Titel: Die technischen Neuerungen im deutschen Kohlenbergbau seit 1900.
Autor: Theodor Lange
Fundstelle: Band 332, Jahrgang 1917, S. 321
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Die technischen Neuerungen im deutschen Kohlenbergbau seit 1900. Von Dr. Ing. Theodor Lange, Ruda O.-S. LANGE: Die technischen Neuerungen im deutschen Kohlenbergbau seit 1900. Die Förderziffern der Kohle erzeugenden Staaten im letzten Friedensjahr zeigten folgendes Bild: Vereinigte Staaten 517,0 Mill. t Großbritannien 282,9 Deutsches Reich. 278,6 Oesterreich-Ungarn 53,5 Frankreich 40,9 Rußland 30,7 Belgien 22,8 Japan rd. 20,0 Holland 1,8 Spanien 4,2 Demnach steht der deutsche Kohlenbergbau in Europa an zweiter Stelle. Diese Feststellung aus den Ergebnissen des Jahres 1913 bringt nichts Neues, da der deutsche Bergbau schon seit 1860 diesen Platz unmittelbar hinter Großbritannien einnimmt. Zieht man aber die Entwicklung der Förderziffern seit 1900 zum Vergleich heran, so erhalten die nackten Zahlen eine wesentlich andere Beleuchtung. Großbritannien förderte 1900 228,8 Mill. t, 1910 268,7 Mill. t, 1913 282,9 Mill. t, das Deutsche Reich förderte 1900 149,8 Mill. t, 1910 222,4 Mill. t, 1913 278,6 Mill. t. Das ergibt für Großbritannien eine Fördersteigerung von 23,7 v. H., für das Deutsche Reich aber eine solche von 86,0 v. H. seit dem Jahre 1900, Während die großbritannische Entwicklungslinie schon seit 1860 in mäßigem Ansteigen verharrt und in den letzten Jahren immer flacher wird, zeigt die deutsche Linie von demselben Zeitpunkt an ein ungemindert steiles Emporklimmen. Die Fördersteigerung in den letzten Jahren beträgt in Großbritannien 2 v. H. jährlich, im Deutschen Reich 7 v. H. für das Jahr. Dieser stete Aufstieg ist schon mehrfach als eine der Ursachen für die mißgünstigen Blicke Großbritanniens auf unser Wirtschaftsleben bezeichnet worden. In der Koksherstellung hat das Deutsche Reich im Jahre 1913 mit einer Erzeugung von 32,168 Mill. t Großbritannien bereits weit überholt, dessen erzeugte Koksmenge sich nur auf 18,645 Mill. t belief. Die jährliche Steigerung der Kokserzeugung beträgt im Reich 8,5 v. H., während in Großbritannien eine Stockung in der Entwicklung eingetreten ist. Das kräftige Emporblühen des deutschen Bergbaues, das auch gegen die Leistungen gleichbestrebter anderer Nationen noch ansehnlich absticht, beruht zum großen Teil auf der Einführung technischer Neuerungen, welche die ersten anderthalb Jahrzehnte des laufenden Jahrhunderts gebracht haben. Wenn auch nicht immer der erste Anstoß zu diesen Neuerungen deutscher Herkunft war, so ist es doch das Verdienst des deutschen Bergmannes und Maschineningenieurs, den gedanklichen Anregungen eine betriebserprobte Ausgestaltung verliehen zu haben. Bei der Tiefbohrung hat das Schnellschlagbohren das ältere deutsche Bohrverfahren mit Zwischenstücken verdrängt, nachdem das sogenannte englische Bohren mit starrem Gestänge schon längere Zeit in den Hintergrund getreten war. Dem Abloten der Bohrlöcher ist große Aufmerksamkeit gewidmet worden, um die lästigen Abweichungen von der ursprünglichen Bohrlochrichtung schnell und sicher feststellen zu können. Hierfür gelangen jetzt einige sehr brauchbare Apparate zur Anwendung. Das Schachtabteufen in klüftigem Gebirge hat durch die Aufnahme des Versteinungsverfahrens eine neue sichere Methode gewonnen. In losen, wasserreichen Gebirgsschichten erfolgt die Einpressung von Zementmilch in einen Bohrlochkranz. Auch das Gefrierverfahren hat an Sicherheit zugenommen. Während man früher geneigt war, die Gefriergrenze auf 100 m Teufe zu beschränken, geht man neuerdings mit den Gefrierlöchern bis zu 540 m hinab, wobei in Abänderung der Poetschschen Methode das Tiefkälteverfahren mit einer von – 20 ° auf – 42 ° C herabgekühlten Gefrierlauge angewandt wird. Bei der Ausrichtung neuer Grubenfelder wählt man mit Vorliebe die Doppelschachtanlage wegen ihrer mannigfachen Vorteile, zum Beispiel der Möglichkeit einer Unterfahrung beim Weiterabteufen, Einfachheit in der Wetterführung, Verbilligung des Grunderwerbs und der Kraftanlage, Konzentration des Betriebes. Die Förderschächte erhalten bei Erweiterung des Durchmessers vorzugsweise doppelte Fördereinrichtung, jede Bausohle eine selbständige Förderung. Durch Zuhilfenahme des Bergeversatzes beim Abbau wird die lange Wartezeit bis zur beendeten querschlägigen und streichenden Ausrichtung verkürzt. Ausgleichförderungen in Form von Brems- und Hilfsförderblindschächten machen die Förderung von Störungen auf einzelnen Sohlen unabhängig. Ausrichtungsstrecken ohne Kohlefall werden unter Benutzung von Luttenleitungen zur Wetterabführung ohne Parallelstrecke zu Felde getrieben. Die einzelnen Bauabteilungen werden großzügiger gewählt, um die Hilfsfördereinrichtungen wie Bremsberge, Gesenke und Blindschächte voll auszunutzen. Die Vorrichtung wird möglichst beschränkt gehalten, um die Ausbaukosten zu ermäßigen. Im Grubenausbau wird den herrschenden Verhältnissen mehr Rechnung getragen, um Grubenholz zu sparen. Der Fäulnis wird durch Imprägnation des Holzes vorgebeugt An Stelle der Teeröle hierfür treten mehr und mehr die feuerbeständigen Metallsalze. In feuchten Strecken kommen Eisenbetontürstöcke zur Verwendung. Den Druckverhältnissen angepaßt wird der Ausbau nachgiebig gewählt. Rückgewinnbare Eisenstempel, planmäßige Gestaltung des Grubenausbaues zielen auf erhöhte Wirtschaftlichkeit. Beim Abbau mächtiger Flöze hat der Scheibenbau verstärkte Bedeutung erfahren unter Anwendung des Spülversatzes, der immer größere Ausdehnung zwecks Schutzes der Oberfläche, Verminderung der Brandgefahr, größerer Beweglichkeit des Abbaues annimmt. Bergsand wird in riesigen Baggerfeldern gewonnen und auf besonders konstruierten Wagen den Sturzstellen an den Einspülschächten zugeführt, wo sie durch einfaches Ueberfahren der Brücke sich selbsttätig entladen. Druck wassermonitore, wie sie in den kalifornischen Goldwäschereien üblich sind, erzeugen und befördern die Spültrübe. Wo Bergsand fehlt, liefern die ausgedehnten Schlackengranulieranlagen der Hochöfen das Versatzmaterial. An Stelle der leicht verschleißenden runden Eisenspülrohre stehen Ovalrohre und zweiteilige Rohre in Anwendung, mit stellenweise verstärkten Wänden oder besonderem Futter aus Walzstahl oder Porzellan. Für die Einbringung trockenen Versatzes sind Wagenkippvorrichtungen, Schüttelrinnen, Gurtförderer, Schleudertrommeln zur Einführung gekommen. Die Gewinnung erfolgt nach Möglichkeit maschinell. Schrämmaschinen, Bohrmaschinen, Bohrhämmer mit Preßluft- oder elektrischem Antrieb zeichnen sich durch leichtere und handlichere Bauart aus. Die Belästigung durch Bohrstaub ist mittels Hohlbohrern mit Wasserspülung behoben. Das Anschärfen der Schneiden kann bei drehenden Maschinen durch Einstecken einer Schmirgelscheibe an Ort und Stelle erfolgen. Erfolgt das Anschärfen in der Schmiede über Tage, so vermindern auswechselbare Schneiden das Transportgewicht des Gezähes. Im Braunkohlenbergbau hat die maschinelle Gewinnung mittels Bagger so großen Fortschritt gemacht, daß sich das Verhältnis der Tagebaue zu unterirdischen Gruben verschoben hat. Bagger lassen sich vorteilhaft noch da verwenden, wo das Deckgebirge zwei bis vier mal mächtiger als das Kohlenflöz ist. Die Sprengarbeit ist durch Vermehrung und Verbesserung der Sicherheitssprengstoffe auch für Schlagwettergruben sichergestellt worden. Zündschnur- und Abziehzündung sind durch elektrische Zündung zurückgedrängt. Statt der Funken- und Spaltglühzündung wird der elektrischen Glühzündung wegen der niedrigen Spannung und der Möglichkeit, die gesamte Zündanlage auf Leitfähigkeit prüfen zu können, der Vorzug gegeben. Die Zündmaschinen entsprechen jeder Anforderung. Die Beschlagnahme der handfertigen Sprengstoffe bzw. deren Rohmaterialien hat den im Frühjahr 1914 wieder aufgetauchten Gedanken der Verwendung von flüssiger Luft zur Sprengarbeit überraschend schnell zur Reife gebracht. Eine große Anzahl von Bergwerken verwendet schon flüssige Luft ausschließlich als Sprengmittel. An Erzeugungsmaschinen sind drei Systeme in Gebrauch, deren Leistung durch Vorkühlanlagen verbessert ist. Ein Teil der Antriebskraft kann durch Expansionsmotore zurückgewonnen werden. Als Transport- und Tauchgefäße sind die Lindeschen Vakuumkannen durch eine Anzahl betriebssicherer neuer Gefäße aus Metall, Porzellan oder Glas ersetzt. In der Wetterführung kommen mit wenig Ausnahmen nur saugende Ventilatoren in Frage. Bei der Sonderbewetterung haben Lutten, Luttenventilatoren und Düsen beachtenswerte Verbesserungen erfahren. Beim Erkennen des Grubengases hat die Sicherheitslampe ihren Platz behauptet. Statt der Zündstreifen haben Cereisenzündungen das Geleucht vervollkommnet. Schlagwetterfreie Gruben sind zur Verwendung der Azetylen- statt der Oellampen übergegangen. Elektrisches Geleucht ist in größerem Umfange eingeführt. Zur Einschränkung von Explosionen auf ihre Entstehungsherde hat die Anlage von Gesteinsstaub- oder nassen „Zonen“ Aufnahme gefunden. Zwecks Bekämpfung des Kohlenstaubes ist die Berieselung behördlich eingeführt. Das Rettungswesen ist organisiert. Zu den Dräger- und Westfaliarauchapparaten sind solche für die Verwendung) flüssiger Luft der Hanseatischen Apparatebaugesellschaft hinzugekommen. Der Transport des Fördergutes ist unter dem Gesichtspunkte möglichster Ersparnis an menschlicher und tierischer Arbeitskraft maschinell gestaltet. Schwingrutschen und Schüttelrinnen ersparen die Zuwerfer am Gewinnungspunkt und ermöglichen die Inangriffnahme von Abbauhöhen bis über 200 m. Seil- und Kettenbahnen, die an bestimmte Verhältnisse gebunden sind, werden durch Anwendung der Lokomotivförderung entbehrlich. Benzollokomotiven sind auch für Schlagwettergruben verwendbar. Die Druckluftlokomotive bürgert sich mehr und mehr ein. Elektrische Akkumulatoren haben Maschinen mit Oberleitung den Platz geräumt. Spills zum Heranholen der Förderwagen sind auch unter Tage vielfach verbreitet. Der Auf- und Ablauf der Förderwagen auf und von dem Förderkorb erfolgt selbsttätig vermittels schiefer Ebenen oder besonderer Aufschiebevorrichtungen. Die Fördergeschwindigkeit im Schacht ist erhöht, ebenso die Nutzlast durch Einbau mehretagiger Körbe. Der Gedanke der Skipförderung ist wieder aufgetaucht, hat aber nur Aussicht auf Anwendung bei Gruben, die auf Stückefall und auf Materialeinhängen und Seilfahrt in dem betreffenden Schacht verzichten können. Ueber Tage ist der Wagenumlauf nach Möglichkeit selbsttätig, der Transport in Bunker- zu Aufbereitungen und Kokereien, von und auf Lagerplätze ist maschinell. Neben Transportbändern, Becherwerken und Drahtseilbahnen sind Greifer aller Ausführungen in Betrieb. Bezüglich der geeignetsten Betriebskraft für Bergwerke ist der Wettstreit zwischen Dampf- und Elektrizität noch nicht abgeschlossen. Die Elektrisierung der Fördermaschine wurde 1903 (König-Wilhelm-Salzbergwerk, Württemberg) zum ersten Male verwirklicht, und heute ist bereits eine große Anzahl von Gleichstromfördermaschinen mit Treibscheibe, Ilgner-Schwungrad und Leonardschaltung in Betrieb. Auch Drehstrom ist bei Kollektormotorenfördermaschinen im Kalibergbau zur Verwendung gelangt. Doch die Dampfmaschine hielt gleichen Schritt in der Entwicklung. Ihre Wirtschaftlichkeit wurde erhöht, indem an Stelle der Verbundanordnung die Abdampf- und Zweidruckturbine trat. Schien die elektrische Fördermaschine wegen ihrer leichten Bauart allein geeignet, um im Bedarfsfalle den Platz unmittelbar auf dem Fördergerüst (Deutschlandgrube, Oberschlesien) einzunehmen, so zeigte der Versuch einwandfrei, daß sich auch eine Dampfmaschine auf dem Schachtturm selbst (Zeche Neumühl, Rheinland) unterbringen läßt. Wetterführung und Wasserhaltung sind fast durchweg elektrisch angetrieben. Kreiselpumpen werden Plungern vorgezogen. Auch die Kompressoren für den ausgedehnten Druckluftbetrieb laufen elektrisch. Turbokompressoren, die 1909 noch im Versuchsstadium steckten, sind schon häufig anzutreffen. Der Antrieb neuerer elektrischer Zentralen erfolgt nur durch Turbinen, wenn nicht Hochofengas für Großgasmaschinen zur Verfügung steht. In den Kesselhäusern werden Wasserrohrkessel von großer Heizfläche bevorzugt. Kohlenversorgung, Beschickung, Ascheabfuhr sind automatisch. Minderwertige Brennstoffe werden ausgenutzt, Abdampf verwertet. Ekonomiser, Ueberhitzer, Dampfspeicher sind sehr verbreitet. In der Kohlensieberei erhalten rotierende Trommeln wegen des Fehlens der Erschütterungen den Vorzug vor Schwingsieben. Durchwachsene Kohlen werden durch Brecher aufgeschlossen und nachgewaschen. Schwefelkies wird den Kohlenschlämmen mit Nutzen entzogen. In der Nebenproduktengewinnung der Kokereien ist die Benzol- und Cyanwaschung allgemein; die Ammoniakgewinnung ist durch die unmittelbare Gewinnung als festes Salz nach dem Burkheißerschen Verfahren verbessert. Die Verwendung überschüssiger Koksofengase zum Heizen, Kochen und zur Beleuchtung findet größere Verbreitung. Die Ueberiührung der Kohle durch Ozonbehandlung nach Prof. Dr. Frz. Fischer in eine wasserlösliche Substanz ist eine beachtenswerte Errungenschaft. Das Verfahren der Steinkohlenbrikettierung gilt als sichergestellt. In sozialer Hinsicht ist die Bekämpfung der Wurmkrankheit und des Augenzitterns, die Fürsorge für die Arbeiterwohnungen und die Einführung der Sicherheitsmänner hervorzuheben. Außer den genannten Neuerungen von wesentlicher Bedeutung hat es nicht an einer Unmenge kleinerer Erfindungen gefehlt, die sich zum Teil als wertvolle Betriebsverbesserungen erwiesen haben, und von denen Wagenkupplungen, Schienenverbindungen, Stempelschuhe, Kappenauflager, Wagenzählmarken, Seilklemmen, Schachtverschlüsse, Säulenhaspel, Schlammpumpen erwähnenswert sind. Andere Neuerungen wie die Bergkanone von Pistorius-Lamour, das unmittelbare Patronenlufttränkverfahren von Baldus-Kowastch, besondere Schlagwetteranzeiger haben den von der Praxis gestellten Anforderungen nicht ausreichend genügen können, andere Anregungen, wie die Einführung des Taylor-Systems im Bergbau, die Verwertung der Bruchfelder zur Schafzucht, die Sauerstoffatmung der ausfahrenden Belegschaft sind praktisch noch nicht erprobt worden. Die Wünschelrutentätigkeit macht sich in letzter Zeit wieder sehr bemerkbar. Schließlich seien der Kuriosität halber noch einige weithergeholte Vorschläge angeführt, die außer einer Erheiterung der Fachkreise keine sonstige Wirkung auf den Bergbau ausgeübt haben, wie zum Beispiel der Ramsay sehe Vorschlag, die Kohle in Bohrlöchern zu entzünden und die gewonnenen Gase abzusaugen, dann der Vorschlag eines Berliner „Fachmannes“, von einer Erdbeben- und Luftdruckbeobachtungsstation aus die Gruben durch Telegramme vor Schlagwetterkatastrophen zu warnen und die ernstlich empfohlene. Anregung, die Arbeitsfreudigkeit der Belegschaft durch die Aufstellung von Grammophonen unter Tage zu steigern.