Titel: Der erzieherische Wert der Reklame.
Autor: G. Quaink
Fundstelle: Band 336, Jahrgang 1921, S. 235
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Der erzieherische Wert der Reklame. Von Oberingenieur G. Quaink, Berlin-Siemensstadt. QUAINK, Der erzieherische Wert der Reklame. Die Zeiten liegen gar nicht weit zurück, in denen ein Geschäftshaus, das auf Ansehen und Ueberlieferung hielt, jedes andere Verfahren der Kundenwerbung als die Güte seiner Erzeugnisse grundsätzlich ablehnte. Man sah im allgemeinen in der Reklame etwas des ernsten Kaufmannes Unwürdiges. Ein Niederschlag dieser Meinung steckt noch in dem abschätzigen Sinn des Sprichwortes: Jeder Krämer lobt seine Ware. Der auffällige Wandel, der sich in kurzer Frist in der Beurteilung und Wertschätzung der Reklame vollzogen hat, findet seine Erklärung in dem Umstand, daß die Reklame selbst eine Entwicklung von überraschendem Umfang durchgemacht hat. Der unverkennbare Erfolg, den einzelne, von den herrschenden Vorurteilen nicht beschwerte Unternehmer durch ihre Reklamemaßnahmen erzielten, veranlaßte oder zwang die Wettbewerber, aus ihrer Zurückhaltung herauszutreten und sich ebenfalls mit Nachdruck in das Gedächtnis des kaufenden Publikums zu drängen. Mit einer einfachen Nachahmung der gegebenen Vorbilder war es allerdings nicht getan, es zeigte sich sehr bald aus unliebsamen Ueberraschungen, daß man die Wege, die andere eingeschlagen und gebahnt hatten, nicht blindlings nachgehen durfte, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, beträchtliche Aufwendungen nutzlos zu verschwenden. Die Reklame war eine Sache mit eigenen Gesetzen. Diese Gesetze galt es zunächst einmal zu erforschen. Anstelle planlosen Versuches mußte die Untersuchung treten, und zwar eine Untersuchung mit wissenschaftlichen Mitteln, die einwandfreie Rückschlüsse auf die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung gestatteten. Und da stellte sich denn die für jeden Menschen mit gesundem ethischen Empfinden erfreuliche Tatsache heraus, daß auf die Dauer die sorgfältigst erdachte, mit den größten Aufwendungen planmäßig durchgeführte Reklame nicht in der Lage ist, einem minderwertigen Erzeugnis die Gunst der Käufer zu erhalten. Gewiß, eine geschickt angelegte und großzügig durchgeführte Reklame kann zunächst einmal einer Ware einen beträchtlichen Abnehmerkreis verschaffen. Hält diese aber nicht, was die werbende Ankündigung verspricht, oder was der Käufer billigerweise erwarten darf, dann wird ihm die Enttäuschung von einem zweiten Versuch abhalten und ihn wohl auch in vielen Fällen veranlassen, seinem Unmut anderen gegenüber Luft zu machen. Es setzt also eine Gegenwirkung ein, die stärker ist als die der Reklame. Die unlautere Machenschaft richtet sich selbst, und den Schaden hat letzten Endes der, der die Reklame mißbraucht. Hierin liegt aber ohne Zweifel ein Umstand von hohem sittlichen und erzieherischen Wert. Wer bei der Allgemeinheit um Absatz für seine Waren wirbt, der wird sich hüten müssen, etwas in Aussicht zu stellen, was die Ware nicht erfüllt oder leisten kann. Der Geschäftsmann wird demnach in allererster Reihe zur Wahrhaftigkeit erzogen. Das ist aber nicht die einzige Lehre, die sie ihm erteilt. Wer etwas ankündigt, hat die Wahl zwischen zwei Mitteln, dem Wort und dem Bild. Bedient er sich des Wortes, so muß er darauf achten, daß das, was er sagt, klar und verständlich für die Allgemeinheit herauskommt, dann aber auch, daß der Inhalt eine gefällige dem Gegenstand angepaßte Form enthält und vor allem frei ist von sprachlichen Fehlern und stilistischen Entgleisungen. Es ist nicht jedem ohne weiteres gegeben, sich sprachlich gut, verständlich und formal richtig auszudrücken. Es gehört Schulung, Aufmerksamkeit und Gefühl für Ton, Rhythmus und Stil dazu. Wenn auch die Geschäftsdrucksache im Grunde nichts anderes als eine geschäftliche Mitteilung, vergleichbar dem Briefe ist, so muß bei ihrer Abfassung doch bedacht werden, daß sie sich an viele wendet und in die verschiedensten Hände kommt, also auch das Urteil einer größeren Menge herausfordert als ein einzelner Brief. Will der Verfasser mit Ehren vor dem Urteil bestehen, dann muß er seiner Sprache und Ausdrucksform eine erhöhte Sorgfalt angedeihen lassen, er muß lernen, sein eigenes sprachliches Erzeugnis kritisch zu betrachten, damit er sich keine Bloßen gibt, die ihm und seiner Ankündigung schaden. Ist aber erst einmal der Sinn für die Sprache und die Kritik geweckt, so wird es nicht ausbleiben, daß die auf dem Reklamegebiet gewonnenen Errungenschaften auch anderen Zweigen des Geschäftsbetriebes, dem Briefwechsel mit der Kundschaft, der Abfassung von Verträgen, Gebrauchsanweisungen u.a. zugute kommen. Erzieht hier die Reklame zu Sorgfalt und Nachdenken in sprachlichen Dingen, so wird sie bei Verwendung bildlicher Mittel eine Lehrmeisterin des Geschmacks. Eine unangemessene bildliche Darstellung kann unter Umständen den Beschauer eher abstoßen als anziehen. Erinnert sei hier an die bildliche Wiedergabe weiblicher Gestalten, die durch ihre ganze Auffassung einen Lebensstil verraten, der einer großen Anzahl der Betrachter zuwiderläuft. Ebenso können offensichtliche Mängel des künstlerischen Vermögens einen nachteiligen Einfluß auf diejenigen, an die sich die Reklame wendet, ausüben, so daß sie, anstatt dem Geschäft zu nützen, eher ein Vorurteil gegen dieses und seine Waren erzeugt. Der Reklamemann ist demnach gezwungen, sich mit künstlerischen und Geschmacksfragen eingehend zu befassen, ehe er es mit Aussicht auf Erfolg unternehmen kann, die bildliche Darstellung in seine Dienste zu stellen. Geschmack, Verständnis und Urteil gehören auch dazu, wenn es sich darum handelt, Drucksachen, Aufklärungs- und Werbeschriften zu veröffentlichen. Eine schlecht gedruckte Anzeige, die Verwendung minderwertigen Papiers, Nachlässigkeiten in der Ausstattung und Anordnung des Ganzen sind nur zu sehr geeignet, dem Empfänger einen nicht gerade günstigen Eindruck von dem Geschmack und dem Taktgefühl dessen beizubringen, der Dinge von solcher Beschaffenheit der Oeffentlichkeit unterbreitet. Der Rückschluß, daß in dem betreffenden Geschäft die Ware ebenso unpfleglich behandelt wird, drängt sich von selbst auf. Die Lehre, die die Reklame erteilt, gipfelt hier in einer Erkenntnis, die früher zum großen Teil verschlossen war, da sie überhaupt erst aus der fortschreitenden Entwickelung dieses Zweiges menschlicher Betätigung gewonnen werden konnte. Wer Reklame macht, muß nicht von sich als dem anzulegenden Maßstab ausgehen, sondern von den anderen, an die er sein Werben richtet, von der Allgemeinheit. Dazu bedarf es aber einer Gabe, die der moderne Psycholog sehr treffend mit dem Wort „Einfühlung“ kennzeichnet. Bei jeder Reklamemaßnahme muß die Frage oben anstehen: „Wie wirkt Dein Tun auf andere?“ Nur wer gelernt hat, sich auf diesen Standpunkt einzustellen und seine eigenen Gedanken damit in Einklang zu bringen, kann mit einiger Aussicht auf Erfolg daran gehen, die reichen Register der Reklame zu ziehen. Nun ist aber die Einfühlung eine psychische Fähigkeit, die nicht jedermann im gleichen Umfange gegeben ist. Sie wird sich also nur dann entwickeln und bilden lassen, wenn die entsprechenden Naturanlagen vorhanden sind. Hieraus folgt, daß Reklame keineswegs ist, was jeder nach Belieben ausüben kann oder nicht. Zum Reklame machen gehört eine ganz bestimmte Eignung. Diese Lehre mag manchem bitter schmecken, sie ist aber trotzdem nur zu wahr, und wer ihrer nicht achtet, läuft Gefahr, zu Schaden zu kommen. Bei dem innigen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Gedeihen und Werbewesen liegt der erzieherische Wert der Reklame darin, daß sie zur Selbstbeobachtung, zur Selbstkritik und in vielen Fällen zur Selbstbescheidung anleitet. Wem es nicht gegeben ist, selbst Reklame zu machen, der muß eben jemanden zu Hilfe rufen, der diese Gabe besitzt. Diese Folgerung ist ja an sich garnicht so verwunderlich, denn wenn z.B. jemand nicht zeichnen oder malen kann und gern ein Bild von irgend einem Menschen oder Gegenstand besäße, der wird sich ohne Besinnen an einen dieser Kunstmächtigen wenden. Auf dem Gebiete der Reklame wirkt dieser Gedankengang lediglich deshalb so befremdlich, weil die Kenntnis und Erkenntnis ihres innersten Wesens vorerst noch zu wenig fortgeschritten ist. Erst neuerdings ist man auch in Deutschland dahingekommen, das Werbewesen als einen Teil der angewandten Psychologie anzusehen und die auf diesem Gebiet gefundenen Grundsätze exakter experimenteller Untersuchungen darauf anzuwenden. Aus der Tatsache, daß man die Reklame leider vielfach nicht höher eingeschätzt hat als etwa eine Handfertigkeit, erklärt es sich auch, daß man ihren erzieherischen Gehalt auf unser gesamtes öffentliches Leben und ihre bis in die unwägbarsten Ausstrahlungen verästelte Wirkung verkannt hat. Ein geradezu klassisches Beispiel und zugleich ein Beweis dafür, wie man die Reklame in anderen Ländern einschätzt, ist die Art, wie und mit welchen Mitteln die öffentliche Meinung in Deutschland von unseren Gegnern bearbeitet wird. Ganz entschieden hat die Reklame eine stark suggestive Wirkung und sie kann, von gewissenlosen Leuten gehandhabt, zum Gift werden. Glücklicherweise aber trägt das Gift zugleich auch das Gegengift in sich. Eine Meinung kann man mühelos nur einem Menschen ohne eigenes Urteil aufschwatzen oder aufzwingen. So stumpf und teilnahmslos ist aber niemand, daß ihn der Unterschied zwischen dem, was andere behaupten, und dem, was er selbst sieht und erfahren hat, nicht auffiele und ihm zum Nachdenken anreizte. Das wird ihn veranlassen, anstelle der fremden seine eigene Ansicht mit Nachdruck einzusetzen. Es regt sich der Widerspruch und zwar je heftiger, je mehr die fremde Meinung der eigenen zuwiderläuft. Es tritt hier das einfache Gesetz von Wirkung und Gegenwirkung in sein Recht. Man wird versucht sein, die falsche Ansicht zu bekämpfen( dadurch, daß man ihren Voraussetzungen auf den Grund geht, sie widerlegt und für die eigene Meinung mit bündiger Beweisführung eintritt. Dieses Beispiel aus der Politik zeigt deutlich einen weiteren, bisher viel zu wenig beachteten erzieherischen Zug der Reklame. Man braucht den Fall nur ins Geschäftliche umzudeuten. Findet ein Geschäftsmann in den Werbeäußerungen eines seiner Wettbewerber Angaben, die seinen Widerspruch herausfordern, so wird er nicht unterlassen, dagegen irgendwie Stellung zu nehmen. Es ist schließlich nicht einmal nötig, daß in den Ankündigungen der Konkurrenz Behauptungen aufgestellt werden, die sich mit den Tatsachen nicht in Einklang befinden. Der Umstand allein, daß der Name der anderen hie und da, in dieser oder jener Form auftritt und darum wirbt, ins Gedächtnis der Allgemeinheit einzugehen, ist für den Kaufmann von weitem Blick ein Ansporn, sein Geschäft, seinen Namen, seine Waren ebenfalls bekannt zu machen und womöglich auf eine andere und wirksamere Weise als seine Mitbewerber um die Gunst der Käufer. So wird die Reklame zur Erzieherin, zur erhöhten Anteilnahme an allem, was auf dem Gebiet des Geschäftes vorgeht und zur Steigerung der Tätigkeit und Arbeitsentfaltung, und das nicht nur auf dem eigentlichen Reklamegebiet, sondern auf dem gesamten, von dem betreffenden Geschäft beackerten Feld. Wenn der Konkurrent in der Lage ist, bekannt zu machen, daß sein Erzeugnis die und die Vorteile bietet, dann wird es das Bestreben der anderen sein, ebenfalls Dinge auf den Markt zu bringen, denen die gerühmten Vorteile nicht nur eignen, die sie sogar noch übertreffen. Ohne Zweifel regt die Reklame unser ganzes Wirtschaftsleben in vorteilhafter Weise zu immer gößerer Kraftentfaltung, zum Streben nach immer weiter gespannten Zielen an. Denn bei dem Umfang und dem Aufschwung, den der Weltverkehr in normalen Zeiten gewonnen hat, handelt es sich nicht mehr um den inländischen Wettbewerb allein; ausländische Märkte und Absatzgebiete werden von allen Kulturvölkern heiß umstritten und im Austausch der geistigen und körperlichen Güter lernt ein Volk vom anderen. In jedem Kampf ist die Schwäche des einen der Vorteil des anderen. Die Reklame erzieht zur Selbstkritik, aber auch zur Kritik an dem Fremden. Sie lehrt die verwundbaren Stellen des Gegners erkennen und seine Fehler vermeiden. Nicht nur das gute Beispiel wirkt erzieherisch, sondern auch das falsche und schiefe. Und es ist sittlich durchaus nicht zu verwerfen, wenn einer aus den Fehlern des anderen Vorteil zieht, indem er sie sich zur Warnung dienen läßt, während er das Gute nachahmt und seinen Bedürfnissen anpaßt. Die Reklame ist aus unscheinbaren Anfängen aufgewachsen. Nicht die schlechtesten menschlichen Triebe haben ihr als Nährboden gedient, aus dem sie die Kraft zur Entfaltung ihrer Aeste und Zweige gesogen hat. Unternehmergeist und Blick für die. Forderung der Stunde sind es, die ihr zum Siege verholfen haben. Heute ist die Reklame ein wesentliches Glied am Gesamtkörper unserer Kultur, das sich nicht mehr abschneiden oder ausrotten läßt. Sie ist da, und man muß mit ihr rechnen, und so ist die Lehre, die sie erteilt, die, daß man sie nutzen und sich ihrer bedienen muß, wenn man, sei es der einzelne, sei es das ganze Volk, in der Welt vorankommen und seinen Platz an der Sonne erkämpfen oder behaupten will.