Titel: Die Lokomotivenfeuerbüchse Bauart Jacobs-Shupert.
Autor: Franz Mayer
Fundstelle: Band 335, Jahrgang 1920, S. 64
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Die Lokomotivenfeuerbüchse Bauart Jacobs-Shupert. Von Feuerwerkshauptmann Franz Mayer, Ingolstadt. MAYER: Die Lokomotivenfeuerbüchse Bauart Jacobs-Shupert. Trotzdem die Vorkämpfer für Elektrisierung der Eisenbahnen mehr und mehr an Boden zu gewinnen scheinen, werfen die Fabrikanten von Dampflokomotiven die Flinte noch keineswegs ins Korn. Wir erleben hier das gleiche Spiel wie seinerzeit in dem Kampfe zwischen elektrischem Lichte und Leuchtgas, nämlich daß die Siege der Elektrizität auf den Gegner nur befruchtend wirken. Textabbildung Bd. 335, S. 63 Abb. 1. So ist die Lokomotivindustrie vor allem bestrebt, nicht nur möglichst kräftige Lokomotiven zu bauen, welche fähig sind, die Züge über die stärksten Steigungen ohne Vorspann zu ziehen, sondern auch den Betrieb der einzelnen Lokomotive so wirtschaftlich wie möglich zu gestalten. Sie scheut dabei nicht davor zurück, bewährte Teile der Lokomotive vollständig umzugestalten. Diesem Bestreben dürfte wohl auch in Bälde die Feuerbüchse zum Opfer fallen. Der Aufbau dieses wichtigen Organes ist ungefähr noch derselbe, wie bei Stephensons „Planet“ vom Jahre 1830. Aber alle Neuformen vermochten nicht durchzudringen, und so blieben bei unseren modernsten Lokomotiven die Feuerbüchsen aus flachem Kupferblech bestehen, die mit ihren äußeren Umhüllungen, dem Mantelkessel, durch einen Wald von kupfernen Stehbolzen und eine große Anzahl von eisernen Deckenankern verbunden sind. Die Stehbolzen waren schon immer der schwache Punkt des ganzen Baues. Bei der ungleichmäßigen Ausdehnung der inneren und äußeren Feuerbüchsenwandung sind die Stehbolzen sehr der Bruchgefahr ausgesetzt. Der Verstärkung und Vermehrung der Stehbolzen sind gewisse Grenzen gesetzt. Die Verwendung von widerstandsfähigerem Stoffe an Stelle von Kupfer vermochte die Brüche nur zu vermindern, nicht zu beseitigen. Es konnten daher nur solche Neuformen Aussicht auf Erfolg haben, bei denen die Stehbolzen ganz oder zum großen Teile beseitigt sind. Eine solche Feuerbüchse ist die Brotan-Feuerbüchse, die in Oesterreich ausgebildet und dort auch bei einer Anzahl Lokomotiven verwendet wurde, die dalmatinische Kohle verfeuern. Die dalmatinische Kohle wirkt wegen ihres hohen Schwefelgehaltes stark angreifend auf die kupfernen Wände und die Köpfe der Stehbolzen. Brotan baute deshalb seine Feuerbüchse aus gebogenen nahtlosen Eisenrohren, die dicht aneinander gefügt sind und mit ihren Enden in ein Sammelrohr münden, so daß in sämtlichen Rohren das Kesselwasser umläuft. Aber auch diese Feuerbüchse hat, obwohl bei ihr das teuere Kupfer vollständig vermieden wurde, nur beschränkte Verbreitung gefunden. In Deutschland hielt man an der kupfernen Feuerbüchse fest, weil die versuchsweise verwendeten Feuerbüchsen aus Flußeisen gegenüber den kupfernen Feuerbüchsen verschiedene große Nachteile aufwiesen. Vor allem war ihre Haltbarkeit und Lebensdauer geringer als die der kupfernen Feuerbuchsen. Die Wände neigen zu Rißbildungen, die in der Regel von Stehbolzenlöcher ausgehen, eine bei kupfernen Feuerbüchsen viel seltenere Erscheinung. Trotz dieser offensichtlich die Betriebsicherheit beeinflussenden Nachteile zwang uns der Krieg dazu, zur Verwendung von flußeisernen Feuerbüchsen zu schreiten. Damit wurde aber auch der Umbau der Feuerbüchsen ein geradezu schreiendes Bedürfnis. Textabbildung Bd. 335, S. 64 Abb. 2. In Amerika, wo schon seit Jahrzehnten flußeiserne Feuerbüchsen in Verwendung sind, wurden schon mehrere Jahre vor dem Kriege Versuche gemacht, von der althergebrachten Feuerbüchse loszukommen und an ihre Stelle eine neue Form zu setzen, bei der die Mängel der alten Feuerbüchse vermieden sind, und die den modernen Lokomotiven sich organisch anpaßt. Bei der rauhen Behandlung, die in Amerika den Lokomotiven zuteil wird, machte sich dort das Bedürfnis einer neuen Konstruktion noch in stärkerem Maße geltend, als bei uns. Die beste der vorhandenen Neuformen scheint nun die Feuerbüchse der Bauart Jacobs-Shupert zu sein. Die erste Lokomotive dieser Bauart wurde 1909 in Dienst gestellt und 1911 betrug die Zahl der damit ausgerüsteten Lokomotiven bereits über 150. Bei der Jacobs-Shupert- Feuerbüchse kommen Stehbolzen nur mehr in der Heizrohrwand und in der Rückwand vor. Deckenanker und Stehbolzen in den Seitenwänden sind nicht mehr nötig. Im folgenden soll der Aufbau dieser Feuerbüchse geschildert werden: Die Seitenwände, die Decke und die Mantelbleche sind durch eine Reihe von halbelliptisch gebogenen, tragförmig gepreßten Blechen ersetzt, Rohrwand und Heiztürwand sind geblieben, wenn auch in stark veränderter Form. Desgleichen wird der Mantel der Feuerbüchse aus ebensolchen, halbelliptisch gebogenen, tragförmigen Blechen gebildet. Die Verbindung und Versteifung zwischen der eigentlichen Feuerbüchse und dem Mantelkessel wird durch Stahlbleche (Abb. 1 und 2) gebildet, und zwar auf folgende Weise: Zwischen je zwei Trogbleche der eigentlichen Feuerbüchse ist ein Steh blech eingeschaltet. Dieses Stehblech ist mit seinen beiden anstoßenden Trogblechen durch zahlreiche Nieten verbunden und ragt über die beiden Trogbleche soweit heraus, daß es mit je zwei Trogblechen des Mantelkessels in Verbindung gebracht werden kann. Die feste Verbindung mit den Trogblechen des Mantelkessels wird gleichfalls durch eine große Anzahl Nieten hergestellt. Der zwischen den äußeren und inneren Trogblechen liegende Teil jedes Stehbleches enthält eine Reihe von Ausschnitten, durch die das Kesselwasser umlaufen kann. Bei ganz großen Feuerbüchsen ist der im elliptisch gerundeten Teile des Stehbleches angebrachte größte Ausschnitt so groß, daß ein Mann zur Besichtigung der Feuerbüchse durchkriechen kann. Zur besonderen Sicherung sind der obere und untere Rand dieser Ausschnitte durch angeschraubte Laschen miteinander verbunden. Die Anordnung der beiden Nietreihen ist so getroffen, daß die Nieten sämtlich der unmittelbaren Einwirkung des Feuers entzogen sind, Den unteren Abschluß des zwischen der äußeren und inneren Feuerbüchsenwand befindlichen wasserbespülten Hohlraumes bildet der Schlammring, der mit den äußeren und inneren Trogblechen durch eine doppelte Reihe von Nieten verbunden ist. Um zu ermöglichen, daß der Schlammring von einer möglichst großen Anzahl von Nieten getragen und ein guter wasserdichter Abschluß erzielt wird, sind die beiden Enden jedes Trogbleches als Lappen in der Weise geformt, daß von dem der Rohrwand zugewendeten Flansch des Trogbleches der unterste Teil des Flansches weggeschnitten ist, während das gegenüberliegende Flanschende in Richtung der Heizwand ausgebogen ist. Bei den Trogblechen des Mantelkessels sind die beiden Flanschenden so weit weggeschnitten, wie es die Höhe des Schlammringes erfordert. Gegen den Langkessel gibt den Abschluß das zugleich die Rohrwand bildende Rohrstehblech. Gegen die Rückwand des Mantelkessels wird der Abschluß durch das Heiztürstehblech gebildet. Diese beiden Stehbleche stellen also im Gegensatz zu den anderen Stehblechen Wände dar, die außer den Nietlöchern und Wasserumlaufausschnitten auch mit Stehbolzenlöchern versehen sind. Das die Rohrwand bildende Stehblech enthält außerdem noch die Löcher zur Aufnahme der Heizrohre, das die Rückwand bildende Stehblech die Heizöffnung. Die Verbindung zwischen dem Rohrwandstehblech und dem Langkessel wird durch das Kehlblech hergestellt, und zwar sowohl durch Stehbolzen als durch Nietreihen. Textabbildung Bd. 335, S. 64 Abb. 3. Der Zusammenbau einer Feuerbüchse erfolgt auf folgende Weise: Die Tragbleche von 1 cm Dicke werden in warmem Zustande auf einer besonderen hydraulischen Presse gepreßt, und zwar in der Form, daß die inneren Trogbleche nach innen, die äußeren Trogbleche nach außen gewölbt sind – zum Zwecke der Vergrößerung des Wasserraumes – dann werden die Flanschen leicht abgeschrägt und mit Hilfe von Schablonen, deren Löcher mit gehärteten Buchsen ausgefüttert sind, die Nietlocher gebohrt. Die so zugerichteten inneren Trogbleche werden mit dem Heizwandbleche über dem Rohrwandbleche und den zugehörigen Stehblechen aufeinander geschichtet und mit dem Schlammringe zusammengespannt. Sodann werden die Nietlöcher im Schlammringe gebohrt. Sämtliche Nietlöcher werden mit der Reibahle ausgerieben. Das Nieten erfolgt mit beweglichen hydraulischen Nietmaschinen (Abb. 3). Alsdann werden die Trogbleche, die den Mantel bilden, hinzugefügt und mit dem Schlammringe und den Stehblechen durch Nieten verbunden. Gleichzeitig werden die nötigen Waschluken gebohrt und mit Gewinden versehen. Zum Schluß wird noch die Heiztürwand hinzugefügt, die Stehbolzenlöcher gebohrt, mit Gewinden versehen und die Stehbolzen eingeschraubt und vernietet. Die Feuerbüchse ist sodann fertig und kann mit dem Langkessel vereinigt werden. Um das Verhalten der Jacobs-Shupert-Feuerbüchse bei zu niederem Wasserstande und ausgeglühter Decke zu prüfen, wurde am 26. 9. 1910 in Topeka ein planmäßiger Versuch gemacht. In einem als ortfesten Kessel verwendeten Lokomotivenkessel wurde, nach dem der höchste zulässige Dampfdruck erreicht war, das Wasser soweit abgelassen, daß die Decke der Feuerbüchse von Wasser frei war, während die Oelfeuerung in Tätigkeit blieb. Die Trogbleche wurden an der vom Wasser entblößten Stelle rotglühend. Sodann wurde Wasser von 60° in den Kessel gepumpt, bis die Feuerbüchsendecke wieder unter Wasser stand und der Dampfdruck 215 Pfund betrug. Bei einer Feuerbüchse herkömmlicher Bauart würde in diesem Falle sicher eine heftige Explosion erfolgt sein. Die Jacobs-Shupert-Feuerbüchse hielt dem Drucke aber stand und zeigte bei der nach Abkühlung und Entleerung des Kessels erfolgten Untersuchung mit Ausnahme der charakteristischen Blaufärbung der ausgeglühten Stellen der Trogbleche keinerlei Veränderungen. Am 28. 5. 1911 bekam bei einer mit einer Jacobs-Shupert-Feuerbüchse ausgerüsteten Mallet-Lokomotive, die zu niederen Wasserstand hatte, eines der Trogbleche an der ausgeglühten Stelle einen Riß von 24'' Länge. Ein besonderer Schaden wurde durch den ausströmenden Dampf nicht angerichtet. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit wird der Jacobs-Shupert-Feuerbüchse nachgerühmt, daß die Ersparnisse an Ausbesserungskosten gegenüber denen der Feuerbüchsen herkömmlicher Art nur 40 v. H. betragen. Zusammenfassung Die Jacobs-Shupert-Feuerbüchse weist gegenüber den herkömmlichen Feuerbüchsen erhebliche Vorteile auf: Sicherheit gegen verderbliche Explosionen infolge ihres Aufbaues; verminderter Ansatz von Kesselstein infolge Ersetzens des größten Teiles der Stehbolzen durch Stehbleche; erheblich verminderte Ausbesserungskosten infolge Wegfalls einer großen Anzahl Stehbolzen und vermehrte Dienstleistung der Lokomotive infolge verminderter Stilliegezeit; längere Lebensdauer der Feuerbüchse, und zwar mindestens die doppelte einer Feuerbüchse herkömmlicher Bauart. Diese Vorzüge lassen es angezeigt erscheinen, die Jacobs-Shupert- Feuerbüchse in großem Maßstabe zum Versuch heranzuziehen.