Titel: Aenderung der Visierstellung beim Schießen unter verschiedenen Geländewinkeln.
Autor: K. Michalke
Fundstelle: Band 333, Jahrgang 1918, S. 82
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Aenderung der Visierstellung beim Schießen unter verschiedenen Geländewinkeln. Von Dr. K. Michalke, Berlin-Siemensstadt. MICHALKE: Aenderung der Visierstellung beim Schießen usw. Beim Bestimmen der Visierstellung einer Schußwaffe wird immer von dem einfachsten Falle ausgegangen, daß die Visierlinie, d.h. die Gerade zwischen Waffe und Ziel, wagerecht ist. Es entsteht nun die Frage, wie die Visierstellung, nämlich der von der Zielentfernung abhängige Winkel zwischen der Visierlinie und der Rohrachse zu ändern ist, wenn die Visierlinie von der Wagerechten nach oben oder nach unten um den sogenannten Geländewinkel abweicht. Bei nicht erheblichem Geländewinkel kann dessen Einfluß mit genügender Genauigkeit durch das sogenannte Schwenken der Geschoßbahn berücksichtigt werden, indem der Geländewinkel zu dem Visierwinkel einfach hinzugefügt bzw. von ihm abgezogen wird. Wie aber die nachfolgende Untersuchung zeigt, würde dieses Verfahren bei großem Geländewinkel, beispielsweise im Gebirgskriege, zu beträchtlichen Fehlern führen. Die Berechnung der Flugbahn wird außerordentlich erschwert, wenn alle atmosphärischen Einflüsse, die verschieden dichten Luftschichten in den einzelnen Höhenlagen, die Windrichtung und Windstärke usw. berücksichtigt werden sollen. Aber auch unter vereinfachenden Annahmen behalten die folgenden Untersuchungen ihre grundsätzliche Geltung. Es wird bei ihnen deshalb angenommen, daß während der Flugzeit die Widerstandsverhältnisse auf der Flugbahn sich nicht ändern. Die Teilbewegungen in lotrechter und wagerechter Richtung können unabhängig voneinander behandelt werden. Die Beschleunigung an beliebiger Stelle der Flugbahn ist in wagerechter Richtung: \frac{d^2\,x}{d\,t^2}=-\frac{W}{m}\,\cos\,\varphi=-c\,v^2\,\cos\,\varphi (Abb. 1), wobei W der Widerstand des Geschosses in der Luft, m die Maße des Geschosses, demnach \frac{W}{m} die Verzögerung durch den Luftwiderstand ist, der proportional dem Quadra der Geschwindigkeit v angenommen wird, also \frac{W}{m}=c\,v^2. In lotrechter Richtung wird die Beschleunigung \frac{d^2\,y}{d\,t^2}=\frac{-m\,g-W\,\sin\,\varphi}{m}=-g-c\,v^2\,\sin\,\varphi. Die Geschwindigkeit in der x-Richtung ist \frac{d\,x}{d\,t}=v_{\mbox{x}}=v\,\cos\,\varphi, wenn v die Geschwindigkeit in der jeweiligen Flugrichtung ist. Entsprechend ist: \frac{d\,y}{d\,t}=v_{\mbox{y}}=v\,\sin\,\varphi. Es folgt: \frac{d^2\,x}{d\,t^2}=\frac{d\,v_{\mbox{x}}}{d\,t}=-c\,v^2\,\cos\,\varphi=-c\,v\,v_{\mbox{x}} \frac{d^2\,y}{d\,t^2}=\frac{d\,v_{\mbox{y}}}{d\,t}=-g-c\,v^2\,\sin\,\varphi=-g-c\,v\,v_{\mbox{y}}. Durch Integration findet man die Geschwindigkeit an einer Stelle im wagerechten Abstande x und in dieser Richtung vx = v0 cos (α + δ) e– cs, wobei v0 die Anfanggeschwindigkeit in der Bahnrichtung, s die Flugbahnlänge bis zur wagerechten Entfernung x bedeutet, α den Geländewinkel und δ den Visierwinkel, d.h. den Winkel, um den die Seelenachse der Schußwaffe gegenüber dem Geländewinkel α erhöht werden muß. Um die Beziehungen zwischen x und y zu erreichen, sei \frac{d\,y}{d\,x}=\mbox{tg}\,\varphi=u gesetzt.Nach dem Verfahren von J. Didion, vgl. Cranz, Lehrbuch der Ballistik I, äußere Ballistik. Leipzig-Berlin 1917 S. 151 bis 156. Dann wird \frac{d^2\,y}{d\,t^2}=u\,\frac{d^2\,x}{d\,t^2}+\frac{d\,u}{d\,t}\,.\,\frac{d\,x}{d\,t}, -g-c\,v\,v_{\mbox{y}}=-c\,u\,v\,v_{\mbox{x}}+\frac{d\,u}{d\,t}\,.\,\frac{d\,x}{d\,t}, oder nach einigen Umformungen: \frac{d\,u}{d\,x}=-\frac{g\,e^{2\mbox{\,c\,s}}}{{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)}. Die Gleichung läßt sich unter bestimmten Vernachlässigungen integrieren. Ist die Flugbahn sehr flach, so kann bei kleinerem Winkel δ die Länge der Flugbahn der zugehörigen Sehne gleichgesetzt werden. Ist doch zum Beispiel bei der Kreisbahn das Verhältnis von Bogen zur Sehne bei einem Sehnentangentenwinkel δ = 5° nur 1,0018, bei δ = 10° nur 1,0051.Für stark gekrümmte Flugbahnen gelten die entwickelten Formeln für Teilstrecken der Bahn. Die Flugbahn wird in diesem Falle stückweis berechnet. Es ist dann Textabbildung Bd. 333, S. 82 Abb. 1. s=\frac{x}{\cos\,\alpha}=\frac{y}{\sin\,\alpha}, und es wird: d\,u=-\frac{g\,e^{2\mbox{\,c\,x}/\cos\,\alpha}\,d\,x}{{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)} \int_{\mbox{u}=\mbox{tg}\,(\alpha+\delta)}^{\mbox{u}=\mbox{tg}\,\varphi}\,d\,u=-\frac{g}{{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)}\,\int_0^{\mbox{x}}\,e^{2\mbox{\,c\,x}/\cos\,\alpha}\,d\,x u=\frac{d\,y}{d\,x}=\mbox{tg}\,(\alpha+\delta)+\frac{g\,\cos\,\alpha\,(1-e^{2\mbox{\,c\,x}/\cos\,\alpha})}{2\,c\,{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)} y=x\,\left[\mbox{tg}\,(\alpha+\delta)+\frac{g\,\cos\,\alpha}{2\,c\,{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)}\right]-\frac{g\,\cos^2\,\alpha\,(e^{2\mbox{\,c\,x}/\cos\,\alpha}-1)}{4\,c^2\,{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)}. Ist die geradlinige Entfernung zwischen Anfang und Ende der Flugbahn a, also y = a sin α, x = a cos α, so wird nach einigen Umformungen \cos^2\,(\alpha+\delta)-\frac{\sin\,2\,(\alpha+\delta)}{2}\,\mbox{ctg}\,\alpha=\frac{g\,\cos^2\,\alpha\,(2\,a\,c+1-e^{2\mbox{\,c\,a}})}{4\,c^2\,{v_0}^2\,a\,\sin\,\alpha} . . . (1) Für das Schießen in wagerechter Richtung (α = 0) geht diese Gleichung über in \sin\,2\,\delta_0=\frac{g\,(e^{2\mbox{\,c\,a}}-1-2\,a\,c)}{2\,a\,c^2\,{v_0}^2} . . . (2) Wird der Visierwinkel für die Wagerechte δ0 in Gl. (1) eingeführt, so erhält man für die erforderliche Erhöhung δ bei aufwärts geneigten Zielen, also positivem α \cos^2\,(\alpha+\delta)-\frac{\sin\,2\,(\alpha+\delta)}{2}\,\mbox{ctg}\,\alpha=-\frac{\cos^2\,\alpha\,\sin\,2\,\delta_0}{2\,\sin\,\alpha} (1a) Hiernach kann die Aenderung des Winkels δ, also der Visierstellung, bei verschiedener Höhe des Zieles berechnet werden. Für das Schießen abwärts, also bei negativen Werten von α wird \cos^2\,(-\alpha+\delta)+\frac{\sin\,2\,(-\alpha+\delta)}{2}\,\mbox{ctg}\,\alpha=\frac{\cos^2\,\alpha\,\sin\,2\,\delta_0}{2\,\sin\,\alpha} \cos^2\,(\alpha-\delta)-\frac{\sin\,2\,(\alpha-\delta)}{2}\,\mbox{ctg}\,\alpha=\frac{\cos^2\,a\,\sin\,2\,\delta_0}{2\,\sin\,\alpha} . . (3) Die Gleichungen gelten für kleine Werte von δ, also nicht für indirektes Schießen Für solche kleinen Werte von δ können die Gleichungen noch vereinfacht werden, indem die linke Seite als Funktion von (α + δ) nach Potenzen von δ entwickelt wird. Die Glieder mit höherer als der ersten Potenz von δ können hierbei vernachlässigt werden. Es ergibt sich nach dem Differentiieren und dem Zusammenziehen der einzelnen Glieder \delta=\frac{\cos\,\alpha\,\sin\,2\,\delta_0}{2} oder in Annäherung sin δ = sin δ0 cos α . . . . . (4) In Annäherung ergibt sich somit eine einfache Beziehung zwischen dem Visierwinkel δ0 bei wagerechter Visierlinie und dem Visierwinkel bei beliebigem Geländewinkel a und zwar sowohl bei erhöhtem wie gesenktem Ziele. Die Gl. (4) ist die nach dem von Burgsdorff und Soucin im Schwenkverfahren annäherungsweise graphisch ermittelte Formel, wie aus den geometrischen Beziehungen zwischen a, h, δ, δ0 und a in den beiden Dreiecken (Abb. 2) unmittelbar hervorgeht. Es wird hierbei für kleine Werte von δ angenommen, daß für gleiche Entfernung a des Zieles die Senkung h des Geschosses für verschiedene Geländewinkel α annähernd gleich bleibt.Vgl. Cranz a. a O. S. 253 bis 254. Textabbildung Bd. 333, S. 83 Abb. 2. Als Beispiel diene eine Schießweite a = 1000 m, eine Anfanggeschwindigkeit v0 = 500 m/sec. Die Konstante für den Luftwiderstand sei c = 0,001, dann ist für den wagerechten Schuß (Gl. 2) δ0 = 2° 28' 12''. Die Aenderungen von δ bei verschiedenen Geländewinkeln aufwärts oder abwärts können entweder nach der strengeren Formel (1a), (3) oder der angenäherten Formel (4) berechnet werden. Es ergeben sich (Abb. 3) hiernach folgende Werte: α aufwärts abwärts δ berechnet nach (1a), (3) nach (4) 0 2° 29' 12'' 15° 2° 24' 47'' 2° 21' 34,5'' 2° 23' 9'' 30° 2° 11' 12'' 2° 5' 40'' 2° 8' 20'' 45° 1° 48' 10,5'' 1° 41' 42,5'' 1° 44' 47'' 60° 1° 16' 35'' 1° 10' 48,5'' 1° 14' 5'' 75° 0° 40' 2,5'' 0° 36' 50,5'' 0° 38' 21'' 90° 0 0 0 Die nach dem Cosinusgesetz berechneten Werte sind hiernach angenähert Mittelwerte der für das Schießen aufwärts und abwärts (Gl. 1a und 3) errechneten Werte. Textabbildung Bd. 333, S. 83 Abb. 3. Bei größerem Visierwinkel δ, etwa bei geringerer Anfanggeschwindigkeit v0 oder größerer Entfernung a, sind die Abweichungen, wenn nach der Cosinusformel (4) gerechnet wird, größer. Schon für δ0 = 5° wird für α = 45° der Visierwinkel δ45 nach der Cosinusformel 3° 32' oder 38/16°, nach der strengeren Gleichung 3° 46,5' oder 312/16°. In den meisten Fällen dürfte man, wenn es sich um kleine Visierwinkel handelt, mit der Cosinusformel auskommen. Will man nach der genauen Formel rechnen, so können die nach der Cosinusformel ermittelten Werte benutzt werden, um im Interpolationsverfahren die Werte von δ nach den Gleichungen (la) und (3) zu benutzen. Allgemein ergibt sich, daß, wenn das Visier für eine bestimmte Entfernung in der Wagerechten eingestellt ist, beim Schießen aufwärts oder abwärts niedriger gehalten werden muß, als der eingestellten Visierstellung entspricht.Vgl. Cranz a. a. O. S. 252. Textabbildung Bd. 333, S. 83 Abb. 4. Um sich ein Bild von der Größe der Fehler zumachen, die entstehen, wenn das Visier nicht den genauen Formeln entsprechend eingestellt ist, können die Abweichungen des Treffpunktes berechnet werden. In dem erwähnten Beispiel von 1000 m Zielentfernung und 500 m/sec. Anfanggeschwindigkeit verschiebt sich bei 1 Bogenminute Abweichung der Treffpunkt in der Höhe um etwa 0,3 m bei wagerechter Visierlinie, um etwa 0,5 m bei um 45° geneigter Visierlinie. Die Schußweite ändert sich bei 1' Abweichung um 3 bis 4 m, je nachdem die Visierlinie wagerecht oder geneigt ist. Unter den angenommenen Verhältnissen, also gleichbleibender Entfernung von 1000 m des Zieles bei verschiedenen Neigungen ergeben sich die in Abb. 4 dargestellten Flugbahnen. Die ausgezogenen Bögen stellen die Flugbahnen dar, wenn das Visier der Höhenlage des Zieles entsprechend auf den Abstand von 1000 m richtig eingestellt ist. Die gestrichelten Bögen zeigen die Flugbahnen, wenn das für ein wagerechtes Ziel in 1000 m Abstand eingestellte Visier unverändert auch für das Schießen aufwärts oder abwärts beibehalten werden würde. Die Treffpunkte würden zu hoch oder zu weit entfernt liegen, und zwar um so mehr, je größer die Neigung gegen die Wagerechte ist. Wird die Aufgabe gestellt, daß bei unveränderter wagerechter Entfernung der Zielpunkt sich in der Höhe verschiebt, so ändert sich mit dem Neigungswinkel α auch die Entfernung des Zieles. In der entwickelten Bedingungsgleichung zwischen x und y sei die wagerechte Entfernung x = d gesetzt, dann ist y = d tg α. Es wird nun d\,.\,\mbox{tg}\,\alpha=d\,.\,\left[\mbox{tg}\,(\alpha+\delta)+\frac{g\,\cos\,\alpha}{2\,c\,{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)}\right]-\frac{g\,\cos^2\,\alpha\,(e^{2\mbox{\,c\,d}/\cos\,\alpha}-1)}{4\,c^2\,{v_0}^2\,\cos^2\,(\alpha+\delta)}. Nach einigen Umformungen erhält man \sin\,2\,(\alpha+\delta)-2\,\mbox{tg}\,\alpha\,\cos^2\,(\alpha+\delta)=\frac{g\,\cos^2\,\alpha\,(e^{2\mbox{\,c\,d}/\cos\,\alpha}-1)-2\,c\,g\,d\,\cos\,\alpha}{2\,c^2\,{v_0}^2\,d}. (5) Für α = 0 ergibt sich hieraus wieder die Gl. (2): \sin\,2\,\delta_0=\frac{g\,(e^{2\mbox{\,c\,d}}-1-2\,c\,d)}{2\,c^2\,{v_0}^2\,d}. Trägt man die Logarithmen von v02 sin 2δ0 zeichnerich in Abhängigkeit von d auf, so erhält man, wenn wieder c = 0,001 gesetzt wird, für d > 700 m eine Gerade. Für größere Entfernungen kann hiernach gesetzt werden log v02 sin 2δ0 = 3,58095 + 0,00075206d oder etwa \sin\,2\,\delta_0=10^{0,00075\mbox{\,d}}\,.\,\frac{3800}{{v_0}^2} . . . (2a) oder für nicht zu große Werte von δ \sin\,\delta_0=10^{0,00075\mbox{\,d}}\,.\,\frac{1900}{{v_0}^2} . . . (2b) Für Ziele in der Neigung α bei feststehender wagerechter Entfernung d erhält man, da die unmittelbare Entfernung des Zieles a = d/cos α ist \sin\,\delta=10^{0,00075\mbox{\,a}}\,.\,\frac{1900}{{v_0}^2}\,\cos\,\alpha . . . (4a) und \sin\,\delta=10^{0,00075\mbox{\,d}/\cos\,\alpha}\,.\,\frac{1900}{{v_0}^2}\,\cos\,\alpha . . . (5a) Nach dieser vereinfachten Näherungsformel lassen sich in bequemerer Weise als nach Gl. (5) für verschiedene Werte von α bei feststehendem d die zugehörigen Visierwinkel berechnen. Umgekehrt läßt sich für veränderliche Winkel δ die zugehörige Entfernung d berechnen. Da der Exponentialwert 100,00075 d/cos α (Gl. 5a) mit zunehmendem α stärker wächst als cos α abnimmt, so nimmt δ mit steigenden Werten von α zu. In Abb. 5 sind für eine Anfanggeschwindigkeit v0 = 750 m/s und einen wagerechten Abstand d = 2000 m die Flugbahnen eingezeichnet. Während bei wagerechtem Ziel der Visierwinkel 64/16° beträgt, muß er auf 610/16° bei 15° Neigung, auf 93/16° bei 30° und auf 1910/16° bei 45° Neigung erhöht werden. Würde auch bei erhöhtem Ziel mit dem für das wagerechte Ziel eingestellten Visier geschossen werden, so würde der Treffpunkt zu kurz liegen oder zu tief, wie in Abb. 5 durch die gestrichelten Linien angedeutet ist. Textabbildung Bd. 333, S. 84 Abb. 5. Während also bei gleichbleibender Entfernung des Zieles beim Schießen aufwärts oder abwärts stets tiefer gehalten werden muß (Abb. 4) als beim Schießen in wagerechter Richtung, muß bei gleichbleibendem wagerechten Abstand und erhöhtem Ziel stets höher gehalten werden (Abb. 5).