Titel: | Die praktische Arbeitszeit des Maschinenbaustudierenden. |
Autor: | Gümbel |
Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 173 |
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Die praktische Arbeitszeit des
Maschinenbaustudierenden.
Ein Beitrag zur Reform des
Hochschulunterrichts.
Von Prof. Dr. Ing. Gümbel, Charlottenburg.
GÜMBEL: Die praktische Arbeitszeit des
Maschinenbaustudierenden.
Eine der wichtigsten Fragen die Reform des Hochschulstudiums betreffend ist: Wie
kann die Ausbildungszeit des Studierenden verkürzt, der Studierende also in jüngeren
Jahren der Selbständigkeit zugeführt werden oder in anderer Form: Wie können die als
für die Ausbildung notwendig erkannten Lehrgebiete fruchtbarerer Bearbeitung
zugeführt werden?
Ich möchte mich in dem Folgenden bei Beantwortung dieser Fragen auf ein einzelnes
Lehrgebiet beschränken, nämlich auf die durch die Diplomprüfungen der technischen
Hochschulen vorgeschriebene praktische Ausbildung. Entsprechend den oben gestellten
Fragen wird Ziel und Zweck einer Reform auf diesem Gebiet sein müssen:
I. die Ausbildung innerhalb der aufgewendeten Zeit so gründlich
zu gestalten, daß die Zeit der praktischen Ausbildung verkürzt,
II. sie zugleich so zu leiten, daß das eigentliche Fachstudium
fruchtbarer gestaltet und vertieft werden kann.
Der heute übliche praktische Ausbildungsgang ist der, daß der junge Mann, welcher
sich dem Maschinenbaustudium zu widmen gedenkt, in einer Maschinenfabrik als
Volontär oder Praktikant „anzukommen“ versucht, ein oft mühsames und
unbefriedigendes Bemühen. In der Fabrik wird der junge Mann in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle sich selbst überlassen oder nach allgemeinen Anweisungen der
Betriebs- oder Geschäftsleitung durch die Werkstätten – häufig nur durch einen sehr
beschränkten Teil der Werkstätten – geführt Nur wenn er besonderes Glück hat, findet
er einen Betriebsleiter oder Meister, der sich die Mühe gibt, ihm mit Rat und
Auskunft zur Seite zu stehen und seine Ausbildung systematisch zu fördern. Vielfach
sind die Verhältnisse in den Betrieben derart – es fehlen z.B. Modelltischlerei,
Gießerei, moderne Arbeitsmaschinen oder Arbeitsverfahren – daß der Einblick, den der
Studierende erhält, gänzlich oberflächlich bleiben muß. Dabei hat der Aufenthalt in
der Fabrik oftmals nicht einmal den Erfolg, den gerade die idealdenkenden
Vertreter des heutigen Verfahrens ihm wünschen, daß der junge Mann den Arbeiter und
seine Denkweise kennen lernt. Der junge Mann bleibt vielmehr, allein auf sich
gestellt, ein Fremdkörper in der Fabrik und selbst, wenn Arbeitsordnungen und
Bezeichnungen jeden Unterschied zwischen Volontär und Arbeiter auszuwischen sich
bestreben, dem Arbeiter gegenüber gekennzeichnet durch sein Alter und seine
Unerfahrenheit, oft auch durch sein Widerstreben, sich in die gegebenen Verhältnisse
zu schicken. Was der praktischen Arbeitszeit fehlt, um sie zu einer wirklich
fruchtbaren zu gestalten, das ist
1. für Viele die geeignete Werkstätte, in denen die technischen Einrichtungen in
genügendem Umfang vertreten sind, um dem Lernenden ein lückenloses Bild des
Herstellungsganges, der Herstellungsmittel und einer mustergiltigen
Betriebsorganisation zu geben,
2. die systematische Anleitung während der Arbeitszeit, also der Lehrer, der dem
Blinden die Augen öffnet und ihn seine Umgebung überhaupt erst richtig erkennen
läßt. Es soll mit Dankbarkeit zugestanden werden, daß einzelne Fabriken sich
bestreben, diesem Mangel mit allen Kräften zu begegnen, indem sie die Tätigkeit der
Volontäre der Beaufsichtigung bestimmter Beamten anvertrauen: aber dieser Segen wird
doch nur sehr wenigen zu Teil. Die große Masse erledigt ihre
praktische Arbeitszeit mit einem Wirkungsgrad, welcher geringer ist als
derjenige, den die Lehrlingsausbildung erreicht.
Denn die Lehrlingsausbildung wird schon in verhältnismäßig
kleinen Betrieben systematisch betrieben, und selbst wenn der
Betriebsinhaber dieses Interesse seinem Arbeiternachwuchse nicht entgegenbringen
sollte, sorgt doch der Staat dafür, daß Fortbildungsschulen dem Lehrling zur
Verfügung stehen, sorgt das Gesetz dafür, daß der Lehrling zum Besuch der Schulen
angehalten und der Arbeitgeber verpflichtet wird, dem Lehrling die hierzu notwendige
freie Zeit zu geben.
Was nun dem einen Lehrling, dem Arbeiterlehrling recht ist, warum sollte das für den
zweiten, den Hochschülerlehrling, nicht billig sein? Ich
fordere für den Hochschülerlehrling die gleichen Rechte wie für den
Arbeiterlehrling, und die Anwendung der bei der Ausbildung des Arbeiterlehrlings
gewonnenen Grundsätze auch auf die Ausbildung des Hochschülerlehrlings.
Grundsätzlich muß also, wie bei der Lehrlingsausbildung, daran festgehalten werden,
daß die Ausbildung nur im Rahmen produktiver Arbeit geschehen kann, also nur in
Fabriken, deren Gesamtarbeiterzahl groß gegenüber der Zahl der auszubildenden
Lehrlinge ist. Also nicht von der Industrie getrennte Schulen oder Werkstätten,
nicht in Kursen innerhalb der Fabriken vereinte, aber vom eigentlichen Fabrikleben
abgesonderte Unterrichtsveranstaltungen. Nur dadurch, daß die
Schule sich in den lebendigen Fabrikorganismus eingliedert, kann sie ihre
Aufgabe voll erfüllen.
Die Schüler also als Arbeiter, als Lehrlinge in die Fabrik.
Aber nicht sich selbst überlassen oder einem vielbeschäftigten Meister oder
Betriebsingenieur zugewiesen. Die Schüler sind, wenn auch dezentralisiert
arbeitend, zentralisiert der Beaufsichtigung eines Mannes, ihres Lehrers,
anzuvertrauen. Mit der praktischen Arbeitszeit verbunden die Werkschule, die heute
selbst kleine Fabriken ihren Lehrlingen zugestehen. Denn mit der praktischen Arbeit
muß, soll sie fruchtbar sein, die systematische Belehrung Hand in Hand gehen über
den Zweck und das Wesen der Arbeit, über die Werkzeuge, das Material, über Lohn- und
Abrechnungswesen der Werkstatt usw. Nur so hat der Schüler vollen Erfolg seiner
Arbeit und genießt sie, indem er sie geistig durchdringt.
Zugleich bringt die Werkschule für unsere Hochschülerlehrlinge
und die Hochschule noch einen zweiten großen Vorteil. Die Ausbildung
während der praktischen Arbeitszeit kann so geleitet werden, daß damit dem Studium
an der Hochschule in ausgezeichneter Weise vorgearbeitet wird. Unsere Studenten
leiden mit wenigen Ausnahmen daran, daß es ihnen zunächst schwerfällt, sich in der
Sprache des Ingenieurs – durch die Zeichnung – richtig auszudrücken. Es fehlt die
räumliche Anschauung und es fehlt die Uebung der Hand im Zeichnen. Hier hat die
Werkschule einzusetzen. Neben dem den Zusammenhang in der
praktischen Arbeit gebenden Unterricht ist Zeichenunterricht und
Anschauungsunterricht zu pflegen. Ersterer möglichst in der Form
produktiver Arbeit, indem die Hochschülerlehrlinge zum Pausen der Werkzeichnungen
und zu einfachen Umzeichnungen herangezogen werden, – wohl verstanden nicht zum
Konstruieren, nur zum Zeichnen, – wobei der Lehrer dauernd auf die Zusammenhänge
zwischen Formgebung und Ausführung hinzuweisen hat, Anschauungsunterricht durch
Anfertigung von Aufnahmeskizzen fertiger mustergiltiger Maschinenteile.
Was also zu fordern ist, ist die Schaffung von Arbeitsgelegenheit für unsere
Studierenden verbunden mit Werkschulen eingegliedert in große Betriebe zweckmäßig in
Hochschulstädten, zur Ausbildung von Schiff- und Schiffsmaschinenbaustudierenden in
einer Seestadt, z.B. in Hamburg oder Kiel. In erster Linie käme wohl die
Eingliederung in staatliche Betriebe in Frage, doch zweifle ich nicht, daß auch
private Firmen einer derartigen das Volontärwesen systematisch regelnden und
produktiv gestaltenden Einrichtung ihren Betrieb öffnen würden.
An die Spitze jeder Werkschule, oder falls mehrere Fabriken in einer Stadt in Frage
kommen, der Werkschulen einer Stadt, ist ein ordentlicher Hochschullehrer zu
stellen, in der Betriebspraxis aufgewachsen und im Lehren erprobt, 'dessen Rechte
und Pflichten gegenüber der Werkleitung sich ohne Schwierigkeit aus seinen Aufgaben
ableiten lassen.
In die Werkschule für Hochschülerlehrlinge werden nur spätere Hochschulstudierende
aufgenommen. Die Lehrlinge werden wie die Arbeiterlehrlinge bezahlt und nehmen an
Akkorden usw. teil. Bei der Aufnahme ist entsprechend dem Kolleggeld ein einmaliger
Betrag zu entrichten welcher etwa dem mittleren den Lehrlingen zu zahlenden Lohnsatz
auf die Gesamtarbeitszeit berechnet entspricht, den sich also der Lehrling bei
Anstelligkeit und Fleiß während der praktischen Arbeitszeit wiedererarbeiten
kann.
Der Hochschülerlehrling gilt als Arbeiter und besitzt, abgesehen von dem Recht, zu
gewissen Tagesstunden zum Besuch der Schule der Arbeit fern bleiben zu dürfen, keine
Sonderrechte diesen gegenüber. Er erhält auch seine Arbeiten und Weisungen durch die
Werkstättenvorgesetzten – Vorarbeiter, Meister –, wobei den Forderungen der
systematischen Ausbildung durch Zusammenarbeiten des Werkschulleiters mit dem
Werkstättenvorsteher Rechnung getragen wird.
Die Werkschule ist vor dem Studium mindestens ein halbes Jahr und in den großen
Ferien während des zweiten und dritten Semesters durch zwei Monate zu besuchen. Trotz dieser von 12 Monate auf 8 Monate verkürzten praktischen
Arbeitszeit erwarte ich von der Einrichtung eine wesentliche Verbesserung der
heute bestehenden Verhältnisse.
Denn dem Studierenden stehen alsdann während seiner praktischen
Arbeitszeit wirklich mustergiltige Betriebe zur Verfügung, die Ausbildung wird
systematisch betrieben und damit fruchtbarer, der mit der praktischen Ausbildung
verbundene Unterricht im Zeichnen und in der Anschauung schafft rechtzeitig
diejenigen Hilfsmittel, deren der Fachunterricht notwendigerweise bedarf und
indem er die Hochschule von diesem Unterricht entlastet, wird Zeit für einen
vertieften Hochschulunterricht frei. Zugleich werden in den Werkschulleitern
Persönlichkeiten gewonnen, welche ais erfahrene Mittelspersonen zwischen Betrieb
und Hochschule auch sonst von Bedeutung für die Entwicklung des Unterrichts und
der Technik werden können.
Wenn die Hochschulen und die Industrie den hier vorgetragenen Gesichtspunkten
zustimmen, so dürfte es jetzt an der Zeit sein, die Vorschläge in die Wirklichkeit
umzusetzen. Staats- und Privatbetriebe sind heute mit organisatorischen Fragen
großen Stils beschäftigt und es dürfte denselben nicht schwer fallen, gerade jetzt
die geforderten Einrichtungen in die Betriebe einzugliedern. Andererseits ist es
heute für unsere Hochschuljugend besonders wichtig, die aufgewendete Zeit möglichst
nutzbringend zu verwenden.
Also weg mit der planlosen praktischen Arbeitszeit. Sie
planvoll gestalten heißt Lebenszeit sparen und zugleich dem Unterricht
vorarbeiten.