Titel: Neue Arbeitsarten in Eisenbahnausbesserungswerken.
Autor: Kurt Scheid
Fundstelle: Band 340, Jahrgang 1925, S. 18
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Neue Arbeitsarten in Eisenbahnausbesserungswerken. SCHEID, Neue Arbeitsarten in Eisenbahnausbesserungswerken. Die Ausbesserungswerke der Deutschen Reichsbahn haben in der Hauptsache die Aufgäbe, Lokomotiven und Wagen in gutem, brauchbaren Zustande zu erhalten und an den Lokomotivkesseln die gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungen vorzunehmen. Vor dem Kriege führten sie ein wenig beachtetes Dasein. Die Kosten, die ihr Betrieb verursacht, sind so gering im Vergleich mit den Summen, die der eigentliche Betrieb – die Zugförderung – verschlingt, daß es sich nicht zu lohnen schien, außergewöhnliche Anstrengungen an sie zu wenden. Das Verhältnis zwischen Werken und Betrieb erläutert ein ganz kurzer Vergleich: Im Betriebe sind reichlich fünfmal so viel Beamte und Arbeiter beschäftigt wie in den Werken; der Kohlenverbrauch des Betriebes ist etwa 50 mal so hoch wie der der Werke. Für die Kosten, die der Neubau einer Strecke von einigen Dutzend Kilometern nebst Bahnhöfen, Brücken usw. verursacht, könnte man mehrere große Werkstätten bauen. Eins aber hatte man völlig übersehen, nämlich daß Lokomotiven und Wagen, die in den Werken stehen, nichts verdienen, Zinsen fressen und im Betriebe fehlen. Je länger also die Ausbesserungszeiten in den Werken sind, desto mehr Lokomotiven und Wagen werden im ganzen gebraucht, desto mehr Kapital muß hineingesteckt werden und um so unwirtschaftlicher arbeitet das hineingesteckte Kapital. Der Krieg hat, wie in so vielem, auch hierin Wandel geschaffen. In den Zeiten äußerster Anspannung des Verkehrs, als noch dazu viele Hunderte von Lokomotiven in den besetzten Gebieten liefen, an Ungarn, die Türkei, Bulgarien usw. verliehen waren, fehlte es immer mehr an gebrauchsfähigen Zugkräften, und in den Werkstätten standen sie zu Tausenden – monatelang – und warteten auf Fertigstellung. Es wurde jetzt auch den nicht unmittelbarim Werkstättenwesen Tätigen klar, daß hier durchgreifende Aenderungen nötig waren, und da es außerdem offenbar war, daß wir nach dem verlorenen Kriege nicht mehr so aus dem Vollen würden schöpfen können, wie früher, so wurde eifrigst an der Gesundung des Werkstättenwesens gearbeitet, zunächst theoretisch, dann praktisch. Die Grundlagen der Ueberlegungen sollen im folgenden am Beispiel der Lokomotiven kurz geschildert werden. Zunächst wurde festgestellt, daß die Reichsbahn viel zu viele Bauarten hat; es mögen über zweihundert gewesen sein. Der schlechte Zustand, in dem sich die Lokomotiven durch die Ueberanstrengung der Kriegszeit und durch den Einbau von Ersatzbaustoffen befanden, gab willkommene Gelegenheit, ältere wenig leistungsfähige Sorten rücksichtslos auszumustern. Auch von schweren Sorten wurden einige, die sich nicht bewährt hatten, sei es durch unwirtschaftliches Arbeiten, sei es durch zu häufige Anwesenheit in den Werkstätten, nicht wiederhergestellt, sondern verkauft oder zerlegt und die Teile anders verwendet. Diese Durchprüfung ist noch lange nicht abgeschlossen, hat aber schon viel Gutes geschaffen. Alle Ersatzteile für Dutzende von Sorten brauchen nicht mehr vorrätig gehalten zu werden, oder wenn eine Sorte zum Aussterben verurteilt, aber noch reichlich vorhanden ist, wurde sie bestimmten Gegenden zugewiesen; die dortigen Werke erhielten von den anderen die vorrätigen Teile, so daß Neubeschaffungen solcher Teile kaum mehr nötig sind. Die Sonderung der Werkstätten erwies sich überhaupt als wichtig. Früher diente ein Werk der Unterhaltung der Lokomotiven eines bestimmten Bezirkes. Alle dort verwendeten Bauarten wurden in diesem Werke ausgebessert, so daß oft für zwanzig und mehr Sorten die Ersatzteile vorhanden sein mußten. Da dies für viele Sorten in Dutzenden von Werken der Fall war, war das Kapital, das in den Vorräten steckte, außerordentlich groß, und der Platzbedarf erheblich. Ich erwähne nur Radsätze, Reifen, Zylindergußstücke und ähnliche platzraubende Teile. Es war auch fast unmöglich, alles in Bereitschaft zu haben, so daß sehr oft lange Wartezeiten für die auszubessernden Lokomotiven entstanden. Die Lokomotiven wurden deshalb auf die Werke gesondert, d.h. jedem Werk wurden zwei bis vier Sorten zugewiesen; die anderen müssen dann eben beim Schadhaftwerden etwas weiter laufen oder gefahren werden. Diese Leerlaufstrecken spielen gar keine Rolle gegen die Vorteile, die die Sonderung mit sich bringt. Durch diese Maßnahmen wurden Kapital und Platz gespart und die Arbeit beschleunigt, da naturgemäß viel schneller gearbeitet werden kann, wenn die Arbeit eine gewisse Regelmäßigkeit hat. Der dritte und wichtigste Punkt der Neuerung ist die eigentliche wissenschaftliche Betriebsführung. Früher wurden die ausbesserungsbedürftigen Lokomotiven einer bestimmten Gruppe von Handwerkern zugewiesen, die fast alle Arbeiten ausführte, ausgenommen die, die in Gießerei, Schmiede und Dreherei gemacht wurden, und ganz große Kesselarbeiten. Es ist klar, daß hierbei die Vorteile einer Sonderausbildung der Menschen und der Hilfseinrichtungen nicht ausgenutzt werden konnte, daß vielmehr eine ziemlich ursprüngliche „Hand“arbeit vorherrschte. Dadurch wurden die Ausbesserungszeiten geradezu unheimlich verlängert, weil jedes Stück, das in den sogenannten Zubringerwerkstätten hergestellt oder nachgearbeitet wurde, als Einzelstück behandelt wurde. Der Zusammenbau mußte warten, bis alles da war. Die Zeiten für große Ausbesserungen, sogenannte innere Untersuchungen, betrugen 90 bis 120 Tage und mehr. Jetzt sind für die Lokomotivausbesserung 20 bis 30 Sondergruppen geschaffen, von denen jede nur eine bestimmte Arbeit ausführt. Bei dieser Massenfertigung hat es sich dann auch sofort als nötig und zweckmäßig herausgestellt, Sondermaschinen und Sondervorrichtungen zu schaffen, wodurch die Bearbeitungszeiten zum Teil auf ein Zehntel und weniger herabgedrückt wurden. Die Teile werden als Massenware behandelt, in Massenfertigung wiederhergestellt oder neu angefertigt und auf Lager genommen, von dem sie wahllos zum Anbau entnommen werden. Dazu ist natürlich nötig, daß sie auch passen; dieses Gebiet, das man mit Normung der Fahrzeugteile bezeichnet, ist eine Sache für sich, an der mit bestem Erfolge vom Reichsverkehrsministerium in Verbindung mit der deutschen Industrie gearbeitet wird. Wir sehen also jetzt in einem gut eingerichteten Werke folgendes Bild: Die Lokomotive wird von einer oder mehreren Abbaugruppen auseinandergenommen; die einzelnen Teile wandern in ihre Sonderwerkstätten. Der Kessel wird, falls er nicht nur ganz geringe Schäden aufweist, die von fliegenden Kesselschmiedegruppen schnell behoben werden können, herausgehoben und durch einen betriebsfertigen Ersatzkessel ersetzt. Dann kommen die Sonderabbaugruppen und bauen die vom Lager genommenen Ersatzteile an, jede nur einen Sonderteil, und in 30 bis 40 Tagen ist die Lokomotive wieder dienstbereit. Das Werk Brandenburg-West,das von Anfang an auf der Grundlage dieser Ueberlegungen und Berechnungen entworfen und gebaut worden ist, wird demnächst in 17 bis 20 Tagen mit dieser Arbeit fertig sein. Zahlenmäßig bedeutet das folgende Erfolge: Die Deutsche Reichsbahn hat 90 Werke mit rund 6000 Ausbesserungsständen. Nach alter Art waren alle Stände besetzt; es befanden sich also etwa 6000 Lokomotiven ständig außer Betrieb. In Zukunft werden die Werke mit einem Drittel bis einem Viertel der Stände bei gleicher Jahresleistung auskommen, d.h. es werden sich nur 1500 bis 2000 Lokomotiven in den Werken befinden, der Betrieb hat also 4000 Lokomotiven mehr zur Verfügung. Bei gleichbleibender Anforderung des Verkehrs wären 4000 Lokomotiven überzählig, es brauchten also auf Jahre hinaus keine beschafft zu werden, es sei denn, das neue Bauarten nötig oder erwünscht sind, die durch größere Wirtschaftlichkeit ihre Beschaffungskosten in kurzer Zeit hereinbringen. Nehmen wir an, daß der Beschaffungswert einer Lokomotive achtzigtausend Mark beträgt, so ergibt sich, daß 320 Millionen Mark Anlagekapital für Lokomotiven gespart werden kann, während das in den dann vorhandenen Lokomotiven steckende Kapital ebensoviel verdient. Als weitere Folge stellt sich heraus, daß die Reichsbahn viel zu viele Werkstätten hat. Die alten, kleinen, unwirtschaftlich arbeitenden Werkstätten werden eingehen oder zu Sonderwerkstätten umgestaltet werden. Es ist nicht nötig und auch gar nicht wirtschaftlich, daß jedes Werk alles selbst macht. Wenn nach festgelegten Maßen genau gearbeitet wird, können die Teile auch an anderer Stelle bearbeitet werden, wobei sich dann die Vorteile der Massen- und Reihenfertigung erst recht auswirken. Diese Werke – Großfertigungswerke – werden mit allen Hilfsmitteln neuzeitlicher Technik ausgerüstet und so schneller, besser und billiger arbeiten. An beabsichtigten Großfertigungswerken seien z.B. genannt: Gießerei für Rotguß und Eisen, Rohrschmiede, Räderschmiede, Kesselschmiede, Werkstatt für Puffer und Kupplungen, für Geräte, für Holzbearbeitung usw. Was von Lokomotiven gesagt ist, gilt sinngemäß auch für Wagen. Als letztes Glied der wissenschaftlichen Betriebsführung erscheint neuerdings eine genaue und sorgfältigste Durchprüfung der Arbeitsgänge und der Gedingezeiten, bei der die zu den Arbeiten verwendeten Zeiten so sicher festgelegt werden, daß dem Arbeiter sein Recht wird, das Werk aber auch nicht mehr bezahlt, als die Arbeit wert ist. Bei den bisher üblichen Schätzungen konnten Benachteiligungen eines oder des anderen Teiles nicht immer vermieden werden. Da 5000 bis 6000 Gedingezeiten nachzuprüfen sind, wird es geraume Zeit dauern, bis sich diese Arbeiten voll auswerten. Bei diesen sorgfältigen Nachprüfungen – und das ist ein großer Vorzug – werden auch Fehler in der Arbeitsweise, im Werkzeug oder in den maschinellen Einrichtungen festgestellt. Viel Arbeit bleibt noch zu tun, aber der Weg der zum Ziele führt, liegt dem Fachmann klar vor Augen, so daß der Erfolg nicht ausbleiben wird. Reg.-Rat Kurt Scheid.