Titel: | Rechtswesen. |
Autor: | Werneburg |
Fundstelle: | Band 337, Jahrgang 1922, S. 150 |
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Rechtswesen.
Rechtswesen.
Grundstücksenteignung zum Bergwerksbetrieb. Falls für
den Betrieb des Bergbaues und zwar zu den Grubenbauen selbst, zu Halden-, Ablade-
und Niederlageplätzen, Wegen, Eisenbahnen, Kanälen, Maschinenanlagen, Wasserläufen,
Teichen, Hilfsbauten, Zechenhäusern und anderen für Betriebszwecke bestimmten
Tagesgebäuden, Anlagen, Vorrichtungen, zu Aufbereitungsanstalten (zur Aufbereitung
der Bergwerkserzeugnisse) sowie zu Solleitungen und Solbehältern die Benutzung eines
fremden Grundstücks notwendig ist, so muß der Grundbesitzer, er sei Eigentümer oder
Nutzungsberechtigter, dasselbe an den Bergwerksbesitzer gemäß § 135 des preuß. Allg.
Berggesetzes abtreten. Diese Abtretung darf nur aus überwiegenden Gründen des
öffentlichen Interesses versagt werden. Zur Abtretung des mit Wohn-, Wirtschafts-
oder Fabrikgebäuden bebauten Grund und Bodens und der damit in Verbindung stehenden
eingefriedigten Hofräume kann jedoch der Grundbesitzer niemals angehalten werden (§
136 Abs. 1 u. 2 A. B. G.).
Antragsberechtigt zur Abtretung von Grundeigentum ist somit gemäß der ersterwähnten
Bestimmung des § 135 A. B. G. der Besitzer eines Bergwerkes, das heißt also der
Besitzer eines durch staatlichen Hoheitsakt bereits zur Entstehung gelangten
Bergwerks; dem Bergwerksbesitzer steht ferner in dieser Beziehung gleich der an
Mineralien Gewinnungsberechtigte im Sinne der Bestimmung des § 38c A. B. G., ferner
auch der bloße Nießbraucher oder Pächter eines Bergwerks, da eben die Bestimmung des
§ 135 A. B. G. lediglich von dem Bergwerksbesitzer spricht, nicht von dem
Bergwerkseigentümer, welch letzterer also dann nicht antragsberechtigt ist, wenn er
den Besitz an dem Bergwerk einem Nießbraucher oder Pächter übertragen hat;
selbstverständlich ist der Bergwerkseigentümer, falls er – wie regelmäßig – auch
Besitzer des Bergwerks ist, ebenfalls zur Stellung des Antrages auf Abtretung des
fremden Grundstücks im Sinne des § 135 A. B. G. berechtigt, wie keiner näheren
Erörterung bedarf.
Zur Abtretung des für den Bergwerksbesitzers notwendigen Grundstücks oder
Grundstücksteiles im Sinne des vorerwähnten § 135 A. B. G. verpflichtet ist entweder
der Eigentümer des betreffenden Grundstücks – und zwar selbst dann, wenn dieser
selbst etwa Bergwerksbesitzer ist, R. G. E. v. 6. 7. 1917 – oder auch ein sonstiger
nutzungsberechtigter Besitzer des Grundstücks, so der Pächter, Nießbraucher,
Erbbauberechtigte.
Voraussetzung für das Vorliegen einer Abtretungsverpflichtung des
Grundstücksbesitzers dem Bergwerksbesitzer gegenüber ist, daß die Benutzung des
Grundstücks zum Betriebe des Bergwerks, des Bergbaues sowie der oben bezeichneten
Einrichtungen und Anlagen notwendig ist. Eine Benutzung des Grundstücks im Sinne
dieser Gesetzesbestimmung liegt jedoch nicht vor, wo lediglich
Grundstücksbestandteile, so zum Beispiel Sand oder Wasser, für den Bergbau
Verwendung finden sollen; es liegt also in Fällen dieser Art für den
Grundstückseigentümer eine Verpflichtung zur Abtretung an den Bergwerksbesitzer
nicht vor.
Ein Recht auf Abtretung des fremden Grundstücks oder Grundstücksteiles wird für
den Bergwerksbesitzer nicht nur dann erworben, wenn diese zu seinem eigentlichen
Bergwerksbetriebe oder seinem Bergbau, sondern auch für die Anlagen seines Bergwerks
notwendig sind, wie in der oben erwähnten Bestimmung des § 135 A. B. G. im einzelnen
näher aufgeführt und bezeichnet wird. Zu den enteignungsberechtigten Anlagen im
Sinne des § 135 A. B. G. gehören nach der Rechtsprechung Haldenplätze,
Kohlenniederlageplätze, Grubenholzlagerplätze, Seilbahnen, Bahnen zur Heranbringung
von Versatzmaterial, Hafenanlagen am Rhein für den Kohlenabsatz, Anlage besonderer
Wasserläufe zur Sicherung der Grubenbaue, zur Beseitigung drohender
gemeinschädlicher Ueberschwemmung, Rohrleitungen zum Zwecke der Zuführung des
Kesselwassers, Verlegung von Starkstromkabel zur Versorgung der Bergwerksanlage mit
elektrischer Kraft (allerdings herrscht in letzterer Beziehung
Meinungsverschiedenheit); nicht dagegen gehören zu diesen ein Enteignungsrecht
begründenden Anlagen des Bergwerksbesitzers Hüttenwerke oder Anlagen zur Gewinnung
von Versatzmaterial.
Notwendigkeit der Benutzung im Sinne der Gesetzesbestimmung des § 135 A. B. G. liegt
vor, wenn die von dem Bergwerksbesitzer geplante (neue) Bergwerksanlage nach den
Grundsätzen einer technisch und wirtschaftlich regelrechten Betriebsführung seines
Bergwerks oder der bezeichneten Anlagen notwendig ist oder doch am zweckmäßigsten
auf dem fremden Grundstück erfolgt und daher eben dessen Benutzung erfordert;
demgemäß muß sich die Prüfung auch darauf erstrecken, ob die von dem
Bergwerksbesitzer geplante (neue) Anlage selbst notwendig ist. Fehlt es an einem der
erwähnten Erfordernisse, so wird für den Bergwerksbesitzer ein Recht auf Abtretung
des fremden Grundstückes oder Grundstücksteiles nicht begründet.
Gegenstand der Abtretung ist nach Wortlaut des Gesetzes ein fremdes Grundstück;
hierzu rechnet die Rechtsprechung jedoch nicht bloß Grundstücke im engeren Sinne
dieses Begriffes, sondern auch Gräben, Kanäle auch öffentliche Flüsse, und zwar
diese namentlich zum Zwecke der Ableitung von Grubenwässern. Naturgemäß ist in
Fällen dieser letzteren Art das Abtretungsverfahren seitens des Bergwerksbesitzers
nur gegen die Anlieger zulässig (vgl. Zeitschr. f. Bergr., Bd. 27, S. 255).
Enteigenbar sind weiterhin private und öffentliche Wege zu Gunsten des
Bergwerksbesitzers, wobei jedoch die vorerwähnte Bestimmung des § 136 A. B. G.
besonders zu berücksichtigen ist; letzteres hat also zur Folge, daß die Enteignung
von öffentlichen Wegen insbesondere dann zu versagen ist, wenn überwiegende
Interessen des öffentlichen Wohles entgegen stehen; der Durchlegung einer
Zechenwasserleitung wird jedoch regelmäßig nichts entgegen stehen. Enteignet werden
können weiterhin auch Grundstücke, die dem Grundeigentümerbergbau dienen, ferner
auch Grundstücke eines anderen Bergwerksbesitzers, wenn sie von diesem nicht oder
doch nicht ausschließlich zur Zeit für seinen eigenen Betrieb benötigt werden.
Desgleichen können eigene Grundstücke des den Enteignungsantrag stellenden
Bergwerksbesitzers selbst, die zum Beispiel verpachtet, mit einer Grunddienstbarkeit
oder mit einer Hypothek belastet sind, von diesen der Benutzung entgegenstehenden
Rechte im Wege der Enteignung befreit werden (vgl. Rek. Besch. v. 13. II. 1906, Z.
f. B, Bd. 47, S. 285).
Der Enteignung entzogen ist nach positiver Bestimmung des § 136 Abs. 2 A. B. G.
(abgesehen von den in Absatz 1 dieser Bestimmung vorgesehenen Fällen des
Entgegenstehens von überwiegenden Gründen des öffentlichen Interesses) Grund und
Boden, der mit Wohn-, Wirtschafts- oder Fabrikgebäuden bebaut ist, sowie die hiermit
in Verbindung stehenden eingefriedigten Hofräume; der unbebaute Teil derartiger
Grundstücke unterliegt jedoch wiederum unter den vorerwähnten Voraussetzungen des §
135 A. B. G. der Enteignung. Die bloße Absicht des anliegenden
Grundstückseigentümers, sein Grundstück zu bebauen, steht der Enteignung an sich
nicht entgegen, vielmehr muß zwecks Versagung der Enteignung diese Absicht des
Grundstückseigentümers bereits äußerlich durch entsprechende Bebauungsmaßnahmen in
Erscheinung getreten sein. Im übrigen kann nach der Rechtsprechung die Abtretung
seitens des angrenzenden Grundstückseigentümers auch auf Grund eines speziellen
Rechtstitels dem Bergwerksbesitzer gegenüber verweigert werden, so insbesondere auf
Grund eines diesbezüglichen Vertrages oder eines sonstigen Rechtsgeschäftes, gemäß
welchem der Grundstückseigentümer das Recht erworben hat, sein Grundstück oder Teile
desselben zu Zwecken des Bergwerksbetriebes nicht abtreten zu brauchen (vgl. Z. f.
B., Bd. 8, S. 134); jedoch stellt eine bloße frühere Verpflichtung des
Bergwerksbesitzers, keine Grubenwässer in den Bach des Grundstückeigentümers
einzuleiten, keinen speziellen Rechtstitel in diesem Sinne dar (R. G. E. v. 5. 7.
90).
Die Enteignung entsprechend dem Antrage des Bergwerksbesitzers hat dessen
Entschädigungspflicht dem von der Enteignung betroffenen Grundeigentümer zur Folge,
wie das der § 137 A. B. G. ausdrücklich festsetzt (entsprechend der gewöhnlichen
Enteignung nach dem Enteignungsgesetze). Nach dieser Bestimmung des § 137 A. B. G.
ist der Bergwerksbesitzer verpflichtet, dem Grundbesitzer für die entzogene Nutzung
jährlich im voraus vollständige Entschädigung zu leisten und das Grundstück nach
beendigter Benutzung zurückzugeben. Tritt durch die Benutzung eine Wertverminderung
des Grundstücks ein, so muß der Bergwerksbesitzer bei der Rückgabe den Minderwert
ersetzen. Für die Erfüllung dieser Verpflichtung kann der Grundbesitzer schon bei
der Abtretung des Grundstücks die Bestellung einer angemessenen Kaution von dem
Bergwerksbesitzer verlangen. Auch ist der Eigentümer des Grundstücks in diesem Falle
zu fordern berechtigt, daß der Bergwerksbesitzer statt den Minderwert zu ersetzen,
das Eigentum des Grundstücks erwirbt. Nach dem Wortlaute dieser Bestimmung ist also
dem Grundstückseigentümer vollständige Entschädigung zu leisten und zwar durch
Ersatz des außerordentlichen Wertes des entzogenen Nutzungsrechtes sowie des
entgangenen Gewinnes; in letzterer Beziehung ist maßgebend die Bestimmung des § 252
des Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach nur der Gewinn ersetzt zu werden braucht, der
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen,
insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit
erwartet werden konnte. Nach der Rechtsprechung müssen jedoch unvermutete, durch
besondere außergewöhnliche Ereignisse hervorgerufene Wertsteigerungen hierbei außer
Betracht bleiben, wie das m. E. mit Rücksicht auf den vorerwähnten Wortlaut des §
252 B. G. B. als zutreffend erscheint.
In dem Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg vom 4. Juli 1916 wurde eine
entsprechende auf Erhöhung der auf Entschädigung gerichtete Klage eines Landwirts
gegen eine Gewerkschaft mit folgender Begründung abgewiesen: Der Kläger verlangt
gemäß den §§ 135, 137 des Allgemeinen Berggesetzes eine Erhöhung der ihm vom
Oberbergamt Halle für die Nutzung der entzogenen Gebiete zugesprochenen
Entschädigung. Mit Recht geht das Landgericht davon aus, daß für die Bemessung der
Entschädigung maßgebend ist der Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses seitens des
Oberbergamtes. Ereignisse, welche später eingetreten sind und die Situation
verändert haben, können von dem Grundbesitzer nicht benutzt werden. Es besteht in
dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen der Entschädigung für die Entziehung des
Eigentumes und derjenigen der Nutzungen. Es ist hier auch der § 252 B. G. B. zu
berücksichtigen. Zu dem mit Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gewinn sind die
unvermuteten, durch den Krieg herbeigeführten Wertsteigerungen keineswegs zu
rechnen. Sie waren zur Zeit des Erlasses des Beschlusses nicht vorauszusehen, wie
überhaupt die ganze einschneidende Wirkung des Krieges auf die Landwirtschaft.
Bezüglich der Wirtschaftserschwernisse folgt das Gericht dem Gutachten des
Sachverständigen. In seiner gegen dieses Urteil eingelegten Revision machte der
Kläger noch geltend, das der Beschluß des Oberbergamtes erst nach vier Wochen, also
im Kriege, Rechtskraft erlangt habe. Demgemäß hätten die durch den Krieg
geschaffenen Verhältnisse berücksichtigt werden müssen. Hinsichtlich der
Betriebserschwernisse machte der Kläger geltend, daß von seiner Seite schon früher
das Vorhandensein eines anderen geeigneten Terrains für die Korndiemen bestritten
worden sei. Das Reichsgericht vertrat hierzu den Standpunkt, daß der erste Punkt der
Revisionsbegründung rechtlich belanglos sei und der Standpunkt des Vorderrichters
gerechtfertigt sei; bezüglich des zweiten (letzteren) Punktes verwies es hingegen
die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Im übrigen ist zu dieser Frage hervorzuheben, daß selbstverständlich bezüglich der
Entschädigungszahlung selbst nunmehr die durch die veränderten Valutaverhältnisse
gegebenen neuen Verhältnisse insofern zu berücksichtigen sind, als frühere (d.h. vor
der Geldentwertung festgesetzte) Entschädigungen entsprechend dem jetzigen
Valutastande umzurechnen sind, wie das der Natur der Sache entspricht; denn die
früheren Entschädigungen bemaßen sich eben nach der damals geltenden Goldwährung.
Entsprechend dieser damaligen Goldwährung hat demgemäß für alle früheren
Entschädigungen eine Umrechnung nach dem Kurse der jetzigen Papiermark zu erfolgen.
Die gesetzliche Grundlage für eine derartige entsprechende Abänderungsklage ergibt
sich aus der Bestimmung des § 323 der Zivilprozeßordnung, die folgendes bestimmt:
Tritt im Falle der Verurteilung zukünftig fällig werdenden wiederkehrenden
Leistungen (hier des Bergwerksbesitzers) eine wesentliche Veränderung derjenigen
Verhältnisse ein, welche für die Verurteilung zur Entrichtung der Leistungen, für
die Bestimmung der Höhe der Leistungen oder der Dauer ihrer Entrichtung maßgebend
waren, so ist jeder Teil berechtigt, im Wege der Klage eine entsprechende Aenderung
des Urteiles zu verlangen (bezw. hier ev. des Beschlusses, wenn keine Verurteilung
des Bergwerksbesitzers zur Zahlung einer Entschädigung an den Grundeigentümer
erfolgt war). Die Klage ist nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf welche sie
gestützt wird, erst nach dem Schlusse der mündlichen Verhandlung, in der eine
Erweiterung des Klageantrages oder die Geltendmachung von Einwendungen spätestens hätten
erfolgen müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht
werden können. Die Abänderung des Urteiles (gegen den Bergwerksbesitzer, bezw. des
Beschlusses, der die Höhe der Entschädigung festgesetzt hatte) darf nur für die Zeit
nach Erhebung der Klage erfolgen.
Bezüglich der Frage des Kohlenwertes bemerkenswert ist die Entscheidung des
Reichsgerichtes vom 14. Oktober 1919 (Zeitschrift Das Recht 1920, Nr. 574). Nach
diesem Urteile kann, auch soweit dem Enteignungsberechtigten bereits das
Kohlenausbeuterecht auf dem enteigneten Grundstück zusteht, bei der
Entschädigungssumme die Tatsache des Kohlenvorkommens gleichwohl erhöhend in
Betracht kommen, wenn nämlich infolge reicher Kohlenlager der Bodenwert der
fraglichen Gegend eine bedeutende Steigerung erfahren hat.
Diesem Standpunkte des Reichsgerichtes ist m. E. beizupflichten; denn hier trifft
wiederum die Voraussetzung des oben erwähnten § 252 B. G. B. zu, daß ein Gewinn
des Grundstückseigentümers nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit
erwartet werden konnte, nämlich durch eigenen Bergbaubetrieb des
Grundstückseigentümers gerichtet auf Ausbeutung der in seinem Grundstücke
befindlichen Kohlenlagerungen.
Steht fest, daß die Benutzung des Grundstücks länger als drei Jahre dauern wird, oder
dauert die Benutzung des Grundstücks seitens des Bergwerksbesitzers nach Ablauf von
drei Jahren noch fort, so kann der Grundeigentümer verlangen, daß der
Bergwerksbesitzer das Eigentum des Grundstücks erwirbt (§ 138 A. B. G.). Wird durch
die Abtretung das einheitliche Grundstück so zerstückelt, das die übrig bleibenden
Teile nicht mehr zweckmäßig benutzt werden können, so hat der Bergwerksbesitzer dem
Grundeigentümer Entschädigung auch für die übrigen letzterem verbleibenden Teile zu
gewähren.
Rechtsanwalt Dr. Werneburg, Berlin-Schöneberg.