Titel: | Zur Festigkeit von Ketten. |
Autor: | Ladislaus Feimer |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 81 |
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Zur Festigkeit von Ketten.
Von Ing. Ladislaus
Feimer, Budapest.
FEIMER, Zur Festigkeit von Ketten.
I. Einleitung.
A. Baumann behandelt in der Z. d. V. D. I., Jahrgang 1908 amerikanische Versuche, die
mit Ketteingliedern durchgeführt wurden. Seine Betrachtungen gipfeln in der Meinung,
daß die von den Amerikanerin auf theoretischem Wege gefundenen hohen Spannungen von
der Praxis nicht bestätigt werden und eine Einschränkung der bezüglichen Bachschen
Formeln unbegründet ist. Zum Schlüsse wird die Notwendigkeit weiterer Versuche
erwähnt.
Viel wurde meines Wissens nach über diesen etwas vernachlässigten Gegenstand seither
auch nicht geschrieben und die bekannten Bachschen Formeln blieben alleinherrschend.
Nach diesen dürfen gewöhnliche, offene kurz- oder langgliedrige Ketten mit:
P = 1000 d2
(wenig angestrengte Ketten)
P = 800 d2
(häufig benützte Ketten)
d = 0 ∙ 04 √P
(kalibrierte Ketten)
belastet werden, wobei gegen Bruch eine vier- bis fünffache Sicherheit vorhanden ist.
Dies entspricht einer durchschnittlichen Zugbeanspruchung in den Querschnitten der
kleinen Axe von
σ'zul
=
637 kg/cm2,
σ'zul
=
507 kg/cm2,
σ'zul
=
400 kg/cm2.
Bei diesen Kettengliedern soll der kleine Durchmesser – innen
gemessen – 1 . 5d, der große Durchmesser – innen gemessen – bei kurzgliedrigen
Ketten 2 . 6d, bei langgliedrigen 3 . 5d betragen. Diese Formeln sind, wie erwähnt
allgemeingültig und fast sämtliche Vorschriften enthalten kaum abweichende
Bestimmungen.
Nach der deutschen Dinorm 72 . b./ vom Jahre 1922, soll die durchschnittliche
Zugbeanspruchung bei der Prüfung (zweifache zulässige Beanspruchung) bei:
d = 7 mm
30 mm
σp = 910
1210 kg/cm,2
σ'zul =
455
605 kg/cm2 betragen.
Die Bruchbeanspruchung ist:
σQ = 2
σp
Der Vorschrift der „Association belge de standardation“ (Rapport Nr. 11) gemäß
ist bei Flußeisen:
σ'zul
= 500 – 600 kg/cm2.
Nach Board of Trade et Lloyd Register of Shipping ist σp =1200, die Bruchbeanspruchung das
Zweifache und daher, σ'zul = 600 kg/cm2.
Nach den Lieferungsbedingungen der kgl. ung. Staatsbahnen ist die zulässige Belastung
im allgemeinen 1000 d2, bei Dampfkranketten: 500
d2.
Solange daher die erwähnten Bestimmungen für die Form der Ketten zutreffen,
würde es keinem einfallen, an der Gültigkeit der Bachschen Formeln zu zweifeln.
Weicht jedoch die Form des Ketteingliedes von den angeführten ab, so kann deren
Anwendung zu schweren Irrtümern führen. In diesem Falle könnte die zulässige
Belastung durch Versuche fallweise bestimmt werden. Eine einwandfreie Lösung der
Frage wird jedoch nur dann erreicht, wenn die Versuchsergebnisse auch theoretisch,
wenigstens näherungsweise unterstützt sind. Anderseits müßten sich die Versuche in
jedem Falle auf viele Proben ausdehnen, was weder in materieller, noch in
zeitökonomischer Hinsicht erwünscht ist. Aus diesem Grunde entschloß sich Verfasser
dieses Aufsatzes zur Veröffentlichung der unter seiner Mitwirkung an der kgl. ung.
technischen Hochschule in Budapest (Laboratorium für Technische Mechanik)
ausgeführten Versuche.Für die Erlaubnis zur
Mitteilung der Versuchsergebnisse sei Herrn Prof. Dr.-Ing. Adalbert v.
Bresztovszky auch an dieser Stelle gedankt.
Textabbildung Bd. 341, S. 81
Abb. 1.
Untersucht wurden Kettenglieder, welche die in Abb. 1
angeführten durchschnittlichen Abmessungen hatten. Den Bachschen Formeln gemäß
könnten daher die Ketten mit:
P = 2103 – 1682 kg
belastet werden und die Bruchlast müßte 10515 bis 8160 kg
sein. Trotzdem das verwendete Material, wie auch dessen Ausführung (Schweißung)
vollkommen einwandfrei waren, wurde der Bruch der Ringe durchschnittlich bei 6930
kg, der Kettenglieder bei 7107 kg erreicht. Und zwar erfolgte der Bruch bei den
Ringen größtenteils, bei den Ketten ausschließlich an den Berührungsstellen. Die
Ursache dieses Umstand es ist in der Erhöhung der Biegungsspannungen, welche im
Schnitt des größeren Durchmessers, d.h. an den Berührungsstellen der Kettenglieder
entstehen, zu suchen.
II. Entwicklung der Gebrauchsformeln.
Im folgenden sei zuerst die analytische Entwicklung der Biegungsmomente erörtert.
Die Schwerachse des Kreisringes läßt sich der zweifachen Symmetrie wegen in vier
Teile zerlegen (siehe Abb. 2), welche einerseits
eingespannt, anderseits durch die Kraft \frac{p}{2} belastet
sind. Die Momentenlinie, wenn zuerst R0 = 1 gesetzt
wird, ist eine Sinuslinie, dessen Fläche
\varphi=\frac{\pi}{2}.
F M = ∫ sin φ . d φ = 1
φ = 0
ist. Die Momentenfläche ist die um
\frac{1}{E\,\frakfamily{I}} verzerrte Endverdrehung, die im
Ringglied des materiellen Zusammenhanges wegen nicht zustande kommen kann, d.h.
gleich Null wird. Die Ausgleichgerade, welche die Momentenlinie des in Pkt. A
drehenden Momentes darstellt, hat daher die Ordinate:
\frakfamily{M}_A=\frac{1}{\frac{\pi}{2}}
Textabbildung Bd. 341, S. 82
Abb. 2.
Hat die Schwerachse des Kreisringes den Halbmesser R0, so ist
\frakfamily{M}_A=P\,\frac{R_0}{\pi}
1.
Und in Pkt. B entsteht ein Moment:
\frakfamily{M}_B=-P\,\frac{R_0}{\pi}\,\left(\frac{\pi}{2}-1\right)=-0,57\,\frakfamily{M}_A
2.
Ist die Schwerachse der Kette aus Geraden und Kerisstücken zusammengesetzt (Abb. 3), was näherungsweise auch bei Ellipsen
zutrifft, wird bei analoger Ableitung:
M_A=\frac{P\,R_0\,b}{2\,\left(b-R+\frac{R\,\pi}{2}\right)}=P\,\frac{b}{2\,\left(\frac{b}{R}+0,57\right)}
3.
Nebst bei Berücksichtigung der Normal- und Scherkräfte, wird der gefährliche
Querschnitt bei A entstehen.
Wenn wir auf Grund obiger Formeln die Biegungsspannungen berechnen, welche bei kurz-
und langgliedrigen Kettengliedern entstehen, so kommen wir auf folgende
Resultate:
Bei kurzgliedrigen Ketten
\frac{R=1,25\,d}{b=1,80\,d}\,M'_A=P\,\frac{1,8}{2\,\times\,2,01}\,d=0,4476\,d
4.
langgliedrigen Ketten
\frac{R=1,25\,d}{b=2,25\,d}\,M''_A=P\,\frac{2,25}{2\,\times\,2,37}\,d=0,47465\,d
4a.
Ist W = 0 . 0982 d3 der Widerstandsmoment des
Kreisquerschnittes, so folgt:
\sigma_A\,'=\frac{0.45\,P\
d}{0,0982\,d^2}=P\,\frac{4,581}{d^2} 5
\sigma_A\,''=\frac{0.47\,P\
d}{0,0982\,d^2}=P\,\frac{4,785}{d^2} 5a
Nachdem die im Pkt. B. auftretende Zugbeanspruchung
\sigma'=\frac{2\,P}{\pi\,d^2}=0,64\,\frac{P}{d^2}
ist, übersteigt die auf diesem Wege gefundene
Biegungsbeanspruchung die Zugspannungen um das 7 . 2 bzw. 7 . 5fache. Es würden also
noch größere Spannungen auftreten, als jene, welche von den Amerikanern gerechnet
wurden. Die Ursache ist, wie schon Baumann erwähnt, in der Vernachlässigung der
Deformationsverhinderung, der teilweisen Abstützung zu suchen. Und noch ein
wichtiger Umstand sei erwähnt. Die Gleichungen beziehen sich auf den
Ausgangszustand, welcher sich bei fortschreitender Belastung, d.h. Formveränderung
wesentlich ändert.
Bemerkt sei noch, daß allgemein MA auch graphisch, auf dem in Abb. 2 angegebenen Wege bestimmbar ist.
Formeln 4 und 4 a können zur Entwicklung einer Gebrauchsformel benutzt werden. Es
wird angenommen, daß die vernachlässigten Spannungen sich im selben Maße ändern als
die Grundspannungen. Ist für eine Form MA entwickelt, so kann
\alpha=\frac{M_A}{\frakfamily{M}_A} 6.
als ein Abminderungsfaktor betrachtet werden.
Bei der Ringform ist mit Berücksichtigung der Formeln 1 und 4
\alpha=\frac{0,4476}{\frac{R_o}{\pi}}=1,406\,\frac{d}{R_o}
Und die zulässige Belastung bei wenig angestrengten
Ketten:
\underline{P'}=1000\,d^2\,alpha\,\sim\,\underline{1400\,\frac{d^2}{R_o}} 8.
bei häufig benutzten Ketten:
\underline{P''}=800\,d^2\,alpha\,\sim\,\underline{1120\,\frac{d^2}{R_o}} 8a.
Textabbildung Bd. 341, S. 82
Abb. 3.
Mit der Annahme, daß bei Ersteren die vierfache, bei der Zweiten die fünffache
Sicherheit gefordert wird, ist die Bruchlast:
\underline{P_0}=4\,\times\,1400\,\frac{d^3}{R_o}=5\,\times\,1120\,\frac{d^3}{R_o}=\underline{5600\,\frac{d^3}{R_o}}
9.
Bei der in Abb. 1 gezeichneten Kette (Längenmaß
entspricht der langgliedrigen Kette) ist:
\frakfamily{M}_A=\frac{P}{2}\,\frac{2,25\,d}{\frac{2,25}{1,75}+0,57}=0,6065\,d
\alpha=\frac{0,47465\,P\,.\,d}{0,6065\,P\,.\,d}=0,7827
Und
P' = 782.7 d2 10a.
P'' = 626.2 d2
10b.
die Bruchlast:
Pq
= 4 × 782.7 d2 = 5 × 626.2 d2 = 3131 d2 11.
III. Versuchsergebnisse.
Das für die Ketten verwendete Material war Flußstahl-Normalgüte (St 37). Die von den
Ketten entnommenen und im warmen Zustand geradegerichteten Versuchsstäbe besaßen
folgende Zugfestigkeiten:
Textabbildung Bd. 341, S. 83
Zahlentafel 1.
Textabbildung Bd. 341, S. 83
Zahlentafel 2.
Anmerkung; starker Riß an der
Schweißstelle; spröder Bruch; sehr starke Quercleformation, zäher Bruch.; wie
oben.
F
Querschnitt des Versuchsstabes,
σ
s
Streckgrenze,
σQ
Bruchbeanspruchung,
ε
Dehnung in v. H.,
C
Querschnittsverminderung.
Die Versuchsstücke der Ketten bestanden aus je fünf Gliedern. In Zahlentafel 2 sind
die Kettenglieder mit Strichen, die Ringglieder mit Kreisen bezeichnet. Die Versuche
wurden an einer Mohrschen Zerreißmaschine durchgeführt, so, daß die ersten und
letzten Glieder in Klauen eingespannt wurden. In der folgenden Zahlentafel 2
bedeutet:
b
äußere Breite des Gliedes
h
äußere Höhe des Gliedes
b1h1
desgl. nach dem Bruch
\frac{\Delta\,h}{h} %
\frac{\Delta\,b}{b} %
Aenderung der Abmessungen bei P = 2250 kg
P
Belastungsstufe
Pq
Bruchbelastung.
Die Schweißstellen sind schraffiert, die Bruchstellen mit †
bezeichnet.
Wie aus der Tafel ersichtlich, erfolgte der Bruch bei Gruppe A./ ausgenommen 7. an
den Ringen und zwar vorwiegend bei den Schweißstellen, bei Gruppe B./ immer beim
eingespannten Ring. Letzterwähnter Umstand ist leicht erklärlich, da hier die Einspannung die
Querdeformation hinderte und die erwähnte Abminderung der Grundspannungen nicht im
vollen Maße erfolgen konnte.
Die bei den Versuchen durch die Maschine registrierten Spannungsdiagramme sind aus
Abb. 4–6
ersichtlich. Hieraus lassen sich folgende Schlüsse ziehen. Bei Beginn der Belastung
ist Proportionalität vorhanden, die Diagramme steigen flacher als beim Zugversuch,
da bei ihnen die Verringerung der Querachse auch zum Ausdruck kommt. Die
Streckgrenze erscheint als eine Uebergangskurve, die bei Flußstahl-Normalgüte
übliche Vibration kommt nicht zum Vorschein. Die Dehnungszunahme nach der
Streckgrenze ist auffallend gering und ebenfalls proportional mit der Belastung. Die
Diagramme der einzelnen Versuche verlaufen nahezu parallel. Eine Ausnahme bilden
Versuche 4 und 5, wo Vibration an der Streckgrenze – die im Verhältnis viel
niedriger ist – und große Längenänderungen nach dieser zum Ausdruck kommen, also
Erscheinungen des Zugversuches.
In Zahlentafel 3 sind die Verhältniszahlen der Streckgrenzen bzw. Bruchspannungen
zusammengestellt.
Textabbildung Bd. 341, S. 84
Zahlentafel 3.
Die Diagramme liefern ein getreues Bild von der Beschaffenheit des Materials, bzw.
vom Verlauf der Versuche. Bei 1–3 erfolgte der Bruch vorwiegend infolge den
Biegungsspannungen, das Material war spröde. Bei 4. und 5. zogen sich die Ringe
derart zusammen, daß sie die Form eines schlanken Kettengliedes erreichten, also die
reine Zugfestigkeit zum Ausdruck kommen konnte. 7.–9. zeigten ganz analoge
Brucherscheinungen. Bemerkenswert ist, daß bei 7. trotz des Vorhandenseins eines
Ringes der Bruch bei einem Kettenglied erfolgte. Die Ursache liegt in der großen
Formveränderung des Ringes (bei P = 2250 kg, 1 . 16%), ein Umstand, der wieder
hinweist, daß die Grundformeln strenge genommen nur für den Ausgangszustand
Gültigkeit haben.
IV. Schlußfolgerungen.
Textabbildung Bd. 341, S. 84
Zahlentafel 4.
Bruchlast; Durchschn.
Bruchbeanspruchung; Unterschied zwischen 6 und 7
Die Zusammenstellung in Zahlentafel 4 beweist, daß die von den Bachschen Formeln
abgeleiteten Beanspruchungen zu hohe Werte liefern. Die Gebrauchsformeln hingegen
(ausgenommen 4. und 5.) bieten eine entsprechende Uebereinstimmung, um so mehr da
ein Unterschied von 12–13% auch bei reiner Zugfestigkeit vorkommt. Z.B. gemäß Tafel
1./:
\Delta\,\sigma_a=\frac{4330-3780}{4430}\,\times\,100=12,4\mbox{
v.H.}
Textabbildung Bd. 341, S. 84
Abb. 4.
Textabbildung Bd. 341, S. 84
Abb. 5.
Daß bei 4. und 5. die Bachschen Formeln richtige Werte liefern, ist dem obenerwähnten
nach leicht erklärlich.
Die von Baumann in der Z. V. D. I. 1908 erwähnten amerikanischen Formeln:
P0 = 435 d2
P0 = 580 d2
führen wieder zu niedrigen Resultaten, wenn in analoger
Weise:
PQ = 5 × 435 d2 = 2175 d2
PQ = 4 × 580 d2 = 2320 d2
gesetzt wird, da nach Formel 11, welche annähernd zu richtigen
Werten führte PQ = 3131 d2 ist.
Zum Schlusse sei noch auf eine andere Anwendung des Verfahrens hingewiesen. Nach den
Lieferungsbedingungen der kgl. ung. Staatsbahnen soll die kleinste Bruchlast bei Ketten
mindestens
min PQ = 3770 d2
sein. Dieser Forderung würde mit Ausnahme 4. und 5. kein
Versuchsstück entsprechen, trotzdem das Material vollkommen einwandfrei war. Mit dem
Abminderungskoeffizienten wird jedoch:
\mbox{min
}P_Q\,'=1,4\,\times\,3770\,\frac{d^3}{R_o}=5278\,\frac{d^3}{R_o}
min PQ'' = 0.7824 × 3770 d2 = 2941 d2
Mit diesen Formeln gerechneten Mindestbruchlasten sind in
Zahlentafel 5 zusammengestellt, welche in jedem Falle kleiner sind als die
ermittelten.
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Abb. 6.
Zahlentafel 5.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
5195
4295
4670
5200
5310
6220
6500
6340
6040
Die Versuche bestätigen also vollkommen die Gefährlichkeit der kritiklosen Anwendung
der Bachschen Formeln. Selbst Versuchsergebnisse wie 4. und 5. können zu Irrtümern
führen, da sie zweifellos Ausnahmefälle sind.