen spezifisches Gewicht und spezifische Wärme gebraucht; es bezeichnet
hier Materialeigenschaften, also genau das, was Herr Vater im Anfang seines Artikels aus dem Worte species herleitet. Beide
Wortverbindungen beziehen sich auf gar keine Einheiten, sie sind in der Sprache der
Physik dimensionslos, bezeichnen somit reine, unbenannte
Verhältniszahlen. Spezifisches Gewicht ist die Zahl, welche angibt, wie
viel mal schwerer ein Körper ist als ein gleich großer aus einer Normalsubstanz,
spezifische Wärme die Zahl, welche angibt, wie viel mal mehr Wärme ein Körper zur
gleichen Temperaturerhöhung braucht als ein anderer gleich schwerer Körper aus einer
Normalsubstanz. Als Normalsubstanz gilt stillschweigend für feste und flüssige
Körper Wasser, für gasförmige die atmosphärische Luft.
Die alte Physik – ich berufe mich hier z.B. auf KundtVorlesungen über Experimentalphysik.
Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn, 1903, S. 109 und 345. –
unterscheidet von spezifischem Gewicht und spezifischer Wärme streng zwei andere
Begriffe, die Dichte und die Wärmekapazität. Die Dichte ist die Masse in der
Volumeneinheit und wird gemessen nach g/cm3, die
Wärmekapazität ist die Zunahme des Wärmeinhalts eines Körpers pro Masseneinheit und
Grad und wird gemessen nach cal/(g Grad), bzw. in mechanischem Maße nach Wattsec./(g
Grad).
Dichte und Wärmekapazität sind also benannte Zahlen. Ihre
Zahlenfaktoren sind jedoch den unbenannten Zahlen des spezifischen Gewichts und der spezifischen Wärme
gleich,Dies gilt streng nur
so weit als – wie ursprünglich gewollt – das Gramm die Masse von 1 cm3 Wasser im Zustand größter Dichte (bei
4°) ist. Da in Wirklichkeit 1 cm3 Wasser
die Masse 0,999972 g hat, so wird zwar das spezifische Gewicht des Wassers
bei 4° gleich 1, seine Dichte indessen gleich 0,999972 g/cm3. wenn man in beiden Fällen
Wasser als Normalsubstanz gewählt hat. Hieraus entstanden zunächst Verwechselungen,
später Verschiebungen der Begriffe und nach dem heutigen Sprachgebrauch bedeutet
spezifisches Gewicht dasselbe, was früher Dichte, spezifische Wärme, was früher
Wärmekapazität genannt wurde. In diesem Sinne sind dann spezifisches Gewicht und
spezifische Wärme benannte Größen, aberimmer noch bezeichnen sie
Materialeigenschaften, immer noch ist der Gebrauch des Wortes spezifisch
gerechtfertigt.
Hier kann man verallgemeinern: Wenn Eisen das spezifische Gewicht 8 g/cm3 hat, so hindert doch nichts zu sagen, es habe
das spezifische Volumen \frac{1}{8}\,\frac{\mbox{cm}^3}{\mbox{g}}
oder es habe den spezifischen elektrischen Widerstand 0,000012 Ohm cm usw. Alles
dies sind Materialeigenschaften, sie haben nichts zu tun mit dem absoluten Gewicht
oder dem absoluten Volumen einer Eisenstange, dem elektrischen Widerstand eines
eisernen Kabelstückes.
Wo liegen nun die Unzuträglichkeiten, die nach den Darlegungen von Herrn Vater dem Gebrauch des Wortes spezifisch anhaften? Seine
Beispiele geben uns hierüber Aufschluß: Die Bezeichnung spezifischer Druck ist nach
vorstehendem in der Tat abzulehnen. Der Druck ist keine Materialeigenschaft, sondern
ein von außen her dem Gase auferlegter Zwang. Anwendung von Druck verändert das
spezifische Gewicht, das spezifische Volumen u.a.m.; den Druck selbst können wir
aber niemals spezifisch nennen. Druck ist die Kraft auf die Flächeneinheit und wird
demnach nach kg-Gew./cm2 gemessen, aber weder die
drückende Kraft noch die Flächeneinheit sind etwas, was der gedrückten Substanz
eigentümlich ist.
Noch schlimmer steht es mit der spezifischen Drehzahl einer Turbine. Hier werden in
das Wort spezifisch eine Menge Voraussetzungen und Begriffsbestimmungen
hineingelegt, die nur der eingeweihte Fachmann zu enträtseln vermag. Es ist
verzeihlich, wenn Spezialisten auf irgendwelchen technischen Gebieten sich für den
Hausgebrauch Worte und Wortverbindungen prägen – ich pflege so etwas Laboratoriums-
oder Fabrikjargon zu nennen –, die für andere Sterbliche unverständlich sind, es ist
aber zu beanstanden, wenn man den Fabrikjargon anderen Fachgenossen in Zeitschriften vorsetzt. Hier bietet sich für die
Bestrebungen der Sprachreinigung noch ein weites Feld; erst wenn man das genügend
beackert hat, möge man an die Ausmerzung alter eingebürgerter termini technici (z.B.
Kalorie, Kurve, Konstante, Thermometer usw.) gehen, welche aus dem neutralen
Lateinischen oder Altgriechischen stammen.
Es ist also wohl nicht das Wort spezifisch, das Herrn Vater Pein verursacht, sondern der Gebrauch des Wortes an falscher Stelle,
vor allem aber auch das mangelnde Verständnis vieler, man kann wohl sagen der
meisten Autoren, für eine korrekte Ausdrucksweise ihrer Resultate. Jeder gebildete
Ingenieur möge als Ehrenpflicht betrachten, die von ihm benutzten Ausdrücke und
Größen auch mit den richtigen Einheiten zu benennen, dann fallen Mißverständnisse
von selbst fort. Schon Ausdrücke wie cbm-Gewicht sind nicht gut, weil sie die
benutzte Einheit nicht ganz klar hervortreten lassen. Noch weniger zu billigen sind
Benennungen wie Sekundenliter, wo man Liter/Sekunde meint, oder Satzbildungen wie:
die minutliche Umdrehungszahl beträgt 80, statt: die Maschine macht 80
Umdrehungen/Minute; mit demselben Rechtkönnte man sagen: der tägliche
Markverdienst eines Menschen beträgt 50. Man sollte auch diese kleinen
Ungereimtheiten vermeiden, um sich für schwierigere Fälle an Ordnung zu
gewöhnen.