Titel: Sprachpflege.
Autor: G. Quaink
Fundstelle: Band 336, Jahrgang 1921, S. 315
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Sprachpflege. Von Oberingenieur G. Quaink. QUAINK, Sprachpflege. Es mag auf den ersten Blick befremden, in einer technischen Zeitschrift ein anscheinend abseits liegendes Gebiet behandelt zu sehen. Man wird aber bei näherer Bekanntschaft mit dem Stoff finden, daß die Zusammenhänge zwischen deutscher Technik und deutscher Sprache durchaus nicht so lose und oberflächlich sind, wie es bei flüchtiger Betrachtung scheinen könnte. Der Wiederaufbau Deutschlands ist mehr als eine Angelegenheit einzelner Berufsgruppen, er geht unser gesamtes Volk an. Wenn natürlich auch die Lösung gewisser, namentlich wirtschaftlicher, Sonderaufgaben in erster Reihe den zuständigen Berufsverbänden und ihrem Zusammenarbeiten vorbehalten bleiben muß, so gibt es doch eine ganze Menge Arbeit zu leisten, die ohne die verständige und hingebende Mithilfe der Allgemeinheit nicht geschafft werden kann. Dazu gehört vor allen Dingen, daß dem Verständigungsmittel der Volksgenossen, der Sprache, mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt gewidmet wird als bisher. Man ist gewöhnt, zur Begründung dieser Forderung ideelle Gesichtspunkte als Beweismittel angeführt zu sehen, etwa den Hinweis auf die Notwendigkeit der Erhaltung völkischer Eigenart und der Stärkung des Nationalgefühls. Derartige Gründe verfangen heute, da wir einen unglücklichen Krieg und eine Staatsumwälzung mit allen ihren Begleiterscheinungen hinter uns haben, bei vielen nicht mehr. Sie sollen deshalb auch beiseite bleiben. Was auch heute noch den Deutschen zwingt, seine Sprache zu pflegen, sind rein wirtschaftliche Erwägungen. Wir müssen sparen, sparen auf jedem Gebiet, an allen Ecken und Enden, vor allem mit jeder Arbeitskraft. Jede Arbeit, die geleistet werden muß, weil sie nicht gleich das erste Mal gründlich und in richtiger Weise ausgeführt worden ist, ist eine Vergeudung an Kraft, Zeit und Geld, also am Volksvermögen. Jede sprachliche Aeußerung im Geschäftsleben, die nicht so klar und eindeutig ist, daß sie vermeidbare Rückfragen und Erörterungen ausschließt, ist eine ungenügende Arbeitsleistung. Zwei Uebel sind es in der Hauptsache, unter denen die deutsche Sprache zu leiden hat, und die die Klarheit ihres Ausdrucks schädigen. Das erste ist ein Ueberfluß an entbehrlichen Fremdwörtern, das andere eine mit der Zeit fortschreitende Verwilderung des Sprachgefühls. Für die Beibehaltung fremdsprachiger Fachausdrücke wird nicht selten ins Treffen geführt, daß sie in anderen Kultursprachen genau so oder sehr ähnlich lauten, so daß der Ausländer, der eine deutsche Druckschrift liest, mühelos ihren Sinn verstehen könne. Mit Verlaub! Daß ein Ausländer eine deutsche Druckschrift zu lesen – also ihren Inhalt zu begreifen – imstande sei, setzt doch wohl voraus, daß er Deutsch gelernt haben muß. Denn die Tatsache, daß er eine Anzahl Wörter findet, die in seiner Sprache gleich oder ähnlich lauten, wird ihn noch nicht in den Stand setzen, das Ganze zu verstehen, wenn ihm eben nicht auch die Mehrzahl der anderen Wörter und die Bedeutung ihrer Stellung in der Satzfügung bekannt sind. Wer sich aber einmal die Mühe macht, Deutsch zu lernen, dem wird es nicht darauf ankommen, das eine oder andere Wort mehr seinem Gedächtnis einzuprägen, wenn ihm nicht überhaupt aus dem ganzen Zusammenhang und der Wortzusammensetzung klar wird, worum es sich denn eigentlich handelt. Der Einwand, daß man die Fremdwörter im Deutschen deshalb beibehalten müsse, damit sie der Ausländer um so leichter verstehen könne, steht demnach auf recht schwachen Füßen. Hinzu kommt, daß der deutsche Sprachgebrauch nicht selten dem Fremdwort eine Bedeutung zuweist, die es in der Sprache des Landes, woher es stammt, gar nicht hat, daß also Mißverständnisse durch den Gebrauch von Fremdwörtern geradezu gefördert werden. Um nur ein Beispiel für viele anzuführen: das Wort für Erdgeschoß lautet im Französischen nicht etwa parterre, sondern rez-de-chaussée. Es wird einen Franzosen sicher sehr merkwürdig anmuten, daß so viele Leute in Deutschland in Blumenbeeten wohnen sollen, denn parterre bedeutet im Französischen „Blumen-beet“- Aehnlich wie in der Umgangssprache steht es in der Fachsprache der Technik. Transformateur heißt eigentlich ganz allgemein Umformer. Wir verbinden mit dem Wort Transformator einen ganz bestimmten Begriff, wir meinen damit eine unbewegliche Vorrichtung, mit der Wechselströme auf eine andere Spannung und Stromstärke gebracht werden können. Der Wechselstrom wandelt sich darin hinsichtlich gewisser Eigenschaften. Dagegen bezeichnet Umformer im Deutschen eine sich drehende Maschine, mit deren Hilfe man eine Stromart in die andere verwandelt, Gleichstrom in Wechselstrom oder umgekehrt. Der Franzose sagt dafür ebenfalls transformateur und fügt eine nähere Bestimmung des Zwecks hinzu, z.B. continu-alternatif. Ebenso verfährt der Spanier und der Italiener, während der Engländer Converter mit erklärendem Zusatz sagt, wenn er von der Ueberführung einer Stromart in die andere mit Hilfe einer sich drehenden Maschine spricht. Es liegt also für den deutschen Sprachgebrauch gar kein Grund vor, das Wort Transformator beizubehalten, da der Ausländer doch nicht sofort, ohne den näheren Zusammenhang zu kennen, weiß, was damit gemeint ist, während er, wenn er Strom- oder Spannungswandler liest, auf der Stelle eindeutig weiß, worum es sich handelt, wenn er das Wort erst einmal seinem Gedächtnis eingeprägt hat. Dieses Beispiel zeigt treffend, wie falsch die Ansicht ist, im zwischen- und übervölkischen Verkehr erleichtere das Fremdwort das Verständnis. Im Gegenteil, es leistet nur der Unklarheit und der Verwirrung der Begriffe Vorschub. Will man, zu Nutzen des Absatzes deutscher Waren, dem ausländischen Kunden das Lesen erleichtern, so ist es doch wohl das nächstliegende, ihm die Mühe des Uebersetzens überhaupt zu sparen, d.h. ihm in seiner Sprache abgefaßte Druckschriften zu übersenden. Die Klagen über die geringe Sorgfalt, die viele Deutsche auf die sprachliche Form und Ausdrucksweise verwenden, sind nicht neu. Etwa dreißig Jahre sind verflossen, seit Wustmann sein tapferes Buch von den Sprachdummheiten zum ersten Male hat erscheinen lassen. Seit der Zeit ist über diesen Gegenstand viel geredet und geschrieben, aber wenig gebessert worden. Die Nachwirkungen jahrhundertelanger Vernachlässigungen des Sprachgutes lassen sich nicht von heute auf morgen beseitigen. Die Schwierigkeiten der Aufgabe sind aber trotz alledem nicht derart, daß ein zielbewußtes Arbeiten an ihrer Ueberwindung nicht doch zum Ziele führen sollte. Es handelt sich nur darum, die richtigen Wege einzuschlagen, die Widerstrebenden von der Notwendigkeit der Arbeit zu überzeugen. Wenn sich erst einmal die Erkenntnis Bahn gebrochen hat, daß richtiges, gutes Deutsch schreiben und sprechen dem einzelnen Vorteile bringt, dann wird sich schon von selbst jeder bemühen, die Gesetze seiner deutschen Muttersprache verstehen. Warum liest sich ein Buch besser und leichter als ein anderes? Weil das eine einen schwerfälligen, unübersichtlichen Satzbau hat, wenig Abwechselung in der Darstellungsform bietet und obendrein Verstöße gegen die Sprachlehre aufweist, die den Leser ablenken, während das andere, frei von sprachlichen Fehlern, seinen Gedankengehalt in einer verständlichen Form vor dem Leser ausbreitet, so daß er seine Aufmerksamkeit nicht zwischen dem Stoff und der Ueberwindung sprachlicher Hindernisse zu teilen braucht. Welches Buch wird wohl der Leser bevorzugen, wenn er die Wahl zwischen zweien hat, die denselben Gegenstand behandeln, das gut geschriebene, leichtverständliche oder das schlecht geschriebene, schwerverständliche? Doch wohl das leichtverständliche, bei gleichem innerem Wert. Den Vorteil hat also der Verfasser, der am besten schreibt. Der Absatz seiner Bücher wird größer sein als der des anderen. Nicht anders liegen die Dinge in der Technik. Zwei Unternehmen, die den gleichen Gegenstand herstellen, versenden Werbeschriften. Die eine liest sich flott und angenehm, sie erläutert die Vorteile des Gegenstandes für den Käufer und beschreibt seine Bauart und Wirkungsweise in einem klaren, verständlichen Deutsch, die andere liest sich schwer, die Darstellung ist nicht anschaulich genug, dem Leser eine deutliche Vorstellung zu vermitteln, er ersieht nicht ohne weiteres, welche Vorteile ihm der angebotene Gegenstand bietet, folglich wird er, bei sonst gleichen Voraussetzungen, geneigt sein, den zu wählen, über den ihn die schriftliche Darstellung am besten aufgeklärt hat. Wie ist nun aber der Sprachverwilderung zu steuern? Sie muß auf demselben Wege und mit denselben Mitteln bekämpft werden, durch die sie entstanden und gewachsen ist, durch das Beispiel. Wenn jemand mit nicht ganz gefestigtem Gefühl für das sprachlich Richtige einen Fehler wieder und immer wieder liest, so wird er sich an die falsche Form gewöhnen, sie wird allmählich in seiner Erinnerung das Richtige verdrängen und schließlich wird er, unbewußt, denselben Fehler machen wie die anderen, aus Gewöhnung. Das Verlangen, daß vor allem die Schule durch eine eingehendere und liebevollere Pflege des deutschen Sprachunterrichts dem heranwachsenden Geschlecht das sprachliche Gewissen schärft, ist nur eine von den Forderungen, die zur Besserung der Zustände zu erheben sind. Der Hebel muß vielmehr an verschiedenen Stellen zugleich angesetzt werden. Wie das schlechte Beispiel imstande ist, ein gutes Sprachgefühl zu verderben, so ist auch das gute geeignet, bessernd einzuwirken. Man stelle sich einmal vor, welche Wirkung es haben müßte, wenn mit einem Schlage in Deutschland alle falschen und schlechten Sprachformen aus den Zeitungen, den Druckschriften, den Reden, dem Briefwechsel verschwänden. Die Gewohnheit würde in ganz kurzer Zeit die Leute dahin bringen, richtiges Deutsch zu sprechen und zu schreiben. Nun, mit einem Schlage und von selbst werden die Sprachsünden leider nicht verschwinden. Wenn aber jeder, der mitzuarbeiten in der Lage ist, ernstlich mithilft, die Schäden zu beseitigen, dann wird sich in absehbarer Zeit doch ein merklicher Erfolg zeigen. Sehr fördern kann die deutsche Industrie das Werk der Sprach Verbesserung. Es gibt wohl kaum noch ein mittleres oder größeres industrielles Unternehmen, das nicht eine Werbestelle, eine literarische Abteilung, ein „Propaganda“- oder „Reklamebureau“ oder eine ähnliche, der Kundenwerbung dienende Einrichtung hat. Der Name ist ja gleichgültig. In diese Stellen müßte die Industrie sprachwissenschaftlich gebildete Leute berufen, die die richtige Form von der falschen unterscheiden können. Deren Aufgabe wäre es dann, jede Veröffentlichung, die das Unternehmen herausgibt, daraufhin zu prüfen, ob sie sprachlich einwandfrei abgefaßt ist. Finden sich Verstöße gegen die Gesetze der Sprache, so sind sie verpflichtet, ganz gleichgültig, wer die Sache geschrieben hat, die Fehler zu verbessern oder doch wenigstens den Verfasser darauf aufmerksam zu machen. An diesem Grundsatz sollte auch dann nichts geändert werden, wenn ein Aufsatz oder eine Druckschrift unter dem Namen des Verfassers erscheint. Es ist leider im Zeichen der Sprachverwilderung in Deutschland dahin gekommen, daß Leute, die ganz Hervorragendes auf ihrem Gebiet leisten, ein Deutsch schreiben, das ihrem Namen wenig Ehre macht. Aber gerade diese Leute sind auch meist einsichtig genug, wenn man sie darauf aufmerksam macht, zuzugeben, daß eine Aenderung des Wortlautes nötig ist. Die Einrichtung der Sprach sachverständigen ließe sich sogar – keineswegs zum Schaden der deutschen Industrie – noch weiter ausbauen. Wie mancher tüchtige Mitarbeiter in einem industriellen Unternehmen hat den Wunsch, einmal den Fachgenossen Erfahrungen von besonderem Wert, Ergebnisse gewisser Beobachtungen oder ähnliches mitzuteilen, er scheut aber das Schreibwerk, weil es ihm ungewohnt ist. Für ihn könnte der Sprachenmann der Wortführer sein, indem er den Gedanken des anderen die sprachliche Form gibt. Selbstverständlich muß der Sprachsachverständige aufs engste mit dem technischen Fachmann zusammenarbeiten, (wenn er nicht zugleich auch selbst das technische Sondergebiet beherrscht). Es gibt ja nun auch Verfasser technischer Aufsätze, die geradezu den Grundsatz aufstellen, einige Sprachmängel mehr oder weniger fielen bei einer Erörterung technischer Dinge nicht allzu schwer ins Gewicht, da man sich an seine Fachgenossen wende, und die verständen schon, was man meine. Diese Leute vergessen das eine, daß auch die Fachgenossen nicht gern ihre kostbare Zeit mit dem Heraustüfteln des Sinnes schlecht geschriebener, schwer verständlicher Veröffentlichungen verbringen. Auch den Fachgenossen ist daran gelegen, unter möglichst geringem Aufwand an Zeit und ohne sich über die Zusammenhänge in verschnörkelten Satzbauten lange den Kopf zerbrechen zu müssen, den Inhalt einer Mitteilung in sich aufzunehmen. Auch die Fachgenossen werden einen gut geschriebenen Schriftsatz einem schlecht geschriebenen vorziehen. Es ist noch auf etwas anderes hinzuweisen. Das Schreiben ist, Begabung und natürliche Veranlagung dafür vorausgesetzt, eine Sache der Uebung. Wem es Berufspflicht geworden ist, seine Gedanken in Schrift und Rede der Oeffentlichkeit mitzuteilen, dem wird gemeinhin eine größere Auswahl an Wörtern, ein reicherer Schatz an Ausdrucksmitteln, eine größere Geschmeidigkeit der Wendungen und – wo es darauf ankommt – auch eine treffendere Kürze der Darstellung zu Gebote stehen als jemandem, den nur ausnahmsweise Zwang oder Neigung zu schriftstellerischem Geschäft führen. Gleichförmigkeit des Vortrags und Ausdrucks ermüden den Leser, auch wenn er sonst nichts zu bemängeln hat, nur zu leicht und stumpfen seine Aufnahmefähigkeit für den Stoff ab. Es wäre demnach eine weitere Aufgabe der Sprachhelfer, auch da zu bessern, wo die Darstellung durch Eintönigkeit den Erfolg der Veröffentlichung in Frage zu stellen droht. Würde die Industrie ihr Augenmerk mehr als bisher auf die Sprachpflege richten, sie hätte wahrlich nicht zuletzt selbst den Vorteil davon. Eine gut lesbare und verständliche Abhandlung wird auch von anderen Leuten – wenn anders überhaupt der Trieb ihn ihnen steckt, ihr allgemeines Wissen von den Dingen zu bereichern – gelesen werden, als ausschließlich von den Fachgenossen. Wenn diese Außenstehenden auch vielleicht nicht selbst als Käufer oder Abnehmer des besprochenen Gegenstandes in Betracht zu ziehen sind, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß sie sich von fachmännischer Seite, weil sie der Stoff gefesselt hat, nähere Aufklärung erbitten und so den Gefragten nachdrücklich auf ihre Quelle hinweisen. Und wenn nichts im Gedächtnis des Lesers haften geblieben wäre als der Name des Erzeugers jenes Gerätes oder jener Einrichtung, so hat dieser dennoch einen mittelbaren Vorteil davon, denn einmal, bei passendem Gespräch, wird dem Leser dieser Name doch auf die Zunge kommen, und er wird dazu beitragen, ihn bekannt zu machen. Und dieser Vorteil des einzelnen wäre ein Gewinn für die Allgemeinheit. Dem Fachmann, gewöhnt an unrichtige Form und Ausdrucksweise, wird die richtige Bildung, wenn er ihr wiederholt begegnet, schließlich auffallen, er wird merken, daß das, was er vielleicht sogar zuerst für ein Versehen gehalten hat, wohlüberlegte Absicht war und wird sie – vielleicht – zu verstehen trachten. Auf alle Fälle ist seine Aufmerksamkeit geweckt und führt ihn zu Vergleichen mit der in anderen Schriftsätzen geübten Gepflogenheit. Er wird dann selbst zu der Erkenntnis kommen, daß die Sprache das Kleid des Gedankens ist. Wenn das Kleid zerreißt oder Falten wirft, so liegt es nicht am Stoff, aus dem es geschnitten ist, sondern daran, daß es etwas umschliessen soll, was nicht ausgereift oder gesund gewachsen ist. Wer eine klare und bestimmte innere Vorstellung von dem hat, was er sagen will, das heißt, wer die Gabe hat, folgerichtig zu denken, der spricht und schreibt auch richtig. Haben wir uns dem Zustande genähert, daß Rückfragen, Schreibereien, Zwistigkeiten, wie sie sich aus sprachlich unscharfem und mißverständlichem Ausdruck der Gedanken ergeben, aufhören, dann sparen wir auch viel Zeit, Geld und Arbeitskraft.