Titel: Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit.
Autor: A. Stodola
Fundstelle: Band 333, Jahrgang 1918, S. 1
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Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit. Von Professor Dr. A. Stodola, Zürich. STODOLA: Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit. Ist das Trägheitsmoment der auf der Welle befestigten Scheiben sehr groß, oder ist bei vorzüglicher Auswuchtung die Exzentrizität der Schwerpunkte ungemein klein, so verhält sich die Welle bei wagerechter und bei senkrechter AufstellungEine gewisse Wirkung der Schwerkraft bleibt auch bei senkrechter Aufstellung übrig, sei es als „Knickbeanspruchung“ der Welle oder als senkrecht nach abwärts gerichteter Zug. hinsichtlich der Biegungsschwingungen gleichartig, nur daß bei der wagerechten Welle die Auslenkung von der Durchbiegung der Ruhelage aus zu zählen ist. Ganz anders ist der Sachverhalt, falls jene Bedingungen nicht zutreffen. Dann besitzt die senkrechte Welle, wenn bloß eine Scheibe vorhanden ist, nur die bekannte normale kritische Drehzahl; bei wagerechter Lagerung kommt ein neuer kritischer Zustand hinzu, dessen Drehzahl rund die Hälfte der normalen kritischen Drehzahl ist. Prof. Gümbel bestreitet in Heft 15 und 16 dieser Zeitschrift (1917) die Richtigkeit dieser Feststellung mit Gründen, die aus der „Anschauung“ geschöpft sind. Nachfolgende Darlegung dient einer Erweiterung meiner hierüber erschienenen Arbeit,Schweiz. Bauzeitung Bd. 68, 1916, S. 197: Bd. 69, 1917, S. 93 u. f. wobei gleichzeitig das Irrtümliche der Gümbelschen Einwände aufgedeckt wird. 1. Welle mit einer einzelnen Scheibe. In der Abbildung bedeute O den Durchstoßpunkt der Verbindungslinie der Lagermitten mit der Scheibenebene, W den Durchstoßpunkt der verbogenen Wellenmittellinie mit der Scheibe, S den Schwerpunkt. Die elastische Kraft P ist von W gegen O gerichtet und kann in geeignetem Maßstab durch WO dargestellt werden. Wir zerlegen P in die nach aufwärts gerichtete Kraft O und die schiefe Seitenkraft P'. Da O'O = G ist, geht letztere stets durch den Punkt O', und es ist O'O die Durchbiegung der Welle unter dem Einfluß des Scheibengewichtes (dem wir so die Hälfte des Wellengewichtes hinzufügen). Hiernach sind die auf die Scheibe wirkenden Kräfte die Zentralkraft P' in W und das Moment der Kräfte + G in S und – G in W. Die Zentralkraft P' ruft in bezug auf den „Drehpunkt“ O' dieselben Erscheinungen hervor wie die wirkliche elastische Kraft P in bezug auf O bei der senkrecht aufgestellten Welle. Ist das Trägheitsmoment der Scheibe sehr groß, so bewirkt das Kraftmoment von G nur unmerkliche Schwankungen, die wagerechte Welle verhält sich wie die senkrecht stehende. Sobald aber das Trägheitsmoment kleiner wird, fängt die Scheibe zu schwanken an und ruft entsprechende Schwankungen der Welle hervor. Hier ist die periodische Kraft, die Gümbel vermißt. Sein Gleichnis von dem wie ein Pendel an der durchgebogenen Welle herabhängenden Schwerpunkt, der „Pendelschwingungen“ unter dem Einfluß der Schwere vollführt, trifft auf die sich gewissermaßen wälzende Scheibe nicht zu. Nun entsteht die Frage, wie die Eigenschwingung des Systems beschaffen ist, mit der das periodische Schwerkraftmoment in Resonanz treten, und so (bei Vernachlässigung der Dämpfung) unendliche Ausschläge erzeugen könnte. In dieser Hinsicht sind die Verhältnisse nach den Formeln von Föppl recht verwickelt. Der Drehung der Scheibe um ihren Schwerpunkt und der Kreisbahn, die der Schwerpunkt zufolge der Exzentrizität beschreibt, überlagert sich eine elastische Schwingung mit gleicher Frequenz wie bei nicht rotierender Welle, die geradlinig, elliptisch oder kreisförmig sein kann. Der Sinn, in welchem die Bahn dieser letzteren Schwingung umschrieben wird, kann gleich oder entgegengesetzt sein dem Drehsinn der Scheibe. Es liegt auf der Hand, daß die Vorgänge besser überblickt werden können, wenn man sich in einen mit ω rotierenden Raum begibt und von dort aus die Schwinpung beobachtet. Es finde nun beispielsweise die elastische Schwingung mit kreisförmiger Bahn im gleichen Sinn wie die Drehung der Scheibe statt, d.h. S bewegt sich auf einem Kreis mit der Winkelgeschwindigkeit ωk. Dann besteht die relative Bewegung von S in einer Drehung mit der Winkelgeschwindigkeit ωkω. Allein die Drehung ist eine Uebereinanderlagerung von zwei zueinander senkrechten Schwingungen mit derselben Winkelgeschwindigkeit. Anderseits verwandelt sich die Schwerkraft G im relativen Raum zu einer drehenden Kraft mit den Komponenten G sin ωt und G cos ωt, die ihrerseits Schwingungen mit gleicher Frequenz erzeugen. Ist nun ωk – ω = ω, d.h. ω = ωk/2, so befindet sich letztere Schwingung in Resonanz mit der elastischen Schwingung, wodurch die neue kritische Drehzahl meines Erachtens hinlänglich anschaulich gemacht wird. Infolge des Schwankens der Scheibendrehung ist in Wirklichkeit ω abhängig vom Scheibenträgheitsmoment. Ein Zweifel an diesen Ergebnissen ist nur statthaft, wenn die Unrichtigkeit der mathematischen Ableitung erwiesen wird. Dies aber dürfte schwer fallen, wie aus der nachfolgenden zusammenfassenden Darstellung hervorgeht.Wir wiederholen hier die Ableitung in rechtwinkligen Koordinaten, damit die Leser den Beweis nicht aus den zerstreuten Artikeln in der Schweiz. Bauzeitung und meinem Buche über Dampfturbinen zusammensuchen müssen. Wir beziehen die Bewegung auf das rechtwinklige Koordinatensystem YOZ (Abb), welches mit der Winkelgeschwindigkeit der stationären Bewegung ω um O rotiert, und verzichten auf die Zerlegung von P, so daß nur eine Kraft G vorhanden ist und in S angreift. Die elastischen Kraftkomponenten sind α(y – ey); α(z – ez); also lauten die Schwerpunktsgleichungen, wenn wir durch Punkte die Ableitungen nach der Zeit andeuten: mÿ = myω2 + 2 mωżα (yey) – mg sin ω t (1) m\,\ddot{z}=m\,z\,\omega^2-2\,m\,\omega\,\dot{y}-\alpha\,(z-e_{\mbox{z}})-m\,g\,\cos\,\omega\,t (2) wo die zwei ersten Glieder rechts die bekannten Ergänzungskräfte der relativen Bewegung bedeuten. Als Drehungsgleichung um den Schwerpunkt erhält man mit Θ als dem Massenträgheitsmoment \Theta\,\ddot{\tau}=-\alpha\,(y-e_{\mbox{y}})\,e_{\mbox{z}}+\alpha\,(z-e_{\mbox{z}})\,e_{\mbox{y}} . . (3) Es sei nun W0S0 die Lage von WS bei stationierter Bewegung und unendlich großem Θ und Abwesenheit der Schwere. Dann gilt die Gleichung my0ω2 = α(y0e), woraus mit α = mωk2 y_0=-\frac{{\omega_{\mbox{k}}}^2}{\omega^2-{\omega_{\mbox{k}}}^2}\,e . . . . (4) folgt. Im Sinne der Theorie der kleinen Schwingungen setzen wir y – y0 = η: z = ζ und τ als kleine Größen voraus, so daß ey = e: ez = gesetzt und höhere Potenzen oder Produkte der η, ζ, τ vernachlässigt werden können. Gleichung (1) bis (3) lauten dann mit Θ = mq2 \ddot{\eta}=(\omega^2-{\omega_k}^2)\,\eta+2\,\omega\,\dot{\zeta}-g\,\mbox{sin}\,\omega\,t \ddot{\zeta}=(\omega^2-{\omega_k}^2)\,\zeta-2\,\omega\,\dot{\eta}+{\omega_k}^2\,e\,\tau-g\,\mbox{cos}\,\omega\,t \ddot{q^2\,\tau}=-{\omega_k}^2\,y_0\,e\,\tau+{\omega_k}^2\,e,\zeta (5) Um die den periodischen Gliedern sin ωt, cos ωt entsprechende partikuläre Lösung dieses Systems zu erhalten, wird sich offenbar der Ansatz η = B sin ωt: ζ = C cos ωt; τ = A cos ωt. (6) empfehlen, dessen Einführung in (5) die Gleichungen – (2 ω2 – ω2k) B + 2 ω2 C + 0 = – g2 ω2 B – (2 ω2 – ω2k) C – ω2keA = – g0-{\omega^2}_k\,e\,C+\left(-q^2\,\omega^2+\frac{{\omega^4}_k\,e^2}{\omega^2-{\omega^2}_k}\right)\,A=0 (7) liefert. Bekanntlich ergeben sich unendlich große Werte für B, C, A, wenn die Determinate D der Beizahlen dieser Gleichungen verschwindet. Man findet D=\frac{\omega^2\,{\omega^2}_{\mbox{k}}\,q^2}{\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{k}}}\,D_0\mbox{ mit }D_0=(\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{k}})\,(4\,\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{k}})+\frac{e^2}{q^2}\,{\omega^2}_{\mbox{k}}\,(2\,\omega^2+{\omega^2}_{\mbox{k}}) . . (8) Durch Auflösung der Gleichung D = 0 oder D0 = 0 ergeben sich zwei Werte für das Quadrat der neuen kritischen Geschwindigkeit, die wir mit ωg bezeichnen. {\omega^2}_{\mbox{g}}=\frac{{\omega^2}_{\mbox{k}}}{4}\,\left[\left(\frac{5}{2}-\varepsilon^2\right)\,\pm\,\sqrt{\left(\frac{5}{2}-\varepsilon^2\right)^2-4\,(1+\varepsilon^2)}\right] (9) mit \varepsilon^2=\frac{e^2}{q^2}. Da ε im allgemeinen klein ist, können wir die Quadratwurzel entwickeln und erhalten für das untere Vorzeichen den praktisch wichtigen Wert:Gleichung (10) meines Aufsatzes ist gemäß den obigen Formeln (10) und (11) zu berichtigen. {\omega'^2}_{\mbox{g}}=\frac{{\omega^2}_{\mbox{k}}}{4}\,(1+2\,\varepsilon^2) . . . . (10) Dem + Zeichen der Wurzel entspricht ω''2g= ω2k (1 – ε2). . . . (11) Ist ε streng = 0, so wird \omega'_{\mbox{g}}=\frac{\omega_{\mbox{k}}}{2} . . . . . . . (12) Um zu beurteilen, wie es sich in letzterem Fall mit den Auslenkungen verhält, lösen wir Gleichung (7) allgemein nach B, C, A auf. Der Ausdruck von C ist: C=\frac{g\,\gamma\,(4\,\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{k}})}{D} mit \gamma=-q^2\,\omega^2+\frac{{\omega^4}_{\mbox{k}}\,e^2}{\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{k}}} (13) Lassen wir e/q = 0 werden, so wird C=-\frac{g\,(4\,\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{k}})}{{\omega^2}_{\mbox{k}}\,(4\,\omega^2-{\omega^2}_{\mbox{k}})} So lange 4\,\omega^2-{\omega^2}_k\,≷\,0, haben wir C = – g/ω2k. Wenn aber 4ω2ω2k = 0, so wird C = 0/0, jedoch mit demselben Grenzwert. Genau dasselbe gilt für B. Die relative Einsenkung in senkrechter Richtung h=\eta\,\sin\,\omega\,t+\zeta\,\cos\,\omega\,t=-g/{\omega^2}_{\mbox{k}}\,.\,(\sin^2\,\omega\,t+\cos^2\,\omega\,t)=-\frac{g}{{\omega^2}_{\mbox{k}}} ist also unveränderlich, und wie ersichtlich gleich der Durchbiegung der Welle unter dem Eigengewicht der Scheibe. Da die wagerechte Verschiebung η cos ωt + ζ sin ωt = 0 ist, so beschreibt der Schwerpunkt eine Kreisbahn mit dem Halbmesser y0 um den Mittelpunkt O' in der Abbildung. Textabbildung Bd. 333, S. 2 Die auf ε = 0 bezug habenden Sätze sind das Ergebnis, zu welchem ich in meiner Entgegnung auf die Arbeit von Kerr gelangt bin, und es geht nicht an, wie Gümbel es tut, obige einwandfreie Darlegung mit den gänzlich falschen Rechnungen von Kerr auf dieselbe Stufe zu stellen. Zur besseren Klarlegung empfiehlt es sich noch, C in der Umgebung von ω = ωk/2, wie folgt, umzuformen: Es werde \frac{\omega^2}{{\omega^2}_{\mbox{k}}}=\lambda^2=\frac{1}{4}+\delta . . . (15) gesetzt, wo δ ebenso wie ε2 kleine Größen bedeuten, deren höhere Potenzen man vernachlässigt. Gleichung (13) liefert dann nach entsprechender Reduktion C=-\frac{g}{{\omega^2}_{\mbox{k}}}\,\frac{\delta}{\frac{\varepsilon^2}{2}-\delta} . . . . (16) ähnlich findet man: B=-\frac{g}{{\omega^2}_{\mbox{k}}}\,\frac{\varepsilon^2-\delta}{\frac{\varepsilon^2}{2}-\delta} . . . . (17) Beide Größen wachsen hyperbolisch ins Unendliche, wenn sich δ dem Wert ε2/2 nähert. Das Gebiet, innerhalb dessen einigermaßen große Werte vorkommen, ist durch die Zähler-Ausdrucke δ und ε2/2 umgrenzt, es ist um so schmaler, je kleiner diese Größen sind. War ε streng = 0, und lassen wir zugleich δ = 0 werden, so besteht nur noch in einem Punkte, bei der ganz genau einzuhaltenden Drehzahl n = nk/2, die Möglichkeit für „indifferentes“ Gleichgewicht (C = 0/0), welches praktisch nicht in Erscheinung treten kann, da in Wirklichkeit die Drehzahl nicht einen Augenblick mathematisch genau bleibt. Auch bei endlichen, aber kleinen Werten von ε2 wird durch den Einfluß der hier unberücksichtigten Dämpfung der Ausschlag so herabgesetzt werden können, daß bei der Unmöglichkeit, die Drehzahl längere Zeit auf dem δ = ε2/2 entsprechenden Werte zu erhalten, die Auslenkung unbemerkbar bleibt, „keine Zeit“ findet sich auszubilden. Wenn auch an der theoretischen Richtigkeit obiger Darlegungen kein Zweifel möglich scheint, so ist dadurch die Nachprüfung der Folgerungen durch den Versuch keineswegs überflüssig. Einmal bezieht sich die Theorie auf unendlich kleine Schwingungen, dann kann sie keine Rücksicht auf den Widerstand des Mittels nehmen, in welchem die Scheiben rotieren. Daher wurden im Maschinenlaboratorium der Eidgen. Techn. Hochschule mehrere Versuchsreihen unter nachfolgenden Umständen durchgeführt: a) Eine Scheibe von 500 mm ?, 6 mm Dicke auf einer wagerechten Welle von 20 mm ?, 1500 mm Spannweite, mit freier Auflagerung, die man durch Kugelschalenlager und eine Kreuzgelenkkupplung, deren Mitte mit dem Mittelpunkt der Kugelschale auf der treibenden Seite zusammenfiel, erreichte. b) Dieselbe Scheibe auf einer wagerechten Welle von 16 mm ? bei 1800 mm Spannweite und beiderseitiger Einspannung (verwirklicht durch zwei weitere in je 120 mm Entfernung jenseits der Innenlager angeordnete Führungslager. c und d) Gleich wie a und b allein mit senkrecht angeordneter Welle, die von einem Kugellager entweder hängend, oder von unten gestützt getragen wurde. Ueber die näheren Umstände und Ergebnisse wurde inzwischen a. a. O.Schweiz, Bauzeitung 1917 November. ausführlich berichtet. Hier genügt anzuführen, daß bei wagerechter Anordnung, die durch das Gewicht bewirkte kritische Umlaufzahl „zweiter Art“ mit größter Deutlichkeit festgestellt werden kann. Sobald man die Welle senkrecht aufstellt, verschwindet sie bei Kreuzgelenkantrieb nahezu und bei fester Kupplung gänzlich. Bemerkenswert ist dabei die Rolle des Kreuzgelenkes, durch welches die Wirkung der im Turbinenbau noch viel angewendeten beweglichen Kupplung zwischen Turbine und Arbeitsmaschine nachgeahmt werden sollte. So lange die rotierende Scheibenwelle gegen die streng wagerechte Antriebswelle einen unveränderlichen Kegel beschreibt, ist die Winkelgeschwindigkeit der beiden streng gleich. Im anderen Fall, d.h. wenn die Scheibenwelle schwingt, und infolge der Biegung durch die Schwere ergibt sich die bekannte Ungleichförmigkeit mit der doppelten Periode der Drehzahl. Der Unterschied zwischen Höchst- und Mindestwert ist freilich so klein, daß ich von Anfang an keine Wirkung erwartete. Die Bedenken von Gümbel bewogen mich indessen die Versuche mit der eingespannten Welle beizufügen, bei welchen auch nicht die geringste periodische Einwirkung vorhanden ist. Die Art, wie die kritischen Erscheinungen bei senkrechter Wellenlage ausbleiben, beweist, daß die Störung durch das Kreuzgelenk zwar vorhanden ist, aber nicht ausschlaggebend war. (Schluß folgt.)