Titel: Drahtseilschwebebahnen für Förderzwecke in Zuckerfabriken.
Autor: H. H. Dietrich
Fundstelle: Band 332, Jahrgang 1917, S. 51
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Drahtseilschwebebahnen für Förderzwecke in Zuckerfabriken. Von Ingenieur H. H. Dietrich, Leipzig. DIETRICH: Drahtseilschwebebahnen für Förderzwecke in Zuckerfabriken. Besondere Schwierigkeiten macht die Beschaffung von Arbeitskräften in solchen Industrien, die nicht das ganze Jahr hindurch, sondern nur periodisch während einer bestimmten Zeit im Jahre arbeiten, wie dies in den Zuckerfabriken der Fall ist. Man muß dort mit Leuten jeder Art Vorlieb nehmen, kann sich also nicht die besonders befähigten auswählen und hat mit häufigem Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen. Außerdem ist es oft der Fall, daß die heute angeworbenen Leute schon am nächsten Tage nicht wieder zur Arbeit erscheinen, weil sie anderwärts, wenn auch nicht lohnendere, so doch dauernde Arbeit finden. Diese schweren Nachteile zwingen die Zuckerindustrie mit Notwendigkeit dazu, alle Arbeiten, die nicht unbedingt durch menschliche Hand- und Kopfarbeit erledigt werden müssen, der stets arbeitswilligen Maschine zuzuweisen. Mit in erster Linie lassen sich nun die Förderaufgaben durch mechanische Hilfsmittel erledigen, daher ist deren ausgedehnte Anwendung in der Zuckerindustrie in den letzten Jahren erklärlich, wodurch der Erfolg erzielt wurde, daß sich die Arbeiterfrage heute weniger brennend gestaltet, als dies früher der Fall war. Dieser Vorteil wird noch dadurch erhöht, daß die Maschinenindustrie Konstruktionen schuf, die, auf die Bedürfnisse der Zuckerindustrie zugeschnitten, sich deren eigenartigen Verhältnissen auf das Beste anpaßten. Wenn man die verschiedenen Arten von Fördermaschinen in Zuckerfabriken betrachtet und die Erfolge, die mit Wagen, Schrauben, Bändern, Becherwerken usw. erzielt wurden, berücksichtigt, so kommt man zu der Ueberzeugung, daß der Wagenkasten sich immer und für jeden Zweck geeignet erwiesen hat. Das ist auch leicht verständlich, denn mit ihm kann jedes Gut gefördert werden. Alle anderen Fördermittel besitzen empfindliche Teile, die mit dem Fördergut in Berührung kommen, wie Lager und Gelenke, und werden gerade an diesen durch das Fördergut chemisch oder mechanisch angegriffen, oder sie verstopfen sich gelegentlich, wie beispielsweise die Schraubenförderer. So lange aber der Wagenkasten an auf dem Boden verlegte Gleise gebunden war, konnte er sich aus dem Grunde nicht allgemein in den Betrieb der Fabriken einfügen, weil die auf dem Boden auf Schienen fahrenden Wagen den übrigen Verkehr der Fabrik stören und außerdem einen großen Teil häufig recht kostbaren Raumes wegnehmen. Mit dem Augenblick aber, wo man dazu überging, den Wagenkasten in der Luft über Maschinen, Höfe und alle Werkseinrichtungen hinweg an Hängeschienen verkehren zu lassen, war dieser Schaden behoben. Daher hat sich die Schwebebahn als Fördermittel im Betrieb der Zuckerfabriken günstig eingeführt und von Jahr zu Jahr größere Bedeutung erlangt, sei es als Handhängebahn oder als von einem ständig umlaufenden Zugseil betriebene Drahtseilbahn oder schließlich als Elektrohängebahn, bei der die einzelnen Fahrzeuge durch besondere Elektromotoren angetrieben werden. Im Folgenden sei eine Beschreibung von Schwebebahnen im Dienste der Zuckerindustrie gegeben, die aus der Fabrik von Adolf Bleichest & Co. in Leipzig hervorgegangen sind. Drahtseilbahnen für Förderungen im Inneren der Fabriken. Zunächst seien Drahtseilbahnen behandelt, und zwar solche, die für Förderzwecke im Inneren der Fabriken bestimmt sind, die also vielfach im Winkel geführt werden und sich allen Raum Verhältnissen anpassen müssen. Von diesen Anlagen werde als Schulbeispiel eine besonders bemerkenswerte herausgegriffen, der die verschiedensten Aufgaben gestellt sind, nämlich die Drahtseil Textabbildung Bd. 332, S. 52 Abb. 1. Anordnung der Drahtseilbahnanlage in der Zuckerfabrik Malchin bahn der Zuckerfabrik Malchin, die Rüben, Schnitzel, Kalkstein, Kohle und Schlamm fördert. Die Linie war den Raumverhältnissen entsprechend mit zahlreichen Knicken zu führen, die durch Winkelscheiben gebildet werden. Als Fahrbahn sind Hängebahnschienen verwandt. Abb. 1 gibt den Grundriß der Anlage wieder. Textabbildung Bd. 332, S. 53 Abb 2. Verladebollwerk mit der Drahtseilbahn in Malchin Verladung von Kalkstein Die Bewegung der Wagen wird durch ein maschinell angetriebenes Zugseil ohne Ende bewirkt, das ständig in Umlauf ist und die angekuppelten Wagen mitnimmt. In den Kurven wird das Zugseil durch große Kurvenscheiben abgelenkt. Im übrigen sichern an diesen Punkten Pendel- und Druckrollen seine richtige Höhenlage. Textabbildung Bd. 332, S. 53 Abb. 3. Bleichertsche Elektrogreiferbahn in Malchin Das Umfahren der Winkelscheiben findet selbsttätig, ohne menschliche Bedienung statt und ohne Lösung vom Seil, was bei dem Bleichertschen Kuppelapparat „Automat“, mit dem die Wagen ausgerüstet sind, möglich ist, wenn er, wie in Malchin, überhöht am Laufwerk der Wagen angebracht wird. Durch diese Einrichtung, die sich bei dem vom Wagengewicht betätigten „Automat“ baulich leicht durchführen läßt, ist es möglich, den Abstand des von der Klemme gefaßten Seiles von der Kurvenscheibe bei Rechtskurven, wie bei Linkskurven sehr gering und beiderseits gleich groß zu halten, so daß eine beliebige Kurvenumführung ohne Knicken des Zugseiles möglich ist. Das Ankuppeln der Wagen an das Zugseil erfolgt in der Weise, daß die gefüllten Fahrzeuge von einem Ladearbeiter einfach aus der Beladestation herausgeschoben werden, wobei sie sich selbsttätig an das umlaufende Zugseil anschlagen, von dem sie sich erst beim Einlauf in die Beladestation wieder lösen, und zwar ebenfalls allein und ohne Hilfe der Ladearbeiter. Die Wagenkästen sind zum selbsttätigen Kippen eingerichtet. Während der Fahrt werden sie durch eine Verriegelung in ihrer aufrechten Lage gesichert. An den Entladestellen befinden sich Anschläge, die die Hebelfesthaltung auslösen und die Wagen so zum Kippen bringen. Textabbildung Bd. 332, S. 53 Abb. 4. Selbstgreifer auf die Ruben aufgesetzt Der Verladevorgang in der Zuckerfabrik Malchin ist folgender: Die Rübenkähne legen an einem Bollwerk an (Abb. 2), über dem die Hängebahnschiene so hoch verlegt ist, daß sich die Oberkante der Wagenkasten ungefähr in gleicher Höhe mit dem Schiffsbord befindet, so daß sich die Wagen bequem durch Ueberschaufeln beladen lassen. Bei anderen älteren Anlagen ähnlicher Art wurden die Hängebahnwagen selbst durch Drehkrane ins Schif gesenkt, hier gefüllt und auf die Schienen gesetzt. Seit einigen Jahren ist man auch in Malchin zur maschinellen Schiffsentladung übergegangen. Es wurde eine fahrbare Bleichertsche Elektrogreiferbahn aufgestellt (Abb. 3), die aus einem kranartigen Gerüst besteht, das eine Hängebahnschiene trägt, auf der ein Elektrowindenwagen hin- und herfährt, an den ein Selbstgreifer angeschlossen ist. Die Bedienung erfolgt von einem Steuerhäuschen aus. Der Greifer wird auf die Rüben oder Kohlen abgesenkt, geschlossen, gehoben und in einen im Krangestell eingebauten Füllrumpf entleert, aus dem das Fördergut mit Klappschiebern unmittelbar in die Drahtseilbahnwagen abgezogen wird. Abb. 4 zeigt den auf die Rüben aufgesetzten Greifer. Die Einrichtung hat sich bewährt. Die Fabrik ist durch sie von einer großen Zahl Arbeiter unabhängig geworden und entlädt die Güter heute schneller und billiger als früher. Es hat sich auch gezeigt, daß die Beschädigung der Rüben durch die Greiferschneiden wesentlich geringer ist als das früher unvermeidbare Zerstechen mit den Gabeln. Textabbildung Bd. 332, S. 54 Abb. 5. Beschüttung der Rubenschwemme von der Drahtseilhängebahn aus durch selbsttätige Entriegelung der Forderkübel Die Beladung der Drahtseilbahnwagen erfolgt unter gleichzeitigem Abwiegen auf dem Beladestrang von der Elektrogreiferbahn, nur Kalkstein wird wie bisher auf vier vom Hauptstrang abgezweigten Weichen übergeladen, von denen die gefüllten Wagen über je eine in die Schiene eingebaute Schnellwage auf das Hauptgleis geschoben werden, wobei sie sich an das Zugseil ankuppeln. Hinter der letzten Beladeweiche beginnt die Bahn zu steigen und die Wagen laufen über vier Kurven zu dem über der Rübenschwemme angeordneten Strang, wo sie sich an beliebiger Stelle entleeren (Abb. 5). Sie kommen dann auf ihrem weiteren Wege zur Antriebsstation und lösen sich hier vom Zugseil, worauf sie von Hand über einen Leerstrang weitergeschoben und zur Beladestelle zurückgeschickt werden. Textabbildung Bd. 332, S. 54 Abb. 6. Entleerung eines Wagens über dem Kalksteinlagerplatz in Malchin Etwa die Hälfte der Wagen wird hier auf ein Nebengleis geführt, mit Schnitzeln beladen, gewogen, abwechselnd mit den leer zurückgehenden Wagen an das Zugseil angeschlagen und auf dem rücklaufenden Gleis zu den Schnitzelgruben gefördert, wo die Entleerung auf der Fahrt zur Beladestation erfolgt. Statt dessen kann man aber auch die vollen Schnitzelwagen bis zum Bollwerk mitnehmen und ihren Inhalt über eine Rutsche in Kähne abstürzen. Kalkstein- und Kohlenwagen werden auf ihrer Fahrt vom Seil abgeschlagen und von den hierfür bestimmten Abzweigungen aus auf ihr Lager gestürzt (Abb. 6 u. 7). Die Förderanlage der Zuckerfabrik Malchin zeigt, wie weit sich eine Seilbahn heutiger Bauart auch verwickelten örtlichen Verhältnissen und den verschiedenartigsten Bedürfnissen anzuschmiegen vermag. Hervorzuheben ist der wirtschaftliche Erfolg gegenüber der früheren Verladung mit Feldbahnwagen. Nach Auskunft der Zuckerfabrik waren früher täglich aufzuwenden: Für 13 Pferde zum Wagenziehen je 3,75 M =  48,75 M Für 7 Pferdeführer je 1,60 M =  11,30  „ Akkordlohn für das Kippen der Wagen über     der Schwemme, täglich 2000 Ztr. zu 0,05 M =  50,–    „ –––––––––––––– Zusammen   119,95 M Dagegen verursacht die Förderung der Rüben mit der Drahtseilbahn nur 32,– M Unkosten für den Tag, so daß sich durch die Anlage – ohne Berücksichtigung der Elektrowindenbahn – eine tägliche Ersparnis von 87,95 M ergibt. Dank dieser Ersparnisse konnte die Drahtseilbahnanlage, trotzdem sie nur kurze Zeit im Jahre in Betrieb ist, in weniger als fünf Jahren vollständig abgeschrieben werden. Textabbildung Bd. 332, S. 55 Abb. 7. Die Drahtseilbahnanlage über dem Kohlenlagerplatz in Malchin Als ähnliche, wenn auch weniger umfangreiche Schwebebahnanlage sei die der Barther Aktien-Zuckerfabrik in Barth, a. Ostsee genannt. Hier ist eine Bleichertsche Drahtseilbahn mit anschließender Handhängebahn und Krananlagen zur Verwendung gekommen, um die vorhandene Rübenförderanlage leistungsfähiger zu gestalten und zu erweitern. Die Bahn hat jetzt eine Länge von 175 m und fördert in der Stunde 450 Zentner Rüben, Kohle und Kalkstein. (Schluß folgt.)