Titel: Abdampftechnik und Abdampfwirtschaft in Deutschland.
Autor: Walther Parey
Fundstelle: Band 340, Jahrgang 1925, S. 31
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Abdampftechnik und Abdampfwirtschaft in Deutschland. PAREY, Abdampftechnik und Abdampfwirtschaft in Deutschland. Auf der Weltkraftkonferenz in London, auf die wir bereits in Heft 10 Bd. 339 dieser Zeitschrift hingewiesen hatten, wurden in umfassender Weise die wichtigsten Fragen der Krafterzeugung und -verwendung behandelt. Seitens der dort anwesenden deutschen Vertreter ist u.a. eine Denkschrift über den gegenwärtigen Stand der Abdampftechnik und Abdampfwirtschaft in Deutschland geliefert worden, die von Dipl.-Ing. H. Treitel in Heft 35 Bd. 68 der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure auszugsweise wiedergegeben wird. In Anlehnung daran möchten wir auf diese Fragen eingehen, die für unser zur äußersten Sparsamkeit gezwungenes Vaterland von besonderer Wichtigkeit sind. Die Umwandlung des im Dampf vorhandenen Wärmeinhaltes in mechanische Arbeit erfolgt durch Entspannen des Dampfes in einer Kraftmaschine. Der Wärmeinhalt des entspannten Dampfes, der bereits Arbeit geleistet hat, ist um so geringer, je höher der Wirkungsgrad der Energieumwandlung ist. Durch die wirtschaftlich nicht unterschreitbare Temperatur des Kühlwassers von rund 10° Cels. ist das verfügbare Wärmegefälle nach unten hin begrenzt. Aus einer Kondensationsmaschine mit höchster Luftleere tritt der Abdampf noch immer mit einem Wärmeinhalt von etwa 600 kcal/kg aus. Die Unmöglichkeit, das nutzbareWärmegefälle nach unten zu erweitern, hat zur steten Erhöhung des Druckes und der Temperatur, also zu einer Erweiterung des nutzbaren Gebietes nach oben hin geführt. Die neuesten Bestrebungen, den Höchstdruckbetrieb einzuführen, sind auch an dieser Stelle des öfteren eingehend behandelt worden. Nach endgültiger Ueberwindung der baulichen Schwierigkeiten dürfte sich der Betrieb mit hohen Dampfspannungen infolge seiner Wirtschaftlichkeit bald allgemein durchsetzen. Hand in Hand mit der Erhöhung der Druck- und Temperaturgrenzen und doch auf anderen Wegen geht die Abdampfwirtschaft; ihr Ziel ist die Ausnutzung jedes verfügbaren Wärmegefälles zur Energieerzeugung. Sie baut dabei auf folgender Erkenntnis auf: Die Erzeugung von Dampf mit beispielsweise 2 at Spannung erfordert ca. 640 kcal/kg, Dampf von 10 at erfordert ca. 653 kcal/kg. Das heißt, die Erhöhung des Druckes auf das 5fache – in unserem Beispiel – erfordert theoretisch nur einen um ca. 2 % größeren Wärmeaufwand. Bei gleichzeitigem Bedarf an mechanischer Arbeit und Wärme ist es also zweckmäßig, hochgespannten Dampf zu erzeugen, die Dampfspannung durch Arbeitsabgabe in einer Kraftmaschine auf den gewünschten Druck zu erniedrigen und erst diesen Abdampf der Kraftmaschine zur Deckung des Wärmebedarfs zu benutzen. Der günstigste Fall ist der, daß die Dampfmenge, die zum Heizen, Kochen usw. benötigt wird, bei der vorhergehenden Ausnutzung in einer Kraftmaschine jeweils die verlangte Leistung hergeben kann, daß aber auch nicht mehr Dampf zur Wärmeabgabe gebraucht wird, als dem jeweiligen Bedarf an mechanischer Arbeit entspricht. Dieser Fall dürfte allerdings in der Praxis kaum eintreten, denn wenn auch einmal zahlenmäßig ein Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Wärmebedarf vorhanden sein sollte, ließe sich doch kaum erreichen, daß die Schwankungen des Bedarfs sich der Zeit wie der Größe nach dauernd decken. Dieser Schwierigkeit muß natürlich Rechnung getragen werden, um trotzdem bei den gegebenen Verhältnissen die bestmögliche Ausnutzung des Dampfes zu erzielen. Wir finden die Dampfkraftmaschinen, deren Abdampf zu Heizzwecken verwendet wird, in zwei ziemlich scharf getrennten Bauarten vor, als Gegendruckmaschinen oder als Anzapfmaschinen. Die Scheidung ergibt sich aus dem Verhältnis des Wärmebedarfs zum Arbeitsbedarf. Ist der Bedarf an Heizdampf gleich oder größer als der Dampfbedarf, der zur Abgabe der mechanischen Arbeit gebraucht wird, so ist eine Gegendruckmaschine zu verwenden. Bei dieser wird der ganze Dampf aus der Kraftmaschine, in der er durch Expansion vom Kesseldruck auf den zum Heizen erforderlichen Druck Arbeit geleistet hat, in die Heizleitung geführt. Die Gegendruckmaschinen haben also normalerweise keinen Kondensator. Uebersteigt der Energiebedarf vorübergehend oder dauernd die Energiemenge, die der zur Heizung erforderliche Dampf hergeben kann, so kommt eine Anzapf- oder Entnahmemaschine in Frage. Bei dieser expandiert der Dampf in einer oder in mehreren Stufen auf den zum Heizen erforderlichen Druck, dann wird die erforderliche Heizdampfmenge abgezapft; der Restdampf arbeitet in den weiteren Stufen und wird schließlich im Kondensator niedergeschlagen. Die Mannigfaltigkeit der Betriebsverhältnisse bringt es naturgemäß mit sich, daß die scharfe Scheidung der Bauarten verschwindet, daß Gegendruck- und Anzapfbetrieb zum Teil sogar in einer Maschine vereinigt werden. Dies kommt z.B. in Frage, wenn zwei oder mehr verschiedene Heizdampfdrücke benötigt werden; dann werden die Netze der höheren Drücke durch Anzapfung, das Niederdrucknetz durch Gegendruckbetrieb gespeist. Um zu vermeiden, daß im Niederdrucknetz Dampfmangel eintritt, wenn im Hochdrucknetz starker Verbrauch ist, werden zwischen Frischdampf- und Niederdruckleitung Druckminderventile eingebaut, die nur dann selbsttätig geöffnet werden, wenn der Arbeitsdampf der Maschine den Bedarf des Niederdrucknetzes nicht deckt. Es darf hier wohl eingeschaltet werden, daß für große Leistungen die Dampfturbine fast allgemein das Feld erobert hat. Selbst der auf dem Gebiet der Gegendruckmaschinen bislang vorhandene Vorsprung, den die Kolbendampfmaschinen in bezug auf die Wärmeausnutzung hatten, ist inzwischen durch die Dampfturbinen eingeholt worden. Vor allem der Brünner Turbinen-Bauart ist dieser Fortschritt zu danken; sie ermöglicht, den Wirkungsgrad so zu steigern, daß die durch den größeren Materialaufwand bedingten höheren Baukosten durchaus aufgewogen werden. Diese großen Fortschritte im Turbinenbau lassen es wohl gerechtfertigt erscheinen, wenn im vorliegenden hauptsächlich von der Abdampfwirtschaft bei Turbinenbetrieb die Rede ist. Die bereits oben erwähnte Kombination von Gegendruck- und Anzapfturbine hat zu den verschiedensten Bauarten geführt, von denen einige der bemerkenswertesten nachstehend kurz beschrieben werden sollen. Häufig werden diese Anzapf-Gegendruckturbinen zweigehäusig ausgeführt, also Anzapfmaschine und Gegendruckmaschine getrennt für sich. Die Verbindung beider erfolgt meist nur durch eine Dampfleitung, durch starre Kupplung beider Wellen und vor allem durch die gemeinsame Regelung. Diese hat dafür zu sorgen, daß bei Belastungsänderung an beiden Entnahmestellen der Druck konstant bleibt und daß andererseits bei Aenderung der Entnahmemengen keine Drehzahländerung auftritt. Erforderlich hierfür ist ein Geschwindigkeitsregler, ein Gegendruck- und ein Anzapfdruckregler. Diese drei Regler arbeiten über ein gemeinsames Gestänge auf die Servomotoren der Turbinen. Der Geschwindigkeitsregler stellt die gesamte Turbinenleistung ein, der Gegendruckregler verteilt je nach dem Entnahmedampfbedarf die Belastung auf die beiden Turbinen, während der Anzapfdruckregler den Anzapfdruck gleichbleibend erhält. Eine besonders merkwürdige Turbine ist für eine Papierfabrik geliefert worden. Bei dieser ist mit einer Anzapf-Gegendruckturbine eine Kondensationsturbine lösbar gekuppelt. Die Kondensationsturbine tritt nur in Betrieb, wenn der Kraftbedarf größer ist als der Heizdampfbedarf. Anderenfalls wird sie abgekuppelt und stillgesetzt, so daß keine Leerlaufarbeit für sie aufzuwenden ist. Diese Bauart dürfte jedoch nur sehr vereinzelt ausgeführt werden. Es liegt auf der Hand, daß Temperatur und Druck des Frischdampfes, mit dem eine Maschine betrieben wird, in Abhängigkeit stehen von dem verlangte Zustand – Druck und Temperatur – des Heizdampfes sowie von der Leistung, die dieser Dampf vorher in der Turbine abgeben soll. Denn erstens wird meist verlangt, daß der Heizdampf nahezu trocken gesättigt in die Heizleitung eintritt, zweitens soll dieser Dampf eine Temperatur haben, die oft nur in ziemlich engen Grenzen schwanken darf. Dieser Temperatur entspricht aber bei trocken gesättigtem Zustand ein ganz bestimmter Druck, der in fester Abhängigkeit von der Temperatur nur in den gleichen engen Grenzen schwankt. Der Heizdampfzustand ist auf diese Weise festgelegt. Der Anfangszustand des Dampfes vor der Maschine ist denn also abhängig von der mechanischen Leistung, die die Turbine abgeben soll. Allerdings kann man sich durch Einschalten von Speichern, Kühlern und dergleichen vom Frischdampfzustand unabhängig machen; aber diese Hilfsmittel sind im Betrieb meist unerwünscht. Man ist also mit der Wahl des Frischdampfzustandes ziemlich gebunden. Ich möchte hierbei nicht versäumen, auf die Arbeit von Oberingenieur Bente in Heft 10, Jahrg. 4 (1924) der Siemens-Zeitschrift hinzuweisen. An Hand einer Anzahl Kurven kann man hiernach bei bekanntem Leistungsbedarf und Turbinenwirkungsgrad für jeden geforderten Heizdampfdruck – unter der Voraussetzung trocken gesättigten Heizdampfes – den zugehörigen Frischdampfzustand ablesen. Für eine weitgehende und gründliche Wärmewirtschaft ist diese Abhängigkeit des Frischdampfes vom Heizdampf natürlich ungünstig, denn abgesehen von der chemischen Industrie, die meist mit sehr hohen Drücken kocht, muß dadurch der Frischdampfzustand oft erheblich unter den Grenzen liegen, die heute im Höchstdruckbetrieb praktisch und mit Vorteil erreichbar sind, und an die man aus wirtschaftlichen Gründen natürlich möglichst nahe herankommen möchte. Auf der anderen Seite ist man bestrebt, die Heizdampfdrücke auf das technisch notwendige Maß herabzusetzen; das ist aber natürlich nur dann vorteilhaft, wenn nicht gleichzeitig eine Herabsetzung des Anfangsdruckes erforderlich wird. Dieser Widerspruch läßt sich wirtschaftlich nur lösen durch geeignete Organisation, durch die Kraft- und Wärmeverbrauch auf einander abgestimmt werden können. Oft genügt es schon, innerhalb eines Betriebes den Herstellungsgang und die Herstellungsmethoden richtig zu beeinflussen, um eine zeitliche Angleichung des Wärmebedarfs an den Kraftbedarf und dadurch eine günstige Ausnutzung der Maschinen und Kessel zu erzielen. In manchen Fällen aber genügt das nicht. Wenn mit sehr hohen Anfangsdrücken gearbeitet wird bei niedrigem Heizdampfdruck, ergibt sich oft ein Ueberschuß an Energie, den der eigene Betrieb nicht abnehmen kann. Das führt zur Vereinigung eines wärmeverbrauchenden Betriebes mit einem solchen, der den Kraftüberschuß aufnehmen kann. In einzelnen Konzernen, z.B. bei der Ilse-Bergbau-A.-G., ist eine solche Vereinigung der einzelnen Werke weitgehend durchgeführt. Einen anderen Weg hat mit Erfolg das Wärmekraftwerk der Technischen Hochschule München beschriften. Im Winter wird die Hochschule mit dem Entnahmedampf einer Anzapfturbine geheizt; die erzeugte elektrische Energie wird in das Netz der Hochschule, der Ueberschuß in das Stadtnetz geliefert. Bei der Wasserknappheit der Hochgebirgsflüsse im Winter ist die Stromlieferungnatürlich sehr erwünscht. Im Sommer darf dann die Hochschule soviel Strom kostenlos dem Stadtnetz entnehmen, wie sie im Winter geliefert hat. Aehnliche Verträge unter mehr oder weniger günstigen Umständen sind auch sonst schon mehrfach abgeschlossen worden; sie tragen wesentlich dazu bei, der wirtschaftlichen Wärme- und Energieverwertung immer weitere Gebiete zu erobern. Als ein besonderes Beispiel, wie günstig sich eine gründliche Abdampfwirtschaft auswirken kann, möchte ich eine Lausitzer Textilfabrik anführen. Diese hatte ursprünglich eine Kesselanlage, die nur den Heizdampf lieferte; der Kraftstrom wurde von einem benachbarten Elektrizitätswerk geliefert. Nach der Umstellung auf Abdampfbetrieb konnte das Werk bei gleichem Kohlenverbrauch wie früher die gesamten Stromkosten ersparen, die früher an das Elektrizitätswerk gezahlt wurden. Das sollte doch manchem Betriebsleiter zu denken geben. Die unteren Grenzen, bei denen sich die eigene Stromerzeugung lohnt, liegt heute für Gegendruckmaschinen bei etwa 50 PS, für Anzapfmaschinen bei rund 300 PS; eine obere Grenze kennt die heutige Technik kaum, Anzapf- und Gegendruckturbinen sind schon für 4000 bis 6000 KW ausgeführt worden. Es ist also nahezu allen Betrieben die Möglichkeit gegeben, Abdampfwirtschaft zu treiben. Wenn einmal wieder normale Verhältnisse in Deutschland herrschen und die Frage der Kapitalbeschaffung und des Risikos bei Neuanlagen nicht mehr so schwerwiegend ist wie heute, dann wird sich die Abdampftechnik und Abdampfwirtschaft immer größere Gebiete erobern. Walther Parey.