Titel: | Die Verkehrsindustrie und der Wirtschaftsmarkt nach dem Kriege. |
Autor: | Paul Béjeuhr |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 465 |
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Die Verkehrsindustrie und der Wirtschaftsmarkt
nach dem Kriege.
Von Dipl.-lng. Paul Béjeuhr in
Charlottenburg.
BÉJEUHR: Die Verkehrsindustrie und der Wirtschaftsmarkt nach dem
Kriege.
Es ist bereits verschiedentlich in der Fachpresse auf die kommende Gefahr
hingewiesen worden, daß die amerikanische Automobil-Industrie alles daran setzen
wird, den europäischen Markt sofort nach Friedensschluß mit billigen und
minderwertigen Autos zu überschwemmen. Diese Gefahr darf keineswegs verkannt werden,
ich fürchte im Gegenteil, sie läßt sich keineswegs so eng umgrenzen, sondern
erstreckt sich für die Kraftwagen- und Flugzeug-Industrie noch auf weitere
Gebiete.
Was zunächst die Flugzeug-Industrie anbelangt, so hat diese während des Krieges in
Amerika einen ganz außergewöhnlichen Aufschwung angenommen. Wenn auch die englische
Bestellung auf die transatlantischenDoppel- und Dreidecker wenigstens
hinsichtlich des Abnahmefluges über den Atlantischen Ozean hinweg nicht ganz
ernsthaft zu nehmen sein dürfte, so verdient die Tatsache doch Beachtung, daß
Amerikas Flugzeugfabriken etwa 100 Flugzeuge (d.h. vollständige Zellen mit
Maschinenanlage und Ausrüstung) wöchentlich herzustellen vermögen, die fast sämtlich
an den Vierverband abgegeben werden.
Die größte Fabrik besitzt Glenn H. Curtiss, der noch zu Beginn des Krieges in seiner kleinen Fabrik in
Hammondsport (New York) wöchentlich nur eine Maschine herstellte. Infolge der vielen
Aufträge wandelte er diese Fabrik nach umfangreichen Vergrößerungen in ein Flugmotorenwerk um und
baute die Flugzeuge in neu errichteten Fabriken in Buffalo, Toronto, Tonawanda,
während er bei Buffalo zwei weitere Fabriken für Flugzeug-Einzelteile einrichtete.
Welchen Umfang dieses Unternehmen hat. geht daraus hervor, daß das Hauptwerk in
Buffalo acht zweistöckige große Bauten umfaßt. In Toronto ist der Fabrik eine
Fliegerschule angegliedert, die monatlich zehn Flieger für Englands Kriegsmacht
ausbildet. Toronto ist gleichzeitig die Versuchswerft, auf der zurzeit große
Kampfflugzeuge für Rußland und England erprobt werden. Da diese nach dem Engineer
nur 320 PS-Motorenkräfte besitzen, so werden wir sie nicht sehr zu fürchten
haben.
In Ithaca im Staate New York befinden sich die nächstgrößten Werke von Gebrüder Thomas; sie haben sich einen Miterbauer des
schnellen englischen Sopwith-Doppeldeckers (Douglas
Thomas) als Chefkonstrukteur gesichert und erzeugen hauptsächlich
Großflugzeuge, die mit drei Mann Besatzung, zwei Maschinengewehren und vier Stunden
Betriebsstoffen 1200 m Höhe in zehn Minuten erreichen, also nicht schlecht sind.
Ihre Erzeugungsfähigkeit ist etwa vier Maschinen die Woche.
Als nächste Firmen sind noch die Werke zu Marblehead (Leiter W. Starling Burgess) und Los Angeles (Leiter Glenn
H. Martin) zu nennen, die sämtlich Doppeldecker nach dem
verbesserten Wright-Typ bauen.
Weiter handelt es sich um etwa 22 Flugmotorenfabriken, von denen allein Sturtevant und Curtiss je zehn
Stück Motoren am Tage fertigschaffen, so daß die amerikanische Lieferungsfähigkeit
keineswegs unbeachtet bleiben darf.
Ist nun von dieser Industrie für den deutschen und den Exportmarkt eine ernste Gefahr
zu erwarten, der schon heute begegnet werden muß? Nein, denn die deutsche
Luftfahrzeug-Industrie ist durch die Zwangslage des Krieges derart gekräftigt, daß
sie nicht nur den Friedensbedarf im eigenen Lande voll zu decken vermag, sondern
auch sofort das Exportgeschäft wieder aufnehmen kann, so daß sogar eine heute von
amerikanischer Seite schon einsetzende Bearbeitung des Marktes durch die Güte
deutscher Erzeugnisse, die sich ja aus den Kriegsberichten ergibt, wieder
wettgemacht wird. Außerdem verschachert jetzt Amerika alles, was es erzeugt, an den
Vierverband; es besitzt also überhaupt keine Luftmacht. Sowie aber bei
Friedensschluß verschiedene Kräfte freiwerden, muß Amerika sich namentlich mit
Rücksicht auf Mexiko auf dem Luftgebiet ebenfalls sichern und hierzu die eigene
Industrie heranziehen.
Sehr viel ernster ist das Bild in der Kraftwagen-Industrie. Auch hier zunächst der
übermächtige Einfluß Amerikas auf die Kriegslieferungen an den Vierverband. Nach
einem plötzlichen Rückgange des amerikanischen Exports sofort nach Kriegsausbruch
von monatlich 11,5 Mill. M auf 3,5 Mill., der schon zu großen Arbeiterentlassungen
usw. führte, setzten mit einem Schlage die großen Kriegsbestellungen ein. Von 1404
Kraftwagen im Werte von 13,4 Mill. M im Oktober 1914 stieg der Export im Juni 1915
auf 7408 Wagen mit 56 Mill. M, wie Tab. 1 zeigt.
Tabelle 1.
Amerikas Automobil-Ausfuhr.
1914
Anzahl
Wert in M
Oktober
1404
13400000
Dezember
2576
18400000
1915
Februar
3232
20200000
April
5345
33600000
Juni
7408
56000000
Noch deutlicher zeigt das Anwachsen die Tab. 2.
Zwei Tatsachen fallen auf Grund der Zusammenstellungen besonders ins Auge: Erstlich
das übermäßige Anschwellen der Lastwagenlieferung um das 33-fache gegen den
Juni-Export des Vorjahres im Vergleich zum Anwachsen der Personenwagenlieferung nur
um etwa das Doppelte; weiter die Verteuerung des einzelnen gelieferten Wagens von
5600 M auf 12000 M im gleichen Junimonat der beiden Jahre 1914 und 1915. Die
Erklärung für beide Tatsachen dürfte darin liegen, daß vor dem Kriege nur kleine und
billige Nutzwagen exportiert wurden, während es sich jetzt um die besten Modelle
handelt. Daß aber hauptsächlich so viel mehr Lastwagen zur Lieferung kommen
gegenüber den Personenwagen, beweist, daß die Heimindustrie des Vierverbandes dem
Bedarfe an diesen selbst zu genügen vermag.
Die Tab. 3 möge noch die Verteilung des amerikanischen Exportes in Europa kurz
darstellen.
Tabelle 2.
Personenwagen
Lastwagen
Ausfuhrziffern
Ausfuhrziffern
vom 1. 7. 13 bis 30. 6. 14
vom 1. 7. 14 bis 30. 6. 15
vom 1. 7. 13 bis 30. 6. 14
vom 1. 7. 14 bis 30. 6. 15
Anzahl
Wert
Anzahl
Wert
Anzahl
Wert
Anzahl
Wert
Juli
1720
6820000
1265
4795000
44
432000
50
445000
September
1711
6150000
646
2510000
48
381500
128
1236000
Oktober
1697
7000000
732
2840000
79
541000
672
10560000
Dezember
2301
8600000
1297
4180000
88
420000
1279
14220000
Februar
2837
9960000
2230
7490000
57
350000
1002
12710000
April
3239
11580000
3078
11796000
52
304000
2267
21804000
Juni
1982
7840000
4418
20000000
90
502000
2990
36000000
Ferner möge erwähnt werden, daß der Bedarf an Ersatzteilen mit 7 Mill. gegen 1,7
Mill. im Julimonat 1914 auf 1915 gewachsen ist. Bei alledem ist zu beachten, daß die großen
Firmen durch diese Riesenlieferungen derart die Herstellungskosten heruntersetzen
konnten, daß sicher nach dem Kriege mit Preisermäßigungen von 20 bis 30 v. H.
gerechnet werden muß. Natürlich kommen diese Ermäßigungen jetzt nicht zum Ausdruck,
denn die amerikanische Industrie versteht sich auf Ausnutzung der Konjunktur. Gilt
es aber nach dem Kriege mit einem Schlage die Kundschaft dem Deutschen zu entreißen,
dann wird der Amerikaner sofort bereit sein, einen Teil seiner enormen Kriegsgewinne
zur Eroberung des Marktes zu opfern, wenn dies überhaupt ein Opfer genannt werden
kann.
Tabelle 3.
Ausfuhr amerikanischer Motorfahrzeuge nach
Staat
Vom 1. 7. 13 bis 30. 6. 14
Vom 1. 7. 14 bis 30. 6. 15
Anzahl
Wert
Anzahl
Wert
Frankreich
1286
3500000
4472
46500000
England
6982
23600000
11688
70000000
Italien
326
958000
111
316000
Deutschland
1391
4200000
20
84400
Uebrig. Europa
2686
8950000
2817
32500000
So sollen schon jetzt Handelsdampfer gechartert sein, die bei den ersten Anzeichen zu
Friedensverhandlungen sofort bis oben hin mit Kraftwagen beladen werden, um hierauf
bei Friedensschluß eiligst nach Europa zu steuern, das also wenige Tage später den
Segen spottbilliger Wagen über sich ergehen lassen muß.
Kann unsere einheimische Industrie sich gegen diese Gefahr erfolgreich wehren? Diese
Frage kann – wenigstens bedingungsweise – bejaht werden, wenngleich die Aussichten
nicht rosig sind. Eine der wichtigsten Stützen hierbei ist für die deutsche
Industrie die alte Stammkundschaft, die den richtig abschätzenden Blick für
Qualitätsware erworben hat. Sie wird auch durch die billigsten Angebote nicht
abspenstig; wenn – sie nur überhaupt in absehbarer Zeit ihren deutschen Wagen
erhält. Sache der deutschen Industrie wäre es daher, schon jetzt vorsorglich auf
Vorrat zu arbeiten, wenn dies nur nicht auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten
stoßen würde. Erstlich sind fast sämtliche Fabriken mit Heereslieferungen voll
beschäftigt, zumal sie mit sehr verringertem Arbeiterbestand rechnen müssen, dann
aber ist auch die Materialbeschaffung zurzeit gewaltig erschwert. Aber es erwächst
der Industrie noch eine weitere Hilfe durch die Tätigkeit der „Feldkraftwagen-Aktiengesellschaft“, der Feldag. Sie
ist durch die weitblickende Heeresverwaltung dazu ausersehen, gewissermaßen als
ausgleichender Buffer zwischen Erzeuger und Abnehmer zu stehen. Einmal wird sie
verhindern, daß die Riesenmengen der jetzt im Kriege verwendeten Kraftwagen
plötzlich den Markt überschwemmen, hier natürlich hauptsächlich von Zwischenhändlern
aufgekauft werden, um nach oberflächlicher Reparatur und Farbauffrischung mit großem
Aufgeld an den Verbraucher weiter zu gehen. Die Feldag übernimmt sämtliche
Heereskraftwagen, läßt sie in eigenen Werkstätten oder unter Aufsicht
ausbessernund gibt sie nur unmittelbar an den Verbraucher weiter, soweit
Nachfrage vorherrscht. Dadurch gewinnt unsere Industrie Zeit, sich auf den
inländischen Markt und für den Export einzurichten, zumal, wenn durch geeignete
Handelsverträge, die beim Friedensschluß wohl zu erhoffen sind, und Schutzzölle eine
Unterstützung von Reichswegen erfolgt. Es darf hier vielleicht angefügt werden, daß
England einen Einfuhrzoll für Kraftwagen von 33,3 v. H. des Wertes erhebt,
Frankreich und Amerika sogar einen von 45 v. H. des Wertes, der sich nur auf
Kriegslieferungen zurzeit nicht erstreckt.
Es kann schon heute geschätzt werden, daß die offenen Personenwagen der Feldag am
schnellsten Abnehmer finden werden, und zwar sowohl für Privatleute als auch für
Droschkenunternehmungen; den Bedarf an Lastkraftwagen wird die Feldag sogar auf
lange Zeit hinaus fast allein decken können, da für Kriegszwecke unverhältnismäßig
viele dieser Nutzautos angefertigt sind. Allerdings muß beachtet werden, daß viele
Gewerbetreibende, besonders aber die Kreise der Landwirtschaft und der
landwirtschaftlichen Industrie während des Krieges mit dem Kraftwagen in Berührung
gekommen sind und seine Vorzüge schätzen gelernt haben. So wird mancher, sanft
gedrängt durch die geringe Zahl verfügbarer Zugtiere, zum Kraftwagenbetrieb,
eventuell zum Motorenbetrieb überhaupt, übergehen.
Als nächster sehr wichtiger Punkt muß der „Rohgummimarkt“ betrachtet werden.
Augenblicklich kontrolliert England die Rohgummieinfuhr eines jeden Landes und
achtet genau darauf, daß jedes Land nur gerade so viel Rohgummi erhält, als es für
den eigenen Verbrauch unbedingt bedarf. Alles natürlich zu dem Zweck, den
Zentralmächten jede Möglichkeit zu nehmen, etwa auf Umwegen die dringend benötigten
Rohgummimengen zu erhalten. Eine Aushungerung der Zentralmächte mit Rohgummi und
Pneumatiks sowie ein Lahmlegen der Kriegsverwendung von Kraftwagen dürfte England
zwar schwerlich gelingen, da durch die Beschlagnahme der Bestände und durch weise
Streckung der Vorräte dieser Gefahr hinreichend vorgebeugt sein wird. Aber sicher
ist, daß bei Friedensschluß ein außerordentlich hoher Bedarf an Pneumatiks für
Privatautomobile vorliegen wird, wenn nur einigermaßen der allgemeine
Friedensverkehr wieder einsetzt. Auch in diesem Falle wird Amerika als der
hilfsbereite Lieferant in die Bresche springen. Und diese Gefahr ist weitaus die
größte. Die kriegführenden Staaten des Vierverbandes haben zwar augenblicklich keine
Zufuhrbeschneidung an Rohgummi, ihre Fabriken werden aber neben der Bedarfsdeckung
für den Kriegsdienst nicht auf Vorrat arbeiten. Anders dagegen das „neutrale“
Amerika; es wird sicher seine Leistungsfähigkeit weit über den Augenblicksbedarf
gesteigert habenDie amerikanische
Jahresherstellung an Reifen betrug im Kriegsjahr für 1 Milliarde
Mark! (denn ganz so schroff wie gegen neutrale Kleinstaaten darf
England hinsichtlich der Rohgummizufuhr gegen Amerika aus leicht verständlichen
Gründen nicht auftreten!), es wird für diesen Pneumatikversand ebenfalls viele Handelsdampfer
chartern und es wird unmittelbar nach Kriegsende diese Pneumatiks zu märchenhaften
Preisen auf unserem Markt absetzen. Ist die Ware gut und geht der amerikanische
Lieferant nach Befriedigung des ersten Bedarfs auf konkurrenzfähige Preise zurück,
so wird er eine recht erhebliche Kundschaft für immer an sich reißen, wogegen unsere
Industrie möglichst frühzeitig Abwehrmaßregeln ergreifen müßte. Es ist vorgeschlagen
worden – und vielleicht ist dieser Weg gangbar – daß möglichst früh schon die
benötigten Rohgummimengen für unsere Industrie in Marsch gesetzt werden, so daß sie
in den nächstliegendsten neutralen Häfen den Abschluß der Friedensverhandlungen
abwarten können und unmittelbar nach Friedensschluß bei uns eintreffen. Werden sie
dann mit tunlichster Beschleunigung verarbeitet, so wird man zwar dem ersten
amerikanischen Ansturm nicht zuvorkommen, aber doch sofort in zweiter Linie stehen.
Händler und Verbraucher müssen aber weiter Hand in Hand dafür sorgen, daß der
amerikanische Pneumatik nur als Lückenbüßer verwendet wird, so lange tatsächlich
nichts anderes da ist, daß aber der heimischen Industrie ihr altes Absatzgebiet
wieder offen steht, sobald sie wieder lieferungsfähig ist. Nur auf diese Weise wird
es möglich sein, der amerikanischen Gefahr erfolgreich zu begegnen. Daß Amerikas
Absichten übrigens schon von anderer Seite erkannt sind, beweist die gesteigerte
Tätigkeit von Japans Reifenindustrie. Japan wendet sich naturgemäß an die Märkte des
Ostens, auf denen es, wenn irgend möglich, Amerika zuvorkommen will. Es benutzt
seine guten Beziehungen zu England, um seine Rohgummieinfuhr, die vor dem Kriege nur
rund 900000 kg im Jahre betrug, jetzt auf etwa 1500000 kg jährlich zu steigern, die
zum größten Teil für den Versand verarbeitet wird.
Zum Schluß muß noch auf die Motorenbetriebsstoffe
hingewiesen werden, bei denen wir uns gegen eine eventuell gegen uns zu richtende
Monopolisierung schützen müssen und zum Glück auch völlig hinreichend schützen
können. Schon vor dem Kriege sind die Benzinpreise trotz der Erschließung weiterer
Naphthaquellen und trotz aller technischen Fortschritte bei der Gewinnung ständig
gestiegen. Da nun einerseits durch das barbarische Vorgehen der Russen in Galizien
und Südrußland viele ergibige Quellen einfach vernichtet sind, während andererseits
der Wirtschaftskampf jenseits der Grenzen ein hartnäckiger und erbitterter sein
wird, so müssen wir auch nach Friedensschluß mit erheblicher Preiserhöhung für
Benzin rechnen, zumal sein Bezug außerordentlich erschwert sein dürfte. Nun haben
wir aber in der Not des Krieges infolge allseitiger Einkreisung zwei ausgezeichnete
Ersatzmittel der heimischen Erzeugung kennen gelernt und, was das Wichtigste ist,
Tausende und Abertausende unserer Motorenfachleute haben mit ihnen arbeiten müssen
und haben sie – wenn auch nicht lieben – so doch achten gelernt. Das ist ein
ungeheurerFortschritt, den man mit allen Belehrungen, Anpreisungen, Vorträgen
und Kursen sonst in etlichen Jahren nicht erreicht hätte. Es ist hierdurch einmal
erfolgreich gegen die liebe Gewohnheit und die Bequemlichkeit angekämpft worden –
denn Benzin ist natürlich immer der bequemste Motorenbetriebsstoff. Jetzt handelt es
sich lediglich darum, die dank der tief einschneidenden Kriegsverhältnisse gemachten
guten Erfahrungen zu verbreiten und den Betriebsstoffen Benzol und Spiritus einen
ständigen Abnehmerkreis zu schaffen, so daß das Leichtbenzin tatsächlich nur für
Luxusautomobile und Luftfahrzeuge Verwendung findet. Da Spiritus mit nur 5500 WE
sehr gegen Benzol und Benzin (10000 und 11000 WE) zurückbleibt, so ist sowohl eine
höhere Anwärmung der Zusatzluft, ein feineres Zerstäuben des Brennstoffes und eine
größere Betriebsstoffmenge für die Einheitsleistung nötig, das sind aber
Bedingungen, welche die heutige Technik anstandslos beherrscht, so daß schon heute
die Wärmeausnutzung des Spiritus 33 v. H. gegen 25 v. H. beim Benzinmotor beträgt.
Auch das schlechte Anspringen der Spiritusmotoren beim kalten Wetter ist durch
geeignete Vergaserkonstruktionen völlig behoben, so daß der Spiritusbetrieb sich
auch nach Kriegsende erfolgreich behaupten wird. Seine Haupt Vorzüge entfaltet
Spiritus aber eigentlich erst als Zusatz für Betriebsstoffe. Sehr günstig ist z.B.
eine Mischung von Benzol und Spiritus, die einerseits keine Aenderung des Vergasers
verlangt, andererseits den Gefrierpunkt des Gemisches erheblich erhöht. Natürlich
sind weiterhin auch Mischungen von Benzin, Benzol und Spiritus möglich.
Was nun die Erzeugungsfähigkeit Deutschlands für diese beiden Betriebsstoffe
anbelangt, so ist sie erfreulich hoch. Vor dem Kriege erzeugte die Industrie
jährlich 150 bis 160000 t Benzol, welche Zahl während des Krieges trotz Beschränkung
des Hüttenbetriebes infolge Arbeitermangels ganz einfach durch Erhöhung der
Prozentziffer der zu verkokenden Kohlen gewaltig angewachsen ist. Noch günstiger
liegen die Verhältnisse bei der Spiritusindustrie, die selbst bei völliger
Unterbindung der Kohlenwasserstoffzufuhr allen Anforderungen gewachsen ist. Selbst,
wenn die Kartoffelbestände zum weitaus größten Teil rein wirtschaftlich verwendet
werden, ist genügende Spiritusherstellung aus den Stärkevorräten (Zucker usw.)
gesichert. Das sind sehr beachtenswerte Tatsachen, zumal, wenn man bedenkt, daß der
Motorenbetrieb durch die Möglichkeit, drei verschiedene Betriebsstoffe verarbeiten
zu können, erheblich an Sicherheit gewinnt; während weiter die Konkurrenz der drei
Brennstoffe für gerechte Preise auf dem Wirtschaftsmarkt sorgen wird.
Die Betrachtung hat uns einige tatsächlich drohenden Gefahren vor Augen geführt; wir
haben aber gleichzeitig gesehen, daß wir uns ihrer erwehren können – wenn ein jeder
an seinem Platz getreulich mithilft.