Titel: | Ueber Turbinensaugrohre. |
Autor: | H. Baudisch |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 165 |
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Ueber Turbinensaugrohre.
Von Prof. Dr. H. Baudisch, Wien.
BAUDISCH, Ueber Turbinensaugrohre
Die Vollstrahlwasserturbinen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Wirkungsweise
in zwei Gruppen, solche mit vornehmlich dynamischer, und solche mit vornehmlich
statischer Arbeitsübertragung. Entsprechend dieser ganz grundlegend verschiedenen
Wirkung haben auch die Saugrohre verschiedene Aufgaben zu erfüllen.
I. Die Saugrohre der mit dynamischer Arbeitsübertragung arbeitenden
Vollstrahlturbinen haben die Aufgabe, die absolute Austrittsgeschwindigkeit c2 des Wassers aus dem Laufrade auf einen kleineren
Wert c3 zu ermäßigen. Hierdurch wird im Saugrohre
eine Verzögerung p des Wassers hervorgerufen, welche sich zu
P=\frac{c_2-c_3}{t} bestimmt, wenn t den Mittelwert der Zeit
bedeutet, welche ein Wasserteilchen benötigt, um die Saugrohrlänge L zu
durchströmen. Diese Zeit ermittelt sich unter Berücksichtigung der mittleren
Strömungsgeschwindigkeit c_m=\frac{c_2+c_3}{2} des
Wasserteilchens zu t=\frac{L}{c_m} Eine Vereinigung vorstehender
3 Beziehungen ergibt den Wert
p=\frac{{c_2}^2-{c_3}^2}{2\,L} (1)
Die im Saugrohre enthaltene Wassermasse M bestimmt sich beim mittlerem
Strömungsquerschnitt Fm des Saugrohres zu
M=\frac{F_m\,L\,\gamma}{g}, wobei γ das spezifische Gewicht
des Wassers und g die Beschleunigung der Schwere ist. Die gesamte verzögernde Kraft
P = M p stellt sich daher unter Verwendung der Gleichung 1 auf
P=\frac{F_m\,\lgamma}{2\,g}\,({c_2}^2-{c_3}^2), woraus die
verzögernde Kraft pro Flächeneinheit des Saugrohrquerschnittes durch
\frac{P}{F_m}=\gamma\,\frac{{c_2}^2-{c_3}^2}{2\,g}, die ihr
entsprechende Wassersäule durch
h=\frac{{c_2}^2-{c_3}^2}{2\,g}
(2)
gegeben ist. Letztere stellt den sogenannten Rückgewinn in
einem derartigen konisch erweitertem Saugrohre dar. Die hierdurch bedingte
Saugrohrerweiterung wird in der Praxis des Turbinenbaues nach verschiedenen
Gesichtspunkten durchgeführt. So wird z.B.Vergl.
„Elektrotechnik und Maschinenbau“ 1919, Heft 22.
vorgeschlagen, den Winkel φ, welchen die Erzeugende eines kegelförmig
erweiterten Saugrohres mit der Saugrohrachse einschließt, mit 2 bis 3° anzunehmen.
Ist d2 der Saugrohreintrittsdurchmesser, d3 der Saugrohraustrittsdurchmesser, so ergibt sich
dieser Winkel φ aus der Beziehung
tg\,\varphi=\frac{d_3-d_2}{2\,L} (3)
In Zahlentafel 1 ist für 2 Niederdruck-, 2 Mitteldruck- und 2 Hochdruckkraftwerke der
Winkel φ berechnet worden, wobei die etwa unrunden auf gleichwertige runde
Saugrohrquerschnitte umgerechnet wurden. Man erkennt, daß sich die Winkel φ hierbei
im Wesen in den angegebenen Grenzen bewegen. Und dennoch wird diese Faustformel
einer genaueren Prüfung nicht standhalten können. Ist nämlich
d_m=\frac{d_2+d_3}{2} der mittlere Saugrohrdurchmesser,
F_m=\frac{{d_m}^2\,\pi}{4} wie früher die mittlere
Querschnittsfläche des Saugrohres, stellt
\Delta\,F=({d_3}^2-{d_2}^2)\,\frac{\pi}{4} die
Flächenvergrößerung dar, welche das Saugrohr beim Uebergange vom Eintritts zum
Austrittsquerschnitte erfährt, so stellt sich die verhältnismäßige
Flächenvergrößerung, welche das Saugrohr pro Längeneinheit erfährt, auf
\frac{\Delta\,F}{F_m\,L}=\frac{4\,tg\,\varphi}{d_m}
(4)
Auch dieser Wert wurde in Zahlentafel 1 aufgenommen, er schwankt bei den zum
Vergleich herangezogenen Kraftwerken zwischen 7,5 und 12 v. H.
Wie aus Gleichung 4 ersichtlich, wird bei gleichem Winkel φ die verhältnismäßige
Flächenvergrößerung umso größer, je kleiner der Saugrohrdurchmesser ist. Nimmt man
z.B. an, daß die verhältnismäßige Flächenvergrößerung 10 v H betragen soll, so
ergibt sich nach Gleichung 4 folgendes Bild:
Zahlentafel 2:
dm =0,5,
1,
1,5,
2,
2,5,
3,
3,5,
4,
4,5,
5m.
φ = 0° 43',
1° 26',
2° 9',
2° 52',
3°35,'
4°17',
5°,
5° 43',
6° 25'
7° 15'.
Die alleinige Angabe des Erweiterungswinkels φ gibt daher über die Größe der
Saugrohrerweiterung noch keinen Aufschluß. Es ist daher entsprechender, die
Saugrohre für eine einheitliche verhältnismäßige Flächenvergrößerung pro m
Saugrohrlänge zu entwerfen, oder
Zahlentafel 1.
Textabbildung Bd. 341, S. 166
Kraftwerk; Literaturstelle; M. L.
Beer, Sagan.; G. Ziehn, Diehydraul. Turb.; Merkens, Schwertberg; Z. d. ö. J.
u.a. V. 1909, Heft 25; Z. V. D. J. 1908, Heft 22 u. f.; Salto de Bolarque,
Spanien; Z. V. D. J. 1910, Heft 34 u. f.; Hohenfurth Böhmen; Technische Blätter,
1904, Heft 1 u. f.; Duluth Amerika; Z. V. D. J. 1909, Heft 24 u. f.
für eine einheitliche verhältnismäßige
Geschwindigkeitsabnahme pro m Saugrohrlänge, welch letztere sich mit c2 – c3 = Δ c zu
\frac{\Delta\,c}{c_m\,L}=\frac{c_2-c_3}{c_m\,L} (5)
bestimmt. Da alle Geschwindigkeiten in der Turbine, wie im
Saugrohre nach dem Quadratwurzelgesetze proportional √H sein müssen, können die
Saugrohre auch für eine Einheitsgeschwindigkeitsminderung pro m Saugrohrlänge
berechnet werden, welche sich zu
\frac{\Delta\,c}{\sqrt{H}\,L}=\frac{c_2-c_3}{\sqrt{H}\,L}
(6)
ergibt. Auch die Minderung der lebendigen Kraft des
Saugrohrinhaltes pro m Saugrohrlänge kann der Berechnung der Saugrohre zugrunde
gelegt werden. Da die lebendige Kraft des Wassers im Saugrohre pro kg Wasser um h
(Gleichung 2) abnimmt, stellt sich die verhältnismäßige Minderung der lebendigen
Kraft des Saugrohrinhaltes pro m Saugrohrlänge auf
\frac{h}{\frac{{c_m}^2}{2\,g}\,L}=\frac{2\,(c_2-c_3)}{c_m\,L}
(7)
Sie ist bis auf den Faktor 2 gleichwertig obigem Ausdrucke 5.
Die Saugrohre können auch auf Grund der darin auftretenden Minderung der lebendigen
Kraft des Saugrohrinhaltes, bezogen auf die Gesamtarbeitsfähigkeit H von 1 kg Wasser
berechnet werden. Es ergibt sich dann in
\frac{h}{H\,L}=\frac{(c_2-c_3)\,c_m}{g\,H\,L} (8)
eine neue Saugrohrkonstante. Auch auf Grund der im Saugrohre
auftretenden Verzögerung, welche sich nach Gleichung 1 auch in der Form
p=\frac{(c_2-c_3)\,c_m}{L} berechnet, können die Saugrohre
miteinander verglichen werden. Da alle Geschwindigkeiten hierbei proportional √H
sind, ist die Einheitsverzögerung durch
\frac{p}{H}=\frac{(c_2-c_3)\,c_m}{H\,L} (9)
gegeben; sie unterscheidet sich vom Werte 8 nur durch den
Faktor \frac{1}{g}.
Alle diese Saugrohrkonstanten wurden in Zahlentafel 1 aufgenommen. Die oft nicht
unbeträchtlichen Schwankungen, welchen diese Größen bei den einzelnen
Kraftwerken unterworfen sind, rühren nicht nur daher, daß Turbinenanlagen mit
den verschiedensten Gefällen und Baujahren zum Vergleiche herangezogen wurden,
sondern insbesondere auch daher, daß diese Turbinenanlagen von den verschiedensten
Firmen ausgeführt wurden.
Daß die in den Gleichungen 5 bis 9 angegebenen Saugrohrkonstanten untereinander
zusammenhängen, wurde bereits da und dort gestreift. Es wird hier genügen, darauf
hinzuweisen, daß z.B. Einheitsverzögerung und Einheitsgeschwindigkeitsabnahme pro m
Saugrohrlänge um die mittlere Einheitsgeschwindigkeit,
\frac{c_m}{\sqrt{H}} voneinander verschieden sind. Dasselbe
Verhältnis ergibt sich, wenn die Einheitsgeschwindigkeitsabnahme pro m Saugrohrlänge
mit der verhältnismäßigen Geschwindigkeitsabnahme in Parallele gestellt wird. Ein
Vergleich der Einheitsverzögerung mit der verhältnismäßigen Geschwindigkeitsabnahme
pro m Saugrohrlänge hingegen ergibt, daß diese Größen entsprechend dem Quadrat der
mittleren Einheitsgeschwindigkeit voneinander verschieden sind.
Im Falle Merkens, Schwertberg z.B. stellt sich mit
c_m=\frac{2,45+1,76}{2}=2,1\mbox{ m/s,
}\frac{c_m}{\sqrt{H}}=\frac{2,1}{\sqrt{82}}=0,732\mbox{ m/s,
}\frac{{c_m}^2}{H}=0,732^2=0,535 m^2/s^2
nach Zahlentafel 1
\frac{\frac{P}{H}}{\frac{\Delta\,c}{\sqrt{H}\,L}}=\frac{0,0402}{0,0550}=0,732,\
\frac{\frac{\Delta\,c}{\sqrt{H}\,L}}{\frac{\Delta\,c}{c_m\,L}}=\frac{0,0550}{0,0750}=0,732,\
\frac{\frac{p}{H}}{\frac{\delta\,c}{c_m\,L}}=\frac{0,0402}{0,0750}=0,535.
II. Eine ganz grundsätzlich hiervon verschiedene Aufgabe fällt den Saugrohren der
Turbinen mit statischer Arbeitsübertragung zu, da bei denselben im Saugrohre kein
Rückgewinn, sondern eine Energievernichtung durchzuführen ist, welche mit Vorteil
durch eine im Saugrohre eingeschaltete plötzliche Umlenkung vollzogen wird. Dem
Laufrade wird hierbei eine allmählige Erweiterung des Saugrohres nachgeschaltet, in
welcher die Geschwindigkeit c2 auf den Wert c3 ermäßigt wird. Diese Geschwindigkeitsermäßigung
würde geschwindigkeitssteigernd auf das Laufrad rückwirken, wenn nicht der
solcherart erzielte Rückgewinn – er ist wie früher durch Gleichung 2 gegeben – von
einer der Erweiterung nachgeschalteten plötzlichen Umlenkung aufgezehrt würde.
Strömt das Wasser mit der Geschwindigkeit c3 gegen
eine zur Richtung c3 winkelrechte Stoßplatte, an
welcher die Geschwindigkeit in der Zuströmrichtung vom Wert c3 auf den Wert O verzögert wird, so ermittelt sich
die Verzögerung senkrecht zur Richtung der Stoßplatte zu
p=\frac{c_3-0}{t}=\frac{c_3}{t}, wenn t den Mittelwert der
Zeit bedeutet, welche ein Wasserteilchen benötigt, um den ganzen Wirkungsbereich der
Stoßplatte zu durchströmen. Die verzögernde Kraft P, also der Druck des Wassers auf
die Stoßplatte bestimmt sich bei der Wassermasse m zu
P=m\,p=\frac{m\,c_3}{t}. Hierbei stellt
\frac{m}{t} die sekundlich zur Wirkung kommende Wassermasse
dar, welche sich bei der sekundlichen Wassermenge Q auch zu
\frac{m}{t}=\frac{Q\,,\gamma}{g} berechnet. Eine Vereinigung
der letztangeschriebenen zwei Gleichungen führt zur Beziehung
P=\frac{Q\,\gamma}{g}\,c_1, welche mit Q = F3 c3 auch in der
Form P=\frac{F_3\,\gamma}{g}\,{c_3}^2 geschrieben werden kann.
Die verzögernde Kraft pro Flächeneinheit ergibt sich hieraus zu
\frac{P}{F_3}=\frac{\gamma}{g}\,{c_3}^2, entsprechend einer
Wassersäule von der Höhe
h=\frac{{c_3}^2}{g} (10)
Durch Gleichsetzung der Werte 2 und 10 – diese Gleichsetzung beinhaltet eine
Energievernichtung – erhält man die einfache Beziehung
c2 = c3√3 (11)
Sind vorliegende Verhältnisse im Wesen in den Abb. 1 und 2 dargestellt, so
bringen diese Abbildungen eine weitere Ausgestaltung in dem Sinne, daß der
plötzlichen Umlenkung eine abermalige Erweiterung nachgeschaltet ist, in welcher
sich die Geschwindigkeit c3 auf den noch kleineren
Wert c, ermäßigt. Hierdurch geht Gleichung 2 in
h=\frac{{c_2}^2-{c_4}^2}{2\,g} über. Eine Gleichsetzung mit
dem Werte 10 führt dann zur Beziehung
c_3=\sqrt{\frac{{c_2}^2-{c_4}^2}{2}} (12)
Unter Berücksichtigung der Kontinuitätsgleichung Q = F2 c2 = F3 c3 = F4 c4 schreibt sich
Beziehung 12 auch in der Form
\frac{1}{F_3}=\sqrt{\frac{\frac{1}{{F_2}^2}-\frac{1}{{F_4}^2}}{2}}
(13)
In der Teknisk Tidskrift vom 15. August 1925 wird eine genau kotierte Zeichnung eines
derartigen, für das Kraftwerk Tolf Forsen ausgeführten
Saugrohres gebracht, dessen Maße in Abb. 1 und 2 wiedergegeben sind.
Nur die Längenmaße 1450 und 2000 mm – sie kommen für eine Ueberprüfung der Gleichung
13 nicht in Frage – wurden mit möglichster Genauigkeit aus der dortigen Zeichnung
abgegriffen. Mit F_2=1,4^2\,\frac{\pi}{4}=1,54\ m^2, F4 = 1.792 × 4.5 = 8.05 m2 ergibt sich aus Gleichung 13 ein Wert F3 = 2.23 m2,
entsprechend einem Durchmesser D3 = 1.685 m, welcher
gegenüber dem Ausführungswerte D3 = 1.975 m um 17 v
H zu klein ist. Bei diesem Ergebnisse ist zu berücksichtigen, daß obige Rechnung die
Umlenkverluste außer Betracht läßt, und daß die einseitige Umlenkung beträchtliche
Totwinkel hervorruft. Viel genauer müssen die Verhältnisse hinter der plötzlichen
Umlenkung stimmen. Die dort maßgebende Breite b3
werde aus der Ueberlegung ermittelt, daß mit O als Quellpunkt bei Halbierung des
Winkels a in M ein Punkt der maßgebenden Rechteckbreite b3 gegeben ist. Ermittelt man hiernach auf graphischem Wege den Wert b3 = 2.55 m, so ergibt sich F3 = 2.55 × 0.988 = 2.5 m2, welcher gegenüber dem Rechnungswerte um 7 v. H. zu groß ist. Die
Uebereinstimmung von Rechnung und Ausführung muß daher, wenn man von dem
rechnungsmäßig nicht zugänglichen Enflusse der Rundung r = 1800 mm absieht, als
befriedigend bezeichnet werden.
Textabbildung Bd. 341, S. 167
Abb. 1 und 2. Saugrohr des Kraftwerkes Tolf Forsen.
Für die dem Laufrade unmittelbar nachgeschaltete Erweiterung von 1400 auf 1975 mm –
sie ist eine zwangläufige, kann daher entsprechend rasch erfolgen – rechnet sich die
verhältnismäßige Flächenvergrößerung
pro m Saugrohrlänge zu \frac{\Delta\,F}{F_m\,L}=0,477. Die der
Umlenkung nachgeschaltete Erweiterung zerfällt in zwei Teile. Auf dem ersten 3635 mm
langem Teile beträgt \frac{\Delta\,F}{F_m\,L}=0,215, auf dem
letzten 4065 mm langem Teile hingegen stellt sich
\frac{\Delta\,F}{F_m\,L}=0,112, ein Wert, der sich jenem der
dynamisch wirkenden Saugrohre vollkommen anlehnt. Die Saugrohre der Turbinen mit
teils statischer, teils dynamischer Arbeitsübertragung mögen hier unerörtert
bleiben, da deren Formen noch nicht endgiltig festliegen.