Titel: Ueber Schrauben und Gegenmuttern.
Autor: Richard Seemann
Fundstelle: Band 333, Jahrgang 1918, S. 189
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Ueber Schrauben und Gegenmuttern. Von Richard Seemann, Charlottenburg. SEEMANN, Ueber Schrauben und Gegenmuttern. Gegenmuttern werden verwendet, um das Losewerden zu verhindern. Es soll untersucht werden, welchen Wert eine Gegenmutter hat und ob es zweckmäßig erscheint, die obere oder untere Mutter von kleinerer Höhe zu wählen. Textabbildung Bd. 333, S. 189 Abb. 1 und 1a. Zuerst untersuchen wir, welche Beanspruchung eine Befestigungschraube und deren Mutter erfährt, wenn alle Gewindegänge gleichmäßig anliegen ohne Berücksichtigung der Reibung. Abb. 1 stellt eine solche Ausführung im Längsschnitt dar. Wird der Körper A, der kein Gewinde enthalten darf, durch die Schraube B fest an M angeschraubt, so erfahren die Gewindeflächen C der Mutter einen gleichmäßig verteilten Druck \frac{1}{n}\,P auf jeden Gang, wenn n die Anzahl der Gänge ist, während zwischen den anderen Gewindeflächen ein Luftspalt entsteht, der bei allen Gängen von gleicher Größe sein wird. Der durch den Körper A gehende Schraubenschaft B wird in jedem Querschnitt durch die Kraft P gleichmäßig auf Zug beansprucht und der in der Mutter M steckende Gewindeteil des Bolzens B erfährt eine von P bis auf Null abnehmende Zugbelastung. Trägt man die Zugbelastung P für jeden Schraubenquerschnitt senkrecht zur Schraubenachse auf, so erhält man das Kräftebild Abb. 1a, das die eben geschilderte Belastungsart des Schraubenbolzens für jeden Bolzenquerschnitt darstellt. Würde man die Querschnitte nach der Größe der Bolzenbeanspruchung formen, so erhielte der Gewindebolzen eine dem Kräftebild ähnliche Form, vorn also kegelförmig und hinten zylindrisch. Holzschrauben sind nach diesem Gesichtspunkt ausgeführt. Abb. 2 zeigt eine zur Befestigung dienende Holzschraube nebst zugehörigem Kräftebild (Abb. 2a). Aehnliche Kraftbilder gelten auch für Stiftschrauben. Textabbildung Bd. 333, S. 189 Abb. 2 und 2a. Textabbildung Bd. 333, S. 189 Abb. 3 und 3a. Schraubt man auf den Bolzen B (Abb. 3), dessen Mutter M1 mit der für den Bolzen zulässigen Kraft angeschraubt sein mag, noch eine zweite Mutter, die Gegenmutter M2 auf, so erreicht man, daß in der Gegenmutter die nach derselben Seite liegenden Gewindflächen zur Anlage kommen müssen, wie in der Mutter M1. Der Flächendruck hängt von der Kraft ab, mit der die Muttern M1 und M2 angezogen werden. Wird die Gegenmutter schwächer als M1, beispielsweise mit der halben Kraft angeschraubt, dann zeigt uns das Kräftebild (Abb. 3a) in M1 bereits eine höhere Bolzenbeanspruchung und eine weitere Bolzenverlängerung des aus M1 herausragenden Gewindestückes. Die Schraubenflächen C1 des Bolzens fangen an, sich von den Schraubenflächen der Mutter Ml abzuheben. Das Abheben aller Gänge findet statt, wenn M2 mit der gleich großen, oder auch mit größerer Kraft angeschraubt wird, als M1. Meist schraubt man die Gegenmutter ebenso kräftig wie die Hauptmutter an, weil man der Meinung |st, dadurch das selbsttätige Lösen der Muttern sicherer Verhindern zu können, als mit einer Mutter. Der gewünschte Erfolg wird jedoch, wie ein Blick auf Abb. 3 zeigt, damit nicht erreicht, sondern nur ein Druckloswerden der Gewindeflächen C1. Durch weiteres stärkeres Anschrauben der Gegenmutter M2 tritt sogar in der Mutter M1 ein Druckwechsel ein. Die Sperrung ist alsdann durch das erzeugte Reibungsmoment bedingt und nur abhängig von der Anzugskraft der Gegenmutter. Diese Betrachtungen zeigen, daß die Gegenmutter M2 den vollen Bolzenzug übernehmen muß, während das Gewinde der Mutter M1 nur vorübergehend belastet wird. Eine Mutter trägt allein, die andere kann wegfallen, da sie für die Sperrung im allgemeinen wertlos ist. Durch Hinzufügen einer kräftigen federnden Unterlegscheibe an Stelle der zweiten Mutter kann die Sperrung selbst bei Erschütterungen und auch bei Ausdehnung des Bolzens besser erreicht werden, als durch Verwendung einer Gegenmutter. Textabbildung Bd. 333, S. 190 Abb. 4, 4a und 4b. Die Frage, welche der beiden Muttern höher zu wählen ist, kann nun beantwortet werden, nämlich beide Muttern sind in bezug auf ihre Höhe gleichwertig, die äußere Gegenmutter übernimmt dauernd den vollen Bolzenzug, die untere Hauptmutter wird überflüssig. Nur dann, wenn die Hauptmutter M1 ganz leicht gegen den Körper A, die Gegenmutter M2 aber sehr kräftig angezogen wird, entsteht zwischen Bolzen und Muttern eine gute Sperrung durch Verkeilung der Gewindegänge. Es legen sich die entgegengesetzten Schraubenflächen der Mutter M1 an die Spindelgänge an. dadurch kommt in M1 ein Druckwechsel zustande. Die Sperrkraft ist von der Differenz der nacheinander ausgeübten Anzugskräfte der beiden Muttern abhängig, sie ist bei lose gelagertem Bolzen B am größten, und es findet in diesem besonderen Falle bei loser Bolzenlagerung eine Sperrung statt, die den Erschütterungen und der Ausdehnung des Bolzens widersteht. Eine weitere Frage entsteht, welche Höhe muß überhaupt eine Schraubenmutter haben, damit ihre Gewindegänge von gleicher Festigkeit sind wie der Bolzenquerschnitt. Vorausgesetzt wird gleichartiges Material für Bolzen und Mutter. Die Tragkraft des Bolzens ist P=\frac{d^2\,.\,\pi}{4}\,k_{\mbox{b}} . . . . . . (1) Die Tragkraft der Muttergänge bei quadratischem Gewinde ist P=\frac{n\,s\,.\,d\,.\,\pi\,.\,k_{\mbox{m}}}{2} . . . . (2) wo n = Anzahl der Gänge, s = Steigung, n . s = h = Mutterhöhe, Kb = Km für gleichartiges Material. Aus (1) und (2) folgt die Mutterhöhe für rechteckiges Gewinde h_\square=n\,.\,s=\frac{2\,.\,d^2\,.\,\pi\,.\,k_{\mbox{b}}}{4\,.\,d\,.\,\pi\,.\,k_{\mbox{m}}}=\frac{d}{2}. Unter den gleichen Voraussetzungen wird die Mutterhöhe für Dreieckgewinde h_\triangle=\frac{d}{4}. Wählt man den Bolzen aus Eisen, die Mutter aus Messing und setzt kb = 32 und km = 16 kg/mm2, so findet man die Mutterhöhen für Dreieckgewinde und für quadratisches Gewinde h_\triangle=\frac{d}{2}, h = d. Ist der Bolzen aus Messing, die Mutter aber aus Eisen, so sind die Mutterhöhen h? = d/8, h_\square=\frac{d}{4}. Wie man sieht, schwankt die Mutterhöhe zwischen d und 1/8d. Maßgebend für diese ist das Material und der Flächendruck. Der Flächendruck darf den für das gewählte Material zulässigen Wert nicht überschreiten, damit kein Anfressen der Gewindeflächen stattfindet. Auch ist bei der Bestimmung der Mutterhöhe das Ansenken der Gewindegänge hinzuzurechnen. Für Dreieckgewinde genügt es bei gleichem Material d/2 als Mutterhöhe zu wählen. Untersuchen wir noch einen im Isolierkörper A befestigten Stromleitungsbolzen B (Abb. 4), der mit zwei Muttern M1 am Körper A angeschraubt wird und bei dem die beiden äußeren Muttern M2 zum Anschluß der Stromleitungen L dienen. Die Aufzeichnung der Kräftebilder Abb. 4a und 4b erleichtert uns die Anschauung. Wie aus diesen ersichtlich, entsteht in den einzelnen Bolzenquerschnitten eine ganz verschiedene Zugbeanspruchung, die von der Anzugskraft der Muttern abhängig ist. Durch gleichstarkes Anziehen der beiden Muttern M2 wird der Druck auf die Gänge C1 aufgehoben, eine Stromüberleitung findet durch M1 alsdann nicht statt, oder nur unsicher. Zur Stromleitung dienen allein die äußeren Muttern M2. Sind diese aus gut leitendem Material, so genügt im allgemeinen die einseitige Stromübertragung, so lange keine Bolzenerwärmung eintritt. Da bei Strombelastung der Bolzen B sich stärker als der Isolierkörper A ausdehnt, wird der Luftzwischenraum zwischen Mutter M1 und Körper A ein Lockern der Leitungen L zur Folge haben. Dadurch entsteht höhere Erwärmung. Die Verwendung federnder Unterlegscheiben begrenzt das Lockerwerden. Eine Ausführung ohne Federung gibt unsicheren Stromübergang mit nachfolgender Erwärmung der Kontaktstellen. Will man aus irgend welchen Gründen Federringe nicht verwenden, so muß der Ausdehnung des Bolzens von vornherein Rechnung getragen werden, indem man ihn lose lagert und die Leitung zwischen zwei Muttern unabhängig von der Bolzenbefestigung klemmt. Zusammenfassung. Es wird nachgewiesen, daß die Verwendung einer Gegenmutter wertlos ist, da sie keine bessere Sperrung ergibt als eine fest angeschraubte Mutter. Eine Ausnahme machen zwei gegeneinander geschraubte Muttern bei lose gelagertem Bolzen. In den meisten Fällen genügt eine kräftige, federnde Unterlegscheibe, um das Lösen zu verhindern. Sind Bolzen und Mutter aus demselben Material, so ist für gleiche Festigkeit bei Dreieckgewinde d/2 als Mutterhöhe ausreichend. Bei stromleitenden Bolzen darf die zur Befestigung dienende Mutter nicht als Auflage zum Gegenschrauben einer zweiten Mutter benutzt werden, weil bei Erschütterung und Erwärmung durch Ausdehnung des Bolzens eine Druckverminderung eintritt und die Sperrung nur durch die Differenz der Anzugskräfte der beiden Muttern erfolgen kann.