Titel: Rechts-Schau.
Autor: Werneburg
Fundstelle: Band 333, Jahrgang 1918, S. 218
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Rechts-Schau. Rechts-Schau. Umfang des Patentschutzes. Ueber den Umfang des Patentschutzes hat sich das Reichsgericht in mehreren Entscheidungen ausgesprochen. Nach der Entscheidung vom 9. Februar 1910 (Bd. 80 S. 55) kann der Anmelder im Zweifel den Schutz und nur den Schutz beanspruchen, der ihm nach dem Stande der Technik zur Zeit der Anmeldung gebührt, ohne daß es wesentlich darauf ankommt, ob ihm selbst oder der erteilenden Behörde dieser Stand der Technik bekannt war. Mit dieser grundsätzlichen Entscheidung hat das Reichsgericht seinen früheren Standpunkt, daß für die Auslegung des Patentes, mit anderen Worten also für die Ermittelung des Inhalts des patentierten Gegenstandes, die zu vermutende Kenntnis des Patentamtes von dem Stande der Technik maßgebend sei, aufgegeben. In seinem früheren Erkenntnis vom 1. Februar 1905 (P. M. J. Bl. 16 S. 107) heißt es nämlich in dieser Hinsicht folgendermaßen: „Bei der Auslegung der Patente ist der Stand der Technik zur Zeit der Anmeldung zu berücksichtigen, und es kann danach geboten sein, dem Patente eine geringere Tragweite beizumessen, als ihm ohne die Berücksichtigung von Veröffentlichungen dem Wortlaute des Patentanspruchs und der Beschreibung nach zuzuerkennen wäre, da ein Uebersehen des bereits Bekannten seitens der Patenterteilungsbehörde nicht zu vermuten ist.“ In seiner Entscheidung vom 11. Oktober 1905 (P. M. J. Bl. 12 S. 41) äußert sich das Reichsgericht folgendermaßen: „Für die Auslegung eines Patentes ist zunächst die Patentschrift die gewiesene Grundlage. Dadurch wird nicht ausgeschlossen, daß daneben auch andere, außerhalb gelegene Momente in Betracht kommen können, und insbesondere wird in geeigneten Fällen der Stand der Technik zur Zeit der Patentanmeldung als Interpretationsmittel verwertbar sein. Insofern in der Regel nicht angenommen werden darf, daß das, was damals in den einschlagenden Fächern und Betrieben allgemein bekannt war, noch unter Patentschutz habe gestellt werden sollen, kann es danach unter Umständen sogar gerechtfertigt sein, den weitergehenden Wortlaut des Patentes in einschränkendem Sinne auszulegen. Für die Schlüssigkeit dieses Auslegungsbehelfs ist aber Voraussetzung eine so allgemeine Kenntnis in den beteiligten Kreisen, daß man ohne besonderen Nachweis berechtigt ist, sie auch bei den Patentinteressenten und insbesondere bei der Patenterteilungsbehörde vorauszusetzen.“ Der jetzige Standpunkt des Reichsgerichts ist meines Erachtens als der richtige zu erachten und die in den beiden letzteren Entscheidungen ausgesprochne Auffassung abzulehnen. Denn es kann auf keinen Fall dem Patentanmelder in irgend einer Weise zum Nachteil gereichen, daß auf Seiten des Patentamtes keine völlige Kenntnis von dem Stande der Technik zur Zeit der Anmeldung des Patentes gegeben ist, zumal dem Patentgesetz selbst eine derartige Voraussetzung völlig fremd ist. Zweckmäßig wird es jedenfalls aber für den Anmelder eines Patentes stets sein, in der Beschreibung seines Patentes bei der Anmeldung seines Patentes den jetzigen Stand der Technik in knapper präziser Weise darzustellen, um irgendwelchem Zweifel in dieser Richtung den Boden zu entziehen. Zweifelhaft ist, ob und inwieweit die Gerichte zu. einer einschränkenden Auslegung des Patentes befugt sind. In seiner Entscheidung vom 27. Februar 1911 (Warneyer 1911 Nr. 255) äußert sich das Reichsgericht hierüber folgendermaßen: „Nicht mit Unrecht bezeichnet der Vorderrichter das Wesen des klägerischen Patentes damit, daß die Versteifung einer schon vorhandenen Lizze mittels Hämmern erfolgte. In dieser neuen Arbeitsweise ist an sich die Erfindung zu erblicken. Die Auslegung des Patentes und die Bestimmung des Schutzbereiches könnte sich aber dadurch ändern, daß nachgewiesen würde, daß die vorbezeichnete Arbeitsweise tatsächlich zur Zeit der Anmeldung des klägerischen Patentes im Sinne des § 2 PG. nicht mehr neu gewesen ist. Darauf scheint die unter Beweis gestellte Behauptung des Beklagten hinauszulaufen. Das Berufungsgericht hält die Behauptung des Beklagten für unerheblich, weil die angeblich offenkundige Vorbenutzung im Inlande dem Patentamt bei der Patenterteilung nicht bekannt gewesen sei. Diese Begründung ist aber rechtsirrtümlich Bei der Patenterteilung ist lediglich unter Schutz gestellt die in der Patentschrift näher bezeichnete Maschine, es ist aber nichts darüber gesagt, wie weit sich der Patentschutz erstreckt, ob er sich auf spezielle Konstruktion beschränkt, oder ob er alle Maschinen erfaßt, denen die oben bezeichnete Arbeitsweise eigen ist. Hierüber haben die Gerichte nach Maßgabe des Standes der Technik zur Zeit der Anmeldung nach dem Grundsätze zu entscheiden, daß dem Erfinder im Zweifel derjenige Schutz zusteht, der ihm nach der technischen Bedeutung zukommt. Darauf, ob dem Patentamte bei der Erteilung etwaige diese Bedeutung herabmindernde Veröffentlichungen oder Vorbenutzungen bekannt gewesen sind oder nicht, kommt es nicht an, wie das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen hat.“ In dieser Entscheidung ist also der Grundsatz aufgestellt, daß, falls in der Patenterteilung selbst nichts über den Umfang des Patentschutzes gesagt worden ist, die Gerichte hierüber nach Maßgabe des Standes der Technik zur Zeit der Anmeldung nach dem Grundsatz zu entscheiden haben, daß dem Erfinder im Zweifel derjenige Schutz zusteht, der ihm nach der technischen Bedeutung zukommt. Zu dieser Entscheidung führt Wayl (der Patentanspruchs. 163 ff.) aus: „Hier hat das Reichsgericht also in Abweichung von seinem früher eingenommenen Standpunkt die Grundsätze, die es für die Ausdehnung des Schutzumfanges über den Patentanspruch hinaus aufgestellt hatte, auch als für die Beschränkung gegenüber dem Patentanspruch maßgebend erklärt. Es sollen also nach dieser Entscheidung, obwohl der Patentanspruch zweifelsfrei als Kennzeichen des Gegenstandes der Erfindung den Arbeitsgang der Maschine angibt, entgegen dieser Formulierung diejenigen Maschinen mit gleichem Arbeitsgange vom Schütze ausgeschlossen sein, die schon offenkundig vorbenutzt waren.“ Der Auffassung des Reichsgerichts, die auch in seinen neueren Entscheidungen aufrecht erhalten geblieben ist (E. v. 8. 10. 1913 und 2. 12. 1914 Gew. R.-Schutz 20, 156; 21, 134) ist meines Erachtens in vollem Umfange beizustimmen. Bei der Auslegung des Patentes bezüglich seines Schutzumfanges muß für den Richter, falls der Patentschutzumfang in der Patenterteilungsurkunde nicht ausdrücklich festgestellt und bestimmt worden ist, ein Maßstab gegeben sein, der von ihm einheitlich bei seiner Beurteilung zugrunde zu legen ist; das kann aber nur der Stand der Technik zur Zeit der Anmeldung der Erfindung sein, so daß dem Erfinder im Zweifel derjenige Schutz zusteht, der ihm nach der technischen Bedeutung der Erfindung im Lichte des jetzigen Standes der Technik zukommt. Hiernach kann also auch eine solche Auslegung des Patentes Platz greifen, die zu einer Beschränkung des Schutzumfanges des Patentes führt, nämlich dann, wenn der Stand der Technik zur Zeit der Anmeldung eine derartige Einschränkung erforderlich macht; diese Beurteilung rechtfertigt sich, wie das Reichsgericht zutreffend hervorhebt, schon allein mit Rücksicht auf die zur Zeit der Anmeldung bereits bestehenden Vorbenutzungsrechte an der patentierten Erfindung. Sehr zutreffend führt das Reichsgericht in dieser Hinsicht aus: „Bei diesem Stande der Technik muß es also als ausgeschlossen gelten, daß dem Anmelder der allgemeine Gedanke geschützt worden ist. Anders wäre zu entscheiden, wenn die Patentschrift zweifelsfrei ergeben würde, daß dem Anmelder die Erfindung in dem von ihm behaupteten Umfange geschützt worden wäre. Das ist aber nicht der Fall. Wenn ein Anmelder mehr beansprucht als ihm nach dem Stande der Technik gebührt, und das Patentamt das Patent bewilligt, so darf, wenn nicht besondere Umstände etwas anderes bedingen, ohne weiteres als Wille der patenterteilenden Behörde angenommen werden, daß das Patent in dem Umfange, aber in keinem weiteren erteilt werden sollte, der objektiv nach dem Stande der Technik zulässig war“. Dr. Werneburg, Rechtsanwalt.