Titel: Taktik und Technik.
Autor: A. Rotth
Fundstelle: Band 333, Jahrgang 1918, S. 172
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Taktik und Technik. Von A. Rotth, Berlin. ROTTH, Taktik und Technik. Die Bedeutung der Technik für Heerwesen und Kriegführung hat der Weltkrieg eindringlich vor Augen geführt. Fürsorglich hatte unsere Heeresleitung in der Friedenzeit die Technik in umfangreichem Maße in ihren Dienst gestellt, der Krieg hat zu einer ungeahnten Steigerung dieser Maßnahmen geführt. Bei aller Wertschätzung ihrer Leistungen wurde aber und wird auch wohl noch die Technik in der Armee oft als ein dem soldatischen Wesen Fremdartiges oder gar Gegensätzliches angesehen. Ihren Ausdruck fand diese Vorstellung häufig in der Wertung der Pionierwaffe, die ihrer Natur nach an erster Stelle als Vermittlerin zwischen Soldatentum und Technik erscheint. Gelegentlich freilich wurden in der Militärliteratur auch andere Stimmen laut. So erschien im Militär-Wochenblatt 1907 (Nr. 156 vom 7. 12.) von einem ungenannten Verfasser ein kurzer Aufsatz „Die Technik im Heere“, in dem die gekennzeichnete Vorstellung unter Hinweis auf eine Reihe bekannter Namen bekämpft wurde. Dieser Aufsatz gab mir damals Anlaß zu einer kleinen Arbeit, die als Ergänzung der vorhergehenden gedacht war, indessen nicht zum Abdruck gelangte. Soldaten und Techniker haben nach den Erfahrungen des Krieges gleichermaßen Grund, sich mit der Frage zu befassen. Es wurde mir deshalb nahegelegt, meinen damaligen Versuch noch jetzt zu veröffentlichen. Trotzdem dieser nur gewisse Seiten des Gegenstandes betrachtet und durchaus keine erschöpfende Behandlung darstellt, gebe ich ihn nachfolgend in unveränderter Form, nur mit nachträglichen Anmerkungen versehen und unter Weglassen der überflüssigen Einleitung. * * * Die nachstehend entwickelten Ansichten über militärische und technische Tätigkeit berühren sich vielfach nahe mit denen des eingangs erwähnten Aufsatzes. Nur scheint in diesem mehr von einem ergänzenden Nebeneinander soldatischer und technischer Kunst die Rede zu sein, als von einer Einheit, die man bei weiterer Fassung des Begriffes „Technik“ und nach dem üblichen Sprachgebrauche übertreibend mit den Worten kennzeichnen darf: „Kriegskunst ist Technik“. In dem genannten Aufsatze ist eine größere Anzahl bekannter Namen aufgeführt,Es waren genannt: Vauban, Totleben, Lee, Kamecke, Faidherbe, Denfert, Wolseley, Kitchener, Foerster, Kondratenko, Franke. deren Träger sich als Truppenführer bewährten, teilweise in den größten Verhältnissen, trotzdem sie (so muß man im Sinne der herrschenden Anschauungen sagen) von Hause aus Ingenieuroffiziere waren. In dieser Namenliste könnte als weiteres gutes Beispiel der Marschall Niel stehen, der vor Rom (1849) und vor Sebastopol die Ingenieurarbeiten leitete, bei Magenta und Solferino mit Auszeichnung eine Division führte und sich schließlich als Organisator hervortat. Uebergänge höherer Offiziere vom Ingenieurkorps zur Truppenführung haben in Frankreich und auch wohl in Oesterreich (Mollinary) immer weniger Befremdliches gehabt, als bei uns. Augenblicklich1908. haben wir nur einen Divisionskommandeur, der unmittelbar aus dem Ingenieurkorps kam. Von dem Wirken des Marschalls Niel urteilt die Vorrede unseres Generalstabswerkes 1870/71, die unter seiner Leitung geschaffenen Gefechtsvorschriften hätten in der Betonung der Defensive die Eigenart der Spezialwaffe des Urhebers erkennen lassen. Vielen wird dieses Urteil an solcher Stelle auffallend gewesen sein. Hatten doch in den drei Kriegen vorher unsere Ingenieure und Pioniere gerade so viel und so wenig Gelegenheit gehabt, sich defensiv zu betätigen, wie die anderen Waffen! Ist denn nicht auch der weitaus größte Teil des vielseitigen Pionierdienstes der Unterstützung offensiver Kriegshandlungen gewidmet, und sollten die Ingenieuroffiziere in ihrer Gesamtheit deshalb an offensivem Drange Schaden leiden, weil sie auch den Festungsdienst versehen?Von berufenster Seite ist seitdem dieser Gegenstand eingehend behandelt: Beseler, „Ingenieurkunst und Offensive“ (Vierteljahrshefte für Truppenführung und Heereskunde, 1910, drittes Heft). Immerhin bildet die Aeußerung des Generalstabswerkes die mildeste Form der weit verbreiteten Anschauung vom Wesen der sogenannten technischen Waffe. Nach Bestätigungen, von jedem Grade der Offenherzigkeit, braucht man in der Armee nicht lange zu suchen, wenn auch nicht viel davon gedruckt wird. Der bekannte Major Scheibert erzählt in seinen Erinnerungen, ein ihm wohlwollender höherer Offizier habe ihm im Kriege 1864 gesagt, er möchte gern was für ihn tun, es sei ihm aber nicht möglich, weil Scheibert Ingenieur sei. In einem vor Kurzem erschienenen Buche (von Oberstleutnant Layriz) ist zu lesen, die Zeit liege nicht weit zurück, wo ein Offizier vermeiden mußte, ein Interesse für die Technik zu zeigen, um sich nicht die Karriere zu verderben. Aber in Bestätigung der allgemeinen Ansichten sagt derselbe Schriftsteller gleich auf der folgenden Seite: „Mit der taktischen Schulung tritt aber die technische gar nicht in Konkurrenz. Es sind ganz verschiedene Gebiete...“ Dieses vermeintliche bloße Nebeneinander der Gebiete, das bei vielen schlechtweg ein Widereinander ist, erklärt ungezwungen die auffallenden Schwankungen, die sich in den letzten Jahren beim Ingenieurkorps und den Pionieren gezeigt haben. Was die Armee von der Technik denkt, ist nur ein Spiegelbild dessen, was der Ziviltechniker ganz allgemein über seinen Beruf hört. Der Techniker gilt, wenn man ihm recht viel Ehre erweisen will, als der gelehrte „Rechner“, bei weniger Höflichen als einseitiger Routinier. Selbst innerhalb der technischen Kreise ist das Verständnis für die wissenschaftliche Kunst, die von den Vertretern der einzelnen Zweige ausgeübt wird, auffallend gering. Wie viele Architekten glauben wohl, daß die Arbeit des Schiffsbauers („Schiffsarchitekten“ sagen die Engländer) oder des Maschinenbauers sich wohl in Besonderheiten, nicht aber im Kerne von der ihrigen unterscheidet? Die hier und da gestiegene Wertschätzung des Technikers hat weniger besseres Verständnis, als die Entwicklung der technischen Staatslaufbahnen und der technischen Titel zur Ursache. Napoleon I. dachte über die Technik anders. „Im Kriegswesen gibt es nichts, was ich nicht selbst machen könnte.“ Er rühmte sich, unter anderem Unterricht in der Herstellung von Pulver und Geschützen in allen Einzelheiten geben zu können. Der alte Kriegsmeister hätte wohl nicht seine technischen Kenntnisse so betont, wenn er die Technik als ein Etwas angesehen hätte, das zu einem Kriegsmanne nicht recht passe oder ihn gar in seinem Berufe schädige. Auch Scharnhorsts Tätigkeit haben eingehende Kenntnisse der gesamten damaligen Militärtechnik erweislich keinen Abbruch getan. Nach dem vorigen Ausspruche Napoleons könnte noch scheinen, als wenn er die Technik nur als notwendiges Hilfsmittel der Kriegskunst betrachtet hätte. Er hat aber auch die kurze und für seine Anschauung wohl kennzeichnendste Erklärung hinterlassen: „Es beruht alles (in der Kriegskunst) auf einem mechanischen und einem moralischen Prinzip“. Das heißt doch wohl nichts anderes als: Die Kriegskunst ist eine technische Kunst, bei deren Ausüben aber an die seelischen Eigenschaften bosonders hohe Anforderungen gestellt werden. Es ist reine Technik, Truppenmassen in zweckdienlicher Verteilung anzusetzen, ihre Formen mit Rücksicht auf die Waffenwirkung und das Gelände nach Bedarf zu ändern, die Waffen auf Grund ihrer physikalischen Eigenschaften anzuwenden. Räumliches Vorstellungsvermögen, lebhafte Phantasie, die zahllose Möglichkeiten vor das innere Auge zaubert, Erfahrung, die bestimmte Wirkungen aus früheren ähnlichen Lagen voraussehen läßt, wissenschaftliche Vertiefung, die aus der verwirrenden Menge der Einzelerscheinungen mit kritischer Schärfe das Gesetz ableitet, ohne es zum Dogma werden zu lassen – das sind die geistigen Eigenschaften und Tätigkeiten, die der Soldat besitzen und üben muß, gerade wie der Ziviltechniker, der eine Brücke baut, oder eine Maschine, oder ein Hüttenverfahren leitet, in allen Abstufungen von der routinemäßigen Anwendung gewohnter Regeln bis zum freien künstlerischen Erfinden und Anwenden neuer Formen. Hat doch auch Friedrich der Große gesagt, wo er von dem Coup d'oeil eines Generals spricht, der zum richtigen Gebrauch der Truppen im Gelände notwendig sei: „Das Fundament zu dieser Art von richtigem Blick ist unstreitig die Fortifikation“. Also das, was so oft als technisches Sondergebiet ohne rechten Zusammenhang mit dem eigentlichen Soldatenwesen nur mit Duldung betrachtet wird. An seelischen Eigenschaften verlangt die technische Kunst ganz ähnliches vom Techniker im engeren Sinne wie vom Soldaten: Entschlußkraft, Freude an der Verantwortlichkeit, Wagemut. Diese Eigenschaften hat freilich der Soldat auf den Höhepunkten seines Berufes, im Kriege, in besonders hohem Grade zu entwickeln, wo selbst Handlungen, die unter gewöhnlichen Umständen gewohnheitmäßig vollzogen werden, zu hohen Leistungen werden können, wenn die Gefahr für das eigene Leben und die aufs Höchste gesteigerte Verantwortlichkeit die ruhige Ueberlegung beengen wollen. Schon die Schnelligkeit der Kriegshandlungen und das Gefühl, die gegebene Lage als nicht wiederkehrend ausnutzen zu müssen, schaffen auch für nicht unmittelbare Kampfestätigkeiten einen besonderen Maßstab. Eine aus dem Stegreif gebaute Feldbrücke kann mehr technisches Talent erweisen, als eine mit Ruhe und Bedächtigkeit entworfene große Eisenbrücke. Die Kriegskunst ist die höchste Technik. Die Aehnlichkeit der für die Technik im engeren Sinne und die Kriegskunst notwendigen Eigenschaften hat oft genug eine Umwandlung ihrer Vertreter gezeitigt, ganz abgesehen von Ingenieuroffizieren, die sich als Truppenführer bewährten. Die Soldaten Poncelet und Werner Siemens, um nur berühmte Beispiele zu nehmen, wurden Techniker, aus dem Techniker Freycinet entwickelte sich unter den erschwerendsten Umständen ein geschickter Kriegsminister. Carnot war praktischer Soldat und gleichzeitig technisch-wissenschaftlicher Forscher. Hat nicht schon Archimedes ein Beispiel von der Wesengleichheit der beiden Künste gegeben, ebenso Leonardo da Vinci? Und bieten nicht unsere Tage noch viel sprechendere Beispiele, wie das des eben verstorbenen Generalleutnants, damaligen Hauptmannes H. v. Müller, der, als richtiger Maschinenbauer, die kurze 15 cm-Kanone ausbildete und sie vor Straßburg zum ersten Male zum indirekten Breschieren anwendete? Erscheint manchem vielleicht die behauptete Wesengleichheit zunächst befremdlich, so muß er sich vor allem von der üblichen komischen Vorstellung frei machen, als wenn der Techniker ein mit allerlei „trockenen“ mathematischen Sätzen behafteter Mann sei, der das zu Papier bringt, was er „errechnet“ hat. Es hat große Techniker gegeben, wie die beiden Stephenson, und Physiker wie Faraday, die in der schulmäßigen Mathematik von jedem heutigen Tertianer hätten beschämt werden können, andere, wie Watt, Werner und Wilhelm Siemens, die als große Techniker auch der rein wissenschaftlichen Forschung gedient haben. Der Begriff „Technik“ ist bei der Uebertragung auf die Kriegskunst im weitesten Sinne zu nehmen. Der Zweifler muß ferner bedenken, daß der Inhalt der Technik sich mit den Zeiten gewandelt hat. Den Soldaten früherer Zeit als Techniker ansehen zu sollen, mag sonderbar erscheinen, aber nur deshalb, weil von einer damaligen Technik im heutigen Sinne nicht gesprochen werden kann. Der heutige Soldat aber, der alle geeigneten Mittel der mehr und mehr verfeinerten Technik für seine Zwecke auswählt oder selbst schafft, um sie unmittelbar oder mittelbar für den Kampf zu verwenden, in einer geistigen Betätigung, die sich nicht von der unterscheidet, die ihn die Mittel finden oder herstellen ließ, ist selbst Techniker, wenn er Soldat sein will. Eine begriffliche Trennung von Kriegskunst und Technik ist nicht möglich. Diese Scheidung, die nach heute noch geltender allgemeiner Vorstellung besteht, erfährt zwar von selbst mehr und mehr eine Abschwächung. Diese bewußt zu fördern, scheint jetzt aber besonders wichtig zu sein. Das gegenseitige Verstehen der Waffengattungen, ihre Organisation und Friedensübungen, werden erschwert, wenn der einen oder anderen ein größeres Maß von Technik im Gegensatz zum eigentlichen Kriegswesen zugeschrieben wird, wenn der soldatische Geist in einen Widerspruch zum technischen gedrängt werden soll und nicht allein in den erhöhten seelischen Eigenschaften gesucht wird, die das Kriegshandwerk erheischt. Mit dem Aufhören der künstlichen Scheidung nahe verwandter Zweige desselben Stammes entwickelt sich ungezwungener die richtige Einschätzung der einzelnen Gebiete und ihrer besonderen Anforderungen, die in ihrer Gesamtheit das moderne Kriegswesen ausmachen. * * * Nachtrag. Die Erscheinungen des jetzigen Krieges werden der späteren kritischen Behandlung der vorstehend berührten Fragen eine Ueberfülle von Stoff bieten. Die Reihe von Pionieroffizieren, die sich als Truppenführer aller Grade bewährt haben, wird eine bedeutende Verlängerung erfahren. Hier sei nur aus dem Anfange des Krieges an die Namen Beseler und Joffre erinnert. Der Kern der Sache liegt in der inneren Wesengleichheit von Kriegskunst und Technik. Mit Genugtuung konnte ich inzwischen aus den Kreisen der bürgerlichen Technik eine Uebereinstimmung mit Professor M. Kloß („Der Allgemein wert des technischen Denkens“, Rektoratsrede 1916) entnehmen. An einem besonderen Beispiele („Werner v. Siemens als Soldat und Kriegstechniker“, 1916) habe ich ferner eine Bekräftigung meiner Auffassung zu geben versucht. Andrerseits bin ich im Gespräche mit höheren Offizieren mehrfach einer Mißdeutung meiner Ansichten begegnet, als meinte ich, daß etwa Leute wie Brialmont, Schumann, Reinhold Wagner und andere, weil sie in der Befestigungskunst hervorragend waren, eben deshalb auch als Truppenführer geeignet gewesen seien. Das habe ich gewiß nicht sagen wollen. Jeder Zweig einer Kunst verlangt zu seiner vollkommenen Beherrschung besondere Veranlagung und Uebung, und so wenig ein Maler ohne weiteres ein Bildhauer sein kann, oder ein Elektrotechniker der Leiter eines großen Fabrikbetriebes, so wenig wird der Kriegsbaumeister von selbst schon Truppenführer sein. Alle Zweige der Kriegskunst haben aber einen gemeinsamen Stamm, das technische Denken, und deshalb kann die Betätigung in einem Zweige an sich nicht abträglich sein der in einem anderen. Vielleicht gewinnen diese Vorstellungen noch an überzeugender Kraft, wenn man sie auf die Verhältnisse der Marine überträgt. Es wird Aufgabe der Zukunft sein, die Armee mehr und mehr mit Technik zu sättigen und zu durchdringen, von den scheinbar einfachen Handlungen, die unmittelbar die Kampftätigkeit bilden, bis rückwärts in die Gebiete, die der bürgerlichen Technik zufallen. Im besonderen wird die Pionierwaffe bestrebt sein müssen, die wissenschaftlichen Grundlagen aller mechanischen Technik noch allgemeiner zu pflegen. Die immer zahlreicher werdenden Einzelformen wird nur der frei und geschickt verwenden, der geübt ist, das Zusammenspiel der Kräfte zu zergliedern. Wer eine Brücke bauen kann, wird auch am besten eine Brücke sprengen. Der Techniker Taylor hat gezeigt, wie selbst die einfache Schaufel nach Form, Größe und Handhabung eine wissenschaftliche Durchbildung verlangt, um ihren besten Wirkungsgrad zu bestimmen, und wie wenig man hier wie bei anderen Geräten dem handwerkmäßigen Herkommen trauen darf. Alle Zweige des vielseitigen Pionierdienstes bieten ähnliche und erweiterte Aufgaben, die um so klarer erkannt und nach der Lösung um so sachgemäßer auf den Ernstfall übertragen werden, je mehr wissenschaftlich-technische Schulung dabei Hilfe leistet.