Titel: Die Einwirkung elektrischer Anlagen.
Autor: Werneburg
Fundstelle: Band 331, Jahrgang 1916, S. 386
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Die Einwirkung elektrischer Anlagen. Von Dr. Werneburg, Rechtsanwalt, Köln a. Rh. WERNEBURG: Die Einwirkung elektrischer Anlagen. Die Errichtung elektrischer Anlagen hat bisweilen schädliche Einwirkungen auf schon bestehende elektrische Anlagen zur Folge, so insbesondere Induktionswirkungen oder Stromübergänge. Für diese gegenseitige Einwirkung konkurrierender elektrischer Anlagen aufeinander ist eine besondere gesetzliche Regelung getroffen worden, und zwar in dem § 12 des Reichsgesetzes über das Telegraphenwesen des deutschen Reichs vom 6. April 1892. Dieser bestimmt nämlich: Elektrische Anlagen sind, wenn eine Störung des Betriebes der einen Leitung durch die andere eingetreten oder zu befürchten ist, auf Kosten desjenigen Teiles, welcher durch eine spätere Anlage oder durch eine später eintretende Aenderung seiner bestehenden Anlage diese Störung oder die Gefahr derselben veranlaßt, nach Möglichkeit so auszuführen, daß sie sich nicht störend beeinflussen. Das Gesetz erstrebt somit, wie ersichtlich, den Schutz bestehender elektrischer Anlagen vor den schädlichen Einflüssen neu errichteter anderer – benachbarter – elektrischer Leitungen. Es will diesen Schutz dadurch erreichen, daß es dem Hersteller der jüngeren elektrischen Anlage die Verpflichtung auferlegt, seine Anlage so auszuführen, daß eine schädliche Einwirkung dieser auf die ältere Anlage ausgeschlossen wird. Demnach hat der Hersteller der jüngeren elektrischen Anlage diese gegebenenfalls mit geeigneten Schutzvorrichtungen zu versehen oder solche Schutzvorrichtungen an der älteren Stromanlage anbringen zu lassen. In seinem Urteil vom 23. Juni 1902 (Bd. 52 S. 63) hatte sich das Reichsgericht mit der Frage zu beschäftigen, ob der Unternehmer der späteren Anlage gemäß § 12 des erwähnten Gesetzes vom 1. April 1892 verpflichtet ist, auch die Kosten der Unterhaltung der an der älteren elektrischen Anlage getroffenen Schutzeinrichtungen zu tragen, und ob eine Klage auf Ersatz derartiger Kosten zugelassen ist, eine Frage, die von dem Reichsgericht verneint wurde. Es handelte sich um folgenden Sachverhalt: Der Kläger verband im Jahre 1893 seine Verwaltungsgebäude mit den in der Nähe befindlichen Schachtanlagen durch eine Fernsprechleitung, welche über die Chaussee nach Gleiwitz führte. Als die oberschlesische Dampf Straßenbahngesellschaft, die Beklagte, auf dieser Bahn im Jahre 1899 anstatt des bisherigen Dampfbetriebes den elektrischen Betrieb einführte, stellten sich bei der Fernsprechanlage Störungen ein. Zur Abhilfe ließ der Kläger nach Einvernehmen mit der Beklagten durch die Oberpostdirektion seine Leitung in Doppelleitungen unter Einführung des Schleifbetriebes umbauen. Nach Ausführung der Aenderungen weigerte sich die Beklagte, außer den Anlagekosten von 3500 M auch noch die laufenden Unterhaltungskosten zu ersetzen. Der Kläger berechnete die Mehrkosten der Unterhaltung der neuen Anlage auf jährlich 323,70 M und klagte auf Erstattung dieses Betrages für das erste Jahr. Die Beklagte (Straßenbahngesellschaft) erhob Widerklage auf Feststellung dahin, daß sie nicht verpflichtet sei, den Betrag an laufenden Unterhaltungskosten zu erstatten. Das Landgericht wies die Klage ab, desgleichen das Reichsgericht (im Gegensatz zu dem Kammergericht). Es führt in seinen Entscheidungsgründen im wesentlichen aus: „Von den Kosten der Unterhaltung (der Anlagen oder Schutzeinrichtungen) ist im Gesetz nicht die Rede. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Gesetzesvorschrift, den Verhandlungen der Reichstagskommission und des Reichstages über den vielseitig erörterten § 79 ergibt sich kein Anhalt dafür, daß dem Unternehmer der späteren Anlage die Unterhaltungskosten bezüglich der an der älteren Anlage zu treffenden Schutzeinrichtungen hätten auferlegt werden sollen. Wäre dies beabsichtigt gewesen, so würde es doch wohl besonders zum Ausdruck gebracht worden sein. Die Erstreckung der Kostenpflicht auf die fraglichen Unterhaltungskosten läßt sich auch nicht aus dem Sinne und Zweck des Gesetzes begründen. Der in § 12 des Telegraphengesetzes aufgestellte Grundsatz, wonach bei Kollision von jüngeren elektrischen Anlagen mit älteren den ersteren die Kosten des Schutzes insoweit zur Last fallen, als solche nötig sind, um den ungestörten Betrieb der älteren Anlage zu sichern, enthält an sich ein Privileg der älteren Anlage, eine Berücksichtigung der Priorität, wie sie sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht ohne weiteres verstanden haben würde. Das Vorrecht der älteren Anlage darf aber gerade darum nicht über die ausdrücklichen Bestimmungen des Gesetzes hinaus erstreckt werden. Der Schutzberechtigung älterer Anlagen ist durch die in § 12 a. a. O. wegen der Kosten der Ausführung von Anlagen und Aenderungen getroffenen Bestimmung in weitem Umfange Rechnung getragen. Dahin aber, daß der älteren Anlage die gesamten Nachteile, welche ihr aus der Konkurrenz der jüngeren erwachsen können, von dem Unternehmer der letzteren vergütet werden müßten, führt auch das Prinzip des § 12 des Telegraphengesetzes nicht. Derselbe bestimmt nicht allgemein eine Schadensersatzpflicht, für welche es gegenüber einem an sich erlaubten und nicht rechtswidrigen Unternehmen auch an einem Rechtsgrunde gefehlt hätte. Durch die positive Gesetzesvorschrift ist vielmehr die Kostenfrage für das Verhältnis zwischen den konkurrierenden Anlagen in bestimmter Weise, so weit es die der älteren Anlage verliehene Schutzberechtigung zu erfordern schien, geregelt. Und diese Kostenpflicht muß in Ansehung der erforderlichen Schutzvorkehrungen mangels einer weiterhehenden gesetzlichen Bestimmung auf die Kosten, welche durch die Herstellung solcher Vorkehrungen erwachsen, beschränkt bleiben. Wenn man auch in den Einwirkungen der einen elektrischen Anlage auf die andere (Induktionswirkungen oder Stromübergänge) eine „Emmission“ oder sonst einen störenden Eingriff in einen fremden Eigentums- bzw. Rechtskreis sollte finden können, und wenn man auch im übrigen die Voraussetzungen einer negatorischen Klage als zutreffend unterstellen würde, so kann doch von einem solchen Anspruch hier keine Rede sein. Die störende Einwirkung selbst ist schon im Jahre 1899, so weit das überhaupt möglich und geboten war, beseitigt worden. Für einen Anspruch auf Schadensersatz zumal, der aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, sei es des Bürgerlichen Gesetzbuches oder etwa aus § 26 der Reichsgewerbeordnung, abgeleitet werden sollte, ist neben dem § 12 des Telegraphengesetzes kein Raum übrig. Die Rechtsverhältnisse konkurrierender elektrischer Anlagen sind hinsichtlich der gegenseitigen Einwirkungen in bestimmter Richtung sondergesetzlich und in so weit ausschließlich geregelt. Wenn bei einer elektrischen Neuanlage von dem Unternehmer der Vorschrift in § 12 des Telegraphengesetzes vollständig genügt worden ist, so kann der Inhaber der bestehenden Anlage nicht noch Entschädigungsansprüche geltend machen, welche über den Umfang der dort gesetzlich begrenzten Kostenpflicht hinausgingen. Es würde hierzu schon an der Voraussetzung eines rechtswidrigen Eingriffs fehlen.“ In dem der Entscheidung des Reichsgerichts vom 1. Januar 1902 (Bd. 50 S. 53) zugrunde liegenden Fall hatte die Beklagte, als sie den Betrieb mit elektrischem Strom auf ihren Bahnlinien einführte, behufs Erlangung der polizeilichen Konzession zu diesem Betriebe mit der Reichspost- und Telegraphenverwaltung eine Vereinbarung getroffen, durch welche die der Beklagten nach § 12 des Telegraphengesetzes zur Sicherung der bestehenden Telegraphen- und Telephonanlagen obliegenden Verpflichtungen festgesetzt wurden. Nach § 6 dieser Bedingungen verpflichtete sich die Beklagte, der Postkasse alle Kosten zu erstatten, welche „durch die Ausführung der erforderlichen Maßnahmen zum Schütze der vorhandenen Reichstelegraphen- und Fernsprechleitungen oder gegen Gefahren der mit ihnen beschäftigten Personen oder sie benutzenden Personen oder zur Fernhaltung induktorischer Beeinflussung durch die Starkströme oder durch Aenderungen oder sonstige Arbeiten an den bei der Errichtung der Starkstromanlage bestehenden Reichstelegraphen- und Fernsprechleitungen aus Anlaß der Herstellung, der Unterhaltung oder des Betriebes der Starkstromanlage entstehen.“ Die Beklagte führte zunächst die verschiedenen von der Postverwaltung verlangten Schutzmaßregeln (mechanischer Art) aus und bot im Jahre 1895 der Postverwaltung die Anbringung von sogenannten Schmelzvorrichtungen an, wenn dieselbe auf die sonstigen Sicherheitsmaßregeln verzichten wolle. Die Postverwaltung lehnte dieses bedingte Anerbieten damals ab, brachte dann aber in den Jahren 1898 bis 1899 selbst derartige Schmelzsicherungen an den Telegraphenapparaten an und forderte klagend von der Beklagten den Ersatz der ihr durch diese Anlagen entstandenen Kosten. Das Reichsgericht stellt in dieser Entscheidung den bemerkenswerten Grundsatz auf, daß der Unternehmer der späteren Anlage nicht verpflichtet ist, auch weiterhin die Kosten zu tragen, welche durch Anbringung verbesserter Einrichtungen bei fortschreiten Technik erwachsen. „Allein wenn hiernach,“ so führt es in seinen Gründen aus, „auch im Laufe des Betriebes zweier nebeneinander bestehenden elektrischen Anlagen möglicherweise die Voraussetzung der Schutzpflicht sich erst erfüllen oder nachträglich herausstellen kann, so nötigt das doch nicht zu dem Schlüsse, daß gegenüber den Störungen oder Gefahren, welche bei Anlegung bzw. Veränderung der sie veranlassenden Leitung schon bekannt gewesen sind, und zu deren Beseitigung bei Errichtung der Anlage oder Vornahme der Aenderung auf Kosten der schutzpflichtigen Anlage die dem Gesetz entsprechenden Schutzmaßregeln getroffen waren, der Unternehmer der letzteren Anlage auch im späteren Verlauf immer von neuem für die Kosten aller jeweils als noch wirksamer erkannten oder neu erfundenen Einrichtungen aufzukommen habe. Der schutzpflichtige Unternehmer hat zunächst der ihm gesetzlich obliegenden Pflicht genügt, wenn auf seine Kosten die Anlage nach Möglichkeit so ausgeführt worden ist, daß eine störende Beeinflussung der anderen Leitung derzeit verhütet wurde, und das ist „nach Möglichkeit“ im Sinne des Gesetzes dann geschehen, wenn solche Einrichtungen getroffen wurden, welche nach dem derzeitigen Stande der Technik den wirksamsten Schutz gegen Störungen oder Gefahr derselben zu bieten geeignet sind. Um den neuen elektrischen Anlagen eine noch weitergehende Verpflichtung aufzuerlegen, hätte es einer unzweideutigen Bestimmung des Gesetzes bedurft, und eine solche ist in dem § 12 nicht zu finden. Würde man der später errichteten bzw. veränderten Anlage, obschon sie bei Einrichtung oder Aenderung des Betriebes allen ihr hinsichtlich der Schutzvorkehrungen gestellten Bedingungen vollständig nachgekommen ist, alles was nach dem dermaligen Stande der Technik möglich und erforderlich war, ihrerseits beschafft oder dem anderen Teil bezahlt hatte, dennoch für alle Zeiten, so lange die beiderseitigen Anlagen bestehen werden, die Verpflichtung aufbürden, jedesmal die Kosten zu tragen, so off die bisherigen Vorkehrungen im Gebiet der Technik eine Verbesserung erfahren, so oft eine im Gebrauch befindliche Einrichtung von einer neuen Erfindung abgelöst wird, dann hätte die Schutzpflicht in der Tat eine ganz ungewöhnlich starke Belastung neuer elektrischer Anlagen im Gefolge. Eine solche Belastung möchte, wie die Revision mit Grund anführt, nach Umständen selbst die ökonomische Lage elektrischer Unternehmungen erheblich zu gefährden geeignet sein. Daß in dieser Weise die neue Anlage immer die Kosten fortschreitender Technik zu tragen habe, daß sie in diesem Sinne der privilegierten Anlage, durch Auferlegung des gesamten Aufwandes für Schutz- und Selbstschutz der älteren Anlage dauernd „tributpflichtig“ gemacht werden sollte, kann als vom Gesetz beabsichtigt nicht angenommen werden.“